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Vettel: Lennon, nicht McCartney

Warum die Frage nach dem Lieblings-Beatle für Sebastian Vettel eine Grundsatzfrage ist und wie er es schafft, in der Formel 1 authentisch zu bleiben

(Motorsport-Total.com) - "Wann wirst du endlich deppert?", wurde Sebastian Vettel einmal bei einem Interview gefragt. Kein Wunder, schließlich kann es einem schon ein wenig unheimlich werden, wie es der Heppenheimer trotz des enormen Erfolges schafft, seine Natürlichkeit zu bewahren. Dabei hatte Ex-McLaren-Teammanager Jo Ramirez bei einem Interview über Lewis Hamilton - 2007 noch Everybody's Darling - gemeint: "Die Formel 1 verändert jeden - mit alle dem Geld, den vielen Fans." Vettel scheint aber einen Weg gefunden zu haben, den Reizen der Formel 1 zu widerstehen.

Titel-Bild zur News: Sebastian Vettel

Sebastian Vettel hat den Blick für das Wesentliche nicht verloren

Viel ist über diesen Weg nicht bekannt, denn der frischgebackene Formel-1-Weltmeister lässt nur wenig über sein Privatleben an die Öffentlichkeit durchdringen. Ihm ist es unangenehm, wenn seine Eltern Interviews geben, er möchte als Sportler und nicht als Superstar wahrgenommen werden. Auch seine Freundin hält er konsequent im Hintergrund.

Kinder und Ordner zeigen den wahren Vettel

Doch hin und wieder blitzt dann doch der Mensch Sebastian Vettel durch - meist in unerwarteten Momenten. Wenn einem Ordner beim Grand Prix von Belgien das Funkgerät aus der Hand fällt und sich der Red-Bull-Pilot, der gerade am Weg zur Fahrerparade ist, ohne zu zögern bückt und es dem überraschten Mann in die Hand drückt. Oder wenn Kinder einer Schulklasse beim Pirelli-Test in Abu Dhabi in der Box stehen und den Weltmeister naiv fragen: "Was wünscht du dir vom Christkind? Du könntest dir doch jeden Tag eine neue Playstation kaufen."

Dann spricht plötzlich der wahre Vettel: "Für mich sind andere Dinge im Leben entscheidend. Meine Familie und Freunde sind wichtiger im Leben als Geld. Ich habe also keine materiellen Wünsche, sondern ich wünsche mir Dinge, die man mit keinem Geld der Welt kaufen kann: Harmonie und Gesundheit zum Beispiel."

"Meine Familie und Freunde sind wichtiger im Leben als Geld." Sebastian Vettel

Nur wenn es um Musik geht, dann bevorzugt der 23-Jährige Materielles. Und unterscheidet sich damit vom Großteil seiner Alterskollegen, die auf schnelllebige Partymusik im digitalen MP3-Format stehen. Auf die Frage, was er denn so höre, antwortet er kryptisch: "Meistens alte Musik."

Beatles-Vinyl als Erdung

In Second-Hand-Läden stöbert er gerne nach alten Beatles-Vinyl-Schallplatten - seine Lieblingsband. Wer selbst einen Plattenspieler sein Eigen nennen darf, der weiß: Für dieses Hobby muss man sich in Ruhe hinsetzen und Zeit nehmen, der Hörgenuss ist dafür umso größer. Das knisternde Vinyl hat einen eigenen Charme - es klingt authentisch, nicht so steril wie eine CD.

Und genau das ist es, was den Rennfahrer fasziniert: Authentizität. Deshalb ist auch John Lennon sein Lieblingsbeatle - und nicht Paul McCartney, wie er gegenüber 'Sport Bild' verrät: "McCartney war mehr der Beatle fürs Kommerzielle, die Hitfabrik. John Lennon aber hatte eine Botschaft. Er hat Millionen von Menschen beeinflusst. Auch heute noch." Sein Lieblingssong: Drive My Car - was sonst?

"McCartney war mehr der Beatle fürs Kommerzielle, die Hitfabrik. Lennon aber hatte eine Botschaft." Sebastian Vettel

Wenn er nicht gerade Schallplatten hört, dann gibt es für Vettel nach den stressigen Rennwochenenden noch andere Wege zur Erdung. Manchmal flüchtet er in die Berge - geht Wandern, um zu sich selbst zu finden: "Ich bin das ganze Jahr über unterwegs, habe sehr viel Hektik, sehr viel Stress, keine Zeit. Und dann komme ich in die Berge. Plötzlich herrscht komplette Ruhe - nur das Rauschen eines Bachs ist zu hören. Dort kann ich unbekümmert und frei sein."

Vettel: Privat ein anderer Mensch

All das sind Bausteine, um der Verführung der oft oberflächlichen Formel-1-Welt widerstehen können. Bausteine, die auf eine enorme Charakterstärke hindeuten. Da gehört es vielleicht auch dazu, weniger von sich Preis zu geben, auch wenn die Massenmedien nach jedem privaten Detail über den Formel-1-Piloten der Superlative lechzen.

"Ich versuche immer, ich selbst zu sein", sagt Vettel. "Im Cockpit und im Fahrerlager bin ich absoluter Profi, völlig auf den Erfolg konzentriert. In meiner Freizeit bin ich anders. Ich habe meine Familie und meine Freunde von früher. Das hilft, um mit beiden Beinen auf dem Boden zu bleiben, von dem man stammt." Vielleicht ist es gut so, dass wir über den privaten Sebastian Vettel nur wenig wissen.

"Ich versuche immer, ich selbst zu sein." Sebastian Vettel