• 12.06.2004 11:26

Whitmarsh plant massive Umstrukturierungen

Der McLaren-Geschäftsführer verrät im Interview, warum es Spannungen gibt und welche radikalen Umstrukturierungen er plant

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Martin, dir ist ja im Unternehmen eine neue Rolle zuteil geworden. Kannst du uns darüber ein wenig erzählen? Wie ist es bisher gelaufen?"
Martin Whitmarsh: "Es war bisher interessant. Mein Job ist es nun, sicher zu stellen, dass wir die technischen Teams zusammenbekommen. Wir haben das Chassis-Team in Woking, aber es sind zwei neue Teams, eines in Stuttgart und eines in Brixworth, hinzugekommen. Beide sind sehr schnell gewachsen und ich denke, dass es notwendig ist, sie zusammenzuführen. Meine Aufgabe ist es, eine Organisation einzuführen, die zwei Orte überspannt, die Prüfstände und die Forschungskapazitäten zusammenbringt, die wir in Stuttgart haben, wo man sich auf die Entwicklung des Motorendesigns konzentriert und die Herstellung in Brixworth."

Titel-Bild zur News: Martin Whitmarsh

Martin Whitmarsh weiß, in welchen Problemen sein Team im Moment steckt

"Es gibt zwei Organisationen mit verschiedenen Ursprüngen und Kulturen und es gab ein wenig einen Wettbewerb zwischen diesen beiden Organisationen und wir müssen wirklich sicher stellen, dass wir das Beste aus ihnen herausholen. Sie haben beide ihre eigene besondere Stärke - Brixworth hat eine starke Rennkultur und sie haben viele gute Ingenieure und Anlagen dort, diese Kultur und diese Prozesse sind vielleicht in Stuttgart besser entwickelt und wir müssen diese natürlich in unser Programm mit einbringen."#w1#

"Die Zutaten sind sehr, sehr gut und die Möglichkeit, sie zusammenzuführen ist eine aufregende Möglichkeit, es ist etwas, das unvermeidlich ist. Es gibt Leute, die glücklich sind und sich wohlfühlen, an diesem Prozess zu arbeiten und es gibt andere, die es weniger sind. Es gibt aus diesem Grund ein wenig Spannungen, aber ich denke, dass wir schnell dadurch kommen und dann ein Team haben werden, das das Chassis und den Motor entwickelt."

Frage: "Du bist also der Kerl, der das Eis brechen soll?"
Whitmarsh: "Ich bin der Kerl, dessen Fehler es sein wird, wenn wir die Sache nicht geregelt bekommen und ich denke, dass dies in Ordnung ist. Schlussendlich muss sich einer zuständig fühlen und verantwortlich sein."

Frage: "Was war mit den Problemen beim Europa-Grand-Prix?"
Whitmarsh: "Es war ein Kolbenproblem, ich glaube, wir haben das damals gesagt oder vermutet. Weitere Analysen haben gezeigt, dass alle Kolben, die versagt haben, aus zwei Materialstapeln kamen, wir glauben also zu wissen, warum wir das Problem hatten. Wir hatten bei dieser Veranstaltung ein leicht anderes Kolbendesign. Wenn man Kolbenschäden hat und man gerade des Design geändert hat, dann ist es klar, dass man sich auf das Designthema konzentriert. Aber um fair zu sein und in Bezug auf die durchgeführte Analyse, haben wir es nun an zwei Materiallieferungen festgemacht. In der Zwischenzeit mussten wir natürlich die Motoren umbauen, wir sind für dieses Rennen zur alten Kolbenspezifikation zurückgekehrt, denn wir mussten diese Motoren bauen, bevor wir eine Material-Analyse abschließen konnten."

Frage: "Was ist mit dem MP4-19B? Wie liefen die Tests und wann werden wir das Auto im Einsatz sehen?"
Whitmarsh: "Nun, du hast es gesehen, wenn du in Silverstone gewesen wärst, wo der Test stattfand. Es war ein dreitägiger Test und ich denke, dass man nach einem Test vorsichtig sein muss. Kimi fuhr das Auto und er hat sich sehr wohl gefühlt, hatte das Gefühl, dass wir die Gebiete, die wir mit dem Auto angehen wollten, auch angehen konnten. Wir sind aus diesem Grund zufrieden, dass es ein Schritt nach vorne ist. Ob das ausreicht, bleibt abzuwarten. Wir müssen es so schnell wie möglich auf die Rennstrecke bringen. Es verleitet natürlich sehr und meiner Meinung nach ist es sehr ermutigend, dass ich jeden Druck der Welt von den Fahrern und meinem Chef erfahren habe, es hier oder in Indianapolis einzusetzen. Meiner Meinung nach ist das ein gutes Zeichen, denn wenn ich nicht unter Druck stehen würde, dann wären wir vielleicht alle ein wenig enttäuscht."

