Wie Renault in der WM wieder in Führung ging
In Suzuka verlor Giancarlo Fisichella zwar einen sicher scheinenden Sieg, dennoch übernahm Renault die Spitze bei den Konstrukteuren
(Motorsport-Total.com) - Am Morgen vor dem Grand Prix von Japan war dem Renault-Team die entscheidende Rolle der Strategie bewusst. Nach den Wetterkapriolen im Qualifying startete Giancarlo Fisichella als einziger Pilot der Teams, die um den Konstrukteurstitel kämpften, von einer guten Startposition. Der Italiener ging von Platz drei aus ins Rennen - hinter Ralf Schumacher im Toyota und BAR-Honda-Fahrer Jenson Button. Aufgrund eines heftigen Regengusses im Qualifying hatten Fernando Alonso, Kimi Räikkönen und Juan-Pablo Montoya nur die Plätze 16 bis 18 erreicht.

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Giancarlo Fisichella (rechts) war die tragische Figur des Rennens in Suzuka
Wegen eines Motorwechsels musste Räikkönen sogar von ganz hinten starten. Da der Finne bereits vor dem Qualifying von seiner Strafe wusste, ging er mit vollem Tank auf Zeitenjagd - ein strategischer Vorteil für den McLaren-Mercedes-Piloten. Dennoch zeigte sich das Renault-Team nicht beunruhigt: Die Gelb-Blauen wollten den Titel in der Konstrukteurs-WM für sich entscheiden, nachdem sie die Führung beim zurückliegenden Grand Prix von Brasilien um zwei Punkte eingebüßt hatten.#w1#
Fisichella nach dem Start Zweiter hinter Ralf Schumacher
Fisichella - Vollgas bis ins Ziel: "Fisico" gelang ein hervorragender Start. Der Italiener schob sich an Button vorbei und reihte sich auf Rang zwei hinter Ralf Schumacher ein. Beim ersten Boxenstopp konnte er auch den Kerpener hinter sich lassen und übernahm die Führung. Fisichella gab 100 Prozent, um seinen Vorsprung deutlich auszubauen, während sich Räikkönen und Alonso mit Vehemenz durch das Feld kämpften. Aufgrund der großen Spritmenge an Bord seines McLaren-Mercedes konnte der Finne einen sehr langen ersten Turn fahren. In Runde 26 kam er zum ersten Mal an die Box - zu diesem Zeitpunkt lag er schon auf Rang sechs. Seinen zweiten Halt machte der Youngster nach dem 45. Umlauf - acht Runden vor dem Ziel. Danach lag Räikkönen bereits auf dem zweiten Platz.
Da sich seine Reifen in einem besseren Zustand befanden, machte er Boden auf Fisichella gut. Als die vorletzte Runde anbrach, trennten die beiden Fahrzeuge nur noch wenige Meter. Wegen mangelnden Grips steuerte "Fisico" den R25 vorsichtig durch die letzte Schikane - zu vorsichtig. Der Finne erwischte den Kurvenausgang optimal, setzte sich auf der Start- und Zielgeraden neben den Italiener und überholte ihn spektakulär. Räikkönen gewann das Rennen vor Fisichella, Alonso kam auf Rang drei ins Ziel.
Obwohl er die gesamte Renndistanz über alles gegeben hatte, blieb Fisichella am Ende glücklos: "Ich wollte auf keinen Fall mit Kimi kollidieren", so "Fisico". "Wenn ich abgeflogen wäre, hätten wir jetzt acht Punkte weniger auf dem Konto. Außerdem besitze ich durch den zweiten Platz eine gute Startposition für das Qualifying in China."
Zu Beginn bauten Fisichellas Reifen zu schnell ab

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Fernando Alonsos Zweikampf mit Michael Schumacher war äußerst spektakulär Zoom
Pat Symonds, Chefingenieur des Renault-Teams, stimmte dem zu: "Die enorme Schnelligkeit von Giancarlo zu Beginn des Rennens könnte den stärkeren Reifenverschleiß verursacht haben", so Symonds. "Fisichella attackierte vom Start weg und setzte seine Pneus enormen Belastungen aus. Fernando und Kimi hingegen konnten ihre Reifen dabei immer wieder schonen, als sie hinter schwächeren Gegner feststeckten. Giancarlo blieb diese Möglichkeit versagt - das hat sicherlich den Unterschied ausgemacht."
