Warum die FIA die Rolle des F1-Rennleiters völlig neu denken muss

Ob Michael Masi seinen Posten als Formel-1-Renndirektor 2022 behalten wird, ist weiter unklar - Als mögliche Nachfolger sind eine Reihe von Namen im Gespräch

(Motorsport-Total.com) - Wenige Wochen vor dem Start der Formel-1-Saison 2022 wird weiter über die Rolle von Michael Masi als Renndirektor der FIA spekuliert. Wie die Position besetzt wird, ist Teil der laufenden Untersuchung der Ereignisse beim Grand Prix von Abu Dhabi, die Masi in die Schusslinie der Öffentlichkeit brachten.

Titel-Bild zur News: Stefano Domenicali

Michael Masi (rechts) mit Stefano Domenicali (links) und Peter Bayer Zoom

Was in den letzten Runden geschah, löste eine Welle der Kritik aus, die dem Sport in einer Zeit, die eigentlich eine seiner besten Stunden hätte sein sollen, großen Schaden zufügte, denn in den sozialen Medien wurden wilde Verschwörungsvorwürfe laut.

Es ist daher vielleicht keine Überraschung, dass Formel-1-CEO Stefano Domenicali ein persönliches Interesse daran hat, wie die Situation am besten gelöst werden kann.

Der Italiener war eine Zeit lang bei der FIA tätig, bevor er von Liberty Media abgeworben wurde, und er weiß, wie die Organisation funktioniert. Er hat eng mit dem im Dezember zum neuen Präsidenten gewählten Mohammed Ben Saluyem und dessen wichtigstem Stellvertreter, Peter Bayer, zusammengearbeitet.

Vergangene Woche gab Bayer, der seit 2017 als FIA-Generalsekretär für Sport fungiert und vor Kurzem als Exekutivdirektor der Formel-1-Abteilung eine aktivere Rolle in der Königsklasse übernommen hat, einen interessanten Einblick in die Art der Diskussionen, die vor dem Beginn der Saison geführt werden.

"Er hat einen super Job gemacht", sagte Bayer über Masi. "Das haben wir ihm gesagt, aber auch, dass die Möglichkeit besteht, dass es einen neuen Rennleiter geben wird. Ich kann dem Weltrat nur Vorschläge unterbreiten, und die werden ihn auf jeden Fall einbeziehen."


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Und der FIA-Funktionär fügte hinzu: "Ich habe Michael in unseren Gesprächen den Rückhalt des Verbandes zugesichert und ihn wissen lassen: Wir wollen weiter mit dir arbeiten, aber ich brauche auch dein Verständnis, dass wir das Thema untersuchen müssen."

Rolle des Formel-1-Rennleiters wird überarbeitet

Bayer machte auch deutlich, dass selbst wenn Masi bleibt, erhebliche Veränderungen anstehen. So sollen einige der Aufgaben, die der Rennleiter bisher erledigt hat, aufgeteilt werden, um ihn zu entlasten: "Es wird eine Aufteilung der Aufgaben des Renndirektors geben, der auch Sportdirektor, Sicherheits- und Streckendelegierter ist."

Die Aufgabe der Streckeninspektion nimmt viel Zeit in Anspruch. Ende 2021 musste Masi zwischen den Rennen mehrmals nach Dschidda/Saudi-Arabien reisen, um die Fortschritte am neuen Austragungsort zu überprüfen. Dabei wird jede zusätzliche Reise erst recht in Zeiten der Corona-Pandemie zu einer Herausforderung.

Masis arbeitswütiger Vorgänger Charlie Whiting, der 2019 verstarb, war in der Lage, mehrere Jobs unter einen Hut zu bringen. Aber er hatte auch Jahre Zeit, in seine vielen Aufgaben hineinzuwachsen. Und er hatte einen kürzeren Kalender als Masi im Jahr 2022.

Michael Masi beim Track Walk

Beim Trackwalk: Auch die Begutachtung der Strecken zählt zu Masis Aufgaben Zoom

Eine weitere unvermeidliche Änderung betrifft die Einschränkung des Funkverkehrs. Traditionell hatte nur der Teammanager/Sportdirektor einen direkten Draht zur Rennleitung. Aber als Teil der Vereinbarung, ausgewählte Nachrichten zu übertragen, wurden auch die Teamchefs in der vergangenen Saison ermutigt, sich zu beteiligen.

