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  • 25.08.2015 08:05

  • von Dieter Rencken (Haymarket)

Wie sich die Formel 1 vermarkten sollte

In der Formel 1 haben sich die Zeiten verändert - Dieter Rencken spricht mit einem Experten darüber, wie die Formel 1 im 21. Jahrhundert mit der Zeit gehen kann

(Motorsport-Total.com) - Wenn man sich die prägenden Jahren der Formel 1 ansieht, dann ist es einfach zu erkennen, wie und warum sie sich so entwickelt hat. Generell spricht man von der Zeit der frühen und mittleren 70er-Jahre. Diese Periode führte zum Aufstieg des kommerziellen Sponsorings (vorwiegend durch Tabak-Marken), dem Zustrom und Einfluss der Motorenhersteller (angeführt von Renault), dem steigenden Interesse der TV-Sender über Heimrennen hinaus - und zum Aufstieg von Bernard Charles Ecclestone.

Titel-Bild zur News: Formel-1-Flagge

Die Formel 1 hat bereits sein einiger Zeit mit einem Imageproblem zu kämpfen Zoom

Nie ging es der Formel 1 so gut: Im Fernsehen gab es am Sonntagnachmittag nichts anderes und Zigarettenfirmen, zunehmend von Werbeverboten getroffen, warfen Millionen auf alles, was sich bewegte. Renault legte mit einem kompromisslosen PR- und Medienangriff nach und Ecclestone führte die Expansion der Formel 1 über die ganze Welt unternehmerisch auf dem Rücken der Rivalität zwischen James Hunt und Niki Lauda, die in Ost und West neue Fans anlockte.

Promoter, die von steigenden Gebühren getroffen wurden, vermarkteten das Franchise in ihren eigenen Gebieten. TV-Sender (für sie galt das gleiche) rührten die Werbetrommel für bevorstehende Events und Unterhaltungsausflüge sorgten für die Einführung einer verhätschelten Bewirtung zu Kosten, die einem die Tränen in die Augen steigen lassen.

Kurz gesagt: Die Formel 1 hatte keinen Grund sich zu ändern. Damals setzten die Vermarkter der Teams auf Verantwortliche aus den Bereichen Tabak/Öl/Alkohol/Autos und veranstalteten schicke Mittagessen, verwöhnten sie mit Schampus und legten den blauäugigen Individuen saftige Verträge vor, bevor die Feierlichkeiten ein Ende hatten. Geschäfte abgeschlossen, Autos lackiert, nächste Interessenten ins Auge gefasst.

Dann änderte es sich: Die Tabakwerbung wurde systematisch verboten, Autofirmen zogen sich massenweise zurück, der Sport wanderte ins Pay-TV, Compliance-Gesetze trafen die Bewirtung und verschiedene Technologien warfen die traditionellen Wege der Formel 1 über den Haufen. "Face Books" waren damals lediglich Photoalben aus Papier und "getweeted" wurde nur von Vögeln. Heute entstehen dadurch Verbindungen über alle Weltmeere.

Die Formel 1 wird angeführt von einem Achtzigjährigen, der von den Besitzern (angeführt von CVC Capital Partners) unter Druck gesetzt wird. Sein einziger Zweck ist es, aus jedem investierten Dollar den maximalen Gewinn herauszuquetschen, und ohne umfassende Änderungen hat die Formel 1 keine Chance gegen solche Angriffe. Hinzu kommt, dass ihr bester Verkäufer nie besonders versiert in der Wissenschaft des Marketings war, nachdem er zuvor Gebrauchtwagen verkaufte.


Fotostrecke: Top 10: One-Hit-Wonder der Formel 1

Warum hätte er das auch sein sollen? Jahrzehntelang wurde es ihm zu massiven Kosten abgenommen - aber nicht für sich selbst. Jetzt ist das Ergebnis klar erkennbar: Bei vielen Rennen sind die Tribünen leerer, die TV-Einschaltquoten sinken und auf den Autos gibt es weniger Logos. Tatsächlich gehören die Autos mit den meisten Aufklebern den Marken, die sie auch unterstützen.

