• 25.06.2002 09:57

  • von Fabian Hust

Und im Rennen sehen doch wieder alle Rot!

In der großen F1Total.com-Analyse beleuchten wir den Großen Preis von Europa auf dem Nürburgring

(Motorsport-Total.com) - Die Formel 1 schreibt in diesem Jahr ihre eigenen Gesetze. Die Pole Position ist längst kein Sieggarant mehr. Einige Experten frotzeln gar, dass man das Qualifying ganz abschaffen könnte, schließlich gewinnt Ferrari auch dann, wenn die Roten nicht aus der ersten Startreihe losrauschen. Doch zum Glück gibt es das Abschlusstraining weiterhin, denn da kommt wenigstens in die rote Dominanz der diesjährigen Saison der eine oder andere Farbklecks hinzu?

Titel-Bild zur News: Ferrari

Im Rennen war Ferrari von Niemandem zu stoppen

Am liebsten würden die anderen Formel-1-Teams wohl schon jetzt die Saison für beendet erklären, die Ferrari-Ingenieure in Ketten legen und selbst versuchen, so schnell wie möglich den eklatanten Rückstand aufzuholen. Bei BMW hat man richtig erkannt, was man in dieser Saison noch erreichen kann: Ein paar Achtungserfolge. Es wäre für die Bayern schon eine große Genugtuung, am Ende der Saison vor McLaren-Mercedes zu stehen, doch die letzten Rennen haben gezeigt, dass aus den Silberpfeifen wieder Silberpfeile werden ? auch dieses Vorhaben ist also alles andere als gesichert.

Ferrari ? 102 WM-Punkte ? Platz 1
Wenn BMW-Williams sagt, dass man die beste Fahrerkombination habe, dann muss man langsam überlegen, ob diese Behauptung noch stimmt. Rubens Barrichello ist in einer bemerkenswerten Form, er lässt sich von Michael Schumacher nicht mehr so deutlich bügeln wie früher, auch wenn er im Gesamtbild immer noch ein paar Zehntelsekunden langsamer ist als der Weltmeister. Den Sieg auf dem Nürburgring hat der Brasilianer verdient. Heißer Latino in der kühlen Eifel ? das passte in diesem Jahr wieder hervorragend.

Michael Schumacher hat plötzlich seinen eigenen Teamkollegen als ärgsten Gegner. Daran muss sich der Deutsche wohl erst einmal gewöhnen, denn nun wacht nicht einmal mehr eine schützende Stallorder über ihn. Mit ein bisschen mehr Glück in der Phase des zweiten Boxenstopps hätte der Kerpener das Rennen gewinnen können. Mit 0,559 Sekunden Vorsprung war Schumacher in seiner schnellsten Rennrunde deutlich flotter unterwegs als sein Teamkollege. Aber was zählt ist die Leistung unter dem Strich. Und die war bei Rubens Barrichello an jenem Sonntag eben besser. Am Start war er besser und er leistete sich im Gegensatz zu "Schumi" keinen Fahrfehler.

Wie Ferrari mit den Gegnern spielen konnte war fast schon beängstigend. Die Tatsache, dass man die Reifen auf den F2002 maßanfertigen kann, ist ein riesiger Vorteil. Da schaut die französische Konkurrenz mit ihren zwei Top-Teams in die Röhre, die in dieser Saison dummerweise zwei verschiedene Reifentypen fordern. Hätte Ferrari das ganze Rennen über voll angegriffen, man hätte den nächsten Konkurrenten wohl überrundet.

Die Arbeit an der Box, die Strategie, alles war bei Ferrari wieder einmal perfekt. Dass beide Fahrer das Ziel sahen, passt in das Gesamtbild eines Teams, von dem man dachte, dass es seinen Höhepunkt schon erreicht hat, das aber alles daransetzt, in den kommenden Monaten und Jahren die Formel 1 noch deutlicher zu dominieren. Michael Schumacher stand in dieser Saison zum neunten Mal auf dem Treppchen. In neun Rennen holte der Kerpener 76 von möglichen 90 WM-Zählern. Da kann man zur Anhörung der FIA ganz entspannt gehen.

Kurzprognose
Es wird sicherlich das eine oder andere Rennen geben, in dem man der Konkurrenz von BMW-Williams und McLaren-Mercedes den Vortritt lassen muss. Wenn man aber weiterhin in einem solch atemberaubenden Tempo weiterentwickeln kann, so wird sich dies auf ein paar wenige Ausnahmen beschränken. Michael Schumacher wird vorzeitig Weltmeister und Ferrari sichert sich dank dem starken Rubens Barrichello den Konstrukteurstitel. Und Barrichello selbst besitzt beste Chancen auf den Vizetitel.

