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Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat
Sainte Devote ist nicht Eau Rouge: Chefredakteur Christian Nimmervoll kritisiert, dass der Safety-Car-Start in Monaco den Grand-Prix-Sport entmannt hat
Liebe Leser,
© LAT
FIA-Rennleiter Charlie Whiting entscheidet über Safety-Car-Start oder nicht Zoom
ganz klar: Daniel Ricciardo, so stinksauer, wie er gestern nach dem Rennen (völlig zurecht) war, wird keine ruhige Nacht gehabt haben. Denn entweder konnte er nicht einschlafen, weil er sich über den zweiten geraubten Sieg binnen zwei Wochen zu Tode geärgert hat, oder aber er hat seinen Frust im Jimmy'z in Monte Carlo runtergeschluckt. Und dort geht es am Sonntagabend nach dem Grand Prix bekanntlich selten beschaulich zu.
Aber der wahre Verlierer des Wochenendes ist für mich diesmal der Sport. Oder, um es für das Konzept dieser Kolumne in einen Namen zu pressen: Charlie Whiting. Zugegeben, es ist populistisch, den Mann zu kritisieren, dessen Job es als FIA-Rennleiter ist, die Sicherheit für alle Beteiligten sicherzustellen. Eigentlich liegt mir das fern. Aber andererseits muss man festhalten: In Monaco wurde uns möglicherweise ein noch tollerer Grand Prix gestohlen.
25 Minuten vor dem Rennstart meinte einer meiner Kollegen, in weiser Vorahnung: "Bei der Menge Regen riecht das nach Safety-Car-Start." Ich verneinte: "Das glaube ich nicht. Und wenn, dann sind sie echt feige." Dass Sicherheit über alles geht, kann ich nachvollziehen. Keine Diskussion: Wenn 22 Formel-1-Autos bei strömendem Regen in Spa-Francorchamps mit 300 km/h auf eine Kurve wie Eau Rouge zurasen, dann macht ein Safety-Car-Start Sinn. Aber in Monte Carlo?
Der Weg bis zur ersten Kurve (nach einer Kirche Sainte Devote benannt) ist nicht weit genug, um richtig schnell dort anzukommen - schon gar nicht, wenn die Räder am Start wegen der nassen Fahrbahn durchdrehen. Und selbst wenn es in Sainte Devote kracht, ist das Verletzungsrisiko aufgrund der geringen Geschwindigkeit in der ersten Runde und des hohen Sicherheitsstandards der Autos und Streckensicherung überschaubar.
Bei den letzten Monaco-Regenschlachten, an die ich mich gut erinnern kann, 1996 und 1997, regnete es viel stärker. Trotzdem ging alles gut aus. Dem 1996er-Rennen haben nicht nur wir gerade ein großes Special gewidmet, 20 Jahre später. Weil nur vier Autos im Ziel waren. Legendär! Aber wie soll dieser Stoff, wie sollen diese Heldengeschichten produziert werden, wenn die Helden mit den Situationen, die sie zu Helden machen, gar nicht mehr konfrontiert werden?
Whiting steckt in einem Dilemma. Einerseits muss er die Sicherheit immer ganz vorne anstellen, ohne Kompromisse. Gar nicht auszudenken, wie laut Kolumnisten wie ich schreien würden, wenn ein Regenrennen ohne Safety-Car gestartet wird und dann stirbt ein Fahrer bei einem Startunfall. Andererseits schreien wir Kolumnisten aber auch, wenn der Sport entmannt wird und beim geringsten Anflug von Risiko Bernd Mayländer zum Einsatz kommt.
"Noch mehr Runden. Ich weiß nicht, worauf die warten. Wollen sie warten, bis die Strecke trocken ist? Ich verstehe das nicht. Das ist kein Racing", schimpfte Marc Surer im Live-Kommentar bei 'Sky'. Und Surer ist kein Experte, der irgendwas daherplaudert, was er kurz davor auf unserem Portal gelesen hat (solche gibt's nämlich auch). Nein, der Schweizer war 1984 selbst bei jener legendären Monaco-Regenschlacht dabei, die heute als Geburtsstunde von "Magic" Senna gilt.
