Warum Michelin der Formel 1 (wieder) abgesagt hat

Reifenhersteller Michelin erklärt im exklusiven Interview die Gründe dafür, sich nicht um den Formel-1-Vertrag 2020 bis 2023 beworben zu haben

(Motorsport-Total.com) - Michelin hat sich dagegen entschieden, an der FIA-Ausschreibung für die Position des Reifenherstellers für die Formel 1 teilzunehmen. Laut Informationen von 'Motorsport-Total.com' bewerben sich um den Vertrag, der von 2020 bis 2023 laufen soll, zwei Unternehmen. Nämlich der bisherige Monopolist Pirelli und Hankook.

Titel-Bild zur News: Pascal Couasnon

Für Pascal Couasnon ist die Formel 1 nicht die richtige Plattform Zoom

Das entscheidende Ausschlusskriterium für eine Michelin-Rückkehr war letztendlich der Umstand, dass zwar der Vertrag für vier Jahre ausgeschrieben ist, aber das neue Reifenreglement mit 18-Zoll-Felgen erst ab 2021 greift. 2020 wird die Formel 1 noch mit den bisher bekannten 13-Zoll-Felgen fahren. Und nur für eine Saison einen Reifen zu entwickeln und dann schon wieder einen neuen, ist aus wirtschaftlicher Sicht mäßig attraktiv.

"Wir freuen uns darüber, dass die Formel 1 nach fast zehn Jahren unseren Vorschlag mit den 18-Zoll-Felgen adaptiert", sagt Motorsportchef Pascal Couasnon im Interview mit 'Motorsport-Total.com'. "Aber die Tatsache, dass wir erst einmal einen Reifen für 13-Zoll-Felgen entwickeln hätten müssen, war so ziemlich ein No-Go. Es wäre unmöglich gewesen, die Entwicklung eines Reifens zu rechtfertigen, der absolut nichts damit zu tun hat, was in der Welt da draußen passiert."

Zweitens: "Die Formel 1 hat sich nicht auf unsere Empfehlung eingelassen, den geplanten Abbau der Reifen zu reduzieren." Diese beiden Faktoren hätten es "ziemlich unmöglich" gemacht, sich um den Formel-1-Vertrag zu bewerben, erläutert Couasnon.

Reifenkrieg keine Grundbedingung mehr

Michelin hat zwar inzwischen die einstige Grundbedingung für ein Comeback, nämlich einen Reifenkrieg mit einem anderen Hersteller, über Bord geworfen. Aber: "Für uns ist sehr wichtig, entweder dazu in der Lage zu sein, unsere Technologie in die Auslage zu stellen - oder unsere Technologie zu präsentieren."

Das geht derzeit in anderen Rennserien besser als in der Formel 1. In der Formel E wegen der zukunftsorientierten Ausrichtung. In der MotoGP, weil dort die schiere Performance (Grip) im Mittelpunkt steht. Und bei den 24 Stunden von Le Mans, weil dort die Haltbarkeit so wichtig ist. "Wir haben ein wunderbares Portfolio", sagt Couasnon. "Wir haben großen Respekt vor der Formel 1. Aber wir können auch ohne sie leben."

Michelin, so die Markenpositionierung in der Öffentlichkeit, soll für Performance, Langlebigkeit und Qualität stehen. Dafür ist die Formel 1, in der Rechteinhaber Liberty Media im Sinne von spannenderen Rennen Reifen wünscht, die rasch abbauen und mindestens zwei Boxenstopps erzwingen, nicht die richtige Plattform.


Formel 1 2018 - Thema: Reifen

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"In der MotoGP haben wir langlebige Reifen und es gibt drei Möglichkeiten für vorne und hinten, und am Ende der Rennen ist es oft so, dass auf dem Podium drei verschiedene Reifenkombinationen stehen. Wir glauben, das würde auch in anderen Rennserien Sinn ergeben", erklärt Couasnon.

"Unserer Meinung nach muss ein Reifen dem Fahrer die Möglichkeit geben, sein maximales Talent zu zeigen und zu fighten. Und es soll nicht so sein, dass ein Fahrer sagt: 'Okay, ich werde jetzt aufpassen, denn wenn ich mich noch einmal verbremse, kann ich nicht mehr kämpfen, sondern muss meine Reifen schonen.'"

WEC-Fahrer schimpfen über Formel-1-Reifen

"Wir haben in anderen Rennserien bewiesen, dass das der richtige Weg ist. Und das sagen nicht nur wir, sondern auch Fahrer, die beide Seiten kennen. Nicht nur Fernando Alonso, sondern auch Mark Webber und Nico Hülkenberg", so der Franzose. "Die haben uns gesagt: 'Wow, mit diesen Reifen können wir richtig attackieren. Toll!' Wir glauben, das ist der richtige Weg."

Die Formel 1 setzt seit 2011 ganz bewusst auf Reifen, die geplant abbauen - auf Wunsch des Rechteinhabers und nicht, weil Pirelli keine haltbaren Reifen bauen kann. Dass dieser Weg nun schon so lange verfolgt wird, ist laut Michelin "traurig". Couasnon: "Die jungen Fahrer kennen das ja gar nicht mehr, wie toll echtes Rennfahren sein kann!"

Trotzdem ist eine Rückkehr in die Formel 1 nicht für immer und ewig ausgeschlossen: "Es ist nicht so", sagt Couasnon, "dass wir nicht zurück wollen oder dass es für uns keinen Sinn ergeben würde. Wir werden die Richtung der Formel 1 weiter verfolgen. Wenn diese Richtung eines Tages wieder mit der Strategie von Michelin kompatibel ist, dann werden wir unsere Position überdenken."


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Michelin war zuletzt zwischen 2001 und 2006 in der Formel 1 engagiert. Mit 102 Grand-Prix-Siegen sind die Franzosen der vierterfolgreichste Reifenhersteller in der Geschichte der Königsklasse. Hinter Goddyear (368), Pirelli (194) und Bridgestone (175). Eine Statistik, die allerdings stark verzerrt ist, weil insbesondere Pirelli und Bridgestone einen Großteil ihrer Siege ohne Konkurrenz errungen haben.

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