• 03.06.2006 18:22

  • von Inga Stracke

Theissen: "Ein ganz spezieller Reiz"

Der BMW Motorsport Direktor im Interview über das BMW Engagement in der WTCC und den geplanten Formel-1-Test von Alessandro Zanardi

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Mario Theissen, von der Formel-1-Strecke in Monte Carlo nach Oschersleben. Das sind zwei Welten im Motorsport, wir sind hier bei der WTCC, der Tourenwagen-Weltmeisterschaft. Was ist das Flair hier?"
Mario Theissen: "Tourenwagensport ist natürlich ein ganz anderes Umfeld, eine ganz andere Stimmung und Faszination als die Formel 1. Tourenwagensport ist Motorsport zum Anfassen. Die Fans kommen ins Fahrerlager, sind bei den Teams, sind an den Autos, kennen die Fahrer. Beim Tourenwagensport sind die echten Motorsportfans zu finden. Das ist natürlich eine völlig andere Stimmung und eine andere Atmosphäre als bei der Formel 1."

Titel-Bild zur News: Mario Theissen

Mario Theissen in der Magdeburger Börde: warme Jacken waren nötig

Frage: "Das Formel-1-Engagement von BMW ist mit dem Zusammenschluss mit dem Sauber-Team natürlich sehr groß. Hat man da noch genug Zeit und Ressourcen für einen Einsatz in der Tourenwagen-WM?"
Theissen: "Ja, absolut. Wir haben das immer streng voneinander getrennt gehalten und diese beiden Programme laufen parallel. Der Tourenwagensport war immer eine Säule im Motorsportprogramm von BMW. BMW hat eine große Tradition im Tourenwagensport, wie wahrscheinlich kein anderer Hersteller auf der Welt. Das wird auch so bleiben. Wir engagieren uns hier in der Weltmeisterschaft mit dem neuen BMW 320si. Dieses Auto steht gleichzeitig Kundenteams weltweit zur Verfügung. Sie können es kaufen und in nationalen Serien einsetzen. Auf diese Weise erreichen wir mit dem Projekt WTCC unsere Tourenwagenkunden auf der ganzen Welt."#w1#

WTCC ist für BMW die erste Wahl

Frage: "Was ist für den Fan an der Rennstrecke geboten?"
Theissen: "Auf der Strecke spielt sich schon etwas anderes ab als im Formel-Sport, speziell der Formel 1. Hier wird auf Gehör gefahren oder auf Tuchfühlung, Anlehnen beim Gegner ist an der Tagesordnung. Es wird ganz hart gekämpft, harte Zweikämpfe. Es ist einfach ein völlig anderer Eindruck. Es fahren meistens zwei Autos nebeneinander her. Es hat einen ganz speziellen Reiz."

Frage: "Es gibt natürlich auch die andere Tourenwagenserie, das müssen wir ansprechen, die DTM. Warum ist BMW in der Tourenwagen-WM und nicht in der DTM als deutsche Serie?"
Theissen: "Den wesentlichen Grund habe ich vorhin schon angesprochen. Wenn wir ein Rennauto bauen, dann geht es uns darum, dass dieses Auto auf der ganzen Welt eingesetzt werden kann. Denn wir haben extrem viele Kunden und Privatteams, die mit BMW Autos Rennen fahren. Und die weitest verbreitete Kategorie weltweit ist nun einmal die Super-2000. Das ist das Reglement, nach dem die Weltmeisterschaft ausgetragen wird, nach dem der neue BMW 320si aufgebaut wird, ebenso wie sein Vorgänger, von dem wir über 100 Stück verkauft haben. Diese Autos werden in den nächsten zehn Jahren auf den Rennstrecken in der ganzen Welt zu sehen sein. Das geht eben nur in dieser Kategorie. DTM-Autos sind tolle Rennfahrzeuge, können aber nur in der DTM eingesetzt werden."

Frage: "Und es gibt hier eine größere Herstellervielfalt. Ist das auch attraktiv für einen Hersteller?"
Theissen: "Ja, das ist mittlerweile so gekommen. Wir haben jetzt sechs oder sieben Hersteller in der Weltmeisterschaft. Natürlich ist das für uns auch ein wesentliches Element."

Frage: "Technologietransfer wird bei BMW auch groß geschrieben, das kennen wir auch aus dem Bereich Formel 1. Ist das hier noch direkter, weil die Autos seriennaher sind?"
Theissen: "Ja, ganz klar ist der hier direkter. Es ist ein Transfer in zwei Richtungen. Zunächst einmal ist das Serienauto da. Das ist im Tourenwagensport einfach die Grundlage des Reglements. Dieses Serienauto darf in gewisser Weise modifiziert werden. Wir haben jetzt den BMW 320si gerade auf den Markt gebracht. Und die Entwicklung von Straßenfahrzeug und Rennauto ist praktisch synchron verlaufen, parallel zum gleichen Zeitpunkt. Wir haben jede Menge gegenseitige Befruchtung gehabt und das sieht man dem Serienauto auch an."

BMW arbeitet an einem Formel-1-Test für Zanardi

Frage: "Blicken wir auf einen anderen Technologietransfer: Die Tourenwagen-WM fährt auf drei gleichen Strecken wie die Formel 1. Kann man etwas herausziehen, wenn man mit dem einen Auto die Strecke schon befahren hat?"
Theissen: "Kurze Antwort: nein. Die Autos sind so verschieden, die Fahrbedingungen sind so verschieden, da kann man nichts übertragen."

Frage: "Einer, der uns aus der Formel 1 bekannt ist, fährt hier mit: Alessandro Zanardi. Das Auto wurde speziell für ihn gebaut, auch mit Handgas, bremsen muss er aber mit den Füßen."
Theissen: "Das ist richtig. Das Handgas ist das Besondere bei ihm, er hat einen Ring unterhalb des Lenkrads, den er zieht und damit Gas gibt. Das Erstaunliche ist, dass er mit den Füßen, sprich mit den Beinprothesen, bremst; mittlerweile so hart wie die härtesten Gegner. Für mich ist das phänomenal, was der Alex hier leistet, sowohl von der physischen als auch von der mentalen Leistung her, denn er fährt hier praktisch auf dem Niveau der Spitzenfahrer."

Frage: "Es war aber sicher eine große Herausforderung, das Auto so zu bauen."
Theissen: "Es war eine technische Herausforderung, für uns nicht wirklich ein Problem, aber eine interessante Aufgabe. Die wahre Herausforderung liegt hier beim Alex, dass er mit dieser Behinderung ganz vorne mitfährt und hier im letzten Jahr sogar das Rennen gewonnen hat."

Frage: "Er soll demnächst bei BMW einen Formel-1-Test bekommen. Ist das richtig?"
Theissen: "Ja, wir haben schon öfter mit ihm darüber gesprochen. Ihn interessiert das, er möchte keinen regulären Test fahren, sondern noch einmal in einem modernen Formel-1-Auto sitzen und sehen, wie sich das anfühlt, wie der Vergleich zu früher ist. Das ist immerhin auch acht Jahre her, dass er in einem Formel-1-Auto saß. Wir überlegen gerade gemeinsam, wie wir das hinkriegen."