• 04.04.2009 20:45

  • von Fabian Hust & Dieter Rencken

Theissen: "Das ist zu viel auf dem Teller"

Der BMW Motorsport Direktor unter anderem über den Protest gegen den Doppeldecker-Diffusor, KERS und das neue Kräfteverhältnis in der Formel 1

(Motorsport-Total.com) - Von dem Ziel, in dieser Saison um die Weltmeisterschaft zu fahren, ist das BMW Sauber F1 Team derzeit weit entfernt. Aber auch Ferrari und McLaren-Mercedes, die man unter normalen Umständen zu den Hauptgegnern im Kampf um den Titel gezählt hätte, befinden sich derzeit in einer ähnlichen Situation.

Titel-Bild zur News: Mario Theissen

Zu viel auf dem Tisch: Das bekommt dem empfindlichen Fan-Magen nicht

BMW Motorsport Direktor Mario Theissen schreibt einen Teil des Rückstandes auf die Konkurrenz der Tatsache zu, dass man im Gegensatz zu Brawn, Toyota und Williams auf den Einsatz eines Doppeldecker-Diffusors verzichtet, der nach Ansicht des Teams nicht dem Geiste des Reglements entspricht.#w1#

Deswegen hat der Rennstall nach dem Qualifying zum Großen Preis von Malaysia als vierter Rennstall Protest bei der Rennleitung eingelegt. Vorausgegangen waren Proteste dreier Teams beim ersten Saisonrennen in Malaysia.

"Jene drei, die in Melbourne protestiert haben, haben diesen Protest schriftlich unterstützt." Mario Theissen

"Ob bei einem Rennen drei oder vier protestieren, macht am Ende keinen Unterschied aus. Es war hier nur aus prozessualen Gründen wichtig, dass jemand protestiert, um sicherzustellen, dass dieses Rennen vor dem Berufungsgericht genauso behandelt wird wie das Rennen in Melbourne", erklärt der Deutsche. "Wir waren schon in Melbourne bereit dazu, deswegen haben wir jetzt diese Rolle übernommen. Und jene drei, die in Melbourne protestiert haben, haben diesen Protest schriftlich unterstützt."

Nach Meinung des Teams bringt der Doppeldecker-Diffusor rund eine halbe Sekunde pro Runde, wird er verboten, hätte man nur noch drei Zehntelsekunden Rückstand auf die Konkurrenz: "Zufrieden sind wir aber natürlich erst, wenn wir vorne stehen. Aber es wäre auf jeden Fall schon einmal ein völlig anderes Bild. Wir würden uns in einer guten Position befinden."

Melbourne, Albert Park Melbourne

Auch BMW Sauber F1 entwickelt einen Doppeldecker-Diffusor Zoom

Den Vorwurf der betreffenden drei Teams, die Konkurrenz hätte ja selbst auf die Idee kommen können, eine solche Lösung einzusetzen, kann Theissen nicht auf sich sitzen lassen: "Das ist nicht eine Frage der Idee, sie lag mehrere Male auf dem Tisch und ist auch von der Technischen Arbeitsgruppe diskutiert worden. Und wegen dieser Diskussionen gehen wir eben davon aus, dass das nicht grau ist, sondern außerhalb des Reglements."

Unabhängig davon, ob es in Zukunft weiterhin erlaubt sein wird, einen Doppeldecker-Diffusor einzusetzen oder nicht, hat man in Hinwil bereits mit der Arbeit angefangen: "Wir haben selbst damit begonnen, so etwas zu entwickeln, auch wenn wir nach wie vor nicht glauben, dass es dem Geiste des Reglements entspricht. Das kostet eine Menge Geld, diesen Pfad möchten wir nicht einschlagen, aber wir haben keine Wahl. Wir müssen es für den Fall entwickeln, dass es verwendet werden darf."

