Villeneuve: "Man ist teilweise nur noch Passagier"
Im Interview mit 'F1Total.com' erklärt Jacques Villeneuve, warum er mit dem C24 nicht zurechtkommt, und er verteufelt die Elektronik
(Motorsport-Total.com) - Sein Comeback in der Formel 1 hätte sich Jacques Villeneuve sicher anders vorgestellt: Nach drei Rennen für Renault und drei für Sauber-Petronas steht er nach wie vor ohne WM-Punkte da. Zwar schnupperte er gestern beim Grand Prix von Bahrain bis kurz vor Schluss am achten Platz, eine Kollision mit David Coulthard machte seine Hoffnungen aber zunichte.

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Jacques Villeneuve hatte schon einmal mehr Freude am Fahren als im Moment
Doch wie kann es sein, dass ein Ex-Weltmeister - 1997 sicherte sich der 33-Jährige beim denkwürdigen Finale von Jerez den WM-Titel - so weit hinter den Erwartungen zurückbleibt und schon vor der Europasaison um sein Stammcockpit fürchten muss? Die Antwort gab Villeneuve am vergangenen Wochenende, als er im Interview mit 'F1Total.com' die modernen Elektroniksysteme für seine Krise verantwortlich machte.#w1#
Bahrain war für Villeneuve ein erster Schritt nach vorne
Frage: "Jacques, im Freien Training am Samstagmorgen in Bahrain warst du sehr nahe an deinem Teamkollegen dran. Fühlst du dich langsam wohler im Auto?"
Jacques Villeneuve: "Von der ersten Runde an konnte ich dieses Wochenende mit dem Team sehr gut an der Fahrzeugabstimmung arbeiten. Wir haben gute Fortschritte gemacht und ich entwickelte mehr Vertrauen und konnte aggressiver fahren. Ich finde, dass das Auto jetzt etwas einfacher zu fahren ist. Vor dem Qualifying war ich daher sehr zuversichtlich - vielleicht etwas zu zuversichtlich. Darum bin ich so weit von der Linie abgekommen, was viel Zeit gekostet hat."
Frage: "Du hast eine Menge Erfahrung, warst aber ein Jahr nicht in der Formel 1, während Felipe Massa das Team in- und auswendig kennt. Wer lernt im Moment bei Sauber von wem?"
Villeneuve: "Es geht bei mir ja nicht ums Lernen, sondern darum, dass ich mich ans Team gewöhnen muss. Wir haben viel Arbeit vor uns. Felipe hat einen sehr guten Saisonstart erwischt. Es ist komisch, denn bei den drei Rennen Ende letzten Jahres war es ziemlich einfach, mich auf das Team einzustellen. Die Arbeitsweise bei Renault ist eine britischere als bei Sauber - und das war ich nun einmal seit zehn Jahren gewöhnt. Daher dauert alles ein bisschen länger."
Neues Reglement kommt Villeneuve nicht entgegen
"Ein weiterer Grund ist, dass wir nicht viel testen. Wir müssen die ganze Arbeit an den Rennwochenenden erledigen, aber auf Grund der neuen Regeln fahren wir auch an den Rennwochenenden nur wenige Runden. Dadurch fällt es mir dieses Jahr schwerer, mich an alles zu gewöhnen. Aber sobald wir wieder in Europa sind und wir mehr testen können, wird es sicher besser laufen."
Frage: "Du hast kürzlich gesagt, dass du mit der Elektronik und mit den Bremsen noch nicht zurechtkommst. Kannst du darauf näher eingehen? Und ist es vielleicht auch eine Vertrauensfrage in Bezug auf das Auto?"
Villeneuve: "Nein, es ist keine Vertrauensfrage. Die heutigen Autos sind voll mit Elektronik, sind sehr komplex. Als Fahrer ist man sehr stark von der Elektronik abhängig und nicht mehr so sehr vom Fahren an sich. Man kann nicht einfach entscheiden, was das Auto machen soll, sondern man ist teilweise nur noch Passagier. Für mich ist es das erste Mal, dass ich so fahren muss."
"Ich habe Probleme damit, nicht die volle Kontrolle über das Auto zu haben, sondern der Elektronik etwas davon zu überlassen. Ich finde es schwierig, mich darauf einzustellen. Die Systeme sind so komplex, dass sogar die Ingenieure manchmal nicht verstehen, was gerade passiert. Wenn man also einfach ins Auto steigt und ein bisschen fährt, reicht das nicht aus, um das Potenzial maximal nutzen zu können. Felipe hat mit diesen Systemen vier Jahre Erfahrung und er weiß genau, wie er das anstellen muss. Das macht es für ihn einfacher."
