Unter drei Sekunden: Die Wissenschaft der Boxenstopps

Reifen runter, Reifen drauf - und Abfahrt: Der Service in unter drei Sekunden ist zwar nicht neu, aber trotzdem eine gewaltige Herausforderung

(Motorsport-Total.com) - In Indien hatte die Boxencrew vergleichsweise wenig Arbeit zu verrichten. Eine Einstopp-Strategie ist in diesen Tagen schließlich zur Seltenheit geworden. Zwar fertigten sie ihre Fahrer schnell ab, doch in einem Sport, der von Schnelligkeit dominiert wird, ist dies eine der seltenen Ausnahmen, bei der Konstanz wichtiger ist, als die letzte Hundertstelsekunde zu finden. Und Boxenstopps konstant gut über die Bühne zu bringen, ist eine Sache von Teamwork, bei der es sich besonders lohnt, etwas immer und immer und immer wieder zu üben.

Titel-Bild zur News: Jenson Button

Teamwork: Jenson Button ist zum Service bei der McLaren-Mannschaft vorgefahren

"Falls es wie einstudiert aussieht, dann, weil es das ist", sagt Red-Bull-Teammanager Jonathan Wheatley, der im Training häufig die Stoppuhr hält. "Wir filmen jeden Boxenstopp selbst und versuchen, an so viele Aufnahmen wie möglich zu kommen. Nach dem Rennen sitzen wir als Gruppe zusammen und analysieren, was schief gelaufen ist, was gut funktioniert hat, und finden heraus, wie wir es beim nächsten Mal besser machen können."

"Ich denke, die Crew bekommt bei guten Boxenstopps eine Menge Stolz. Hierbei zeigt sich prima, wie das Team zum Gesamtergebnis beiträgt", meint Wheatley und merkt an: "Unsere Leistung bei den Boxenstopps war in den vergangenen drei oder vier Jahren sehr gut. Und nun setzen wir neue Standards in Sachen Konstanz."

Konstanz ist ein Wort, welches viel häufiger auftaucht als eine aufsehenerregende Zeit. "Denn die Herausforderung besteht in einer gesamten Saison und nicht bloß in einem einzigen Stopp", erklärt Wheatley. "Das ist etwas, was du sehr gut beherrschen musst, wenn du gewinnen willst."

In den vergangenen Jahren hat sich die Aufmerksamkeit der Medien auf Innovationen im Technikbereich konzentriert, die seit dem Tankverbot und den daraus resultierenden geringeren Standzeiten in der Boxengasse Einzug gehalten haben. Wheatley glaubt trotzdem, dass die Leistung der Menschen wichtiger ist als jene der technischen Ausrüstung, um den Unterschied zu machen.

"Wenn man sich die Ausrüstung und ihre Leistung anschaut, denke ich, dass wir bis jetzt alle wichtigen Schritte gemacht haben und nun im Bereich der abnehmenden Erträge sind. Ich weiß nicht, wie viel schneller ein Boxenstopp noch sein sollte. Ich denke, es ist extrem unwahrscheinlich, dass man einen Boxenstopp in einer Sekunde durchführen kann, aber ich vermute, dass eine Standzeit von rund zwei Sekunden in den nächsten Jahren zur Gewohnheit werden kann."

McLaren, Boxenstopp, Stopp

Übungssache: Boxenstopps werden immer und immer wieder aufs Neue trainiert Zoom

"Dies wird, wenn sie so wollen, der industrielle Standard. Und wenn man diesen Level einmal erreicht hat, wird es die Mühe nicht wert sein, noch mehr Zeit durch neues Equipment sparen zu wollen. Deswegen wird die menschliche Leistung auch weiterhin eine große Rolle dabei spielen und - meiner Meinung nach - sogar die größte", sagt der Teammanager von Red Bull.

"Mit dem Equipment, das wir vor drei Jahren verwendet haben, waren wir in der Lage, Boxenstopps im Training in weniger als zwei Sekunden durchzuführen. Wir konnten es aber nie im Rennen zeigen. Dies belegt sofort, dass es verschiedene Formen von Druck gibt: Im Rennen herrschen einfach andere Umstände. Und es geht nur darum, wie man damit umgeht."

"Wir haben einige Stopps unter extremen Druck durchgeführt, als wir um zwei WM-Titel gekämpft haben. Unsere Jungs hatten das Selbstvertrauen und das Talent, dies auch durchzuziehen. Ein Team aufzubauen, das auf diese Weise arbeiten kann, ist ein absolut faszinierender Prozess", meint Wheatley.

Boxenstopp

Ein McLaren kommt zum Service, ist drei Sekunden später schon wieder weg Zoom

Neu sind Boxenstopps in der Region von lediglich drei Sekunden aber keineswegs: Bereits 1993 benötigte das Benetton-Team für einen Stopp von Riccardo Patrese in Spa-Francorchamps nur 3,2 Sekunden. Da Nachtanken in der darauffolgenden Saison wieder erlaubt wurde, hielt dieser Rekord für die nächsten 17 Jahre.

In der Benetton-Crew befand sich damals auch ein Talent namens Jonathan Wheatley am Schlagschrauber vorn links, während ein ebenso junger Kenny Handkammer, nun Chefmechaniker bei Red Bull, den Frontheber bediente. Hätten sie es auch zwei Jahrzehnte später noch genauso gut drauf? Wheatley und Handkammer winken ab: Jetzt sei die junge Generation am Drücker.