• 14.10.2008 18:31

Crivillé: "Pedrosa ist reif für den Titel"

Ex-Champion Alex Crivillé im Interview über die aktuellen spanischen Helden und die Entwicklung im Motorradsport

(Motorsport-Total.com) - Wer hätte gedacht, dass Alex Crivillé jemals ein Fernsehstar wird? Der Ex-Weltmeister hatte in seiner gesamten Laufbahn immer ein zurückhaltendes Auftreten, war in Interviews fast scheu und man bekam oftmals den Eindruck, eine Fernsehkamera möge er in etwa genauso gern wie den Gang zum Zahnarzt. Aber die Zeiten haben sich geändert. Crivillé ist beim spanischen Fernsehen als Fachmann für Motorradsport aktiv und hat so den den Kontakt zur Szene nie wirklich verloren. Im Interview berichtete der Spanier über seinen neuen Job, die Hoffnungsträger aus seiner Heimat und alternde Stars vor dem Comeback.

Titel-Bild zur News: Alex Crivillé

Alex Crivillé durfte sich einen eigenen Eindruck von der Honda verschaffen

Frage: "Alex, wie verbringt eigentlich ein 38-jähriger Mann, der im Motorsport alles erreicht hat, seine Zeit?"
Alex Crivillé: "Nach meinem Rücktritt habe ich das Rennfahren und die gesamte Szene sehr vermisst, ich wollte einfach wieder fahren. Ich habe dann an einigen Rallye-Events teilgenommen, habe dann ein Jahr lang mit Toni Elias zusammen gearbeitet und dann ergab sich die Möglichkeit beim Fernsehen. Was ich nun genau mache? Nun, ich lebe einfach von Tag zu Tag und schaue mir Racing an. Das liebe ich."#w1#

"Und ich genieße die Zeit mit meiner Familie. Ich bin sehr glücklich. Ich verfolge die Motorrad-Weltmeisterschaft, allerdings nun aus einer anderen Perspektive. Ich tue das ohne die lauernden Gefahren im Rennsport und genieße in diesem Jahr eine der besten Saisons aller Zeiten, mit zwei Spaniern in der MotoGP vorn dabei. In der 125er und der 250er Klasse sind unser Jungs auch vorne mit dabei."

Endlich kein Risiko mehr

Frage: "Wie erlebst du die Zeit im Fahrerlager. Ist es ganz anders als früher?"
Crivillé: "Ich habe immer den Wettbewerb geliebt und wenn ich ins Fahrerlager kam, habe ich den Renntag herbeigesehnt und darauf gewartet, dass die Ampel auf Grün schaltet. Das geht mir immer noch so. Wenn ich im Fahrerlager bin, möchte ich, dass sofort das Rennen losgeht, um es zu erleben und es mir anzuschauen. Der Rest macht mich nur müde. Die Reisen, das Warten, immer rund um den Globus unterwegs zu sein und ewig lange weg von zuhause..."

Frage: "Gibt es etwas Spezielles, was du vermisst?"
Crivillé: "Das Adrenalin, die Anspannung auf dem Motorrad und all die Gefühle, die mir das Bike vermittelte - das alles habe ich jetzt nicht mehr. Manchmal vermisst man das etwas. Das ist eben etwas, was durch nichts zu ersetzen ist."


Fotos: Honda, MotoGP: Rennwochenende auf Phillip Island


Frage: "Gibt es irgendetwas, worüber du froh bist, es nicht mehr zu haben?"
Crivillé: "Das Risiko. Die negative Seiten des Rennsports sind das Risiko und die Verletzungen. Das vermisse ich wirklich nicht. Wenn man sich die Crashs von Esteve Rabat und Jorge Lorenzo in Barcelona anschaut, oder den Sturz von Axel Pons in Jerez, dann realisiert man, wie gefährlich dieser Sport ist. Man war sich den Risikos immer bewusst. Aber jetzt schaue und analysiere ich. Wenn jetzt jetzt auf meine Erfokge blicke, dann bin ich sehr zufrieden. Ich hatte das Privileg, viele Siege holen zu dürfen und bin zurückgetreten, bevor ich mir sehr wehgetan habe. Man verbingt viel Zeit im Wettbewerb, aber früher oder später kommt der Zeitpunkt, wo man dann aussteigen muss."