BMW-Williams ? 57 WM-Punkte ? Platz 2
Statt auf die Konkurrenz aufzuholen scheint BMW-Williams im Rennen derzeit auf Ferrari gewaltig an Boden zu verlieren. Der Unterschied zwischen der Qualifikation und dem Rennen gibt dem Team derzeit zu denken. Die Hinterreifen frisst das Auto auf wie Eis in der Sonne schmilzt. Nur auf die eine Runde im Qualifying ist das Auto derzeit ausreichend gut genug. Michelin scheint McLaren-Mercedes etwas entgegenzukommen und das scheint die Weiß-Blauen aus der Balance zu werfen. Man wird mit einer geänderten Hinterradaufhängung versuchen, die Reifen etwas schonender zu behandeln.

Ralf Schumacher verlor wegen seiner Reifenprobleme den sicher geglaubten dritten Platz und wurde Vierter. In seiner schnellsten Rennrunde fehlten dem Kerpener 1,630 Sekunden auf seinen Bruder ? das sind Welten und bei einer kompletten Renndistanz auf dem Papier eine Überrundung! Bei Teamkollege Juan-Pablo Montoya siegt der Gasfuß immer noch über die Vernunft, das hat ihn mindestens zwei WM-Punkte gekostet. Im Qualifying waren beide Fahrer ebenbürtig. Positiv ist hervorzuheben, dass das Team die Zuverlässigkeitsprobleme der letzten zwei Rennen auf dem Nürburgring im Griff hatte.

Kurzprognose
Bei Williams wird man sich in den kommenden Wochen auf das Reifenproblem konzentrieren und versuchen, über eine lange Distanz mit viel Sprit zur alten Stärke zurückzufinden. Der Kampf um den zweiten Platz in der WM-Wertung wird für das Team vielleicht enger, als man sich das erhofft hatte. Juan-Pablo Montoya ist der Fahrer, der fahrerisch auf dem Papier größere Chancen auf den Vizetitel hat, aber Ralf Schumacher macht viel durch seine Zurückhaltung wett.

McLaren-Mercedes ? 37 WM-Punkte ? Platz 3
Bei McLaren-Mercedes hat man in den letzten Wochen hart gearbeitet und wohl auch Druck auf Michelin ausgeübt, so dass die Franzosen sich nicht nur auf BMW-Williams konzentrieren sondern auch auf die Wünsche der Silbernen eingehen. Die Konsequenz ist eine in den letzten drei Rennen im Schnitt überlegene Vorstellung gegenüber den Weiß-Blauen.

Kimi Räikkönen konnte endlich das Pech abstreifen und als Dritter verdient auf das Podium fahren. In seiner schnellsten Rennrunde fehlten dem Finnen 0,933 Sekunden Rückstand auf Ferrari ? das bedeutet ebenfalls Rang 3. David Coulthard rasselte mit Juan-Pablo Montoya zusammen. Der Schotte müsste wissen, dass Montoya kein Fahrer ist, der das Gesamtbild sieht und ihn ziehen gelassen hätte. Aus diesem Grund war das Überholmanöver auf der Außenlinie zu riskant. Der Ausfall war somit vermeidbar gewesen.

Kurzprognose
McLaren-Mercedes ist zurzeit im Rennen teilweise ein wenig stärker als BMW-Williams, was auf die schonendere Behandlung der Reifen zurückzuführen ist. Die Stärke der Silbernen ist immer noch das späte Tanken, was einem großen Tank und einem guten Verbrauch des Motors zu verdanken ist ? das ermöglicht überlegene Strategien. Man ist immer noch die Nummer 3, aber man mausert sich langsam zur ebenbürtigen Nummer 2. Ob es vielleicht sogar zum zweiten Platz der Konstrukteure reicht, werden aber erst die nächsten Rennen zeigen.

Renault ? 14 WM-Punkte ? Platz 4
Was sich schon zu Saisonbeginn abgezeichnet hat wird immer deutlicher ? Renault scheint Sauber den Rang ablaufen zu können. Den von Teamchef Flavio Briatore erhofften Entwicklungssprung, der das Team auf das Niveau von McLaren-Mercedes bringt, konnte man bisher nicht vollführen. Renaults weitwinkliger Motor scheint noch nicht das Gelbe vom Ei zu sein. Die Aerodynamik zeigt noch Schwächen und die angeblich so gute Traktion bringt keinen ausreichend großen Vorteil, weil auf den folgenden Geraden der Top-Speed zu gering ist, um sich an die Konkurrenz heranzusaugen.

