Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat

Genervte Funksprüche, kuriose Defekte, gefährliche Situationen und knappe Motoren: Fernando Alonsos optimistische Fassade beginnt langsam zu bröckeln

Titel-Bild zur News: Fernando Alonso

Fernando Alonso hätte statt McLaren auch ein Jahr Formel-1-Pause machen können Zoom

Liebe Leser,

bei der Auswahl eines "Verlierers des Wochenendes" für unsere traditionelle Montags-Kolumne haben wir bisher einen weiten Bogen um McLaren-Honda gemacht. Es klang glaubwürdig, wenn beteuert wurde, welch große Fortschritte gemacht werden und dass man Licht am Ende des Tunnels sehen könne. Es klang glaubwürdig, wenn die Stimmung im Team als harmonisch beschrieben wurde, selbst zwischen den früheren Erzfeinden Ron Dennis und Fernando Alonso. "Wir werden alles dafür tun, dass Fernando noch einmal Weltmeister wird", sagt Dennis. Und Alonso: "Ich spüre, dass meine Chancen hier größer als bei Ferrari sind."

Doch langsam beginnt die strahlende Fassade zu bröckeln. Ausgerechnet beim Heimrennen in Barcelona lief es so gar nicht nach Wunsch. Zwar war das Tempo an den Trainingstagen wieder leicht verbessert, aber von einem Einzug ins Top-10-Qualifying ist McLaren-Honda weiterhin ein großes Stück entfernt. Und als Alonso am Samstagabend nach Startplatz 13 ankündigte, er möchte am Sonntag in die Punkte fahren, schüttelte Teamkollege Jenson Button (14.) nur ungläubig den Kopf: "Ich hätte zum Frühstück bitte gern das Gleiche wie Fernando!"

Zweieinhalb Sekunden Rückstand

Der anfangs noch glaubwürdige Daueroptimismus bei McLaren-Honda klingt immer mehr nach Durchhalteparolen - so, als müssten sich Alonso und Co. selbst davon überzeugen, dass die Situation gar nicht so schlimm sei, um den Bettel nicht sofort hinzuschmeißen. Tatsache ist: Im Barcelona-Qualifying haben zweieinhalb Sekunden auf Mercedes gefehlt. Und im Rennen wurde Button (überrundet) Letzter, wenn man die beiden Manor-Marussias mal aus der Rechnung rausnimmt. Das kann einem Alonso keinen Spaß machen.

Zumal es die kleinen Dinge sind, an denen man merkt, dass er - trotz aller öffentlichen Beteuerungen - langsam ungeduldig wird. Etwa, wenn er seinen Renningenieur am Funk anschnauzt, er müsse wohl einen Virus am Computer haben, weil die Batterie überhaupt nicht mehr lade. Das Team hatte zuvor durchgegeben, man könne an den Daten keinen technischen Defekt erkennen. Oder wenn er in Interviews erklärt, dass die Unterstützung der Fans so weit geht, dass ihm sogar technische Skizzen zugesteckt werden. Galgenhumor.


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McLaren-Honda MP4-30 gefährlich?

Darüber kann Alonso noch lachen. Nicht mehr lustig ist, wenn es gefährlich wird. Denn abgesehen von Hondas Problemen mit dem Antrieb schleichen sich längst auch auf McLaren-Seite Defekte ein. Im gestrigen Rennen etwa versagten bei Alonso die Bremsen, sodass er beinahe seinen Wagenheber-Mechaniker über den Haufen gefahren wäre. Es ist nur dessen schneller Reaktion zu verdanken, dass dabei niemand verletzt wurde. Schuld gewesen sein soll ein Abreißvisier im Schacht der Bremsbelüftung.

Fernando Alonso

Passend zum Anlass: McLaren-Honda trägt neuerdings Schwarz Zoom

Und Button fand seinen MP4-30 sogar "gefährlich" zu fahren. Erstens, weil er ebenfalls schon im Training mit (anderen) Bremsproblemen zu kämpfen hatte, zweitens, weil die Kraftentfaltung des Antriebs im Rennen nicht mehr zu kontrollieren war. Fast in jeder Kurve drohte das Auto auszubrechen. Was den Weltmeister von 2009 am Ende zum frustrierten Fazit kommen ließ: Mit diesem McLaren sind 2015 keine WM-Punkte mehr zu holen. Nicht einmal für zwei ehemalige Weltmeister.

Selbst wenn McLaren-Honda ab Monaco plötzlich rasant schneller werden sollte: Die Saison 2015 kann Alonso abschreiben. Denn in Barcelona fuhr er mit seinem dritten Verbrennungsmotor, seinem dritten Turbolader und seiner dritten MGU-H. Vereinfacht gesagt: Ein Motorwechsel noch, dann beginnt es Grid-Strafen zu hageln. Und zehn Startplätze weiter hinten, das bedeutet für einen McLaren-Honda-Piloten momentan zweifellos die letzte Reihe.

Hamilton zu Ferrari, Alonso zu Mercedes?

Kein Wunder also, dass auf dem Transfermarkt die ersten Gerüchte aufkommen. In dem laut Ron Dennis wasserdichten Dreijahresvertrag von Alonso soll es wohl doch eine Ausstiegsklausel geben, allerdings nur für den Fall, dass Mercedes anklopfen sollte. Was von Experten wie Johnny Herbert nicht mehr ausgeschlossen wird, solange Lewis Hamilton seinen neuen Vertrag nicht unterschreibt. Hamilton, so wird nämlich spekuliert, könnte dann zu Ferrari wechseln. Zukunftsmusik. Aber in der Formel 1 sollte man niemals nie sagen. Stranger things have happened before.

Ron Dennis, Fernando Alonso

Ron Dennis und Fernando Alonso haben schon erfolgreichere Zeiten erlebt Zoom

Angesichts dieser Situation ist für uns klar, dass nur Alonso als Kandidat, der letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat, in Frage kommt. Nicht Lewis Hamilton, der sich sicher ein paar Gedanken darüber gemacht hat, wie er erstmals in dieser Saison ein Rennen gegen Nico Rosberg verlieren konnte. Nicht Carlos Sainz, der nach dem Qualifying vielleicht schon vom Podium geträumt hat und dann mit zwei Punkten glücklich sein musste. Und nicht der Formel-1-Fan auf den Tribünen in Barcelona. Denn der hat am Sonntagnachmittag schon genug geschlafen...

Ihr

Christian Nimmervoll

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