"Ich würde nicht meine Hand ins Feuer legen, dass wir die Lösung bis Barcelona haben." Mario Theissen

"Eine vernünftige Gesamtlösung geht sicherlich nicht schnell. Ich würde nicht meine Hand ins Feuer legen, dass wir die Lösung bis Barcelona haben. Um ehrlich zu sein, weiß ich auch nicht, wo wir diesbezüglich gerade stehen. Es geht ja auch um wesentlich mehr als nur um die Entwicklung eines Diffusors. Das beeinflusst das komplette Aerodynamik-Konzept. Das erfordert eine Menge Entwicklungsarbeit, und im Moment kann ich nicht sagen, wann wir eine Lösung fertig hätten, die besser ist als die jetzige."

Interessant ist, dass Red Bull Racing konkurrenzfähig zu sein scheint - und das ohne den berüchtigten Doppeldecker-Diffusor: "Das haben sie in Melbourne auch gezeigt. Wir müssen uns jetzt die Menge an Benzin anschauen um zu sehen, was die einzelnen Zeiten wert sind. Es ist ein ganz dominanter Effekt, den wir in Melbourne gesehen haben, aber hier noch mehr."

¿pbvin|512|1427|Malaysia|0pb¿"Zwischen dem Ersten und dem Letzten waren 1,4 Sekunden", rechnet der 56-Jährige vor. "Vor Jahren hatten wir fünf Sekunden dazwischen. Wir hatten auch einmal geregelt, dass man oberhalb von sieben Prozent ausgeschlossen wird. Auf dieser Strecke wären sieben Prozent sieben Sekunden und es hat tatsächlich Teams gegeben, die das nicht gepackt haben. Daran sieht man, wie extrem das Feld zusammengerückt ist."

"Lediglich die beiden Red Bull stehen vor Robert Kubica, die einen konventionellen Diffusor haben. Das sagt eigentlich alles." Mario Theissen

"Bei 1,4 Sekunden zwischen 20 Autos entscheidet die Tagesform, und der kleinste Fehler sowohl beim Setup als auch beim Fahrer, ob man vorne oder hinten steht. Deswegen sollte man mit der Interpretation etwas vorsichtig sein. Lediglich die beiden Red Bull stehen vor Robert Kubica, die einen konventionellen Diffusor haben. Das sagt eigentlich alles."

Interessant ist zudem, dass KERS-Autos derzeit nicht ganz vorn mitfahren: "Dies zeigt, dass KERS immer noch einen kleineren Einfluss hat als die Aerodynamik und die Reifen. Es ist trotzdem so, dass KERS etwas bringt, speziell auf dieser Strecke. Man muss sich nur einmal die erste Sektor-Zeit jener Autos mit KERS ansehen und sie vergleichen mit jenen Autos ohne KERS. Und wenn man sich die Geschwindigkeit auf der Start- und Ziel-Gerade anschaut, dann sieht man einen Unterschied von 8 km/h."

Sebastian Vettel, Jerez, Circuit de Jerez

KERS bietet laut Mario Theissen klare Vorteile Zoom

"Selbst wenn KERS auf die Runde gesehen neutral wäre, was nicht der Fall ist, hätte man immer noch den strategischen Vorteil, auf der Gerade schnell zu sein oder seine Position mit einem schwachen Auto zu verteidigen. Das ist im Rennen signifikant. Aber es ist völlig richtig, der Einfluss von KERS liegt im Bereich von drei Zehntelsekunden und der Einfluss einer schlechten Aerodynamik oder des falschen Reifens liegt bei einer halben bis einer ganzen Sekunde."

Im BMW Sauber F1 Team überlegte man, Nick Heidfeld in Malaysia ohne KERS ins Rennen zu schicken: "Wir haben gestern einen Vergleich durchgeführt. Nick fuhr am Morgen mit und am Nachmittag ohne. Wir haben das getan, weil wir einen direkten Vergleich haben wollten und probieren wollten, ob wir dies in der Pause von zwei Einheiten wirklich machen können, sprich es komplett aus dem Auto zu entfernen."

"Am Ende des Tages sagte Nick auf Basis der Daten, dass das Auto mit KERS schneller ist. Bis zum drittem Qualifying-Durchgang war Nick schnell, dann kam er jedoch auf seiner Runde aus der Box in Verkehr, was ihn davon abhielt, die Reifen vorzubereiten. Auf der ersten Hälfte der Runde war er aus diesem Grund nicht mit dem notwendigen Tempo unterwegs."