Frage: "Zurück zur Gegenwart. Wie denkst du über die aktuelle MotoGP? Glaubst du, es entwickelt sich in die richtige Richtung?"
Crivillé: "Ich glaube, dass die gesamte Welt immer komplizierter wird. Aber es funktioniert: Die besten Fahrer sind da und es ist die Serie Nummer eins. Sie ist in allen Bereichen führend, auch was die Zuschauerzahlen anbelangt. Es gibt viele Dinge in der MotoGP, die sehr gut sind. Es stimmt aber auch, dass wir vermutlich ein paar Fahrer mehr in der Serie haben müssen. Ich erinnere mich daran, dass ich neben mir 30 weitere Piloten am Start hatte, jetzt sind es nur 18."

"Es ist wohl keine schlechte Idee, vielleicht noch zehn mehr zu haben, damit würde das gesamte Niveau noch einmal etwas höher. In der MotoGP sind die Motorräder dermaßen ausgeklügelt, sodass du einen Ingenieur für das Setup brauchst. Die Technologie ist deutlich voran gekommen, mit Traktionskontrolle, Elektronik und vielen Dingen mehr. Das bedeutet, dass einfach nicht jeder ein Team betreiben kann, was früher viel einfacher war. Die Werksteams können das bezahlen, aber für die Kundenmannschaften ist es ein Ritt auf der Rasierklinge."

Zu viel Elektronik in der MotoGP

Frage: "Wenn du in allen drei Kategorien die Regeln ändern könntest, was würdest du dann tun?"
Crivillé: "Ich glaube, die 125er Klasse ist okay so wie sie ist. Es ist eine Kategorie, wo junge Piloten einsteigen können und trainiert werden. Wenn sie dann die richtigen Schritte gehen, können sie in die 250er aufsteigen. Ich glaube, dort müsste man auf Viertakter umschwenken. In der MotoGP bin ich kein großer Fan von Traktionskontrollen, weil man zu sehr von Elektronik abhängt. Das ist ein wichtiges Thema, weil es um die Sicherheit der Fahrer geht. Die Piloten fliegen nicht mehr so schnell ab, wenn sie die Haftung verlieren, aber es gibt viele Stürze beim Bremsen und in schnellen Kurven. Insgesamt boomt die Serie, aber man darf nicht stillstehen, weil es schwierige Zeiten in vielerlei Hinsicht sind."

Frage: "Die Reifen sind in den vergangenen zwei Jahren immer heftig diskutiert worden. Wie denkst du darüber?"
Crivillé: "Es gab immer mal Gespräch über Einheitsreifen. Ich bin mein Leben lang mit Michelin gefahren. Was ich gesehen habe ist, dass sie auf manchen Strecken gut waren und auf anderen Strecken waren die anderen besser. Im Moment sind die beiden Marken ziemlich ausgeglichen. Wenn es keine zwei Marken mehr gibt, gäbe es keine Diskussionen merh darüber und es könnte interessant werden. Michelin hat einen guten Qualifyer und Bridgestone ist im Rennen sehr gut. Bei kühlen Temperaturen scheinen die Michelins besser zu laufen, aber man hat auch schon das Gegenteil gesehen. Insgesamt finde ich einen Alleinausrüster okay, aber wenn ich mir den aktuellen Wettbewerb anschaue, dann könnten es auch problemlos weiterhin zwei Marken bleiben."

