Teammanager-Legende Zehnder: "Formel 1 heute paranoider"
Beat Zehnder feiert 2014 als Sauber-Teammanager 20-Jahr-Jubiläum: Im Interview gibt er einen einmaligen Blick hinter die Kulissen des Jobs, den er zufällig erlangte
(Motorsport-Total.com) - Beat Zehnder ist einer der wenigen Persönlichkeiten im heutigen Formel-1-Fahrerlager, die den Wandel der Königsklasse des Motorsports in den vergangenen zwei Jahrzehnten hautnah miterlebt haben. Der 48-jährige Mann aus Zürich feiert dieses Jahr beim Deutschland-Grand-Prix sein 20-jähriges Jubiläum als Teammanager, bei Sauber arbeitet er bereits seit 27 Jahren. Wie er ohne Motorsport-Interesse durch puren Zufall in seinen Lebensjob schlitterte, wie sich die Arbeit hinter den Kulissen eines Formel-1-Teams verändert hat und was er an der aktuellen Fahrergeneration kritisiert, verrät er im ausführlichen 'Motorsport-Total.com'-Interview.

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Beat Zehnder sorgt dafür, dass bei Sauber im Hintergrund alles reibungslos abläuft Zoom
Frage: "Beat, was sind deine Hauptaufgaben bei Sauber?"
Beat Zehnder: "Wann auch immer ein Formel-1-Fahrer von unserem Team unterwegs ist, dann bin ich aus Logistiksicht für die allgemeine Organisation zuständig. Da geht es darum, die Flüge, die Hotels, die Kommunikation, all die Dinge, die wir brauchen, zu organisieren. Wichtig ist, dass alle ordentlich arbeiten können. Wir müssen dem Team eine Umgebung bieten - also Büroräume, Equipment und so weiter -, damit sie ihre Arbeit auf bestmögliche Art und Weise verrichten können. Das ist eine Seite."
"Die andere Seite betrifft das Sportliche, also die die Verbindung der Verantwortlichen bei uns im Haus mit der FIA, was das Sportliche Reglement angeht. Ich repräsentiere unser Team bei der FIA an der Rennstrecke. Wann immer wir mit unseren Fahrern zu den Rennkommissaren müssen, dann bin ich bei der Anhörung dabei. Das sind die zwei wichtigsten Punkte."

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De Silvestro fuhr Ende April in Fiorano - der Aufwand erinnerte an einen Wintertest Zoom
Frage: "Simona ist jetzt in Fiorano gefahren. Du bist also dafür zuständig, dass dieser Test problemlos über die Bühne geht. Dieser Test ist natürlich eine deutlich weniger aufwändige Aufgabe als zum Beispiel ein Grand Prix in Australien, aber du musst dafür sorgen, dass das gesamte Team dort teilnehmen kann."
Zehnder: "Ich würde nicht sagen, dass es weniger aufwändig war. Ich würde sagen, dass der Aufwand mit einem Wintertest vor der Saison vergleichbar ist. Wir waren mit der gesamten Crew in Fiorano - in jeder Hinsicht. Wir haben sie mit einem ordentlichen Testaufgebot versorgt, wie bei anderen Tests. Die Vorbereitung war exakt die gleiche - also Buchung der Strecke, Hotels, Flüge, Mietautos und so weiter."
Wofür ein Teammanager zuständig ist
Frage: "Reden wir über die Logistik: Du machst sicher nicht jede Streckenbuchung, jede Hotelbuchung selbst, aber du bist allgemein dafür verantwortlich. Auf welche Infrastruktur kannst du bei Sauber zurückgreifen?"
Zehnder: "Wir haben eine sehr schlanke Infrastruktur. Yvonne ist meine Assistentin, und wir zwei organisieren alles. Wir buchen natürlich nicht alle Flüge direkt, sondern greifen auf ein Reisebüro zurück. 99 Prozent der Hotels buchen wir aber direkt, das kostet weniger - und zwar ziemlich deutlich weniger. Alles andere - Autos mieten und so weiter - wird von uns beiden erledigt."
