• 25.09.2003 15:25

Theissen: "Wir zaubern eine WM-Party aus dem Hut"

Der BMW-Motorsportdirektor im Interview zu den Vorbereitungen auf die beiden letzten Rennen, das Thema Teamorder und Ferrari

(Motorsport-Total.com/sid) - Frage: "Herr Theissen, nach dem Abschied Ihres Partners Gerhard Berger füllen Sie bei BMW die Rolle des Motorsportdirektors alleine aus. Hat Ihr Arbeitgeber schon den 48-Stunden-Tag für Sie erfunden?"
Mario b#Theissen:#b "Nein, davon bin ich noch ein ganzes Stück entfernt."

Titel-Bild zur News: Dr. Mario Theissen (BMW-Motorsportdirektor)

Theissen sieht BMW-Williams für den WM-Endspurt bestens vorbereitet

Frage: "Sie haben keine zusätzliche Arbeitsbelastung, obwohl die Stelle von Gerhard Berger komplett entfällt?"
Theissen: "Doch, ich habe schon eine größere Belastung. Allerdings vorwiegend am Wochenende, weil Gerhard bislang einen großen Teil der Pressearbeit übernommen hat. Alles andere ist auch ohne ihn gut zu bewältigen. Die Strukturen hatten wir ja schon vor Jahren gemeinsam eingerichtet. Der Bereich, den Gerhard betreut
hat, also Business Relations oder Sponsorship, der ist gut etabliert und funktioniert so reibungslos, dass ich nicht gleich meinen ganzen Tagesablauf ändern muss."

Frage: "In den WM-Endspurt gehen Sie in Indianapolis mit einem stärkeren Motor ..."
Theissen: "In unserem Motorenprogramm läuft während der Saison ein permanenter Entwicklungsprozess. Für den Titel-Endspurt in Indianapolis und Suzuka werden wir beim bewährten BMW P83 die letzten Reserven lockermachen."

Frage: "Mitte Mai haben Sie in Zeltweg gesagt: Die WM ist kein Thema mehr für uns. Dann hat BMW rasend schnell aufgeholt. Wie ist diese oft sehr sprunghafte Entwicklung zu erklären?"
Theissen: "Wenn man das sauber analysiert, bleiben nur Physik und Technik übrig, und da steckt meistens die Erklärung dahinter. In unserem Fall war es so, dass sich bereits in Imola abgezeichnet hat, dass das aktuelle Entwicklungsprogramm Früchte tragen würde. Da war allerdings auch noch ein Sprung in der Reifenentwicklung von Michelin nötig."

Theissen: Ferrari hat einen Fortschritt gemacht

Frage: "Und in Monza hatte BMW-Williams Schwierigkeiten?"
Theissen: "Da war Ferrari über die Renndistanz betrachtet fünf Sekunden vor uns. Es hätte genauso gut umgekehrt sein können. Beide Autos waren auf einem Niveau. Wäre der Überholvorgang von Juan in der ersten Runde gegen Michael Schumacher gelungen, dann hätte der Sieger währscheinlich Montoya geheißen."

Frage: "Aber wie kam es zu dem großen Sprung bei Ferrari vom überrundeten zum Sieger-Auto?"
Theissen: "Ferrari hat einen Fortschritt gemacht. Aber es war auch für uns vorher schon klar, dass das Handicap, mit dem Ferrari am meisten gekämpft hat, nämlich die Reifen, sich in Monza nicht auswirken würde."

Frage: "Gibt es in solchen Phasen Gedanken wie: Mist, vor drei Wochen haben wir Ferrari in Grund und Boden gefahren, jetzt sind die wieder knapp vor uns, haben wir etwas falsch gemacht oder eine Entwicklung verschlafen?"
Theissen: "Auch wenn wir nicht wissen, was dort konkret gelaufen ist, stellen wir natürlich schon fest: Jetzt müssen wir wieder nachlegen. Wenn der Gegner aufholt, dann ist das immer ein ganz guter Antrieb."

