• 24.05.2007 21:57

Todt: "Wir alle vermissen das Überholen"

Ferraris Rennleiter über die sich wandelnden Regeln der Formel 1, die Drehbücher der Rennen und die Lehrzeit von Lewis Hamilton

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Jean, wie haben sich deiner Meinung nach die Regeländerung für die diesjährige Saison bewährt? Und was denkst du über die Vorschläge, die für 2011 gemacht wurden?"
Jean Todt: "Am Freitag ist es nun einfacher, das Auto zu testen, das Setup zu entwickeln und die Reifen zu verstehen. Das betrifft auch die Zuverlässigkeit der Motoren, denn wir begannen mit Motoren, die 400 Kilometer halten mussten, nun sind wir bei 1.000 Kilometern. Dass ein Motor zwei Rennen überdauern muss, ist ein Weg, die Kosten zu senken und geht in die richtige Richtung, die Kosten zu stabilisieren. Die Formel 1 wurde in den vergangenen Jahren sehr viel teurer, solche Dinge machen sie günstiger und stoppen die weitere Eskalation."

Titel-Bild zur News: Jean Todt (Teamchef)

Jean Todt sieht im Entwurf der Regeln für 2011 eine gute Grundlage

"Bei den Reifen haben die neuen Regeln negative und positive Effekte. Es stimmt, dass man weniger testen muss, weil alle die gleichen Reifen einsetzen. Aber man verliert den Bereich des technologischen Wettbewerbs, wenn man nur noch einen Reifenhersteller hat. Beim Testen haben die Teams zugestimmt, 30.000 Kilometer im Jahr zu fahren. Das ist akzeptabel. Aber man sollte nicht falsch darüber urteilen, denn von außen sieht es nur so aus, als wären die Kosten dadurch reduziert. Um weiter konkurrenzfähig zu sein, muss man in die Simulationsanlagen investieren. Da gibt es keine Begrenzung. Die Kosten dafür sind hoch und man kann keine jungen Fahrer testen lassen, sondern muss sich auf die Entwicklung des Autos konzentrieren. Hier würde ich bei einer Einschätzung vorsichtig sein."#w1#

Todt sieht gut Diskussionsgrundlage

Frage: "Glaubst du, dass die Formel 1 mit den Vorschlägen für einen 'grünen' Rennsport ab 2011 in die richtige Richtung geht?"
Todt: "Von jetzt bis 2011 gibt es drei Schritte: 2006 werden wir eine Standard-Elektronikeinheit verwenden, die von McLaren Electronics kommt, zudem gibt es ein Getriebe für die Grands Prix. Der zweite Schritt kommt 2009. Dann wird es für den Motor Energierückgewinnungssysteme geben und auch ein neues Aerodynamikpaket. Für 2011 haben wir den ersten Vorschlag für die kommenden Diskussionen zwischen den Herstellern und der FIA. Man muss dabei beachten, dass nun schon seit einiger Zeit erklärt wird, dass wir vier Dinge bei neuen Regeln beachten müssten."

"Die vier Punkte sind Kostensenkung, eine Verbesserung der Show, eine bessere Sicherheit und die Beziehung zur Technik von Straßenautos. Wir haben nun einen ersten Entwurf, den ich als Diskussionsgrundlage gut finde. Dabei geht es hauptsächlich um den Antrieb, Aerodynamik und Chassis werden weniger abgedeckt. Wir haben nun Ende Mai 2007, ich hoffe, dass es nun vorangeht und das wir Regeln entwerfen, die der Formel 1 entsprechen und diesen vier Grundprinzipien entsprechen."

Frage: "Wäre es bei den jetzigen Testregeln für ein Team von Vorteil, ein Kundenteam zu beliefern, weil man dann mehr Autos einsetzen kann?"
Todt: "Ja, natürlich. Wenn man acht Autos hat, von derselben Spezifikation, dann wird das helfen. Auf die Aerodynamik des Autos oder Chassis hat das vielleicht weniger Auswirkung. Wenn man Barcelona nimmt, dann testen wir dort vier Tage lang. Dann reisen wir zum Rennen und müssen das Setup wieder ändern. Danach beginnen wir am Samstag wieder neu und ändern das Setup der Autos. Es hängt von der Temperatur und vielen anderen Dingen ab. Wenn es aber um Dinge geht, die zuverlässig sein sollen, dann kann man diese besser testen. Also Motor, Getriebe, Elektronik. Das wäre auf jeden Fall ein Vorteil."

