• 02.08.2008 09:52

  • von Michael Noir Trawniczek

Wurz: "Fahren nicht auf einer Atombombe herum"

Alexander Wurz über die "Haifischflossenwelle", die neue Formel 1, den Look der Boliden ab 2009, KERS und verstellbare Aerodynamikelemente

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Alex, meine erste Frage ist nicht ganz ernst gemeint. Sie bezieht sich auf eine Aussage von dir, die du anlässlich der ersten 'Haifischflosse', die bei Red Bull aufgetaucht ist, getätigt hast. Mussten eure Techniker etwas Sichtbares entwerfen, um ihre hohen Gehälter zu rechtfertigen?"
Alexander Wurz: "Das war eine ironische Bemerkung zum Gesamtbild der Formel 1, weil wir während der Saison immer diese Auswüchse an Flügel und Leitblechen haben, die dann manchmal nichts bringen und dann aber wiederum sehr viel bringen. Und da geht es manchmal - das überrascht mich selbst immer - um ein paar Millimeter, bei irgendwelchen unwichtigen Teilen. Und ein anderes Mal kann irgendetwas verbogen darauf herumflattern und es bringt gar nichts. Das ist irrwitzig eigentlich, was hier vor sich geht."

Titel-Bild zur News: Alexander Wurz

Honda-Testfahrer Alexander Wurz ist gespannt auf die neue Formel 1

Frage: "Und die 'Haifischflosse', die ihr bei Honda jetzt ebenfalls einsetzt?"
Wurz: "Das ist entstanden, weil die seitlichen Cockpitstützen weiter vorgezogen wurden und neben dem Helm steiler aufsteigen. Das erzeugt mehr Luftverwirbelungen, die sich dann hinter der Motorhaube treffen und eigentlich ein bisschen den Heckflügel stören. Das war früher nicht der Fall, weil der seitliche Aufprallschutz für die Piloten flacher gestaltet war und es daher auch keine Verwirbelungen hinten gab. Jetzt versucht man diese Verwirbelungen zu beruhigen. Man schaut, dass sich diese Luftströme hinten nicht wieder treffen und noch mehr Verwirbelungen auslösen - eben mit dieser langen Heckflosse."#w1#

Die Wirkungsweise der "Haifischflosse"

Frage: "Also ein Luftverwirbelungsteiler?"
Wurz: "Ja, genau. Ein Verhinderer quasi."

Frage: "Ihr habt ja bereits mit einer Konfiguration für 2009 getestet, mit keinen Zusatzflügeln und Slicks. Wie war das Gefühl für dich?"
Wurz: "Mit den Slicks hast du viel mehr Bodenhaftung und wir sind daher ganz einfach schneller unterwegs, auch wenn das von Strecke zu Strecke verschieden ist. In Jerez waren wir etwa eine bis eineinhalb Sekunden schneller, in Barcelona waren wir um zwei bis drei Sekunden schneller - obwohl wir die Beschneidung der Aerodynamik haben."

"Eigentlich sind wir in den Kurven schneller, beim Bremsen." Alexander Wurz

Frage: "Seid ihr da also aufgrund der Reduktion der Zusatzflügel auf den Geraden um so viel schneller?"
Wurz: "Nein, eigentlich sind wir in den Kurven schneller, beim Bremsen - weil halt die Slicks mehr Bodenhaftung haben und wir damit den mechanischen Grip doch wesentlich erhöhen."

Frage: "Das heißt: Die Reduktion der Zusatzflügel macht gar nicht so viel Speedreduktion aus wie die Slicks an Performancezuwachs hergeben?"
Wurz: "Ja, genau. Und die Techniker sind ja auch nicht blöd..."

Frage: "Um wie viel schnellere Rundenzeiten wird man dann im nächsten Jahr haben?"
Wurz: "Je nach Strecke werden das eine bis drei Sekunden sein."

Frage: "Das ist aber ganz schön viel..."
Wurz: "Ja, da muss man wieder ein bisschen härter trainieren im Fitnesscenter."

Frage: "Die Reduktion der Zusatzflügel - ich nehme nicht an, das die Autos dann aussehen werden wie ein zehn Jahre alter Formel 3000..."
Wurz: "Sie werden ja nicht völlig anders aussehen - du musst dir nur die Hälfte dieser Luftleitbleche wegdenken. Ich denke, dass die nächstjährigen Autos sehr schön sein werden, denn man reduziert ja alles auf das Wesentliche, auf ein Minimum. Und minimalistische Autos gefallen mir sehr gut."