"Ich denke, dass er im Verlauf der Saison KERS braucht, um vorne mitfahren zu können." Mario Theissen

Auch Robert Kubica soll möglichst schnell mit dem System zur Energierückgewinnung fahren können: "Es ist unser Ziel, das Auto mit KERS für ihn vorzubereiten. Dies beinhaltet sowohl Entwicklungsarbeit an KERS als auch am Auto. Das Problem ist sein Gewicht und der daraus resultierende Mangel an Ballast, um das Auto auszubalancieren. Es ist nicht das KERS, das Probleme verursacht. Ich denke, dass er im Verlauf der Saison KERS braucht, um vorne mitfahren zu können."

Wie sich die weitere Saison entwickelt, wagt Mario Theissen nicht zu prognostizieren: "Man kann keine Prognosen für die Saison abgeben, das geht derzeit überhaupt nicht. Das Bild kann sich jederzeit völlig ändern, es geht viel zu knapp zu."

Und was sagt er zur aktuellen Situation im Formel-1-Feld? "Es ist gut, frische Teams und frische Fahrer vorne zu haben. Es ist gut, manchmal ein anderes Bild vorzufinden. Ein Formel-1-Auto ist das komplexeste Sport-Werkzeug, das man sich vorstellen kann. Es lässt sich also nicht vermeiden, dass es Grauzonen gibt. Sie können ein solch komplexes Werkzeug nicht in Worte fassen. Aber wenn so etwas auftritt wie jetzt, dann muss man schnell reagieren und es unter Kontrolle bekommen."


Fotos: BMW Sauber F1 Team, Großer Preis von Malaysia


Weniger gefällt Mario Theissen das, was derzeit hinter den Kulissen vor sich geht. Auch die Tatsache, dass McLaren-Mercedes-Teammitglieder gegenüber der Rennleitung nicht die Wahrheit sagten, wirft kein gutes Licht auf die Formel 1.

"Sicher präsentiert sich die Formel 1 im Moment nicht so, wie wir uns dies wünschen. Deswegen hoffe ich sehr, dass wir diese Situation schnell hinter uns lassen. Es war schon immer so gewesen, dass die Formel 1 von unvorhergesehenen Dingen und Irregularitäten gelebt hat. Die Diskussionen, die dadurch in der Öffentlichkeit entstehen, gehören einfach dazu. Aber was da im Moment auf dem Tisch ist, ist zu viel."

"Dass wir aber jetzt drei oder vier Vorgänge parallel haben, das ist zu viel auf dem Teller." Mario Theissen

Dass man den Fall nach dem Rennen in Australien eine Woche später in Malaysia nochmal aufrollte, empfindet Theissen jedoch als gut: "Die Situation, aufgrund von neuen Erkenntnissen eine Situation noch einmal zu bewerten und dann auch zu einem anderen Urteil zu kommen, empfinde ich als sehr gut. Dass wir aber jetzt drei oder vier Vorgänge parallel haben, das ist zu viel auf dem Teller." Und: "Wir müssen wieder an dem Punkt zurückkommen, an dem derjenige das Rennen gewonnen hat, der am Ende des Rennens auf dem Podium steht."

Positiv in Bezug auf die Einschaltquoten hat sich die Tatsache ausgewirkt, dass das Rennen in Melbourne später gestartet wurde: "Die Sicherheit steht an erster Stelle, dann kommen die TV-Zuschauer. Die Logistik kann man daran anpassen. In Melbourne hat man das Problem mit der tief stehenden Sonne einfach übersehen, das ist ein Problem."

"Hier wird man es voraussichtlich mit Regen zu tun bekommen. Eine kleine Verzögerung würde für das Ende des Rennens sorgen, weil es dann dunkel ist. Es ist gut, das Rennen später zu starten, aber in diesem Fall wäre wohl 16 Uhr besser als 17 Uhr - das sagen auch unsere malaysischen Freunde."