• 16.04.2009 14:56

  • von Christian Nimmervoll & Dieter Rencken

Whitmarsh analysiert: Umbruch bei McLaren

McLaren gehen langsam die Helden aus: Die Hintergründe zum Rücktritt von Ron Dennis und was Martin Whitmarsh in Zukunft anders machen will

(Motorsport-Total.com) - Die Lügenaffäre um McLaren-Mercedes zieht immer weitere Kreise: Nachdem vor dem Grand Prix von Malaysia Sportdirektor Dave Ryan wegen seiner nachweislichen Lüge gegenüber den FIA-Kommissaren in Australien erst suspendiert und dann gefeuert wurde, hat heute auch Ron Dennis seinen endgültigen Rücktritt vom Formel-1-Team bekannt gegeben.

Titel-Bild zur News: Martin Whitmarsh

Jetzt ist er endlich alleiniger Chef des McLaren-Teams: Martin Whitmarsh

Der 61-Jährige hatte das Amt des Teamchefs bereits per 1. März an Martin Whitmarsh übertragen, war aber weiterhin Vorstandsvorsitzender der übergeordneten McLaren-Gruppe und Geschäftsführer von McLaren Racing. Letztere Funktion überlässt er nun ebenfalls Whitmarsh, während Richard Lapthorne den Vorstandsvorsitz der Gruppe übernimmt. Dennis erhält dafür die Kontrolle über McLaren Automotive, eine McLaren-Tochter, die bis 2011 ihren ersten Sportwagen bauen will.#w1#

Versöhnliches Angebot an die FIA?

Im Fahrerlager in Schanghai wird offen darüber spekuliert, dass die Silberpfeile damit die Konsequenzen aus der Lügenaffäre von Melbourne ziehen, in die Dennis ebenfalls verwickelt sein soll. Whitmarsh bestreitet das zwar offiziell ("Ron war meines Wissens nach in keinen der Vorfälle in Australien oder vor Malaysia involviert"), sagt aber gleichzeitig: "Auf diese Spekulationen kann ich nicht eingehen."

"Jeder von euch kann darüber spekulieren, aber ich kann es nicht." Martin Whitmarsh

Nachfrage eines Journalisten: Erhofft ihr euch von dieser Entwicklung, dass der FIA-Weltrat am 29. März zu einer anderen Entscheidung kommen wird, als es sonst der Fall gewesen wäre? Whitmarsh bleibt beharrlich: "Jeder von euch kann darüber spekulieren, aber ich kann es nicht." Aber er gesteht: "Jeder, der das Verhältnis zwischen McLaren und der FIA in den vergangenen Jahren beobachtet hat, wird zustimmen, dass es gesünder wäre, an diesem Verhältnis zu arbeiten."

Weil McLaren-Mercedes seit der Spionageaffäre von 2007 für die FIA als vorbelastet gilt, drohen dem Team nach der Disqualifikation von Hamilton in Australien weitere Sanktionen. Zwar mag niemand so recht an einen WM-Ausschluss glauben, doch innerhalb der FIA gibt es Stimmen, die nichts ausschließen. Daher habe man auch Ryan schweren Herzens entlassen müssen: "Wir müssen der FIA demonstrieren, dass wir die Vorfälle sehr ernst nehmen", so Whitmarsh.

Angeblich soll das silberne Köpferollen auch ausdrücklicher Wunsch von Managervater Anthony Hamilton gewesen sein, der sich immer noch darüber ärgert, dass sein Sohn in die Lügenaffäre hineingezogen wurde. Hamilton sen. wurde sogar schon bei FIA-Präsident Max Mosley vorstellig und drohte damit, sich bei anderen Teams umzuhören. Mercedes-Sportchef Norbert Haug soll ihn in letzter Minute umgestimmt haben, wie man hört.

Versöhnung mit den Hamiltons

Whitmarsh sagt nach dem Dennis-Rücktritt: "Lewis und Anthony werden wir noch lange bei uns sehen." Er selbst komme gut mit den Hamiltons aus, aber zum Verhältnis zwischen Dennis und dessen langjährigem sportlichen Ziehsohn will er sich nicht äußern: "Ich habe Lewis nicht gefragt, wie er sich mit Ron versteht", weicht Whitmarsh einer entsprechenden Frage ungeschickt aus - und beantwortet sie damit in Wahrheit trotzdem.

¿pbvin|512|1454||1pb¿McLaren hat binnen weniger Wochen drei Urgesteine der ersten Stunde verloren: erst Tyler Alexander, dann Ryan, jetzt Dennis, der übrigens auch seine Funktionen in der Teamvereinigung FOTA zurückgelegt hat. Stellt das nicht eine Schwächung des Teams dar, Martin? "Ja, natürlich", gibt der Teamchef unumwunden zu. "Ich würde lügen, würde ich sagen, dass sich das nicht auswirken wird, aber jetzt müssen wir eben neue Helden hervorbringen."