Minimalismus statt Flügelgewächse

Frage: "Man wird halt dann vielleicht noch mehr als bislang versuchen, mit der reinen Form noch mehr Abtrieb zu erzeugen."
Wurz: "Aber das tut man ja ohnehin schon die ganze Zeit. So extreme Dinge in Hinblick auf die Form der Autos wird es wahrscheinlich nicht geben."

Frage: "Und das Überholen wird leichter werden?"
Wurz: "Nein, das glaube ich nicht. Das wird immer schwierig sein, weil die besten zwanzig Piloten gegeneinander antreten - die machen selten Fehler. Es wird eventuell künstlich erleichtert - durch das KERS-System und durch die Möglichkeit, dass wir die Flügeleinstellungen während der Fahrt verstellen dürfen."

"Ich halte nichts davon, aerodynamische Elemente zu verstellen." Alexander Wurz

Frage: "Ist das schon fix, dass es verstellbare Flügelelemente geben wird?"
Wurz: "Das kann ich dir jetzt nicht sagen, aber ich hoffe nicht. Denn ich halte nichts davon, aerodynamische Elemente zu verstellen."

Frage: "Warum?"
Wurz: "Als sie das verboten haben, gab es einen Grund dafür. Weil nämlich einige Dinge passiert sind. Auch wenn sich die Technologie weiterentwickelt hat, steckt man doch tief in der Materie drinnen und es ist eine Challenge zu sagen, du musst eine clevere Aerodynamik machen, die halt Abtrieb erzeugt, aber zugleich so gut wie keinen Luftwiderstand."

Frage: "Betrachtest du es also prinzipiell für gefährlich, wenn aerodynamische Elemente vom Cockpit aus verstellt werden können?"
Wurz: "Ja. Ich finde es gefährlich. Und ich war überrascht, dass die FIA mit so einem Vorschlag kommt."

Frage: "Apropos Gefahr. Es sind ja auch die neuen Stadtkurse recht schnell..."
Wurz: "Ja."

Keine Angst vor Stadtkursen

Frage: "Da sagt man ja, dass es nicht so gefährlich ist, weil die Autos dort in einem stumpfen Winkel in die Mauern einschlagen. Aber man hat am letzten Wochenende gesehen: Wenn die Autos zurückgeschleudert werden auf die Straße, dann kann es durchaus zu gefährlichen frontalen Kollisionen kommen, oder?"
Wurz: "Naja, diese modernen Stadtkurse sind ja eher Rennstrecken in der Stadt, da gibt es ja genügend Auslaufzonen. Da sind die Sicherheitszonen viel größer als zum Beispiel in Monaco. Monaco ist von der Durchschnittsgeschwindigkeit her sehr gering und die Marshalls sind dort schon so auf zack. Und die Geschichte hat uns in Monaco gezeigt, dass es dort immer relativ glimpflich ausgegangen ist, wen es dort gröbere Unfälle gab."

"Hier, da steht es: 'Racing is dangerous!'" Alexander Wurz

Frage: "Also glaubst du nicht, dass es gefährlich sein kann, mit 300 km/h durch solche Betonschläuche zu jagen?"
Wurz: "Schau (greift nach der Fahrerlagerkarte des Redakteurs, dreht diese um; Anm. d. Red.)... Moment, wo steht das? Hier, da steht es: 'Racing is dangerous!'"

Frage: "Ich habe mit Stirling Moss gesprochen. Er meinte, für ihn sei es eine tiefe Befriedigung gewesen, diesen lebensgefährlichen Sport zu überleben. Er sagte auch, dass er nicht sicher sei, ob ihm die Formel 1 heute, wo es keine Todesopfer gibt, diesen Kick gegeben hätte, ob er da überhaupt fahren hätte wollen..."
Wurz: "Ich glaube, es ist nur natürlich und logisch, dass sich kein Mensch gerne in Gefahr bringt - selbst ein so genannter Adrenalinjunkie, der einen Freedive oder was auch immer macht, ist eigentlich am Überleben interessiert. Er bringt sich zwar näher an die Gefahr und das bringt ihm einen gewissen Kick, aber er checkt dennoch seine Ausrüstung dreimal und schaut zur Sicherheit noch einmal, ob der Schirm auch richtig gefaltet worden ist. Weil sonst könnte er ja gleich gegen die Wand hüpfen."