In seiner schnellsten Rennrunde fehlte Jenson Button 1,450 Sekunden auf Schumacher, Teamkollege Jarno Trulli 2,020 Sekunden, der an diesem Wochenende abgesehen vom Qualifying schwächer wirkte als der Brite. Für Button sprang der fünfte Platz heraus ? zwei weitere wichtige WM-Punkte für die Franzosen.

Kurzprognose
Der vierte WM-Platz ist für die Formel-1-Rückkehrer als realistisches Ziel einzuschätzen. Mit ein bisschen Glück ist noch der eine oder andere Podiumsplatz möglich. Zu mehr wird es allerdings in dieser Saison kaum reichen. Die Top-Teams scheinen ein etwas höheres Entwicklungstempo an den Tag legen zu können als man dies bei Renault tun kann.

Sauber ? 9 WM-Punkte ? Platz 5
Das Sauber-Team hat auf dem Nürburgring wieder eine bessere Vorstellung bieten können. Der technische Fauxpas mit den nicht funktionierenden Speedlimitern von Kanada war vergessen und Felipe Massa holte als Sechster den letzten WM-Zähler. Nick Heidfeld komplettierte das starke Ergebnis mit dem siebten Rang. Die Luft wird für die Schweizer allerdings immer dünner, denn mit dem aufstrebenden Renault-Team bleiben für das Team kaum mehr Punkteränge übrig.

Nick Heidfeld war in seiner schnellsten Rennrunde 1,998 Sekunden langsamer als Schumacher, was den sechsten Platz bedeutete. Teamkollege Felipe Massa war rund eine halbe Sekunde und sechs Plätze zurück. Diese halbe Sekunde war der Mönchengladbacher auch im Qualifying schneller gewesen, doch dank eines guten Starts hatte sein brasilianischer Teamkollege im Rennen das glücklichere Händchen.

Kurzprognose
Das Sauber-Team hält sich auf dem fünften Platz, immer noch ein respektables Ergebnis für das Team von Peter Sauber. Die einzige Chance auf eine höhere Punkteplatzierung als einen sechsten oder fünften Rang scheint das Team nur bei einer extremen Überlegenheit von Bridgestone zu haben ? also zum Beispiel im Regen.

Jordan-Honda ? 6 WM-Punkte ? Platz 6
Nach dem Zwei-Punkte-Hattrick von Giancarlo Fisichella war der gute Run für das Team von Eddie Jordan auf dem Nürburgring zu Ende ? ausgerechnet beim Heimrennen des Hauptsponsors. Giancarlo Fisichella feierte seinen 100. Grand Prix, wie man es besser nicht getan hätte ? er schoss Teamkollege Takuma Sato ab. Damit steht es seit Malaysia 1:1 zwischen den beiden. Während Sato weiterfahren konnte musste der Italiener sein Auto abstellen.

Schon im Qualifying stand der Japaner vor seinem Teamkollegen und zwar gleich um 0,6 Sekunden ? sehr ungewöhnlich. Mit zwei Runden Rückstand sah der Formel-1-Neuling die Zielflagge als 16. Mit 2,803 Sekunden Rückstand drehte Takuma Sato eine schnellste Rennrunde, die zu Platz 14 reichte. Das Rennen zerstörte sich Jordan-Honda einmal mehr ? da tröstet es kaum, dass wohl sowieso keine Punkte möglich gewesen.

Kurzprognose
Der Power-Schub durch Honda ist auf dem Papier da, aber er ist zu gering ausgefallen, um das Team nach vorne zu bringen. Die Probleme mit dem Auto hat man aber im Griff und so wird Giancarlo Fisichella noch den einen oder anderen WM-Punkt holen. Ob es aber reichen wird, das Sauber-Team abzufangen ist fraglich.

Jaguar ? 3 WM-Punkte ? Platz 7
Bei den Grünen lief es auf dem Nürburgring besser als erwartet ? sprich man musste nicht gegen Minardi um die rote Laterne kämpfen. Im Qualifying sprangen die Plätze 16 und 17 heraus, im Rennen für Pedro de la Rosa der zehnte Platz. Eddie Irvine wurde die Technik zum Verhängnis. Im Rennen war der Spanier mit 3,418 Sekunden Rückstand eine schnellste Rennrunde gefahren, die zu Platz 18 reichte ? dies zeigte wieder den eklatanten Rückstand auf.

