Todt: "Nichts ist besser geworden"
Ferrari-Teamchef Jean Todt im Interview über das Rennen am Nürburgring, die WM-Situation und das umstrittene Reifenreglement
(Motorsport-Total.com) - Frage: "Jean, ihr nehmt zehn Punkte vom Nürburgring mit. Ist das eine Verbesserung gegenüber den vergangenen Rennen?"
Jean Todt: "Eine Verbesserung? Nein, nichts ist besser geworden. Es ist erst dann besser, wenn ein Ferrari gewinnt und der zweite auf dem Podium steht. Das wäre besser. Leider haben wir noch immer das Problem mit den schlechten Startpositionen, wie schon seit Saisonbeginn. Dann sind die Rennen auch noch so chaotisch wie heute, denn nach dem Start war Rubens Neunter und Michael 14. oder 15. Danach war es ein schwieriges Rennen. Wir konnten uns natürlich noch nach vorne arbeiten, aber die eigentlichen Ziele waren nicht mehr erreichbar."

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Jean Todt weiß, dass der WM-Zug für Ferrari wohl schon abgefahren ist
Frage: "Der Zwischenfall in der ersten Kurve hat euch geschadet, nicht wahr?"
Todt: "Ja, sicher, aber die Resultate sind eine Tatsache und nicht begründbar durch einen Unfall oder irgendwelche anderen Umstände. Heute sind wir Dritter und Fünfter geworden, was bei weitem nicht unserer Erwartungshaltung entspricht."#w1#
Qualifying ist weiterhin Ferraris Hauptsorge
Frage: "Hätte Rubens Barrichello gewinnen können, wenn das Rennen ohne Zwischenfälle verlaufen wäre?"
Todt: "Das wäre sehr schwierig gewesen. Was wäre wenn? Ich sehe keinen Sinn darin, darüber zu spekulieren. Wir müssen analysieren, was passiert ist, und Tatsache ist, dass wir zu weit hinten gestartet sind, denn wenn wir weiter vorne gestanden wären, wären wir nie in den Startunfall verwickelt worden. Wenn wir einmal vorne stehen, werden die Rennen sicher anders verlaufen. Man kann das ja auch bei einigen unserer Konkurrenzteams betrachten, bei denen ein Auto vorne steht und eines in der Mitte. Das sind zwei völlig unterschiedliche Rennen. Daher müssen wir uns weiter vorne qualifizieren, aber genau das ist leider Gottes unser größtes Problem."
Frage: "Glaubst du, dass Michael Schumachers Strategie richtig war?"
Todt: "Der Sieger war auf derselben Strategie unterwegs. Es ist normalerweise riskanter, drei Stopps zu machen. Heute sind zum ersten Mal Fahrer mit einer Dreistoppstrategie ins Rennen gegangen, nämlich zwei. Bislang war das diese Saison noch nicht der Fall."
"Waren nicht schnell genug zum Überholen"
Frage: "Ist das Potenzial des Autos seit Monaco besser geworden?"
Todt: "Nein. In Monaco waren wir rein von der Performance her vielleicht sogar besser als hier am Nürburgring. In Monaco hatten wir damit zu kämpfen, dass wir zwar schneller waren, aber nicht überholen konnten. Hier ist Überholen möglich, aber wir waren nicht schnell genug zum Überholen."
Frage: "In zwei Wochen wird in Montreal gefahren, auf einer ganz anderen Rennstrecke. Seid ihr zuversichtlich?"
Todt: "Ich bin zuversichtlich, dass wir bald in den ersten zwei Startreihen stehen werden, und dann könnte es ganz anders laufen."
Frage: "Ist die Weltmeisterschaft nach diesem Rennen für Michael Schumacher schon gelaufen?"
Todt: "Wir sind jetzt natürlich keine Favoriten mehr, aber die Formel 1 ist ein Sport, in dem sich sehr schnell alles ändern kann. Heute haben wir ja noch in der letzten Runde einen Führungswechsel gesehen, daher muss man mit Vorhersagen sehr vorsichtig sein."
Frage: "Ihr testet diese Woche in Silverstone und Monza. Versprecht ihr euch davon Fortschritte?"
Todt: "Wir hoffen, die Situation zu verbessern, ja, und wir haben dafür viele neue Teile und Reifen. Unsere Tests sind wie immer sehr umfangreich, aber wir müssen jetzt langsam auch mal Resultate abliefern."
"Wir wollen nicht Zweiter sein, sondern Erster"
Frage: "Mit zehn Punkten ist Ferrari das zweiterfolgreichste Team des Nürburgring-Wochenendes, und ihr habt zum zweiten Mal hintereinander beide Autos in den Punkterängen. Bist du damit zufrieden?"
Todt: "Wir wollen nicht Zweiter sein, sondern Erster."
Frage: "War es richtig von McLaren-Mercedes, Kimi Räikkönen am Ende mit dem kaputten Reifen weiterfahren zu lassen?"
Todt: "Ich werde nicht über McLaren sprechen. Ich werde nie über andere Teams sprechen. Später vielleicht, wenn ich in Rente bin, aber nicht, solange ich meinen Gehaltsscheck von Ferrari bekomme."
Frage: "Hältst du das Reifenreglement angesichts des heutigen Unfalls für richtig?"
Todt: "Die Regel, dass man Qualifying und Rennen mit demselben Reifensatz bestreiten muss, ist natürlich ziemlich hart. Wir haben diese Regel ziemlich konservativ interpretiert, aber dafür bezahlen wir jetzt im Qualifying. In der Vergangenheit hatten wir es jedenfalls leichter. Bei Rennen wie in Le Mans halten die Reifen viel länger als in der Formel 1, aber in der Formel 1 ist man durch den Wettbewerb gezwungen, absolut ans Limit zu gehen. Das ist in Wahrheit das Problem."
Reifenreglement aus Sicht von Todt ein "heikles Thema"
Frage: "Ist es angesichts des neuen Reglements ein Problem, wenn sich ein Fahrer ein paar Mal verbremst?"
Todt: "Das kann sein, denn je schwieriger ein Auto zu fahren ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass man sich verbremst und sich einen Bremsplatten einhandelt. Früher wäre man an die Box gekommen, hätte den Reifen gewechselt und wäre weitergefahren. Das geht jetzt nicht mehr. Es ist so ähnlich wie bei einem Motorschaden, denn ein Motor muss auch zwei Rennwochenenden halten. Die Reifen sind aber noch komplizierter, ein sehr heikles Thema."
Frage: "In letzter Zeit hat es ziemlich viele Reifenschäden gegeben, nicht wahr?"
Todt: "Deswegen waren wir in diesem Rennen ja so konservativ mit den Reifen. Man muss sich entscheiden, ob man bei der Sicherheit einen Kompromiss eingehen will oder beim Speed, und uns ist die Sicherheit meistens wichtiger. Sagen wir so: Wir treffen immer eine Entscheidung, die der Sicherheit näher ist. Allerdings könnten wir beim nächsten Rennen auch betroffen sein, wer weiß, daher sollte man mit solchen Aussagen sehr vorsichtig sein."