"Ich hatte das Privileg, viele Siege holen zu dürfen und bin zurückgetreten, bevor ich mir sehr wehgetan habe." Alex Crivillé

Frage: "Stellen wir uns mal vor, Alex Crivillé würde für das kommende Jahr ein Team aufbauen. Welche Fahrer würdest du wählen?"
Crivillé: "In der MotoGp würde ich unsere beiden Spanier nehmen. Jorge Lorenzo und Dani Pedrosa sind beide erstklassige Fahrer, die in Werksteams natürlich unerreichbar sind. Aber ich würde mir wünschen, sie in meinem Team zu haben. Als Motorrad würde ich die Honda nehmen, wobei sich in dieser Saison auch die Yamaha als gut ausbalanciertes Bike präsentiert hat. Bei den Reifen habe ich immer Michelin genommen und hatte damit nie Probleme. In der 250er würde ich auf Bautista und Barbera setzen und natürlich die Aprilia nehmen. Bei den 125ern haben wir Pol Aspargaro, der sehr schnell ist und Joan Olivé auch. Aber es gibt auch noch andere. Ich glaube, Nicolas Terol ist in diesem Jahr eine große Überraschung."

Frage: "Glaubst du, es ist gut, dass die WM aus drei Kategorien besteht?"
Crivillé: "Sonttags sind die drei aufeinander folgenden Rennen manchmal zu viel. Vielleicht wäre es keine schlechte Idee, eines am Samstag zu haben und zwei am Sonntag. Es wäre auch besser, weil sich alles mehr auf die MotoGP konzentrieren könnte. Aber man müsste darüber noch einmal ernsthafter nachdenken. Das habe ich bisher nicht getan. Aber die 250er orientieren sich mit dem Wechsel zu den 600ccm Viertaktern in die richtige Richtung. Das beweist, dass etwas passiert und alles gut läuft."

Landsmann Pedrosa als künftiger Champion?

Frage: "Wie sieht du den Wandel von den 500ern über die 990ccm Maschinen hin zu den aktuellen 800ern?"
Crivillé: "Ich fand den Sprung zu den 990ern eine gute Idee, aber der Rückschritt auf 800ccm musste aus Sicherheitsgründen gemacht werden, wegen des Topspeeds. Auch wenn die Rundenzeiten niedriger sind, so sind sie doch auf den langen Geraden nicht ganz so schnell. Mehr Power und weniger Traktionskontrolle wären ein gutes Rezept. Das wäre etwas aggressiver und nicht so konservativ, wie die MotoGP heutzutage nun einmal ist."

Frage: "Du bist der einzige Spanier, der in der höchsten Kategorie zum Titel gefahren ist. Glaubst du, dass Dani Pedrosa in deine Fußstapfen treten kann?"
Crivillé: "Ich glaube, er ist bereit dafür. Es ist sein drittes Jahr, er hat die Nummer zwei auf seinem Bike, er ist schnell, konstant und er kann Rennen gewinnen. Im Honda-Werksteam ist es immer so, dass du im ersten Jahr lernst und ein paar Podiumsplatzierungen holst. Im zweiten Jahr solltest du um Siege mitfahren können und im dritten Jahr ist der Moment für den Angriff auf den Titel gekommen. Das ist ähnlich wie bei mir. 1994 kam ich aufs Podest, 1995 habe ich Rennen gewonnen und 1996 habe ich mit dem Titalfight begonnen - auch wenn es dann bis 1999 gedauert hat. Ich glaube, Dani ist gut genug, aber Casey Stoner ist auch stark und Valentino Rossi hat schon viel gewonnen und niemand hat Zweifel daran, dass er noch viel mehr holen kann."

"Rossi wird irgendwann zurücktreten und dann sind Dani und Stoner da..." Alex Crivillé

Frage: "Du hast über viele Jahre gegen den fast übermächtigen Mick Doohan gekämpft. Glaubst du, dass Dani Pedrosa in einer ähnlichen Situation ist mit Valentino Rossi?"
Crivillé: "Ja, ich denke schon. Dani hat die volle Unterstützung von Honda, er ist die Nummer eins und Repsol unterstützt ihn, wie sie auch mich unterstützt haben, als ich den Titel holte. Das ist wichtig. Er kämpft, um Champion zu werden und früher oder später wird das klappen. Ich weiß nicht, wann das sein wird. Aber die neue Generation ist da. Rossi wird irgendwann zurücktreten und dann sind Dani und Stoner da..."

