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  • 28.02.2014 20:20

  • von Jacques Villeneuve (Haymarket)

Villeneuves Indy 500 1995: Mein wichtigster Sieg

Im Alter von nur 24 Jahren gewann Jacques Villeneuve im Mai 1995 das Indy 500 und erinnert sich auch heute noch an jedes einzelne Detail

(Motorsport-Total.com) - Es ist sehr schwer zu sagen, welches ich als das Rennen meines Lebens bezeichnen würde, denn es sind deren zwei. Da gibt es Jerez 1997, wo ich meinen Formel-1-Titel gewonnen habe, und da gibt es das Indy 500 von 1995. Obwohl der Gewinn des Formel-1-Titels gegen Michael Schumacher schon sehr extrem war, und es ein unglaubliches Rennen mit jeder Menge Spannung und Druck war, so empfinde ich das Indy 500 noch um einen Hauch besser.

Titel-Bild zur News: Jacques Villeneuve

Unvergessen: Jacques Villeneuve gewinnt 1995 in Indianapolis Zoom

Bei uns in Team Green nannten wir es das Indy 505 statt Indy 500, denn wir bekamen ja eine Zwei-Runden-Strafe. In diesem Rennen ist einfach so viel passiert und genau das macht es so speziell. Normalerweise ist Indy ein Rennen, wo du nicht immer ans Limit gehst. Es ist ein langes und gefährliches Rennen. Aber wir lagen zwei Runden zurück und ich musste die ganze Zeit Quali-Runden fahren. So etwas machst du im Normalfall nicht, denn in jenen Tagen war es nicht möglich, mit Vollgas herumzufahren.

Mit den heutigen Autos geht das manchmal, insofern ist das schon ein kleiner Unterschied. 1995 hatte man für dieses Rennen die Boxenstopp-Regeln geändert und bei allen herrschte eine gewisse Unsicherheit. Wir lagen früh im Rennen in der Spitzengruppe bis es um die Zeit der ersten Stopps herum zu einer Gelbphase kam. Alle hatten nur noch wenig Sprit an Bord und als die Gelbe Flagge kam, gingen alle an die Box.

Mein Team war damit beschäftigt, auszurechnen, wie viel Sprit ich wohl noch haben würde. Jeder hatte etwas Panik und keiner realisierte, dass ich zu diesem Zeitpunkt in Führung lag - auch ich nicht. Alles passierte quasi gleichzeitig. Uns ging es darum sicherzustellen, dass ich genug Benzin hatte, um dem Pace-Car folgen zu können, damit wir es zurück an die Boxen schaffen. Und jedes Mal, wenn ich zum Pace-Car aufschloss, habe ich es überholt, denn das Pace-Car soll ja den Spitzenreiter aufsammeln und ich dachte wie gesagt nicht, dass ich in Führung liege.

Verwirrung in der Gelbphase

Keiner wusste so recht, was los war und ich vermute, dass auch die Rennleitung bei meinem ersten Überholmanöver nicht realisiert hat, dass ich der Leader war, denn man hat mich nicht gestoppt. Und das passierte zweimal. Mein Team hatte immer noch nicht mitbekommen, dass ich in Führung lag, denn sie waren die ganze Zeit damit beschäftigt, meinen Benzinverbrauch auszurechnen. Einige mussten dann aus Spritgründen ganz einfach an die Box fahren und sie wurden bestraft.

Jacques Villeneuve

Der Indy-Sieg war ein entscheidender Schritt in der Karriere Villeneuves Zoom

Als ich dann zum dritten Mal auf das Pace-Car aufschloss, kam eine Hand raus, um mich zu stoppen, also tat ich das auch. Erst zu diesem Zeitpunkt haben alle verstanden, dass ich der Leader war und ich dachte mir nur: "Großartig, danke Jungs!". In meiner ganzen Karriere waren mein Reifenverschleiß und mein Benzinverbrauch immer besser als bei meinen Teamkollegen und an diesem Tag in Indy hat mir das sehr geholfen. Wir haben unseren Boxenstopp hinter dem Pace-Car erledigt und danach hat man uns zwei Runden nach hinten gesetzt.

Von diesem Zeitpunkt an habe ich mit dem Team über Funk gesprochen und ihnen gesagt, dass das Rennen noch lange nicht vorbei ist. Lasst uns konzentriert bleiben, lasst uns weitermachen und nicht aufgeben! Auch das hat mich meine gesamte Karriere lang begleitet: Egal wo du bist, gib niemals auf, denn du weisst nicht, was passieren wird. Zudem hatte Goodyear zu diesem einen neuen Reifen gebracht, Firestone hatte die Pole-Position gewonnen und die Honda-Motoren mehr PS, weshalb sie in der Qualifikation etwa drei Meilen schneller waren als wir, wogegen wir nichts unternehmen konnten.


Fotostrecke: Jacques Villeneuve in den USA

Also entschloss sich Goodyear für das Rennen noch einen brandneuen Reifen zu bringen, den wir niemals getestet hatten. Wir haben ein paar Stopps abgewartet, bevor wir diesen Reifen einsetzten, denn wir haben uns angesehen, wie dieser Reifen bei anderen Teams reagiert hat. Nur durch diesen Reifen haben wir dann zwei Meilen pro Stunde aufholen können. Das war großartig und von diesem Punkt an habe ich angegriffen und mit dem Überholen begonnen.

