powered by Motorsport.com

Kolumne: Kann IndyCar an alte Erfolge anknüpfen?

Die IndyCar-Serie entwickelt sich langsam, aber stetig in die richtige Richtung - Alte Erfolge sind angestrebt, doch am "Wie" scheiden sich die Geister

Titel-Bild zur News: Carlos Munoz, Scott Dixon

Zurück zu alten Erfolgen? IndyCar befindet sich in einem langsamen Aufstieg Zoom

(Motorsport-Total.com) - Liebe Freunde des echten Monoposto-Racings,

es dauert nur noch ein Jahr, dann wird der IndyCar-Zusammenschluss sich bereits zum zehnten Mal jähren. Die Fortschritte seit der Saison 2008 in Sachen Vermarktung und Bekanntheitsgrad halten sich bislang in Grenzen. Lange kämpfte IndyCar mit IRL-Altlasten. Zudem ist die Zahl der Teams von 14 Vollzeit-Mannschaften im Jahre 2008 auf deren 9,5 (Herta als halbes Team gezählt) zurückgegangen. Für 2017 wackelt zudem KV.

Seit Mark Miles und Jay Frye das Ruder übernommen haben, geht es zumindest insgesamt mit der Serie insgesamt in langsamen Schritten aufwärts. Die Einschaltquoten sind prozentual stark gestiegen - um satte 38 Prozent zwischen 2013 und 2015. In der Saison 2016 gab es insgesamt wieder ein leicht stärkeres Ergebnis, allerdings mit einem Durchhänger auf dem Hauptsender NBCSN. Auch die Zuschauerränge sind auf den meisten Strecken deutlich voller als noch vor einigen Jahren. Alles natürlich weiterhin auf deutlich geringerem Niveau als Platzhirsch NASCAR, der aber zunehmend in Probleme gerät.

Dennoch sind die Zahlen von 2016 eine Mahnung: Die Zeiten zweistelliger Zuwächse bei den TV-Quoten könnte schon wieder vorbei sein, wenn nicht 2017 nochmal ein großer Sprung gelingen sollte. Und von den glorreichen 90er-Jahren ist man sowieso noch weit entfernt, da bräuchte man eher 138 Prozent Steigerung. Ein kleiner Aufschwung macht noch keinen Sommer.


Fotostrecke: IndyCar: Fahrer & Teams 2017

Heimatverbundenheit oder Internationalisierung?

Wie soll es nun weitergehen? Ich habe mit zwei Größen des Sports, Scott Dixon und Sebastien Bourdais über dieses Thema in Le Mans gesprochen. Und es offenbart sich ein Problem: Die beiden Topfahrer, die die derzeitige Ära maßgeblich mitgeprägt haben, haben nämlich ganz unterschiedliche Ansichten, wie der Sport wieder groß gemacht werden kann. Die Kernfrage: Versuchen, ein größeres Stück vom Kuchen auf dem US-Markt zu bekommen oder den Markt vergrößern?

Bourdais setzt auf die Zugkraft des Indianapolis 500: "Natürlich bleibt das Indy 500 das Flaggschiff und man muss daraus Kapital schlagen. Es ist das größte Einzelsportevent hinsichtlich der Zuschauerzahlen. Es hat so viel Historie." Die Philosophie des Franzosen: Die Zuschauer beim 500-Meilen-Rennen abholen und so zu begeistern, dass sie sich auch den Rest der Saison ansehen. Dixon hingegen will IndyCar einem größeren Publikum zugänglich machen: "Es geht darum, die richtigen Orte auszuwählen. Priorität hätte in jedem Fall eine Internationalisierung der Serie."

Mit diesem Thema tut sich IndyCar schwer: Das Rennen in Motegi wurde 2011 zum letzten Mal ausgetragen, die Rennen in Brasilien und China sind jeweils geplatzt. Surfers Paradise ist weiterhin ein Traum, doch hier gibt es die Terminschwierigkeiten, da die australischen Supercars im Oktober dort fahren, IndyCar aber einen Termin im Februar anstrebt. Nur: Wenn schon zwei Topfahrer, die die Szene bestens kennen, derart unterschiedliche Ansichten zum Wohle der Serie haben, wie soll die Führungsriege dann eine richtige Entscheidung treffen?