Kurzprognose
Wie der "neue" Jaguar sein wird, den das Team beim kommenden Rennen erstmals einsetzen wird, weiß nicht einmal das Team selbst. Eine Prognose abzugeben ist aus diesem Grund schwierig möglich. Klar ist aber, dass dem Team der große Sprung nach vorne realistisch nicht zuzutrauen ist. Der Aufstieg ins Mittelfeld, wie es sich Teamchef Niki Lauda wünscht, wäre eine kleine Sensation.

Minardi-Asiatech ? 2 WM-Punkte ? Platz 8
Das Minardi-Team kämpft nicht nur um TV-Gelder sondern auch um den Verlust der für das Team guten WM-Platzierung. Alex Yoong gibt sich weiterhin als Bezahlfahrer. Der Malaysier war im Rennen mit 4,706 Sekunden Rückstand der Langsamste so wie im Qualifying auch. Teamkollege Mark Webber ist ein echter Lichtblick, im Rennen wie im Qualifying war er über eine Sekunde schneller.

Kurzprognose
Dem Minardi-Team fehlt das Geld, um mit dem Entwicklungstempo der Konkurrenz mithalten zu können. Es ist zu befürchten, dass Alex Yoong das eine oder andere Mal im Qualifying an der 107-Prozent-Hürde scheitern wird.

Toyota ? 2 WM-Punkte ? Platz 9
Bei Toyota wird man auf das nächste Jahr warten müssen, bis es vielleicht weiter voran geht. Es zeigt sich nun, dass man mit dem konservativen Auto keine Chance hat, weiter nach vorne zu kommen. Die größte Stärke des Autos ist sein sehr guter Top-Speed. Dafür mangelt es dem Auto an Abtrieb und das Überfahren der Randsteine bereitet dem TF102 Probleme. Auf dem Nürburgring kämpfte man zudem mit technischen Problemen. Salo hatte in seiner schnellsten Rennrunde 3,041 Sekunden Rückstand, das bedeutete Platz 15.

Kurzprognose
Es wird noch die eine oder andere Strecke geben, auf der Toyota gut aussehen kann. Ein Platz in den Punkten scheint im Moment bei normalem Rennverlauf unrealistisch zu sein.

Arrows ? 2 WM-Punkte ? Platz 10
Das Arrows-Team bekam auf dem Nürburgring erst im Rennen die Balance in den Griff. Mit 2,277 Sekunden Rückstand drehte Heinz-Harald Frentzen die achtschnellste Rennrunde. Erneute Probleme mit dem Tankschlauch ließen den Mönchengladbacher als 13. hinter seinem Teamkollegen ins Ziel kommen. Ansonsten war Frentzen einmal mehr der deutlich stärkere Fahrer.

Kurzprognose
Frentzen kann bei Arrows keine Wunder vollbringen, die gröbsten Schwächen des Autos scheint "HHF" dank seiner Erfahrung zusammen mit seinem Team ausgemerzt zu haben. Das fehlende Geld und die damit mangelnden Testfahrten helfen da nicht weiter. Es wird schwer sein, wieder in die Punkte zu fahren. Frentzen dürfte auf Regen hoffen, denn da hätte er echte Chancen, ein paar WM-Zähler einzufahren.

BAR-Honda ? 0 WM-Punkte ? Platz 11
Der neue BAR-Honda, den das Team auf dem Nürburgring zum zweiten Mal einsetzte, ist definitiv ein Schritt nach vorne, aber nur ein kleiner. Olivier Panis sah als Neunter die Zielflagge, Jacques Villeneuve als Zwölfter. Panis hatte in seiner schnellsten Rennrunde 2,383 Sekunden Rückstand, das bedeutete Platz 10. Villeneuve hatte als 13. rund 2,6 Sekunden Rückstand ? Panis hinterließ einmal mehr den stärkeren Eindruck.

Kurzprognose
Die Top-Teams sind mittlerweile zu konstant geworden, als dass man mit etwas Glück einen WM-Punkt holen kann. Man muss ihn sich erarbeiten. Es besteht trotz zweier Top-Fahrer und einem Werksmotorenpartner die Gefahr, dass man in diesem Jahr gar keinen WM-Punkt einfährt und das peinliche Schlusslicht bildet.