"Die Renault-Systeme waren nicht so komplex"
Frage: "Fällt es dir jetzt bei Sauber schwerer, dich auf diese Systeme einzustellen, als vergangenes Jahr bei Renault?"
Villeneuve: "Ja. Letztes Jahr hatte ich keine Schwierigkeiten, denn die Renault-Systeme waren nicht so komplex. Damals war es ganz einfach, mich daran zu gewöhnen."
Frage: "Was habt ihr in der Pipeline, um die Situation vor den nächsten Rennen und vor allem vor deinem Heim-Grand-Prix in Montreal zu verbessern?"
Villeneuve: "Beim nächsten Test stehen hauptsächlich Reifen und die Aerodynamik auf dem Programm, aber hoffentlich bleibt auch Zeit, um an den Systemen und an der mechanischen Balance des Autos zu arbeiten. Ich finde, das ist auch sehr wichtig, und ich hoffe, dass wir dafür Zeit haben werden."
Frage: "Wie immer in der Formel 1 gehen Leistungsprobleme Hand in Hand mit Gerüchten. Liest du eigentlich noch Zeitung?"
Villeneuve: "Nicht oft."
"Man weiß immer, was die Leute schreiben"
Frage: "Kümmert es dich, was geschrieben wird?"
Villeneuve: "Man weiß immer, was die Leute schreiben, weil man in Interviews darauf angesprochen wird. Die Journalisten fragen mich immer wieder nach diesem und jenem Gerücht, daher hat man schon eine ungefähre Idee, was gerade in den Zeitungen steht."
Frage: "Hast du dich über deine aktuelle Situation in Bezug auf die Ablösegerüchte schon mit Peter Sauber unterhalten?"
Villeneuve: "Da gibt es nichts zu besprechen. Der Vertrag ist klar."
Frage: "Ist es für einen ausgewiesenen Grand-Prix-Sieger und Weltmeister nicht frustrierend, um zehnte Plätze kämpfen zu müssen?"
Villeneuve: "Natürlich ist das frustrierend, aber es ist sogar noch frustrierender, wenn man ein Auto hat, mit dem man endlich aggressiv fahren kann, und dann bleibt das Potenzial unausgeschöpft - wie in Bahrain. Im Qualifying habe ich zum Beispiel selbst einen Fahrfehler gemacht. Das ist am schwierigsten zu akzeptieren."
Frage: "Mit den Michelin-Reifen, dem Ferrari-Motor, dem neuen Windkanal, einem Weltmeister als Fahrer und den starken Resultaten der zweiten Saisonhälfte 2004 sollte Sauber eigentlich alles beisammen haben. Warum klappt es derzeit einfach nicht?"
Villeneuve: "Ich weiß es nicht. Wir haben einen Schritt zurück gemacht, während allen anderen Teams einer nach vorne gelungen ist. Das ist besorgniserregend. Aber es arbeiten alle sehr hart und sie versuchen, die Probleme genau zu verstehen. In Bahrain war das Auto etwas konkurrenzfähiger als während der ersten beiden Wochenenden. Wenn es so weitergeht, dann bewegen wir uns in die richtige Richtung."
Villeneuve hat die Lust am Rennfahren nicht verloren
Frage: "Als du vergangenes Jahr dein Comeback gegeben hast, war deine Motivation nicht zu übersehen. Wie lange siehst du dich noch in der Formel 1?"
Villeneuve: "Im Moment haben wir viel zu tun. Ich möchte einfach nur Fortschritte machen. Wenn wir weiterhin so arbeiten wie in Bahrain, mache ich mir keine Sorgen."
Frage: "Ist es angesichts all der Politik in der Formel 1 nicht verlockend, es sein zu lassen, eine Gitarre und ein Buch zu schnappen und abends in deinem Club in Montreal abzuhängen?"
Villeneuve: "Schon, aber das würde bedeuten, dass ich nicht mehr Rennfahren kann. Ich fahre lieber mit der ganzen Politik als überhaupt nicht."
Frage: "Vergangenes Jahr gab es für dich eine Chance, beim BMW WilliamsF1 Team unterzukommen. Warum hat das schlussendlich nicht geklappt?"
Villeneuve: "Das darfst du mich nicht fragen, sondern Frank (Williams; Anm. d. Red.) und Patrick (Head; Anm. d. Red.)! Ich habe keinen Schimmer. Auf einmal wurde der Kontakt abgebrochen. Die ersten Gespräche waren sehr positiv. Da hat es sich so angehört, als solle ich mich schon bereit machen, aber dann war plötzlich alles anders. Ich weiß nicht warum, mir hat bis heute niemand etwas gesagt."