Ja, es gibt Lichtblicke. In Silverstone gibt es ein volles Haus und die Einschaltquoten schießen nach oben. Trotzdem braucht die Formel 1 eine umfassende Überarbeitung, wenn sie ihren Status als größtes fortlaufendes Sportevent der Welt behalten möchte. Aber wo soll man anfangen? Bei Zak Brown, dessen Liebe und Leidenschaft für den Motorsport ihn an die Spitze der Marketingwelt gebracht hat, nachdem er realisierte, dass seine (wie er selbst zugibt) bescheidenen Fahrkünste ihn nicht so bald in die Formel 1 bringen werden.

Ein Rennfahrer als Marketingexperte

Trotzdem ist er noch immer im GT-Racing aktiv und bleibt damit nah am Puls des Motorsports. Über Jahre waren Zak (43) und seine Agentur Just Marketing (übernommen von Chime PLC, wo Brown jetzt CEO der Sportmarketingabteilung CSM mit mehr als 900 Mitarbeitern weltweit ist) die Marketing-Ansprechpartner der Formel 1. Ihre Kundenliste ist beeindruckend: Martini, HiSense, LG and Qualcomm, UBS, UPS, Johnnie Walker, GlaxoSmithKline...

"Unser Geschäft ist ungefähr zu 55 Prozent Formel 1, ungefähr 25 NASCAR und dann folgen Sportwagen, Drag-Racing, MotoGP, DTM et cetera", sagt er. Damit ist Brown überaus qualifiziert, um über die kommerziellen Herausforderungen der Formel 1 zu sprechen. Er kommt gleich zum Punkt: "Die Formel 1 kann es als Industrie viel besser machen als momentan. Das Schöne ist, dass die Leute eine große Leidenschaft für den Sport haben."

Und wie viel besser? "Drei- bis viermal besser." Allerdings glaubt er, dass sich "die aktuelle strukturelle Führung des Sports in einer Sackgasse befindet, und das ist das Problem." Er stellt die Konfusion um die Antriebsregeln heraus. Er erklärt, dass ein Beweis für die Schwierigkeiten der Formel 1 in der (fehlenden) Ertragskraft der Teams liegt. Er verwendet McLaren als Beispiel: "Sie haben viele Sponsoren, sie haben zwei großartige Fahrer, und trotzdem verlieren sie Geld. Etwas stimmt mit dem Businessmodell der Formel 1 nicht."


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"Wenn man sich die NFL ansieht, dann machen dort alle Teams einen Haufen Geld, der Wert des Franchise geht nach oben. Alle machen Geld. Hier ist es so, dass du entweder reich oder pleite bist. In Wahrheit werden die Reichen aber nicht für immer reich sein, wenn die Armen weggehen." Nach einer Pause fährt Brown mit dem NFL-Beispiel fort: "Wenn du Letzter wirst, dann bekommst du den ersten Draft-Pick. Wenn du hier Erster wirst, dann bekommst du das meiste Geld. Es fehlt die Balance."

Wo ist Browns Meinung nach alles schiefgelaufen? Er zieht einen Vergleich zur NASCAR, die weniger populär war, bevor der lange Weg nach oben begann. "Ich erinnere mich an eine Sache, die in der NASCAR aufhörte. Die Fahrer stiegen nicht mehr aus ihrem 'Car of Tomorrow' aus und sagten: 'Diese Autos sind furchtbar', 'Das Racing ist furchtbar', 'Ich würde es an eurer Stelle nicht gucken.'"

"Und jetzt ratet mal, was passierte? Die Leute begannen, ihren Helden zuzuhören. Dann haben sie damit aufgehört. Die Begeisterung ist nicht mehr ganz so groß, aber die NASCAR ist in einer guten Position." Das schreit nach einem Vergleich mit der selbst verursachten Kritik an der Formel 1 wegen den aktuellen High-Tech-Antrieben. Er erklärt: "Unsere Botschafter des Sports, angefangen bei den Fahrern, aber auch die Teamchefs, sind so schuldig wie auch nur irgendjemand, dass der Sport kaputtgeht."