"Die Wahrheit in der Formel 1 ist jedoch, dass man sehr vorsichtig sein muss. Wir haben nach Indianapolis einen sehr wichtigen Test in Jerez, wo wir zwei MP4-19Bs haben werden. Wir haben nur noch zwei Tests vor der Sommerpause und wir müssen sicher stellen, dass es ausreichend auf der Teststrecke getestet wurde und wir uns nicht ins eigene Knie schießen. Im Moment wollen wir dies tun und hoffen, dass Jerez ein erfolgreicher Test sein wird und wir glauben, dass er dies sein wird. Wenn er es ist, dann werden wir es beim Frankreich-Grand-Prix bringen, aber wie ich schon gesagt habe, die Entscheidung fällt anhand der Daten und der Informationen, die wir bei diesen Tests sammeln."

Frage: "Das ist aber ein ganz schönes Programm von Jerez nach Magny-Cours, oder?"
Whitmarsh: "Ja, es wird hart werden. Es wird immer jene geben, die sagen 'schmeiß das Ding in den Flieger und flieg es nach Kanada, flieg es nach Indianapolis'. Meiner Meinung nach wäre dies falsch, aber wir müssen uns selbst unter Druck setzen. Wir machen im Moment keinen ausreichend guten Job, wir genießen nicht den Leistungslevel, auf dem wir uns im Moment bewegen und wir sind sehr heiß darauf, dies zu verbessern."

Frage: "Welche Verbesserungen werden beim 19B in Bezug auf den Motor vorgenommen? Wir haben gehört, dass ein neuer Motorblock geplant ist, aber wie groß ist der Unterschied zum alten, wie sehr wirkt sich das auf die Gewichtsverteilung und den Schwerpunkt des Autos und so weiter aus?"
Whitmarsh: "Es wird im 19B einen ein wenig anderen Motor geben, der uns eine kleine Leistungsverbesserung gibt und das ist unabhängig von den Verbesserungen, die wir im Verlauf der Saison sehen. Natürlich haben wir nach dem letzten Wochenende die Konzentrationen und die Untersuchungen auf die Zuverlässigkeit gelenkt, aber wir haben vor, in Magny-Cours einen kleinen Schritt in Sachen Leistung nach vorne zu tun. In Hockenheim soll es einen weiteren Schritt nach vorne geben, wir haben im Verlauf des Jahres also noch zwei weitere Stufen geplant. Es gibt verschiedene Änderungen am Motorblock, eine hat mit der Zuverlässigkeit zu tun, die andere kommt mit dem 19B und sorgt für eine kleine Leistungsverbesserung. Aber was das Chassis angeht, so wird es keine besondere Veränderung bei der Balance geben."

Frage: "Werden wir den neuen Motor nicht vor dem Rollout des 19B auf der Rennstrecke sehen?"
Whitmarsh: "Ja, das ist richtig. Eigentlich hätten wir ihn schon bei dem Test gehabt, aber wir haben angesichts unserer Erfahrung auf dem Nürburgring auf eine ältere Version zurückgerüstet."

Frage: "Wie würdest du es einem Fan erklären, dass ihr im letzten Jahr noch fast die WM gewonnen hättet und zur Hälfte dieser Saison erst fünf WM-Punkte eingefahren habt?"
Whitmarsh: "Weil wir es in vielerlei Hinsicht vermasselt haben. Man muss Rennen beenden, um Punkte zu holen, und in dieser Hinsicht haben wir keine gute Arbeit geleistet. Ein Formel-1-Auto und die Leistung eines Teams ist eine extrem komplexe Angelegenheit. Man versucht immer, das Auto in all seinen Aspekten zu verbessern. Ich denke, dass wir in Bezug auf unser Programm ein paar falsche Entscheidungen getroffen haben und dafür bezahlen wir nun. In der heutigen Zeit sind Formel-1-Autos sogar noch komplexer, sowohl was die Aerodynamik als auch die Struktur angeht."

"Wenn man dies mit vor zehn Jahren vergleicht, als wir bedeutende Veränderungen an der Struktur oder der Aerodynamik vornehmen wollten, so hat es sich meistens um nur eine Komponente gehandelt, die schnell ausgewechselt werden konnte. Wenn man die Aufhängung auswechseln konnte, dann konnte man in die Fabrikation gehen und die Veränderungen als Rennteam in ein paar Tagen durchführen."