Spec Racing oder Freiheit?

Nicht nur beim Kalender, auch bei der Frage nach der künftigen technischen Ausrichtung der Meisterschaft prallen zwei Philosophien aufeinander. Die IndyCar-Serie hat ihre Wurzeln in der IRL, in der Spec Racing groß geschrieben wurde. Seine besten Zeiten erlebte das Open-Wheel-Racing in den USA allerdings in Zeiten großer technischer Freiheiten. Nur lässt sich das im 21. Jahrhundert noch rechtfertigen? Durch Jahre des engen Spec Racings sind wir so verwöhnt worden, dass wir schon jammern, wenn das Feld durch Aerokits in zwei Hälften gespalten wird.

IndyCar, Surfers Paradise

IndyCar in Sufers Paradise: Wäre die Internationalisierung ein Heilsbringer? Zoom

Und so fährt IndyCar hier weiter einen Schlingerkurs: Das Aerokit wird wieder Einheitsbauteil, dafür sollen jetzt andere Bereiche liberalisiert werden. Immerhin könnte dies in einer Hinsicht helfen. "Was es braucht, ist mehr Engagement von großen Firmen", verriet mir Bourdais. Wenn nun beispielsweise die Bremsen freigegeben werden, könnte man wieder mehrere Hersteller in den Sport locken, die wirklich mit der Autoindustrie zu tun haben. Die Hoffnung ist in jedem Fall berechtigter als diejenige, Luft- und Raumfahrtkonzerne für die kompetitive Entwicklung von Aerokits zu gewinnen.

Was von Anhängern des Spec Racings gerne dagegen gehalten wird, ist das Kostenargument. Dieses weiß Bourdais jedoch gekonnt zu entkräften: "Es geht nicht darum, wie viel man investiert. Es geht um das Verhältnis zu Investition und den Return of Investment." Heißt also: 2016 investierte sein KVSH-Team rund fünf Millionen Dollar, erhielt aber nur drei zurück. Sollten stattdessen die Budgets bei 50 Millionen Dollar liegen, aber 100 Millionen zurückfließen, dann sähe das Bild schon ganz anders aus.

Ein klares Argument pro Liberalisierung: Wenn statt einem plötzlich fünf Zulieferer Werbung machen können, würde die Szene insgesamt wachsen. Und noch etwas kommt hinzu: Die Absicherung der Einheitslieferanten hat dafür gesorgt, dass die Qualität vieler Teile zu wünschen übrig lässt. "Wir brauchen mehr Wettbewerb, denn derzeit bekommt man keine tolle Performance", erzählt Dixon frustriert. Der Plan von Frye, bis 2020 gewisse Teile des Fahrzeugs zu liberalisieren, kommt zumindest bei den Fahrern gut an.

Der Weg ist noch weit

Ob das letztlich auch Zuschauer zurückholt, bleibt die große Frage. Wenn man sich die geringen Fortschritte von IndyCar seit dem Zusammenschluss ansieht, dann zeigt das vor allem eines: Welch großen Schaden der Split wirklich angerichtet hat. Miles und Frye machen vieles richtig, wenn sie versuchen, sich von den IRL-Wurzeln zu lösen und sich wieder mehr in Richtung CART orientieren. Ob die guten alten Zeiten jemals wieder zu erreichen sein werden, wird aber auch an anderen Faktoren hängen, auf die IndyCar nicht unbedingt Einfluss hat. Etwa, wie sich NASCAR entwickelt.

Einigkeit besteht in einer Sache: "Es braucht Zeit, viel Zeit", sagen Boudais und Dixon unisono. Wahrscheinlich so viel Zeit, dass sie ein eventuelles neues goldenes Zeitalter nicht mehr als aktive Fahrer miterleben werden. In jedem Fall muss es IndyCar gelingen, bis 2020 endlich größere Fortschritte zu machen. Sonst verlieren wohl auch die kühnsten Optimisten irgendwann den Glauben, dass es mit dem amerikanischen Formelsport noch einmal aufwärts geht.

Gerald Dirnbeck