Eine perfekte Teamleistung

Einmal hatten wir Glück. Ich kam, immer noch zwei Runden zurückliegend, direkt hinter den Führenden an die Box und habe sie dort überholen können. Direkt danach gab es eine Gelbe Flagge, weshalb ich hinten wieder aufschließen konnte. Damit war eine Runde wieder gutgemacht und bei der Nummer zwei habe ich den Leader auf der Strecke überholt. Dann bin ich einfach nur noch aufs Gaspedal getreten. Aufgrund unseres Spritverbrauchs konnte ich viel länger draußenbleiben als alle anderen und fuhr nach einem langen Stint quasi ohne Laufflächen mehr an die Box.

Jacques Villeneuve

Jacques Villeneuves Indy-Bilanz: 1994 Zweiter, 1995 der Sieg Zoom

Einmal kam ich in Kurve 2 so quer daher, dass ich schon das Gras des Infields sehen konnte. Ich habe mir nur gedacht: Wie kann ich mich drehen, ohne dass ich einen Kollegen treffe? Irgendwie kam das Auto dann am Kurvenausgang wieder gerade, also blieb ich auf dem Gas. Meine Crew hat das gar nicht mitbekommen. Sie haben es leider in der TV-Aufzeichnung verpasst, weshalb ich schon ein wenig sauer war.

Das ganze Rennen war eine gigantische Teamleistung. Das Auto ist an der Box ein paar Mal abgestorben. Teamchef Barry Green war mein Rennstratege und damit an meinem Funk, Tony Cicale war mein Ingenieur. Im Rennen lief zwischen uns und der Crew wirklich alles perfekt. Wie ich schon oft gesagt habe: Sehr vieles ist ganz einfach Psychologie. Wenn du spüren kannst, wie dein Team dich pusht, können dir tolle Sachen gelingen. Aber du musst auch wissen, dass du da draußen nicht alleine bist. Und genau deshalb war Indy eine tolle Teamleistung.


Das Indy 500 des Jahres 1995

Gegen Ende des Rennens gab es ungefähr 15 Runden vor dem Ende noch einmal eine Gelbe Flagge. Zu diesem Zeitpunkt lagen wir auf Platz zwei. Wir waren der Meinung, dass dies kein schlechtes Resultat war. Es war kein Sieg, aber nach alldem, was zuvor passiert war, hätten wir diesen zweiten Platz mitgenommen. Vor mir lag Scott Goodyear und er war unschlagbar. Es gab überhaupt keine Möglichkeit, auf der Strecke mit ihm mitzuhalten.

Scott Goodyear und der entscheidende Fehler

Das wusste ich und wollte deshalb in der letzten Runde vor der Grünen Flagge Druck ausüben. Ich habe beschleunigt, gebremst, habe mich neben ihn gesetzt, bin wieder zurückgefallen. Ich habe versucht ihm klarzumachen, dass ich da bin. Und es hat funktioniert, denn bevor die Grüne Flagge kam, hat er das Pace-Car überholt und sie haben ihm die Schwarze Flagge gezeigt. Als er aufs Gas ging, habe auch ich beschleunigt und als ich sah, dass er das Pace-Car überholen würde, bin ich in die Bremsen gestiegen. Hinter mir haben alle dasselbe gemacht.

Jacques Villeneuve

2014 gibt Jacques Villeneuve sein Comeback bei den Indy 500 Zoom

Zu diesem Zeitpunkt lag Christian Fittipaldi hinter mir und schloss aufgrund der ganzen Vorfälle zu mir auf. Ich musste ihn fast in die Wand drücken, denn ansonsten hätte er mich überholt. In diesem Moment ging es nur darum, wer der mit den besseren Nerven war. In diesem Rennen heisst es: alles oder nichts. Es war sein erstes Indy, weshalb ich vermute, dass er mit Platz zwei ganz zufrieden war. Scott ging vorne - trotz der Schwarzen Flagge - einfach nicht an die Box, weshalb die Rennleitung irgendwann damit aufhörte, seine Runden zu zählen.

Aber für mich war es das Rennen. Und genau deshalb erinnere ich mich auch heute noch so gut daran. Zu dieser Zeit habe ich nicht viel von Geschichte gewusst. Ich wuchs mit meinem Vater im Rennsport auf und alles, was mich interessierte, war das Racing. Er hat sich niemals für Geschichte interessiert und hat auch niemals darüber gesprochen. Insofern bin ich aufgewachsen und hatte keine Ahnung von der Geschichte und der Frage, warum etwas wichtig ist.

Ich wusste nur, dass Indy das wichtigste Rennen der Welt war. Ich wusste, welche Bedeutung es in den USA hatte und was es für meine Karriere bedeuten würde. Heute, mit der Distanz, um auf alles zurückblicken zu können, ist es ganz einfach nur klasse, ein Teil dieser Geschichte zu sein.