Virgin-Teamchef Booth: Wie damals in der Fleischerei
Virgin-Teamchef John Booth war schon oft am Boden und sieht die Fahrer, das Personal und Cosworth als Lichtblicke eines harten Saisonstarts
(Motorsport-Total.com) - Hohn und Spott musste das Virgin-Team nach dem durchwachsenen Saisonstart über sich ergehen lassen: Die Affäre um einen zu klein dimensionierten Tank hinterließ tiefe Kratzer an der Glaubwürdigkeit des Rennstalls von Richard Branson - auch Fahrer Timo Glock musste sich manchmal sehr beherrschen, um seinen Frust zurückzuhalten.

© xpb.cc
Hat schon viel durchgemacht: Virgin-Teamchef John Booth
Doch Teamchef John Booth glaubt weiter an sein Team. Schon zu oft in seinem bewegten Leben bewältigte das einstige Formel-Ford-Ass Rückschläge: Bei einem Arbeitsunfall in der Fleischerei seiner Eltern erlitt Booth einen Bandscheibenvorfall, dennoch siegte der Mann aus Yorkshire 1983 beim "Champion of Champions"-Rennen der Formel Ford in Brands Hatch.#w1#
Alonso-Mann statt Formel-3-Personal
1990 gründete Booth seinen Formel-3-Rennstall Manor und schaffte 20 Jahre später gemeinsam mit Branson und Technikchef Nick Wirth, der den Boliden ausschließlich am Computer konstruierte, den Sprung in die Formel 1. "Aus dem Formel-3-Team sind nur noch zwei bis drei Leute dabei", stellt Booth im Interview mit 'Grandprix.com" klar.
"Es ist ein neues Team - die Kernleute sind absolut Formel-1-erfahren", verteidigt er seine Truppe. "Viele stammen aus Teams, die sich zurückgezogen haben. Doch wir haben auch Leute wie Timo Glocks Renningenieur Dave Greenwood, der in den vergangenen drei Jahren für Fernando Alonso gearbeitet hat."
Auch John Booth arbeitete immer wieder mit späteren Formel-1-Superstars zusammen: Kimi Räikkönen und Lewis Hamilton fuhren für den Briten, beide holten mit Manor ihre Titel in der britischen Formel Renault.
Perfektes Zeugnis für die Fahrer
Apropos - wie schätzt er seinen aktuellen Nummer-Eins-Piloten Glock im Vergleich mit diesen zwei Größen ein? "Vom ersten Tag an war ich von seiner Einstellung beeindruckt", lobt Booth den Deutschen. "Trotz vieler Probleme verhielt er sich nie wie eine Primadonna. Der Kerl hat eine großartige Arbeitsweise und ist ein absoluter Teamplayer."
Auch dem Rookie Lucas di Grassi, der mit Manor 2005 den Formel-3-Klassiker in Macao gewann, stellt Booth nach dessen ersten vier Rennen ein absolut positives Zeugnis aus: "Ich wusste, dass er genau der richtige Mann für uns ist. Er ist nicht nur schnell, sondern auch sehr intelligent. Durch Lucas fühlt es sich so an, als hätten wir zwei erfahrene Piloten im Team."
Booth hadert mit Testverbot
Dennoch zählt derzeit bei Virgin nur eines: die gravierenden Zuverlässigkeitsprobleme endlich in den Griff zu kriegen. "Es war wirklich ein schwieriger Saisonstart", gibt Booth zu. "Die meisten Dinge lagen außerhalb unserer Kontrolle, am meisten Probleme bereiteten uns Hydraulik und Getriebe." Der Virgin-Teamchef hadert daher mit dem Testverbot: "Jetzt müssen wir alles im Feld und vor einer halben Million Menschen lösen."
Trotz dieser schwierigen Ausgangslage gibt es auch Lichtblicke, wie Booth bestätigt: "Der Cosworth-Motor, die Betreuung und die Zuverlässigkeit waren bisher brillant. Das ist derzeit unsere einzige Konstante. Was das angeht, bin ich im siebten Himmel." Mit dieser Basis wolle man bis zum Ende des Jahres zumindest das beste der neuen Teams sein, "auch wenn sich Lotus annähernd mit der ehemaligen Toyota-Ingenieurstruppe deckt und Mike Gascoyne ein heller Kopf ist."
Verliert Branson die Geduld?
Doch was passiert, wenn Virgin-Boss Sir Richard Branson allmählich die Lust verliert, am Ende der Startaufstellung ein Schattendasein zu führen? Booth winkt ab: "Er weiß doch, wozu Brawn mit einem Budget von 150 bis 200 Millionen Dollar imstande war und wie viel Geld wir zur Verfügung haben - daher hat er realistische Vorstellungen."
Dass man nicht vorne mitfahren kann, liege vor allem daran, dass die ursprünglich angedachte Budgetobergrenze von 45 Millionen Euro nicht ansatzweise umgesetzt wurde. "Das ist enttäuschend. Doch zumindest waren sich alle bis auf Ferrari einig, dass es nicht gleich weitergehen konnte. Man will die Kosten herunterfahren und in einen realistischen Bereich bringen."
Bis es so weit ist, muss Booth das tun, was ihm in seiner Karriere schon mehrmals gelungen ist: mit geringen Mitteln das Maximum herausholen. So wie damals Anfang der 1980er-Jahre, als er seine Rennkarriere durch Mitarbeit in der elterlichen Fleischerei finanzierte.