Die emotionalen Reaktionen von Christian Horner (Red Bull) und Toto Wolff (Mercedes) in Abu Dhabi gingen jedoch einen Schritt zu weit, und die FIA und die Formel 1 sind sich nun darüber im Klaren, dass es ein Fehler war, ihnen die Teilnahme zu gestatten, da sie Masi unnötig zusätzlich unter Druck gesetzt haben.

Auch die routinemäßigen Funksprüche der Teams werden künftig von jemand anderem in der Rennleitung entgegengenommen: "Wir wollen einen Puffer einbauen mit einem Mitarbeiter, der diese Anfragen entgegennimmt. So kann sich der Rennleiter in Zukunft auf seine Aufgabe konzentrieren und wird nicht mehr abgelenkt."

Renndirektor soll mehr Unterstützung erhalten

Die dritte erwartete Änderung sieht eine Assistenz aus der Ferne vor, in Form von zusätzlichen Augen und Ohren, die von einem speziellen Standort aus arbeiten, Vorfälle überprüfen und Informationen an die Rennleitung an den Rennstrecken weiterleiten.

Das ist durchaus sinnvoll, denn der Rennleiter hat im Zweifel schon genug damit zu tun, sich um die Nachwirkungen eines Unfalls und eine eventuelle Safety-Car-Situation zu kümmern. Die anvisierten Änderungen werden sein Leben etwas einfacher machen.

Was könnte sich noch ändern, vorausgesetzt, Masi bleibt? Es gab Überlegungen, einen oder zwei andere Rennleiter einzusetzen, die sich abwechseln und die Aufgabe teilen könnten. Aber man war sich einig, dass die Rotation zwar bei den Stewards funktioniert, der Sport aber eine einheitliche Leitung der Rennen braucht.

Ein weiterer Vorschlag spielt mit der Überlegung einen Co-Direktor einzusetzen - das heißt, eine Person, die neben Masi sitzt und eine stärkere Stimme hat als der derzeitige stellvertretende Rennleiter, sodass die Verantwortung für Entscheidungen geteilt wird.

Wenn Masi die Rolle des Rennleiters verlieren und zum Beispiel gebeten werden sollte, sich auf seine Aufgaben als Streckeninspektor und Sicherheitsbeauftragter zu konzentrieren, wer könnte dann einspringen? Ihn zu ersetzen stellt eine Herausforderung für die FIA dar, und zwar aus mehreren Gründen.

Erstens wird nicht jeder, der potenziell qualifiziert ist, bereit sein, an 23 Wochenenden zu arbeiten und die damit verbundenen Reisen auf sich zu nehmen. Und zweitens wird der Job seit der vergangenen Saison mehr denn je als ein vergifteter Kelch angesehen.


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Rennleiter aus anderen Serien könnten wechseln

Die FIA ist bewusst, vor welcher Herausforderung ein potenzieller Nachfolger steht - ein weiterer Grund, warum es einen Co-Direktor geben sollte, damit weniger Druck auf den Schultern eines Einzelnen lastet. Bei den möglichen Kandidaten handelt es sich um Personen, die in weniger bekannten Meisterschaften arbeiten.

Dazu gehören Eduardo Freitas, seit mehr als zwei Jahrzehnten GT- und WEC-Rennleiter, und Scot Elkins, der in der Formel 1 bereits als stellvertretender Renndirektor fungierte, aktuell aber in der Formel E und der DTM als Rennleiter beschäftigt ist.

In der DTM löst er Niels Wittich ab, der bereits als Masis Stellvertreter für 2022 genannt wurde. Könnte er möglicherweise direkt auf den Hauptposten wechseln?

Es gibt noch weitere kompetente, aber weniger bekannte Renndirektoren in anderen Serien auf der ganzen Welt - wie etwa Peter Roberts, der durch seine Tätigkeit im Porsche Supercup mit der Formel-1-Szene vertraut ist -, aber die Liste derer, die für den Job zur Verfügung stehen und bereit sind, ist relativ kurz.

Alle genannten könnten sich möglicherweise auch die Rolle des Co-Direktors teilen und mit Masi zusammenarbeiten. Zudem gibt es ein paar FIA-Veteranen, die zurückgeholt werden könnten, um zu helfen, wenn auch nur in einer Nebenrolle oder beratenden Funktion.

Kehren ehemalige FIA-Mitarbeiter vielleicht zurück?

Charlie Whitings ehemaliger Stellvertreter Herbie Blash verfügt über einen großen Erfahrungsschatz, aber nachdem er die Formel 1 Ende 2016 verlassen hat und mit seiner Arbeit bei Yamaha im Motorradsport beschäftigt ist, hat er vielleicht nicht die Lust, sich an 23 Rennwochenenden zu engagieren.