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"Wir haben Herausforderungen, aber ich sage den Leuten: 'Kommt zu einem Rennen, ihr werdet die beste Zeit eures Lebens haben, ihr werdet als Rennfan wieder gehen.' Ganz egal, ob die Motoren laut oder leise sind, ob ihr es mögt oder nicht, ich denke, dass Racing in der Formel 1 ist großartig. Leider verlieren sie das manchmal aus den Augen, weil sie so emotional werden."

"Etwas stimmt mit dem Businessmodell der Formel 1 nicht." Zak Brown

"Die Piloten sagen dann: 'Es ist Mist.' Steve Jobs hat sich nie hingestellt und gesagt: 'Das neueste Apple-Modell ist nicht sehr gut.'" Wir kommen zum Kosten- und Ausgabenvergleich und dazu, wie man einen Teil der Einnahmen von einer Milliarde Pfund pro Jahr in einen Marketingvorteil umwandeln kann. Brown vergleicht das ideale Setup mit einem Fast-Food-Franchise.

Wie es sein sollte

"Momentan sieht das wirtschaftliche Modell so aus, dass das Geld dem Management der Formel 1 zukommt, dann wird es aufgeteilt." Dann stellt er seine Vision vor: "Ungefähr wie bei einem Franchise-System. Wie bei Restaurants, wo jeder ein Prozent oder so dazugibt. Der Sport muss investieren. Die Leute sagen: 'Bernie, Bernie, Bernie', aber der Sport ist verantwortlich."

"Es gibt Teams, es gibt Piloten, es gibt Promoter. Man kommt jetzt in diese neuen Stadien, wo es überall Wifi gibt, sie sind alle digital verbunden. Es ist unser aller Verantwortung, einen Beitrag zu leisten, um die Formel 1 digitaler und im Hinblick auf die sozialen Medien cleverer zu machen. Es liegt nicht nur an Princes Gate (Sitz des Formel-1-Managements; Anm. d. Red.)"

Ein Eckpfeiler des Franchise-Systems ist kooperatives Marketings im Hinblick auf den individuellen Nutzen. Hier möchte Brown eine Zusammenarbeit der Formel-1-Teams, um dem größeren Ganzen zu helfen. Zunächst geht es um eine günstige Basis. "Was man beispielsweise machen könnte: Wenn Fahrer die Superlizenz bekommen, dann müssen sie vier Tage zur Verfügung stehen."

"So gibt es 40 bis 80 Fahrertage. Du gehst zu jedem Promoter und sagst: 'Okay, in Singapur bekommt ihr am Wochenende Lewis und Sebastian. Ich möchte Mittwochabend haben und wir scharen uns alle drumherum. Es wird die größte Straßenparty aller Partys, damit die Leute wissen, dass die Formel 1 in der Stadt ist. Dadurch macht man auf den Sport aufmerksam. Wenn Lewis dann auftaucht, dann schwenkt er natürlich die Mercedes-Flagge, und Sebastian kommt in Rot..."


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Er führt das Thema weiter aus und verwendet die NASCAR als Beispiel: "Wir müssen aufregende Inhalte schaffen. Nicht nur die Industrie selbst ist kreativ, sondern auch die Fans. Sie sind die besten Vermarkter des Sports. In der NASCAR - eine Menge Leute wissen das nicht - reihen sie alle Trucks ungefähr zehn Meilen außerhalb auf, bevor sie in die Stadt kommen."

"Wir müssen aufregende Inhalte schaffen." Zak Brown

"Dadurch weiß jeder in der Stadt, dass der Zirkus kommt. Es geht um die Show, die Show vorher, die Show danach und das Rennen. Hier fokussieren wir uns zu sehr auf das Rennen. Bei einem NASCAR-Event gibt es Leute, die das Rennen gar nicht sehen. Hier geht es nur um 14:00 Uhr am Sonntag. Wir müssen alle etwas beitragen. Ich denke nicht, dass es eine Patentlösung gibt. Es ist kein Job für eine Person, sondern ein Job für das Kollektiv."

Spielen Ecclestone und Co. mit?