"Wenn man sich nun die Autos auf der Startaufstellung anschaut und sich die Integration der sehr komplexen Frontflügel anschaut, die Art und Weise, wie die Vorderradaufhängung an das Auto angebracht ist, dann ist das ganze Paket so komplex, die Komponenten sind so komplex, dass wir das Paket nicht mehr länger über Nacht verändern können."

"Wir haben aus diesem Grund ziemlich frühzeitig dieses Jahr erkannt, dass wir fundamentale Veränderungen am Auto vornehmen müssen. Das 19B-Projekt wurde ja schon vor dem ersten Rennen der Saison ins Leben gerufen, wir beginnen jetzt, seine Früchte zu ernten. So gesehen sind diese komplexen Autos in vielerlei Hinsicht also ein Nachteil. Natürlich begibt sich jeder Ingenieur auf die Suche nach jedem Bruchteil Leistungsvorteil, aber wenn man es nicht hinbekommt, dann ist man gestraft, muss man die Situation wieder in den Griff bekommen."

Frage: "David Coulthard hat in einer der Pressekonferenz vor ein paar Wochen gesagt, dass es ein Fehler des Teams war, schnelle Rundenzeiten bei den Tests anzugeben und gegenüber der Öffentlichkeit zu sagen, dass man ab Melbourne um den Titel fährt. Kannst du uns sagen, wann das Team gemerkt hat, dass es nicht in der Lage ist, um die WM zu fahren, denn David sagte, er wusste das schon bei seinem zweiten Test im 19 und ob es Parallelen zu deinem Optimismus damals und jenem mit dem 19B gibt?"
Whitmarsh: "Ich denke, dass wir einige der Probleme mit dem 19A in Barcelona um die dritte Woche herum verstanden haben. Ich denke, dass man zu diesem Zeitpunkt als Rennteam ein gewisses Maß an Optimismus und Glauben haben muss, dass man durch die Probleme hindurchkommen kann. Was die Darstellung unserer Ambitionen angeht, so haben sich diese nie verändert, wir sind immer am Start, um Rennen und WM-Titel zu gewinnen. Ich denke, dass wenn man ein Team von tausend Leuten, die in das Programm involviert sind, leitet, und wenn man als Team wie wir nach drei Wochen sagt, dass man die WM tatsächlich aufgibt, so ist das eine nicht zu akzeptierende Position und aus diesem Grund hatten wir eine aggressive Einstellung, wie wir unsere Saison planen."

"Ich denke also, dass wir schon Bescheid wussten, Fakt ist ja auch, dass wir vor dem Start der Saison das 19B-Programm bekannt gegeben haben. Wir hätten das 19B-Programm nicht ins Leben gerufen, wenn wir nicht realisiert hätten, dass wir darauf reagieren müssen. Vielleicht waren wir in einer ähnlichen Situation, aber ich denke, dass wir am 19A arbeiten wollten und ich glaube, dass wir den 19A im Verlauf der Saison verbessert haben. Aber wir haben auch realisiert, dass wir ein paar fundamentale Dinge haben, die wir beim 19B angehen mussten."

"In Bezug auf den 19B sind wir im Moment vorsichtig optimistisch. Ob ich glaube, dass der 19B schneller ist als der 19A? Ja, das ist er. Wenn ich hier sitzen würde, und etwas anderes glauben würde, dann wäre das wohl sehr schmerzhaft, nehme ich an. Es ist nur ein Fahrer damit gefahren und wir sind nur auf einer Strecke bisher gefahren. Vielleicht werden wir anders denken, wenn wir nach Jerez kommen, aber auf Basis der bisher gemachten Erfahrungen, denke ich, dass wir auf einem Kurs wie Silverstone ziemlich konkurrenzfähig sind, wir hatten ja nach dem Nürburgring auch einen ziemlich zurückgetunten Motor. Wir hoffen, dass wir so auf manch anderen Strecken weitermachen können und aus diesem Grund haben wir das Auto hier nicht mitgenommen. Wir sind im Moment noch nicht gerüstet, nach einem dreitägigen Test, der zudem überwiegend nass war."

