• 11.09.2005 21:38

Theissen: "Die Entscheidung am Ende war richtig"

Der BMW Motorsport Direktor im Interview über die Lotterie von Belgien, die Kollision Pizzonia/Montoya und den Entwicklungsstopp vor Brasilien

(Motorsport-Total.com) - Das BMW WilliamsF1 Team konnte heute beim Grand Prix von Belgien den zuletzt in Monza gezeigten Aufwärtstrend bestätigen. Mark Webber und Antonio Pizzonia wechselten kurz vor Schluss auf Trockenreifen und stürmten damit rasend schnell nach vorne, ehe Pizzonia in Juan-Pablo Montoyas Heck landete. Webber verbesserte sich dafür in den letzten Runden noch auf den starken vierten Platz. Ein halbwegs zufriedener BMW Motorsport Direktor Mario Theissen analysierte nach der Wetterlotterie von Spa-Francorchamps im Interview die Ereignisse des heutigen Tages.

Titel-Bild zur News: Mario Theissen

Mario Theissen ist mit seinen Gedanken schon eher in der kommenden Saison

Frage: "Herr Theissen, in diesem verrückten Rennen hat es Punkte für Ihr Team gegeben. Zufrieden?"
Mario Theissen: "Es war wirklich ein mehr als ereignisreiches Rennen! Das Rennen wurde - wie schon das ganze Wochenende - durch das Wetter geprägt. Kritisch war insbesondere die Frage: Wann kann man von Intermediates auf Slicks wechseln? Praktisch jeder Fahrer hat das während des Rennens mal probiert. Funktioniert hat es erst fünf oder sechs Runden vor Schluss. Die entscheidende Frage war: Wer erwischt diesen Zeitpunkt genau? Deswegen war die Rennstrategie heute wirklich ausschlaggebend."#w1#

Nach mäßigem Qualifying fünf Punkte für das BMW WilliamsF1 Team

"Bei Mark ist es gut gelaufen, er ist von Platz neun auf vier vorgefahren. Das war ein sehr erfreuliches Ergebnis. Antonio ist in einen der vielen Unfälle verwickelt worden. Ich weiß noch gar nicht, was passiert ist, aber dadurch gab es keine Punkte für ihn. In Summe gab es also fünf Punkte, was von den Startplätzen aus in Ordnung ist. Es war einfach eine Lotterie, in der sich zumindest Mark sehr gut geschlagen hat."

Frage: "Wer hat entschieden, wann wie gewechselt wird - die Fahrer oder das Team?"
Theissen: "Es gab eine ständige Kommunikation zwischen den Renningenieuren, der Boxenmauer und den Fahrern. Natürlich haben wir auch die Konkurrenz beobachtet, bei der der frühzeitige Wechsel auf Slicks immer wieder schief gegangen ist und sie gleich wieder reinkommen mussten. Es ist natürlich sehr dankbar, wenn zwei Runden vor dem eigenen Stopp jemand auf Slicks wechselt, denn dann kann man sofort an den Rundenzeiten ablesen, ob es geht oder nicht. Das war heute der Fall. Auf der Basis ist die Entscheidung praktisch Runde für Runde getroffen worden."

Theissen steht voll hinter dem Reifenwechsel am Ende

"Bei uns war die Entscheidung am Ende ganz richtig. Man hat es beim ersten Stopp zu früh schon einmal versucht, als auch andere Fahrer das während der Safety-Car-Phase einmal probiert haben, aber da war es gar nichts, doch zum Schluss hat es genau gepasst. Da hat sich Mark seine vierte Position geholt."

Frage: "Was ist denn nach diesem verrückten Rennen bei Ihnen hängen geblieben?"
Theissen: "Es war von der ersten bis zur letzten Runde spannend, sicher auch für die Zuschauer. Die Rennstrategen hatten wirklich Hochbetrieb.

Frage: "Es heißt, dass Antonio Pizzonia Juan-Pablo Montoya hinten draufgerutscht ist. Er hat sich damit bei den silbernen Kollegen nicht gerade beliebt gemacht..."
Theissen: "Ich habe wie gesagt mit Antonio noch nicht sprechen können, und ausgerechnet zu diesem Unfall war im Fernsehen nichts zu sehen. Daher kann ich dazu gar nichts sagen."

Frage: "Antonio Pizzonia hatte schon Trockenreifen drauf und war eigener Aussage nach vier Sekunden schneller als Juan-Pablo Montoya..."
Theissen: "Wie gesagt, ich habe es noch nicht gesehen. Klar ist, dass Antonio von hinten gekommen ist, klar ist auch, dass er erheblich schneller war - das war die Aussage beider Fahrer. Er ist wohl davon ausgegangen, dass ihn Juan-Pablo gesehen und bewusst die Linie geöffnet hat, während Juan-Pablo dann wieder auf die Rennlinie zurückgekommen ist. Dann hat es halt gekracht."