Frage: "Reist Yvonne zu den Rennen?"
Zehnder: "Nein. Um die Arbeit an den Rennwochenenden kümmere ich mich selbst."
Frage: "Wenn also jemand plötzlich krank wird, dann musst du kurzfristig Flüge umbuchen und alles organisieren, damit die Person nach Hause kommt."
Zehnder: "Ja, das kommt hin und wieder vor. Wenn jemand nicht zu zwei Rennen reisen kann, dann ist das eine deutlich einfachere Angelegenheit. Man muss einfach nur die Person austauschen. Wenn jemand krank wird oder am Wochenende einen Unfall hat und dann nach Hause geflogen werden muss, dann ist das Krisenmanagement meine Aufgabe."
Frage: "Wie sieht dein Tagesablauf an der Rennstrecke aus? Wann stehst du auf, wann gehst du zu Bett? Wie viele Stunden arbeitest du? All das klingt nach sehr viel Arbeit..."
Zehnder: "Ich treffe am Morgen mit den Mechanikern an der Rennstrecke ein. Am Freitag also um 7:30 Uhr, am Samstag um 8:30 und am Sonntag um 9:00 Uhr. Ich nehme an allen Besprechungen, Briefings - vor und nach den Trainings - und auch an den Fahrerbriefings teil. Normalerweise fahren wir am Freitag um 22 Uhr, am Samstag um 21 Uhr und am Sonntag manchmal sofort nach dem Rennen nach Hause, manchmal übernachten wir auch bis Montag."

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Auch beim Sauber-Formel-1-Einstieg 1993 war Beat Zehnder dabei Zoom
Frage: "Wann reist du zu den Rennen?"
Zehnder: Bei den Europarennen bin ich normalerweise am Mittwoch vor Ort, denn ich muss mich auch um die Fahrerlagerpässe für die Mitarbeiter, die Gäste und die VIPs kümmern. Mein Ansprechpartner ist da die FOM (Formula One Management, Anm. d. Red.). Bei den Überseerennen bin ich am Dienstag schon vor Ort und reise normalerweise am Montag ab."
Frage: "Du fliegst also nie am Montag zu den Rennen, außer es handelt sich um einen sehr langen Flug wie Australien..."
Zehnder: "Beim Australien-Grand-Prix kommen wir am Dienstagmorgen an. Das ist früh genug."
Frage: "Wenn du zurückblickst: Inwiefern hat sich deine Rolle verändert?"
Zehnder: "In Hockenheim in diesem Jahr sind es genau 20 Jahre, dass ich diese Arbeit mache."
Frage: "Als Teammanager?"
Zehnder: "Genau."
Formel 1 anno 2014: Paranoide Teams, Fahrer mit Entourage
Frage: "Das sind also 320 bis 330 Grands Prix. Was hat sich in diesem Zeitraum verändert?"
Zehnder: "Heute geht alles schneller. Das ist aber ein weltweites Phänomen, das hauptsächlich auf das Internet, auf die Handys, auf die Smarthphones zurückzuführen ist. Heute muss man fast Tag und Nacht erreichbar sein, alles läuft viel schneller ab. Weil heute mehr finanzieller Aufwand betrieben wird, hat sich auch die Anzahl des Personals, das zu den Rennen reist, deutlich vergrößert. Die allgemeine Organisation ist aufwändiger, weil die Anzahl der Leute gestiegen ist."
"Außerdem gibt es mehr Rennen, vor allem Übersee. Die Arbeit ist heute zeitintensiver geworden. Weil heute mehr finanzieller Aufwand betrieben wird, wurde auch der gesamte Sport viel paranoider, würde ich sagen. In Hinblick auf das sportliche Reglement muss in der Arbeitsgruppe jedes Schlupfloch beseitigt werden, denn das ist es, wonach jedes Team sucht. Sie wollen mit Dingen davonkommen, die sie nicht tun sollten."