Colin Haywood war ein weiteres wichtiges Mitglied von Whitings Team, der viele Jahre lang als "Race Control Manager" und auch einige lang Stellvertreter von Masi fungierte, bevor er Anfang 2021 ausschied. Man könnte argumentieren, dass seine große Erfahrung in der vergangenen Saison fehlte, nicht nur in Abu Dhabi.

Wenn es um Erfahrung geht, könnte der Weltverband auch aus dem Pool aktueller oder ehemaliger Teamchefs/Sportdirektoren schöpfen. Sie kennen die Regeln in- und auswendig, verstehen das FIA-System und können in der Regel schnell reagieren und Entscheidungen treffen, wie es die Aufgabe des Rennleiters erfordert.


Fotostrecke: Charlie Whiting (1952-2019)

In dieser Funktion bei Ferrari tätigt ist derzeit Laurent Mekies. Er wurde von der FIA schon einmal als Nachfolger von Whiting gehandelt. Nach seiner Tätigkeit als stellvertretender Rennleiter in den Jahren 2017/18 entschied sich der Franzose jedoch dafür, in Maranello wieder eine Rolle an der Spitze des Teams zu übernehmen.

Einige Personen, die für Formel-1-Teams arbeiten, sollen dem Vernehmen nach bereits sondiert worden sein. Es ist jedoch kaum vorstellbar, dass ein aktueller Teamchef oder Sportdirektor von der FIA kurz vor der neuen Saison erfolgreich abgeworben wird.

Nielsen, Budwoski und Co. als mögliche Kandidaten

Ein weiterer Name, der aufrücken könnte, ist Steve Nielsen, Sportdirektor der Formel 1 und ehemaliger Polizist. Er war in der Vergangenheit als Teammanager bei Tyrrell, Benetton und Renault tätig und wird von vielen als die ideale Wahl angesehen.

Allerdings ist er mit seinen vielen anderen Jobs - unter anderem hilft er bei der Ausarbeitung der Regeln, die der Rennleiter überwacht - bereits voll ausgelastet. Und wenn Ross Brawn Ende 2022 aufhört, könnte seine Arbeitsbelastung noch größer werden. Sein Name taucht auf, er gilt aber als eher unwahrscheinlich.

Die Suche könnte sich auch auf Personen erstrecken, die bereits in anderen Positionen bei den Teams tätig waren, und ein Name, der aufgetaucht ist, ist der des ehemaligen Alpine-Geschäftsführers Marcin Budkowski. Er war 2021 de facto der Teamchef des Mannschaft aus Enstone, bevor er Anfang Januar ging.

Marcin Budkowksi

Marcin Budkowksi könnte nach der Trennung von Alpine zurück zur FIA Zoom

Er arbeitete eine Zeit lang für die FIA in einer technischen Funktion, bevor er aus Frustration über mangelnde Aufstiegsmöglichkeiten 2017 zu einem Teamjob zurückkehrte. Nach seinem Alpine-Abschied ist er wieder verfügbar und würde eine interessante Kombination aus Erfahrung und Fähigkeiten mitbringen.

Aber ob er das tun will und von der FIA, der Formel 1 und den Teams als Rennleiter akzeptiert wird, ist eine andere Frage. Budkowski könnte aber vielleicht auch in einer anderen Funktion zur FIA zurückkehren und einen Teil des Jobs übernehmen, der eigentlich einer von Masi war, um diesen zu entlasten.

Das schwere Los des Formel-1-Rennleiters für 2022

Unterm Strich steht derjenige, der den Job des Renndirektors übernimmt, ob nun Masi oder ein Neuling, vor einer fast unlösbaren Aufgabe. Nach Abu Dhabi wird die Entscheidungsfindung in der Rennleitung mehr denn je im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen, und es wird wenig Spielraum für Fehler geben.

Masi musste das am eigenen Leib erfahren. "Michael hat eine relativ dicke Haut gegen die Angriffe einzelner Teams entwickelt", weiß FIA-Generalsekretär Bayer. "Wenn man bei der FIA arbeitet, muss man sich bewusst sein, dass man für die Sportpolizei arbeitet."

"Und als Polizist erhält man selten Sympathien. Was unerträglich geworden ist, sind die Reaktionen in den sozialen Medien, die vor nichts zurückschrecken, wie man bei den Morddrohungen gegen Williams-Fahrer Latifi gesehen hat. Michael hat keinen Account, aber die Anfeindungen in anderen Kanälen haben ihn wirklich getroffen."

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