Frage: "Ein paar Leute haben gesagt, dass die Bremsen nun am Limit sind und es hier mit den 28-Millimeter-Scheiben ein wenig zweifelhaft ist. Die FIA mag vielleicht argumentieren, dass man einfach größere Kühlöffnungen nutzen muss, um ihnen mehr Luft beizuführen. Was ist die Wahrheit?"
Whitmarsh: "Die Wahrheit ist, dass man wie immer im Rennsport an das Limit geht, wir sind hier und in Monza am Limit, das sind Strecken mit hoher Bremsenbelastung und diese stellen eine Ausnahme dar. Man entwickelt die grundsätzliche Architektur und die Materialien für die meisten Strecken und wenn man auf einen Kurs mit starker Bremsenbelastung kommt, dann wird man immer am Limit sein. Wenn man 32-Millimeter-Scheiben macht, dann wird man einen Weg finden, bessere Bremsen für alle anderen Strecken zu finden und dann haben wir hier wieder Ärger. Ich denke also, dass man Bremsen herstellen kann, die mit 28 Millimeter arbeiten können und welche, die mit 20 Millimeter arbeiten. Man findet ein Material, das weniger oxidiert oder sich weniger abnutzt und die Renndistanz übersteht."

Frage: "Wie lange wird Mercedes brauchen, um in Sachen Motor wieder vorne bei der Musik mit dabeizusein?"
Whitmarsh: "Wir designen schon den nächstjährigen Motor und ich denke, dass wir ein paar Lektionen gelernt haben und ich denke, dass dies ein guter Schritt nach vorne ist. Ob er gut genug sein wird, bleibt abzuwarten und ich nehme an, dass ich mit ausreichend Zeit und Erfahrung eine genaue Antwort geben könnte. Es geht nicht um einzelne Leute, es geht um den Prozess, das Teamwork und wie wir arbeiten und ich glaube schon, dass wir im kommenden Jahr ein stärkeres Motorenpaket haben werden, auch wenn es natürlich noch früh ist."

"Aber die Dinge werden sich entwickeln und ich hoffe, dass wir einen weiteren Schritt machen können, es ist eine Frage von einem Jahr zum anderen, dass man größere Schritte macht als die Gegner. Es zählt ja die Relation zu dem Wettbewerb. Es ist keine Frage von Jahren. Wir machen meiner Meinung nach schon ein paar lohnende Schritte mit dem Motor und wir werden damit im Verlauf des Jahres, im nächsten Jahr und im Jahr danach weitermachen.

Frage: "Es sieht so aus, als würde das Qualifying verändert werden. Was denkst du darüber?"
Whitmarsh: "Meiner Ansicht nach ist das, was wir im Moment haben, nicht sehr befriedigend. Die Qualifying-Show sorgt aber für einige ungewöhnliche Ergebnisse und das kann der Show im Rennen helfen. Ich denke, dass wir uns auf die Qualifying-Show konzentrieren sollten. Ich bin von dem Zusammenzählen der Zeiten nicht komplett überzeugt, aber ich denke, dass es viele Autos auf der Strecke geben wird, die um Platz auf der Strecke kämpfen. Es wird Autos geben, die sich in den zwei Sessions gegenseitig im Weg stehen, es wird also eine ziemlich intensive und auslaugende Stunde für die Fahrer und Teams werden. Aus diesem Grund denke ich, dass die Show besser werden wird."

"Die Tatsache, dass die Autos dadurch in ihrer natürlichen Reihenfolge hintereinander stehen und es dadurch nicht genügend Überholmanöver gibt, ist meiner Meinung nach richtig. Es ist aber die Frage, ob es aufregend ist, wenn man ein schnelles Auto nach hinten stellt und es dann sich durch die zu Überrundenden den Weg bahnt? Da bin ich mir nicht so sicher."

"Ich denke, dass die Formel 1 engere Rennen braucht und die Realität ist, dass wir besser arbeiten müssen, im Moment näher an Ferrari und den BAR sein müssen und dann bekommen wir eine ordentliche Show. Was der Show schadet ist meiner Meinung nach die Tatsache, dass die Leute schon im Vorfeld wissen werden, wer gewinnen wird. Aber, um fair gegenüber Michael und Ferrari zu sein, das ist nicht ihr Fehler, es ist unser Fehler. Wir müssen unsere Hausaufgaben machen."

"Ich denke, dass die Rennen im letzten Jahr interessanter waren, da die Meisterschaft deutlich enger war. Wir kommen nun von einer Ferrari-dominanten Saison in eine engere und wieder in ein Jahr, das von Ferrari dominiert wird. Ich denke, dass die einstündige Qualifikation interessant sein könnte. Ich persönlich mag die Sache mit dem Zusammenzählen nicht, aber nichtsdestotrotz, das wurde jetzt entschieden. Was das Rennen angeht, dann werden wir eine gute Saison haben, wenn alle Top-Teams gute Arbeit verreichten und wir konkurrenzfähige Autos haben, die dichter beieinander liegen."