Sebastian Vettel sieht das anders: "Es war die richtige Entscheidung. Aber man kann darüber debattieren, ob es zwei oder drei Runden früher reinkommen hätte sollen." Nachsatz: "Ich finde, es war okay so." Eigenen Angaben nach konnte er wegen der Gischt "nicht einmal den Hügel rauf richtig sehen, geschweige denn die Autos weiter hinten". Und die Reifen hatten nur 30 bis 35 Grad. Bedingungen, in denen Fehler passieren.
Aber ein Fehler etwa in der Loews-Haarnadel in Monaco tut weit weniger weh als ein Abflug im Kubica-Style bei 300+ km/h in Kanada, weshalb das Risiko eines stehenden Starts meiner Meinung nach durchaus gerechtfertigt gewesen wäre. Niemand hätte sich wehgetan, aber die Formel 1 hätte im Vergleich zu den Gladiatoren auf der Nordschleife, beim 24-Stunden-Rennen, oder beim Indy 500 nicht wie Weichei-Sport ausgesehen. Das bleibt bei vielen Fans haften.
Charlie Whiting ist eigentlich kein Verlierer des Monaco-Wochenendes. Ich habe allergrößten Respekt vor ihm und schätze seine Arbeit. Aber diese Kolumne hat eben ein bestimmtes Format. Und das musste ich dringend mal loswerden...
Wer sonst noch schlecht geschlafen hat:
Daniel Ricciardo und das Red-Bull-Team: Falsche Reifen parat gelegt, weil der Kommandostand in Monaco nicht ebenerdig, sondern im ersten Stock ist. Wirklich, Red Bull? Zum zweiten Mal hintereinander Daniel Ricciardo einen sicheren Sieg gestohlen. Das einstige Erfolgsteam entwickelt im Weltmeister-Tempo, stellt sich in Sachen Rennumsetzung derzeit aber ziemlich dilettantisch an. Ich wette: Hätte Maurizio Arrivabene gestern Abend Ricciardo zu sich gerufen, der hätte den Ferrari-Vertrag für 2017 im akuten Frust sofort unterschrieben.
Max Verstappen: Den 18-Jährigen müssen wir gesondert betrachten. Wir sind uns einig, dass ihm der Sieg in Barcelona von Red Bull geschenkt wurde. Wegen Ricciardos Strategiefehler. Was seine Leistung nicht entwerten soll. Aber in Monaco ist das Wunderkind brutal auf dem Boden der Tatsachen gelandet: Crash (Fahrfehler) im dritten Freien Training, Crash (Fahrfehler) im Qualifying, Crash (Fahrfehler) im Rennen. In Sachen Tempo machte er gegen Ricciardo keinen Mucks. Hätte er davor nicht Barcelona gewonnen, sondern wäre er ein Rookie gewesen, hätten viele gesagt: Die Formel 1 kommt noch zu früh.
Nico Rosberg: Daimler-Boss Dieter Zetsche hat vor dem Start in Barcelona gesagt: "Die Nervosität wächst, wenn der Abstand dann schmelzen sollte." In der ersten Kurve in Barcelona war Nico Rosbergs Welt noch in Ordnung. Nach der dritten nicht mehr. Und dass es für den katastrophalen Speed im Grand Prix von Monaco noch keine plausible technische Erklärung gibt, lässt den WM-Leader nicht gut aussehen. Gut möglich, dass diese beiden Rennen nach seinem Traumlauf von sieben Siegen hintereinander der Wendepunkt der WM 2016 waren.
Monisha Kaltenborn: Die Österreicherin kämpft hinter den Kulissen jeden Tag um das Überleben des Sauber-Teams. Wenn nicht bald ein Wunder geschieht (oder die EU-Kommission früher als erwartet als "Robin Hood" einschreitet), ist Hinwil in ein paar Wochen Geschichte. Dass sich dann auch noch die beiden Fahrer trotz Positionsabsprache gegenseitig in die Karre fahren, ist denkbar unglücklich. Management-Fehler Kaltenborn? Nein. Dafür müssen sich die Herren Ericsson und Nasr schon selbst an die Nase fassen.
Ihr
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