In den 90ern fühlte sich Villeneuve in der Formel 1 am wohlsten
Frage: "Als nach deinem WM-Titel 1997 die Spurbreite der Autos verringert wurde, hast du gesagt, dass du vielleicht der letzte wahre Formel-1-Weltmeister bleiben könntest. Waren die Autos damals fahrerisch eine größere Herausforderung als heute?"
Villeneuve: "Ich habe es als Fahrer bevorzugt, ja, aber die Formel 1 ist Jahr für Jahr eine gigantische Herausforderung. Es ist jetzt eine andere Art der Befriedigung. Manche Fahrer mögen die Autos so, wie sie jetzt sind, manche Fahrer mögen die Autos der 70er und manche Fahrer mögen die Autos der 90er am liebsten. Das hängt vom Fahrstil ab und davon, was man am Fahren genießt."
Frage: "Was hat sich an den Aufgaben eines Fahrers verändert, seit du 1996 in der Formel 1 begonnen hast?"
Villeneuve: "Heute gibt es Unmengen an Elektronik, die Fahrfehler zum Teil kompensieren. Man fühlt sich wie ein Passagier. Irgendwann gelangt man an den Punkt, an dem man nicht einmal mehr das Setup selbst einstellt, weil einem Computer und Ingenieure sagen, was genau vor sich geht und was man braucht. Das Gefühl des Fahrers wird vernachlässigt. Das hat sich in den letzten Jahren stark verändert."
"Ich muss mich darauf einstellen, wie die Regeln nun einmal sind"
Frage: "Hast du das Gefühl, dass es dir im Vergleich zu anderen Fahrern besonders weh tut, dass du weniger Einfluss auf das Setup hast als früher?"
Villeneuve: "Ja. Ich hatte immer viel Spaß dabei, jenes kleine Detail zu finden, welches das Auto schneller macht, um aggressiver fahren zu können. Das ist jetzt vorbei. Es ist ein Nachteil für mich, aber die Situation in der Formel 1 ist für alle Fahrer gleich. Ich muss mich darauf einstellen, wie die Regeln nun einmal sind. Das ist alles."
Frage: "Wünschst du dir manchmal, in der Ära deines Vaters zu fahren, als es noch weniger Elektronik und weniger Politik in der Formel 1 gegeben hat?"
Villeneuve: "1996, 1997 und bis vor ein paar Jahren war die Elektronik noch nicht so ausgeprägt. Seit die Traktionskontrolle wieder erlaubt ist, spielt die Elektronik eine große Rolle. Davor waren die Autos noch sehr schwer zu bändigen und spaßig zu fahren."
Frage: "Im Moment wird ein Film über deinen Vater und dich geplant. Was hast du mit dem Projekt zu tun, wird der Film in die Kinos kommen und so weiter? Erzähle uns mehr darüber!"
Villeneuve: "Der Film wird in den Kinos laufen, ja. Es ist ein ernsthaftes Projekt. Meine Rolle dabei ist nur, ein Auge darauf zu werfen, wie alles gehandhabt wird. Ich bin Berater, damit die Leute hinter dem Projekt alles möglichst realistisch umsetzen können. Das ist alles."
Renault hat "die richtige Einstellung zum Siegen", sagt Villeneuve
Frage: "Du kennst Renault aus dem vergangenen Jahr sehr gut. Was ist ihr Erfolgsgeheimnis und siehst du sie dieses Jahr den WM-Titel gewinnen?"
Villeneuve: "Ich kenne sie schon seit vielen Jahren, denn als ich für WilliamsF1 gefahren bin, habe ich ja auch mit ihnen gearbeitet. So, wie sie arbeiten, haben sie die richtige Einstellung zum Siegen. Wenn man sich anschaut, wie sie die Saison begonnen haben, sind sie definitiv auf einem sehr guten Weg."
Frage: "Ist es für dich eine späte Genugtuung, dass dein letztjähriger Teamkollege bei Renault, Fernando Alonso, jetzt auch Giancarlo Fisichella alt aussehen lässt?"
Villeneuve: "Solche Vergleiche sind immer schwierig. Fernando ist schon ein paar Jahre im Team und das Auto wurde bestimmt um ihn herum entwickelt. Giancarlo wird wahrscheinlich ein paar Rennen benötigen, bis das Auto das macht, was er will. Das ist immer so, wenn man neu in ein Team kommt. Ich mag Giancarlo aber, daher ist es keine Genugtuung für mich, wenn es für ihn nicht läuft."
Frage: "Michael Schumacher und Ferrari stecken in der Krise. Gibt es zwischen ihm und dir nach der Kollision von Jerez 1997 noch Spannungen?"
Villeneuve: "Nein. 1997 ist lange her. Michael hat seither viele Weltmeisterschaften gewonnen. Das ist längst vergessen."