Whitmarsh betont, er sei "ein bisschen traurig" über den Abschied seines langjährigen Mentors der nun "nicht mehr mein Boss" ist. Aber: "Es ist auch eine tolle Chance." Eine Chance, neue Helden hervorzubringen. Dabei wäre er nach Malaysia beinahe selbst rausgeflogen, als er dem Vorstand des Formel-1-Teams seinen Rücktritt anbot. Dieses Angebot wurde abgelehnt, wofür Whitmarsh "sehr dankbar" ist, wie er selbst sagt.

Gute und schlechte Zeiten

Über Vorgänger Dennis hält er augenzwinkernd fest: "Ron ist ein unglaublich kompliziertes Individuum! Im Ernst: Niemand stellt ihm seine Leidenschaft für diesen Sport in Abrede. Natürlich werde ich manche Dinge an ihm vermissen, andere aber auch nicht. Ich bin sicher, er würde das Gleiche über mich sagen. Natürlich waren wir uns nicht immer einig, aber das ist in diesem Geschäft nicht ungewöhnlich."

"Ich war nie ein Klon von Ron." Martin Whitmarsh

"Ich habe großen Respekt davor, was Ron für dieses Team erreicht hat. Ich war aber nie ein Klon von ihm, auch wenn es vielleicht oft so ausgesehen hat. Ich habe meine eigene Persönlichkeit - und das wird man spüren. Genau wie er werde auch ich versuchen, nach meinen Maßstäben das Beste für dieses Team zu geben", so der 50-Jährige, der den Journalisten verspricht: "Ich hoffe, dass ich zugänglich sein werde, aber ich bin nicht perfekt."

Ganz entziehen können wird er sich dem Einfluss von Dennis, der ihn heute nach der Pressekonferenz in Woking übrigens nicht angerufen hat, wahrscheinlich nicht. Denn auch wenn Dennis seine Funktionen im Formel-1-Team niedergelegt hat, so bleibt er als 15-Prozent-Teilhaber doch so etwas wie eine "graue Eminenz". De facto sind schließlich auch die 45 Prozent der Mumtalakat Holding Company (30) und von Mansour Ojjeh (15) an seine Entscheidungen gekoppelt.

Mercedes ist damit als unterlegener 40-Prozent-Teilhaber längst nicht alle Sorgen um die Kontrolle der McLaren-Gruppe los, doch zumindest einen Teilerfolg hat die Marke mit dem Stern heute errungen: Man steht auf Formel-1-Ebene nicht mehr mit Dennis in Verbindung, der von vielen als Drahtzieher hinter den Skandalen der vergangenen Jahre wahrgenommen wird. Das ist für das Image von Mercedes in der Öffentlichkeit nicht das Schlechteste.

Mercedes bedankt sich bei Dennis

Dennoch würdigt Haug Dennis' Leistungen: "Ron und sein Team schrieben mit McLaren eine beispielhafte Erfolgsgeschichte. Dass es dabei auch sportliche Rückschläge gab - und jetzt aktuell auch gerade gibt -, ist in diesem Sport leider nicht zu vermeiden. Ron nimmt jetzt eine neue Herausforderung an. Er sagt aus eigener Entscheidung ade zu seiner Rolle in der Formel 1 und widmet sich voll und ganz seinem zweiten großen Traum, den ultimativen Supersportwagen zu bauen."

Ron Dennis (Teamchef)

Gehen nun getrennte Wege: Ron Dennis, Norbert Haug und Dieter Zetsche Zoom

"Im Namen von Mercedes-Benz darf ich mich bei diesem Boxenstopp vor seiner und der Neuausrichtung seiner Firma heute bei Ron Dennis bedanken für insgesamt vier gemeinsam gewonnene Weltmeistertitel in den letzten elf Jahren, für 58 Formel-1-Siege und mittlerweile bereits annähernd 250 gemeinsame Formel-1-Rennen, bei denen wir bei wohl über der Hälfte meist ganz vorne mitgemischt haben - bis hin zur aktuell gewonnen Weltmeisterschaft 2008", so Haug.

Bleibt noch abschließend zu klären, warum Hamilton heute vor den Journalisten versteckt wurde. Whitmarsh redet gar nicht um den heißen Brei herum: "Für Lewis ist das alles auch nicht einfach. Wir wollen, dass er sich auf das Rennen hier konzentrieren kann - und wir wollen, dass er nur Fragen über das Rennfahren beantwortet. Wir wollen jedoch nicht, dass er Fragen über die Sitzung des Weltrats beantworten muss."