Der frisch gebackene Weltmeister Alonso legte eine beeindruckende erste Runde hin: Von Platz 16 gestartet fuhr er innerhalb eines Umlaufs auf Rang acht nach vorne. In der zweiten Runde kam ihm darüber hinaus das Glück des Tüchtigen zugute: Montoya verunglückte und löste somit eine Safety-Car-Phase aus. Normalerweise würde der Fahrer, der von Rang 16 gestartet ist, unter diesen Umständen unverzüglich an die Box zum Tanken gerufen, doch das Renault-Team entschied sich anders. "Im Normalfall hätten wir Fernando auch hereingeholt", erklärt Symonds. "Aber er hatte schon so viele Gegner überholt, dass sich diese Entscheidung nicht mehr ausgezahlt hätte."
Kaum hatte das Safety-Car die Strecke verlassen, ereignete sich eine rennentscheidende Szene: Alonso verpasste beim Überholen von Christian Klien eine Schikane - eine Regelwidrigkeit. Daraufhin ließ der Spanier den Red-Bull-Racing-Fahrer wieder passieren, um ihn nur kurze Zeit später erneut zu kassieren. Die FIA sah darin einen Regelverstoß. Um eine Durchfahrtsstrafe durch die Box zu vermeiden, verlangsamte Alonso einige Runden später sein Tempo, um den Österreicher noch einmal vorbei zu lassen.
Aktion mit Klien kostete Alonso wertvolle Sekunden
"Diese Aktion kostete Fernando etwa 8,8 Sekunden", resümierte Symonds. "Ohne dieses Missverständnis wäre er nach dem ersten Stopp wieder vor Kimi auf die Strecke gekommen. Wir hätten wohl einen Doppelsieg landen können, schließlich befanden sich Fernandos Reifen in einem deutlich besseren Zustand als die von Giancarlo. Alonso hätte den McLaren besser hinter sich halten können."
Alonso fuhr einen sehr kurzen zweiten Turn (Runden 22 bis 36) und einen längeren dritten (36 bis 53). So konnte der Spanier insgesamt 15 Autos aus eigener Kraft überholen. Am spektakulärsten war sein Manöver gegen Michael Schumacher: Der neue Champion ließ seinen Vorgänger ausgerechnet in der schnellsten Kurve der Strecke, der 130R, alt aussehen.
Aber hat sich die Strategie des Renault-Teams wirklich ausgezahlt - oder wäre für Alonso ein besseres Resultat möglich gewesen? "Mit schwerem Tank wie dem von Kimi hätte Fernando sicherlich nicht so viele Rivalen überholt", so Symonds. "Wenn er nach dem klassischen ersten Turn, zu dem wir aufgrund des schlechten Wetters im Qualifying gezwungen waren, auch noch im zweiten mit viel Benzin unterwegs gewesen wären, hätte Fernando nicht an Mark Webber oder Michael Schumacher vorbeiziehen können. Ein längerer zweiter Turn hätte sich also nicht gelohnt. Mit noch weniger Sprit hätten wir Fernandos Aufholjagd noch mehr zu erleichtert."
Renault hatte vor China zwei WM-Punkte Vorsprung
In Suzuka eroberte das Renault-Team seine Spitzenposition bei den Konstrukteuren zurück. Vor dem Finale führte die "Equipe Jaune" mit zwei Punkten vor McLaren-Mercedes und hatte noch ein Ass im Ärmel: In der Saison 2005 mussten die Motoren jeweils zwei Rennwochenende überstehen - bei einer ungerade Anzahl an Läufen.
Mit anderen Worten: Jene Teams, die sich noch im normalen "Zwei-Wochenend-Rhythmus" befanden, konnten komplett neue Motoren einsetzen - so wie die Renault-Piloten Alonso und Fisichella. Beim Grand Prix von China durften sie zudem auf eine neue, spezielle Ausbaustufe des RS25-Triebwerks vertrauen, während bei Räikkönens McLaren-Mercedes der "alte" Motor zum Einsatz kam, der bereits in Japan stark beansprucht worden ist.