"Gesunde Menschen sind nicht suizidgefährdet, gehen ohne Suizidlechzen in den Tag hinein. So auch wir. Und wenn du weißt, welche Verbesserungen es im Bereich der Sicherheit noch geben kann, dann ist es nur legitim, dass du das eben auch gerne hättest. Wenn ein Rennfahrer von heute mit einer Zeitmaschine in die 1970er-Jahre zurückreisen würde, dann würde er genauso angasen! Oder in den heutigen Rennautos, in denen es ein bisschen gefährlicher ist als in der Formel 1, zum Beispiel in Le Mans - da gast du auch voll an und gehst ans Limit. Und wenn sie nicht mit modernen Kohlefaserchassis sondern mit Aluchassis fahren müssten, dann würden sie trotzdem alle angasen wie die Wilden. Nur: Etwas künstlich gefährlicher zu machen, das finde ich halt nicht zeitgemäß."

War BMW zu leichtsinnig?

Frage: "Wenn man jetzt mit KERS die Feuerunfälle zurückbringen würde, wo es nun schon so lange keine mehr gab, dann wäre das ja auch pervers..."
Wurz: "Naja, ich glaube nicht, dass man mit KERS die Feuerunfälle zurückbringen wird, nur weil es da jetzt einen Zwischenfall mit KERS gab, weil ein Mechaniker einen Stromschlag erhielt. Das sind Dinge, die auch in der Serie passiert sind, wo es normalerweise gewisse Sicherheitsvorschriften gibt. So wie es auch bei uns bei Honda der Fall war, wo man gewisse Aufladungsmessungen durchgeführt hat, bevor der Mechaniker das Auto angreift. Das war bei BMW offensichtlich nicht der Fall, warum auch immer. Aber man kann das KERS schon sicher gestalten. Es ist jetzt nicht so, dass wir da auf einer Atombombe herumfahren. Da gibt es gewisse Sicherheitsvorschriften, die muss man beachten - das ist genauso wie in allen anderen Bereichen in der Formel 1."

"Für einen normal denkenden Straßenautofahrer ist das völlig egal." Alexander Wurz

Frage: "Die zusätzliche Leistung, die man mit KERS abrufen wird, soll ja in den nächsten drei Jahren gesteigert werden. Am Anfang, also im Jahr 2009, wird diese Energie noch relativ gering sein, oder?"
Wurz: "Sicher. Die Leistung, die wir anfangs pro Runde extra verbrauchen dürfen, ist natürlich nicht sehr hoch. Nur wenn du weißt, dass dir zwei bis drei PS auf der Geraden drei bis vier km/h bringen, dann ist das für die Formel 1 sehr viel. Für einen normal denkenden Straßenautofahrer ist das völlig egal. Nur hier in der Formel 1, wo alles ohnehin so eng zusammen ist, macht genau das den Unterschied aus."

Frage: "Aber drücken dann nicht ohnehin wieder beide Konkurrenten auf den Knopf?"
Wurz: "Ja, aber dann ist es eben eine Strategiestory. Du kannst den anderen Fahrer ein bisschen reintheatern - und es wird immer noch fahrerische Unterschiede geben. Der eine muss sich vielleicht verteidigen, weil er einen Fehler gemacht hat. Wenn ich einen Fehler gemacht habe, dann werde ich mein Ding wohl eher nicht verbrauchen und dann hab ich es bei der nächsten Geraden einfacher. Also da muss man dann halt ein bisschen mitdenken. Ich finde, das wird schon spannend sein."

Frage: "Also eine Art von Poker oder Schachspiel, aber auf eine positive Art und Weise?"
Wurz: "Ja, ganz genau."

Frage: "Und die Boostphasen wird man im TV ja sehen, oder?"
Wurz: "Das weiß ich nicht. Ich habe der FIA gesagt, sie müssen unbedingt ein Licht am Auto anbringen, damit man es für jeden ersichtlich sehen kann. Bei Grün ist er voll, bei Rot ist er leer."

Frage: "Und wird man das machen?"
Wurz: "Das weiß ich nicht - das war jetzt einmal mein Vorschlag. Ob sie es machen oder nicht - ich habe die Idee noch nicht patentieren lassen..."