Jede dieser Ideen würde allerdings die volle Unterstützung des Zaren der Formel 1 erfordern. Ganz besonders im Hinblick auf den enttäuschenden Fortschritt, den die viel gerühmte Arbeitsgruppe der Formel 1 bis heute gemacht hat. Hat Brown seine Konzepte mit Ecclestone besprochen? "Ich rede dreimal in der Woche mit ihm", lautet seine Antwort. Aber hört Bernie auch zu?

"Ich denke, du kennst die Antwort auf diese Frage", lacht Brown. "Er ist sehr geschäftsorientiert. Ich rede mit ihm also mehr über Sponsoren und lege meine Meinung zu verschiedenen Themen dar. Er hört zu und nimmt gewisse Dinge mit. Manchmal befolgt er sie und manchmal nicht. Ich rede ständig mit ihm und teile ihm meine Ansichten mit."

"Ich teile den Teams meine Ansichten mit und versuche dabei lautstark zu sein, allerdings in einem produktiven, konstruktiven Weg. Alle sind frustriert. Ich denke nicht, dass in der Boxengasse irgendjemand sagt, dass alles großartig ist, nicht einmal Bernie. Er ist auch frustriert und versucht, die Dinge zu regeln. Ich versuche, meine Meinung einzubringen." Sollte die FOM Brown darum bitten, ihre Marketingabteilung zu übernehmen, entweder Vollzeit oder auf Agentur-Basis, was wären seine Prioritäten?

"Gute Frage. Wenn der Sport einen Marketingchef hätte, dann hättest du auch einen Kommunikationschef für externe und interne Kommunikation. Beispiel: Ein neuer Motor mit unglaublicher Technologie kommt. Aber worüber reden alle? Über den Sound. Dein Kommunikationschef muss also den externen Zuschauern proaktiv die richtige Nachricht vermitteln und auch intern die richtige Nachricht verbreiten."


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"Intern wären das Teams, Fahrer und Sponsoren, damit sie alle Bescheid wissen. Wenn also jemand fragt 'Was denkt ihr über den neuen Motor?', dann sind alle vorbereitet. Das ist Kommunikation. Dann kommen Sponsoring, soziale Medien, Webseiten et cetera. Treffen mit Partnern, engere Zusammenarbeit mit den Promotern, womit wir wieder zu den Fahrern zurückkommen. Mein Job ist es sicherzustellen, dass jeder Promoter die Strecke ausverkauft."

"Sauber kann sich zehn Millionen heute nicht wirklich leisten. Wenn wir es als Gruppe richtig machen, dann können sie es in fünf Jahren." Zak Brown

Dinge wie die sozialen Medien würde Brown an traditionelle Agenturen outsourcen, die Erfahrung mit Markenkampagnen et cetera haben. "Der Himmel ist das Limit bei den Ausgaben. Sollte man eine oder zwei Millionen in jeden Rennmarkt investieren? Jetzt hat man 40 Millionen Dollar und ein Gesamtbudget von ungefähr 100 Millionen." Das sind noch immer weniger als zehn Prozent der zugrunde liegenden Einnahme der Formel 1 - ungefähr auf einem Niveau mit globalen Marketingstandards.

"Wenn man sich die größten Vermarkter der Welt ansieht, die großen Konsumwarenfirmen, dann sind wir eine anständige Konsumwarenfirmen. Es sollte also ein reichhaltiges Marketingbudget geben. Also 100 Millionen und vielleicht eine Kernbelegschaft von 25 Personen, die an gewisse Expertisen und Agenturen angebunden sind."


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Das bedeutet ungefähr zehn Millionen Dollar pro Team. Force India, Sauber und Manor wäre das beispielsweise sicher hart zu verkaufen. "Korrekt. Aber Sauber kann sich diese zehn Millionen heute nicht wirklich leisten. Wenn wir es als Gruppe richtig machen, dann können sie es in fünf Jahren." Eine letzte Frage: Spricht Brown je mit Donald Mackenzie, dem Mitgründer und Vorsitzenden von CVC? "Ja."

Nimmt er die Sachen auch an? "Es scheint so, dass er das tut, aber dann doch wieder nicht. Sie sind ein automatisiertes Management und sie sehen wie alle anderen auch, wie es um den Sport steht. Er hat eine Menge Geld gemacht und ich denke, dass sie da keine Einmischung wollen."