Frage: "Wie siehst du deine alten Weggefährten Tadayuki Okada und Sete Gibernau? Der eine kehrt zurück, der andere ist im Training. Hast du auch manchmal Gedanken an ein Comeback?"
Crivillé: "Tady Okada ist ein alter Mann, er ist 41 Jahre alt. Er ist in Japan viel gefahren und hat ein paar Sachen getestet. Er hatte Spaß, aber es war nur ein Test. Ich sehe Sete Gibernau nicht als Testfahrer. Wenn er wirklich zurückkommt, dann will er auch um Siege fahren. Seine Leistung kann man aber nicht einschätzen, er dürfte wohl kaum ganz vorne mitkämpfen. Er hat sich vor längerer Zeit verabschiedet. Er allein weiß, ob er es nochmal packen kann. Die Zeiten, die er in Mugello gefahren ist, waren gut."

Frage: "Die Entwicklung des neuen Honda-Motors mit pneumatischer Ventilsteuerung ging sehr langsam voran. Nicky Hayden ist damit gefahren und war zufrieden. Dani Pedrosa nutzt noch den alten Motor und ist auch schnell. Wie beurteilst du die Situation?"
Crivillé: "Die Maschine der Zukunft ist jene mit der pneumatischen Ventilsteuerung. Aber es läuft mit dem alten Motor auch nicht schlecht. Dani hat vielleicht nicht viel Vertrauen in die neue Maschine. Er will kein Risiko eingehen und es wird ihm dann nicht so etwas passieren, was Nicky Hayden in Holland passiert ist."

TV als neuer Traumjob?

Frage: "Ist es für eine Werksmannschaft ein Problem, wenn zwei Topfahrer unterschiedliche Fahrstile haben?"
Crivillé: "Zwei Toppiloten zu haben ist immer besser als nur einen. Pedrosa ist etwas besser als Hayden, aber trotzdem ist die Mannschaft recht ausgeglichen. Bei Honda läuft es anders. Manche Teams haben klare Rollenverteilungen. Bei Ducati hat das schon manchmal zu Problemen geführt. Die Situation bei HRC ist meiner Meinung nach besser."

Alex Crivillé

Durfte in Motegi die RC212 einige Runden lang testen: Alex Crivillé Zoom

Frage: "Reizt es dich manchmal, dich um einen jungen Piloten zu kümmern, ihn zu schulen und zu begleiten?"
Crivillé: "Das erfordert sehr viel Zeit und Hingabe und man muss den Burschen erst einmal finden. Ich habe bisher noch nie daran gedacht. Ich sage das jetzt so. Wer weiß schon, was in Zukunft noch alles passiert. Das könnte eine nette Geschichte sein..."

Frage: "Du warst in deinem Auftreten immer zurückhaltend und introvertiert. Wie passt das mit dem Jopb beim Fernsehen zusammen?"
Crivillé: "Es geht ganz gut. Ich habe mich im Vergleich zum vergangenen Jahr verbessert. Ich habe anfangs gesagt, dass ich mich nicht gerade für die passende Figur für den TV-Job halte. Ich habe es nie genossen, vor vielen Leuten zu sprechen. Ich war immer zurückhaltend, habe nie mehr gesprochen als unbedingt nötig. Ich habe mich früher nur in Gesellschaft meiner Freunde, in kleinen Gruppen geöffnet. Aber vor der Kamera zu stehen ist schon schwierig. Die Hauptsache ist, dass es dir Spaß macht und ich genieße es wirklich. Dieses Jahr viel mehr als letztes Jahr und vor allem deutlich mehr als ich jemals gedacht hätte."

Frage: "Können sich die Fans überhaupt noch an dich erinnern?"
Crivillé: "Die erinnern sich wieder mehr an mich, seit ich im Fernsehen bin. Sie vergessen einen nicht wirklich, aber logischerweise steht man nicht mehr im Zentrum. Durch den TV-Job kommt das Interesse zurück. Das ist auch ganz nett so."