Wurz: "Platz vier wäre ein hochgestecktes Ziel"
Alexander Wurz vor dem Grand Prix von Spanien im ausführlichen Interview über die Fortschritte bei Williams, Sicherheit, Christian Klien und vieles mehr
(Motorsport-Total.com) - Zwar kam Alex Wurz bei den jüngsten Barcelona-Tests wider Erwarten nicht zum Einsatz, da der Williams zuvor bei Unfällen von Nakajima und Rosberg schwer beschädigt wurde und das Team vorzeitig abbrechen musste, Langweile kam trotzdem keine auf: Wurz, der mit seiner Firma Test und Training International weltweit Verkehrssicherheitszentren errichtet, hielt bei einer UNO-Veranstaltung einen Vortrag zum Thema Verkehr und Verantwortung.

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Alexander Wurz stellt sich auf eine extrem harte Europasaison ein
Bevor sich Wurz in die Vorbereitung für den anstehenden Grand Prix von Spanien stürzte, zog er im Interview mit unseren Kollegen von 'motorline.cc' eine erste Zwischenbilanz nach den drei Überseerennen.#w1#
Tolle Aufholjagd in Malaysia
Frage: Alex, in Sepang bist du ein kämpferisches Rennen gefahren, hast zehn Plätze gutgemacht. Weil es aber nur Platz 9 wurde, habe ich den Eindruck, wurde das nicht so richtig gewürdigt im Medienwald. Wären zwei vor dir ausgefallen, hätten die Schlagzeilen wohl geheißen: 'Wurz stürmt vor, erobert zwei Punkte!' Wie gehst du mit solchen kleinen Ungerechtigkeiten um?"
Alexander Wurz: "Ich sehe es nicht als ungerecht, wir sind im Sport, im Spitzensport, und hier ist ein Ruf nach Gerechtigkeit für das Verfehlen eines Punktplatzes fehl am Platz. Dem Frank (Williams; Anm. d. Red.) hat die Aufholjagd super getaugt, mir auch, nur nebenbei bemerkt."
Frage: "In Sepang habt ihr alle viel überholt, gefightet. Für uns Zuschauer war das Rennen davor in Melbourne ziemlich öde, Bahrain war dann so in der Mitte. Also von der Spannung, dem sportlichen Gehalt her drei völlig unterschiedliche Rennen. Woran liegt das?"
Wurz: "Da kann ich dir auch keine Antwort geben, sorry. Im Grunde waren alle Rennen recht knapp und gut, aber es kommt auch immer auf die Fernsehbildregie an und nicht nur auf die Rennfahrer. Aber noch mal, ein Rennen entsteht ungeplant und so werden wir auch weiterhin gute und langweilige Rennen sehen am TV."
Frage: "Dazu noch: Wie ist das jetzt mit der Dirty Air im Heck eines Vordermanns? Ist das deiner Meinung nach immer noch der Hauptgrund, warum Überholen schwierig ist? Sollte man nur noch auf den breiten Tilke-Strecken fahren?"
Wurz: "Der Hauptgrund ist, dass hier die besten Lenkradakrobaten am Werk sind und diese noch dazu wenige Fehler machen. Wenn dann eine Strecke, wie jetzt Barcelona oder gar Monaco als Extremfall, nicht auf Überholen konstruiert wurde, dann geht halt so gut wie nix im Normalfall."
Frage: "In Melbourne hast du alle ein bisschen erschreckt. Es wurde durch die Bilder deines Unfalls daran erinnert, dass der Formel-1- beziehungsweise der Rennsport immer noch - allerdings nur unter ganz bestimmten Umständen - lebensgefährlich ist. David Coulthard wollte daraufhin Pilotenkanzeln einführen. Ist das der richtige Weg? Welche Rolle spielt die Gefahr in deiner Herangehensweise?"
Wurz: "Racing is dangerous steht auf jedem Ticket, in jedem Vertrag. Ich mach es freiwillig und bin mir der Gefahr durchwegs bewusst. Dass es gefährlich ist, war mir auch vor Davids Flugshow bekannt. Ob Kuppel über den Köpfen hilft oder nicht, lass ich jetzt mal im Raum stehen."
Wie würde Rindt die heutige Formel 1 sehen?
Frage: "Ich hab Helmut Zwickl (österreichischer Journalist; Anm. d. Red.) gefragt, was Jochen Rindt zur heutigen Formel 1 sagen würde. Er antwortete: 'Er würde einen Lachkrampf bekommen. Er würde sagen: Mein Gott, wir sind gefahren in Spa oder auf dem alten Nürburgring, wir sind gesprungen dort. Heute, wenn ich mir die Rennstrecke in Bahrain anschaue, mit Sturzräumen so groß wie der Stadionparkplatz oder wie die Kalahari-Wüste, die Piloten beziehen den Parkplatz in die Ideallinie mit ein und es passiert überhaupt nichts, wenn nicht gerade der Coulthard zwei Millimeter über den Wurz hinweg fliegt. Die Gefahr ist quasi nicht mehr vorhanden. Gott sei dank muss ich sagen, Gott sei Dank. Aber die Gefahr ist weg und der Jochen Rindt würde lachen.' Was sagst du dazu? Was würdest du Jochen Rindt beziehungsweise Helmut Zwickl antworten?"