Technische Aufrüstung im Endkampf ist eine Gratwanderung

Frage: "BMW ist jetzt also zusätzlich motiviert?"
Theissen: "Sowas setzt schon Energien frei. Wenn man erkennt, der Gegner ist gleichwertig oder voraus, dann ist das der größte Ansporn überhaupt. So gesehen hat das Ergebnis von Monza dazu geführt, dass wir die Ärmel ein Stück höher gekrempelt haben."

Frage: "Werden Sie im WM-Endspurt nur Entwicklungen einsetzen, die hunderprozentig funktionieren?"
Theissen: "Man muss sich auf eine Gratwanderung einlassen. Da entscheidet sich dann, wie groß die Kompetenz eines Teams ist, wie genau es diesen Grat erkennen und bewerten kann: Was kann ich jetzt noch nachlegen, ohne das Ausfallrisiko einzugehen? Klar ist, dass beim aktuellen Punktestand ein Ausfall schlimmer wäre als ein zweiter Platz."

Frage: "Wird Ralf Schumacher in Indianapolis schon wieder hundertprozentig fit sein?"
Theissen: "Ich gehe davon aus. Ansonsten macht es keinen Sinn, sich ins Auto zu setzen."

Theissen zum Thema Teamorder: Theoretisch ist es denkbar...

Frage: "Es könnte ja sein, dass Ralf Schumacher in den beiden noch ausstehenden Rennen schneller ist als Montoya und einen Ihrer Fahrer so um den Fahrer-Titel bringt. Ist im Team schon mal über eine Stallregie nachgedacht worden?"
Theissen: "Darüber ist nicht gesprochen worden, das ist auch nicht der Ansatz des Teams. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass unsere beiden Fahrer in den vergangenen zwei Jahren jemals in einer Situation waren, wo wir steuernd eingreifen mussten. Theoretisch ist es denkbar, aber ich erwarte es nicht, und wir streben das auch von der Teamseite her nicht an. Teamorder ist ohnehin nicht erlaubt."

Frage: "Würden Sie erwarten, dass Ralf Schumacher im Fall der Fälle selbst handelt, sprich: Montoya überholen lässt, um BMW den Fahrer-Titel zu ermöglichen?"
Theissen: "Ich kann mir schon vorstellen, dass die eigene Position in der WM das Verhalten des Fahrers bestimmt. Bei Ralf Schumacher geht es darum, Punkte zu holen für das Team. Vielleicht geht es auch noch um einen Rennsieg, aber eben nicht mehr um den Titel. Bei Juan geht es um den WM-Titel und deshalb darum, vor
Michael Schumacher zu sein."

Frage: "Ist Ihnen der Konstrukteurs-Titel auch wichtiger als der Fahrer-Titel, wie das von Ihrem Partner Williams vertreten wird?"
Theissen: "Der Fahrertitel wäre nicht schlecht. Er ist der in der Öffentlichkeit bekanntere. Für BMW als Automobilhersteller ist der Konstrukteurstitel wichtiger, hier kann das Unternehmen seine eigentliche Kompetenz demonstrieren. Deshalb ist dieser Titel sehr hoch, für uns vielleicht sogar höher als der Fahrertitel anzusiedeln."

Theissen geht von Sieg-Chance in Indianapolis und Suzuka aus

Frage: "Mit zwei Siegen wäre Montoya Weltmeister. Ist ein solcher Ausgang realistisch?"
Theissen: "Ich gehe davon aus, dass wir in Indianapolis die Chance haben, zu gewinnen. In Suzuka sollten wir diese Chance auch haben, auch wenn die Strecke dort in der Vergangenheit eher ein Ferrari-Kurs war. Grundsätzlich ist die Möglichkeit gegeben, vorausgesetzt, es bleibt trocken."

Frage: "Gibt es schon Pläne für eine WM-Party?"
Theissen: "Natürlich nicht. Aber wenn wir Weltmeister werden, zaubern wir die an diesem Abend aus dem Hut."