Frage: "In Zukunft sollen auch Nachtrennen in der Formel 1 möglich sein. Könnte deine Erfahrung aus Le Mans hier von Vorteil sein?"
Todt: "Solange die von mir vorhin erwähnten Bedingungen eingehalten werden, habe ich keine Probleme damit. Aber wenn es um die Formel 1 und Le Mans geht, so sehe ich da einen großen Unterschied. In Le Mans haben die Autos Lampen, in der Formel 1 würden die Strecken beleuchtet werden. Ich glaube nicht, dass das man das vergleichen kann."

"Jede Story ist großartig"

Frage: "Bis zu welchem Grad denkst du, müssen das Spektakel oder die TV-Übertragung verbessert werden? Denn manche Leute denken, dass das Spektakel gut genug ist, wenn wir es ordentlich darstellen können."
Todt: "Jeder Grand Prix ist anders und bietet viel Faszination. Einer der Gründe, warum es keinen guten Film über Rennsport gibt, ist, dass es niemand besser kann als bei einem Grand Prix. Jede Story ist großartig. Natürlich hängt es auch vom Regisseur ab, denn die ändern sich bei jedem Grand Prix. Aber natürlich vermissen wir alle das Überholen."

"Aber das lässt sich erklären. Wir kämpfen zwei Tage lang darum, dass das schnellste Auto vorn steht, also kann man nicht viele Überholvorgänge erwarten. Hinzu kommt noch, dass es in keiner Automobilsportklasse viele Überholmanöver gibt, abgesehen auf wirklich speziellen Kursen. Wenn man sich ein MotoGP-Rennen ansieht, dann gibt es da viele Überholmanöver, weil sie auf zwei Rädern fahren, aber auf vier Rädern, wenn es nur eine Linie gibt, bei kurzen Bremswegen, ist das fast unmöglich. Aber wir versuchen, Lösungen dafür zu finden, doch das ist sehr schwierig. Abgesehen davon ist die Formel 1 aber eine außerordentliche Show."

Frage: "Was denkst du über die Leistungen eines Lewis Hamilton?"
Todt: "Wenn ich es mit Humor sehe, dann würde ich sagen, dass er im Vorjahr eine gute Schule durchlaufen hat (Hamilton fuhr im GP2-Team von Todts Sohn Nicolas; Anm. d. Red.)! Ron (Dennis, McLaren-Mercedes-Teamchef; Anm. d. Red.) hat immer seine Freude daran, aber es ist ja auch Teil der Wahrheit. Er hatte eine sehr gute Saison im Vorjahr, er ist ein sehr fähiger und talentierter Fahrer. Ich muss sagen, dass er das Glück hat, eines der besten Autos zu fahren. Wir wissen, dass man im Rennsport das nötige Auto, das richtige Team und die besten Fahrer haben muss. Wenn nur eines dieser Dinge nicht da ist, funktioniert es nicht. Er hat ein gutes Auto, ein gutes Team und er ist ein großartiger Fahrer. Daher bin ich auch nicht sonderlich überrascht, aber ich habe großen Respekt vor diesem jungen Mann. Ich hoffe einfach, dass ihn die Formel 1 nicht zu schnell verdirbt."

Frage: "Was genau meinst du damit?"
Todt: "Die Formel 1 gehört zu jenen Sportarten, die die Medien auf sich lenken. Wenn man für eine lange Zeit an der Spitze sein möchte, egal in welcher Position, dann muss man mit beiden Füßen auf dem Boden bleiben und sich auf die wichtigen Dinge konzentrieren, anstatt auf Sachen, die einen nur ablenken können."