Wurz: "Ich denke, wir können davon ausgehen, dass weder Jochen Rindt, Helmut Zwickl, noch du oder ich suizidgefährdet sind. Und auf das hinauf behaupte ich mal salopp, dass, wenn sich Jochen Rindt aussuchen hätte können, damals in Monza seinen Unfall in seinem Lotus oder in einem heutigen Formel-1-Auto zu haben, er sich wohl für die sichere Variante entschieden hätte."
"Cool sein hat nichts mit dem Aussetzen in unnötiges Risiko zu tun, weder bei Jochen Rindt noch bei den jungen Leuten auf der Straße. Cool ist man von der Persönlichkeit her - und cool war beziehungsweise ist Jochen Rindt durch und durch, und er wäre es auch heute in einem modernen sicheren Auto auf Strecken mit parkplatzgroßen Auslaufzonen."
Frage: "Niki Lauda erklärte nach dem Bahrain-Grand-Prix: 'Der Alex hat das gleiche Problem wie immer, nämlich dass er hinter Rosberg ins Ziel kam. Er muss aufpassen.' Ist das so? Musst du aufpassen? Worauf musst du aufpassen? Wie geht's dir mit Nico?"
Wurz: "Du, egal ob hinten oder vorne, aufpassen muss man immer in der Formel 1. Egal ob im Falle vom Niki als Jaguar-Teamchef oder als Benetton-, McLaren- oder Williams-Pilot. Mit Nico geht's mir gut, weil wir uns als Teamkollegen ergänzen und gegenseitig die Latte in die Höhe schrauben. Eine gesunde Rivalität - bei der wir eigentlich immer im Bereich von wenigen Zehntelsekunden liegen, dichter als die meisten anderen Fahrerpaarungen."
Frage: "Ihr wart überraschend stark, seid oft sogar vor den Werks-Toyota gelegen. Ihr seid zwar in der Tabelle auf Rang sechs - auch schon eine Verbesserung -, wart manchmal aber sogar die vierte Kraft hinter Ferrari, McLaren und BMW. Deine Vorgabe lautete, das Team von Rang acht nach vor zu bringen. Demnach müsstest du ja ziemlich zufrieden sein?"
Wurz: "Die Saison ist noch jung. Ob wir erfolgreich sind - ich meine erfolgreich an unseren eigenen Erwartungen gemessen -, wird sich erst gegen Saisonende zeigen. Es ist so knapp im Mittelfeld, dass es jetzt unheimlich wichtig sein wird, wie man die Autos weiterentwickelt."
Wurz erwartet extrem umkämpfte Saison
Frage: "Und: Was glaubst du ist jetzt machbar? Ist Rang vier in der Teamwertung ein realistisches Ziel oder ist das zu hoch angelegt? Wer sind jetzt eure direkten Gegner?"
Wurz: "Platz vier wäre ein extrem hochgestecktes Ziel. Dazu kämpfen wir gegen große Teams wie Renault, Toyota, Red Bull. Auch beide Honda-Teams werden sich weiter entwickeln - Honda selbst hat ja jedes Jahr bisher das Auto in der laufenden Saison sehr viel weiterentwickelt. Es wird hart - das ist das Einzige, was ich mit Sicherheit sagen kann."
Frage: "Wie geht es dir mit der neuen Reifenregel, wonach beide Mischungen im Rennen eingesetzt werden müssen? Jetzt, nach drei Rennwochenenden: Was hat sich geändert an der Strategie? Wo sind die Tücken? Worauf muss man achten?"
Wurz: "Bisher waren eigentlich alle auf der gleichen Strategie bei den Rennen. Ich vermisse den Reifenkrieg der letzten Jahre, weil man mit cleveren Testfahrten und Analysen dann zum Teil einen Reifenvorteil hatte und so hin und wieder super Rennen aus dem Hut zaubern konnte. Jetzt ist alles gleich - alle Reifen bauen mehr oder weniger zur selben Zeit ab und so ist alles noch knapper beisammen als es ohnehin schon der Fall ist."
Frage: "Kannst du mir sagen, welchen Sprung du dir von den neuen Aerodynamikteilen am Williams-Toyota FW29 erwartest?"
Wurz: "Leider hatten wir beim Testen sehr viel Pech. Erst der Unfall von Nakajima und dann auch noch von Nico, bei dem ihm Gott sei Dank nichts passiert ist. Aber leider hatten wir somit eigentlich keine Daten von unserem neuen Aerodynamikpaket. Wir werden natürlich mit den neuen Aeroteilen in Barcelona beim Rennen antreten, aber wir konnten das Fahrzeug noch nicht darauf abstimmen. Ein kleiner Nachteil, den wir hoffentlich im Freitagstraining wegmachen können."