Pizzonia vs. Montoya: Theissen sieht keinen Schuldigen

"Juan-Pablo war eine Runde vorne und hatte keinen Grund, Antonio hinter sich zu halten. Er hätte ihn sicher fahren lassen. Wahrscheinlich hat Juan-Pablo früher gebremst, was er mit seinen Reifen sicher musste, und dadurch kam es eben zur Kollision. Von daher ist das ein Versehen. Natürlich ist es unterm Strich ein Fehler, denn sonst hätte es nicht gekracht, aber es war sicher keine Absicht. Das Bemerkenswerte für mich ist, dass keiner dem anderen Fahrer die Schuld gibt, was normalerweise nie so ist."

Frage: "Ron Dennis hat gesagt, dass er nicht verstehen kann, dass vier Runden vor Schluss noch einmal die Reifen gewechselt wurden bei Ihrem Team. Er sieht darin einen Auslöser für diesen Zwischenfall."
Theissen: "Es war unverkennbar, dass im Gegensatz zu manchen anderen unsere Autos im letzten Stint mit den Intermediates überhaupt nicht mehr funktionierten. Beide Fahrer verloren fünf bis sechs Sekunden pro Runde. Die Entscheidung war genau richtig. Sie hat Mark wieder nach vorne gebracht, denn er hatte schon einen Platz verloren. Er ist ja dann auch unmittelbar mit den Slicks die schnellste Runde des Rennens gefahren."

Theissen weist Kritik von McLaren-Mercedes zurück

"Es war die richtige Entscheidung zum richtigen Zeitpunkt." Mario Theissen

Frage: "Sie weisen also die Kritik, dass die Kollision etwas mit der Reifenwahl zu tun hatte, zurück?"
Theissen: "Man muss sich einfach die Rundenzeiten anschauen. Es war so, dass die schnellen Autos zu dem Zeitpunkt 1:56 fuhren, unsere Fahrer aber nur 2:02 oder 2:04. Wenn sie auf den Reifen geblieben wären, hätten sie noch mehr Plätze verloren, so haben sie aber welche zurückgewonnen. Es war die richtige Entscheidung zum richtigen Zeitpunkt."

Frage: "Die Motorenleistung hat gestimmt?"
Theissen: "Die hat gestimmt, ja. Das war heute aber nicht das ausschlaggebende Element. Es ging wirklich darum, in dem Wetter- und Strategiespiel die Übersicht zu bewahren."

Frage: "Aus deutscher Sicht haben wir heute Nick Heidfeld vermisst..."
Theissen: "Ja, ich habe ihn auch vermisst. Ich hätte ihn vor allen Dingen gerne im Regen gesehen, denn da ist er traditionell sehr stark, gerade auf dieser Strecke. Das Team hat aber schon Anfang der Woche entschieden, dass Antonio fährt - auch um Antonio die Ruhe zu geben, sich darauf einstellen und vorbereiten zu können, nicht wie vor einer Woche, als er erst am Samstagmorgen ins Auto gesprungen ist."

Kein teaminternes Komplott gegen Nick Heidfeld

Frage: "Ist das eine Ausbootung von Nick Heidfeld, wie viele im Fahrerlager vermuten?"
Theissen: "Nein, sicher nicht. Das Team setzt schon auf ihn, aber es war einfach das Risiko zu groß, dass er am Donnerstag oder Freitag beim medizinischen Check kein Okay kriegt und dann eben wieder hektisch auf Antonio umgerüstet werden muss."

Frage: "Belgien war übrigens das letzte Europarennen, also auch das letzte Rennen mit Ihrem Motorhome. Was passiert denn damit jetzt? Wird das in der Mitte durchgesägt und zwischen Ihnen und Frank Williams aufgeteilt?"
Theissen: "Durchsägen werden wir es sicher nicht! Es wird sich sicher eine gute Verwendung für dieses Motorhome finden. Es sind nach wie vor zehn Teams da, die ihren Bedarf haben. Das Motorhome könnte also auch in andere Hände übergehen."

Frage: "Wird bis Brasilien viel passieren, was die Entwicklungsseite angeht?"
Theissen: "Es wird nicht mehr allzu viel passieren. Wir haben in Brasilien noch einmal frische Motoren drin. Ansonsten muss man sagen, dass das Gepäck jetzt auf die Überseereise geht - und da ist es naturgemäß nur noch bedingt möglich, das Auto weiterzuentwickeln. Es ist traditionell so, dass in den letzten drei Überseerennen keine großen Schritte mehr gemacht werden. Man bereitet sich jetzt schon auf die neue Saison vor, was die Entwicklungszeit angeht."