• 22.04.2010 08:58

  • von Roman Wittemeier & Stefan Ziegler

Telemetrie: "Big Brother" in der Formel 1

Auf Herz und Nieren: Wie ein Formel-1-Auto während der Fahrt von Dateningenieuren überwacht wird - Messwerte sprechen schneller als Piloten

(Motorsport-Total.com) - Wenn an Rennwochenenden der Formel 1 die Hightech-Fahrzeuge auf die Strecke gehen, dann ist der Pilot mit seinem Boliden ganz und gar nicht allein. In den hinteren Kammern der Box sitzen stets zehn bis 15 Fachleute, die alle wichtigen Daten des Autos kontrollieren - in Echtzeit. Bodenhöhe, Reifendruck, Öl-Temperatur, Querbeschleunigung - die Liste der "inneren Werte" ist lang.

Titel-Bild zur News:

Auf den Telemetrie-Monitoren können unzählige Daten abgerufen werden

"Das Auto übermittelt uns viele hundert Datenkanäle in Echtzeit", erklärt Rod Nelson, der als zuständiger Chefingenieur bei Renault stets ein Auge auf die Unmengen von Daten hält. "Manche dieser Kanäle fließen direkt in die Standardelektronik (ECU) des Fahrzeugs ein. Andere Kanäle werden an die Telemtrieeinheit überspielt, die in ständigem Kontakt mit der Boxenmauer steht. Wir haben etwa 200 Telemetriekanäle."#w1#

Unzählige Sensoren liefern Daten

"Wir schauen uns den Reifendruck, die Temperatur der Pneus oder die Bodenhöhe an. Viele Autos sind diesbezüglich mit einem Laser-Messsystem ausgestattet und die Ingenieure wissen daher genau, wie groß die Bodenhöhe ist", sagt der Brite. Über ein präzises GPS-System wird gleichzeitig jederzeit die exakte Position des Fahrzeugs auf der Strecke bestimmt.

"In Bezug auf das Chassis haben wir rund 200 Kanäle, der Motor alleine bringt es auf weitere 200 Kanäle", beschreibt Nelson die Flut der Zahlen, die kombiniert ein klares Bild ergeben - zumindest für geschulte Fachleute. "Anhand dieser Rohdaten können wir erkennen, wie sich der Reifendruck in einer beliebigen Kurve verhält oder wo das Auto aufsitzt."

¿pbvin|512|2668||0|1pb¿"Wir können etwas mit den einzelnen Kanälen spielen und drei oder vier Datenstränge zu einem Kanal zusammenfassen. Damit können wir zum Beispiel in Erfahrung bringen, wie sich das Fahrgefühl für den Piloten darstellt", sagt der Renault-Techniker. "Wir können uns auch anschauen, wie viel Untersteuern das Auto hat oder wie gut die Bremsstabilität ist. Dadurch erhältst du ein Gefühl dafür, wie sich das Fahrzeug verhält."

Ingenieure wissen mehr als Fahrer

Die schnelle Analyse der Daten zeigt den Ingenieuren innerhalb von Sekunden, ob sich beispielsweise ein unerwartetes Untersteuern eingeschlichen hat. "In neun von zehn Fällen weißt du bereits, was der Fahrer sagen wird, wenn er sich noch auf dem Weg zurück zur Boxengasse befindet", lacht Nelson. "Du kannst die Schwierigkeiten im Prinzip also erahnen."

Fernando Alonso, Nelson Piquet Jr.

Die Dateningenieure müssen auf den Bildschirmen Probleme erkennen Zoom

"Gleichzeitig kannst du dich davon überzeugen, dass der Fahrer weiß, was vor sich geht", erklärt der Renault-Ingenieur, dessen Hauptaufgabe allerdings nicht in der Beobachtung der Piloten besteht. "Es geht darum, die Probleme möglichst effizient zu lösen. Im Zweifelsfall gewinnst du durch die Analyse der Daten einige Minuten, in denen du dir schon einmal Gedanken über die vor dir liegenden Aufgaben machen kannst - noch bevor du dich mit dem Piloten besprichst."

Die Datenerfassung und -analyse kann nicht nur Schwachpunkte der Fahrer offenbaren und ihn somit bloßstellen. Im Gegenteil: Es dient der Unterstützung von Rookies. "Wenn du einen vergleichsweise unerfahrenen Rennfahrer hast, so wie das bei Renault mit Vitaly der Fall ist, dann kannst du ihm sagen, was mit dem Auto los ist. Damit erweiterst du sein Wissen und er kann einen Erfahrungsschatz aufbauen. Das hilft wiederum dabei, das Auto schneller zu machen."

Eingriffe von außen nicht erlaubt

Der Datentransfer ist heutzutage nicht mehr bidirektional, Eingriffe von außen sind während der Fahrt kaum möglich. Ausnahme: Die Ingenieure in der Box können den Fahrer im Falle eines Falles auf Probleme aufmerksam machen und entsprechende Hinweise auf Lösungen geben. Manchmal reicht schon ein Reduzieren der Drehzahl oder die Wahl eines anderen Benzingemischs. "Wir können auch die Zuverlässigkeit des Autos steigern, indem wir Probleme erkennen, noch bevor sich diese wirklich bemerkbar machen. Solchen Schwierigkeiten können wir damit schon frühzeitig den Zahn ziehen."

"Es sind zwölf bis 15 Leute, die den Rennwagen genau beobachten, wenn er auf der Strecke ist." Rod Nelson

Vor den Datenmonitoren in der Box ist während einer Session die Hölle los. Millionen von Messwerten werden auf den Bildschirmen dargestellt, die Techniker müssen mit ihren geschulten Blicken sofort die aktuelle Situation entschlüsseln. "Wir haben zwei Hydraulikingenieure, die sich ausschließlich mit der Hydraulik des Fahrzeugs beschäftigen. Zwei weitere Ingenieure - einer pro Auto - setzen sich mit den Motorendaten des Wagens auseinander."

"Einige Jungs überwachen die Elektronik, die Bordsysteme und die Haltbarkeit", zählt Nelson den Renault-Telemetriestab auf. "Zwei Ingenieure widmen sich der Leistung und behalten die Balance des Fahrzeugs im Auge. Ich selbst habe schließlich die Fäden in der Hand und habe gewissermaßen den Überblick. Die Renningenieure haben ebenfalls einen Rundumblick. Wir haben also rund zwölf bis 15 Leute, welche den Rennwagen genau beobachten, wenn er auf der Strecke ist."