Frage: "Wie zufrieden bist du mit dem Toyota-Motor? Bekommt ihr etwas davon mit, stimmungsmäßig, dass dort ein bisschen der Hut brennt?"
Wurz: "Ich bin zufrieden, die Zusammenarbeit funktioniert schnell und reibungslos. Ob dort der Hut brennt oder nicht, kann ich nicht beurteilen."
Frage: "Du hast dich in einem früheren Interview als Fan der Traktionskontrolle geoutet und gemeint, dass dabei eigentlich nicht wirklich Fahrfehler ausgebessert werden und dass du daran gut findest, dass man damit noch mehr ans Limit gehen kann. Trotzdem hört man von überall her, dass die TC das Fahren erleichtert und das Verbot der TC ab 2008 wurde von vielen Fans sehr begrüßt. Was sagst du dazu? Fürchtest du, einen Vorteil zu verlieren?"
Wurz: "Ich selbst verliere sicher keinen Vorteil oder erleide Nachteile. Mein Fahrstil ist eigentlich, theoretisch, sogar gut für das Fahren ohne Traktionskontrolle. Aber die elektronischen Spielzeuge sind schon eine eigene Herausforderung und bringen das Fahrzeug näher an die eigentlichen Grenzen der Physik. Die Fans müssen sich leider eines abschminken: Sie werden keine Autos sehen, die im Rallyestil um die Ecke driften. Im Trockenen werden die Autos ganz sicher nicht mehr herumrutschen als jetzt, dazu ist der Grip der Reifen, der Abtrieb der Aerodynamik zu hoch."
Teams geben immer ihr ganzes Geld aus
Frage: "Die Teams dürfen in der laufenden Saison bei den Testfahrten nur noch ein Auto pro Tag einsetzen. Glaubst du, dass damit wirklich so viel Geld eingespart wird?"
Wurz: "Naja, Geld wird in der Formel 1 nie gespart - es wird immer alles ausgegeben, was hereinkommt, und bei manchen Werkteams wird sogar mehr ausgegeben als Einnahmen getätigt werden. Die Teams nehmen genau so viel ein, wie sich der Werbegegenwert weltweit errechnet."
Frage: "Die Folge dieser Regel: Christian Klien kommt als Honda-Testpilot kaum noch zum Fahren. Wie schätzt du Christians Lage ein? Was kann er jetzt tun? Wie hättest du reagiert, wenn diese Regel in deiner Testfahrerzeit eingeführt worden wäre?"
Wurz: "Das ist hart für ihn - aber er versteht, dass man nicht nur auf der Teststrecke zeigen muss, was man drauf hat, sondern auch überall anders dem Team zeigen muss, dass man am Drücker ist. Aber es wird sich zeigen, was läuft. Und es ist Millionen Mal besser, bei Honda ein Testfahrer zu sein als ein Frührentner. Es kann sich dann auch mal alles recht schnell umdrehen und genau deshalb muss man, also Christian in dem Fall, immer am Drücker bleiben."
Frage: "Was sagst du zu Lewis Hamilton? Wird er bald schon ein Rennen gewinnen? Da gibt es ja gewisse Parallelen - du bist auch im dritten Grand Prix auf dem Podium gestanden..."
Wurz: "Wir werden sehen, wie sich Lewis anstellt in Sachen Rennsieg und WM-Kampf. Bisher war er sehr stark und ich sehe keinen Grund, warum sich das ändern sollte."
Frage: "Was sagst du zu Fernando Alonso? In unserem letzten Gespräch sagtest du, dass Alonso recht hart fährt. Zahlt er den Preis, weil heuer besonders rund gefahren werden muss?"
Wurz: "Zur Situation zwischen Alonso und Hamilton kann ich nur sagen: Der Eine liegt im wohlbehüteten Nest und kann mit der behutsamen Hand im Rücken, die ihn aufgezogen hat, ungeniert ans Werk gehen. Der Andere, der sein erstes beschützendes Umfeld verlassen hat, wird jetzt lernen müssen, dass man sich sein Umfeld behutsam herrichten muss, um sein Können dann so tadellos umzusetzen, wie er es in den letzten Jahren getan hat. Beide werden auf die Probe gestellt, und das Team ebenso. Aber dabei gilt noch zu sagen, dass hier nichts geschieht, was nicht schon mal passiert ist - in der Formel 1 oder auch bei McLaren."
Frage: "Drei WM-Leader mit je 22 Punkten und drei verschiedene Siegern - der Formel 1 konnte nichts Besseres passieren im Jahr eins nach Michael Schumacher. Was glaubst du? Wie wird das weitergehen?"
Wurz: "Am besten live dabei, der Kampf wird spannend und gut."