"Bis zu einem gewissen Grad herrscht also Paranoia in der Formel 1, und jeder überwacht den anderen genau und versucht manchmal sogar, dafür zu sorgen, dass der andere bestraft wird, wenn das möglich ist."
Frage: "Was hat sich noch verändert?"
Zehnder: "Ein großer Unterschied war, dass die Fahrer vor 20 Jahren normalerweise alleine oder vielleicht mit ihrer hübschen Freundin zu den Rennen kamen. Heute kommen die Fahrer mit Managern, Helfern, Anwälten, mit ihren eigenen Physiotherapeuten und Mentaltrainern zu den Rennen. Das ist heute ziemlich übertrieben. Das Umfeld der Fahrer hat sich komplett geändert. Sie werden immer jünger, was nicht schlecht sein muss, aber manchmal vermisse ich beim einen oder anderen Fahrer die Reife."
Frage: "Ich weiß, dass du in der Sportlichen Arbeitsgruppe sitzt. Wurde das Sportliche Reglement in den vergangenen 20 Jahren eigentlich viel komplizierter? Und wenn ja - inwiefern musst du dich jetzt intensiver damit auseinandersetzen und alles genau kennen?"
Zehnder: "Vor 20 Jahren umfasste das Sportliche Reglement die Hälfte der Seiten, die es heute umfasst. Es handelte sich um ein sehr schlankes Reglement, das einfach zu verstehen war. Heute muss man alle Schlupflöcher schließen, es geht oft um Kleinigkeiten."
"Mein Vorteil ist, dass ich schon so lange in diesem Geschäft bin. Ich habe mit der FIA, mit all den anderen Teammanagern und all den Sportlichen Reglements in den vergangenen 20 Jahren gearbeitet. Ich würde also sagen, dass ich mich beim Sportlichen Reglement ziemlich gut auskenne, weil ich all die Änderungen miterlebt habe. Ich weiß auch, warum sich etwas verändert hat - und das ist eine große Hilfe. Ich würde fast sagen, dass ich das Reglement auswendig kenne."
Frage: "Ich habe kürzlich mit einem Technikchef gesprochen. Er hat gesagt, dass er sich drei Tage frei nimmt, wenn das Technische Reglement für die folgende Saison erscheint, und dann alles genau studiert. Ist das bei dir auch so, oder hast du durch die Arbeitsgruppe und deine Erfahrung so viel Ahnung von der Materie, dass das nicht notwendig ist?
Zehnder: "Das Sportliche Reglement ist für mich eine einfache Angelegenheit. Die Änderungen werden im Laufe eines Jahres besprochen, manche werden mit sofortiger Wirkung eingeführt, andere in der kommenden Saison oder im Jahr darauf. Für mich ist die sportliche Seite also kein Problem."
"Die Basis des Sportlichen Reglements ist seit rund zehn Jahren die gleiche. Nur Kleinigkeiten wie das Qualifying-Format ändern sich. Klar - die Anzahl der Motoren hat sich geändert. Für mich dauert es jedenfalls länger, eine Ahnung vom Technischen Reglement zu bekommen. Wenn ich ehrlich bin, dann muss ich zugeben, dass ich das Technische Reglement nicht so gut kenne wie das Sportliche Reglement."
Sauber ließ Motorsport-Muffel Zehnder zunächst abblitzen
Frage: "Das ist klar. Wie bist du zu diesem Job gekommen?"
Zehnder: "Es war reiner Zufall, dass ich bei Peter Sauber gelandet bin! Ich habe 1987 einen Vertrag beim Team unterzeichnet. Davor war ich bei einer großen Dieselmotor-Firma namens Holzer, wo ich an sehr großen Motoren gearbeitet habe. Dann hat Holzer die Produktion in der Schweiz eingestellt und hat alles in Südkorea anfertigen lassen. Ich musste mir also einen neuen Job suchen und sah eine kleine Stellenanzeige in einer Lokalzeitung: Sauber sucht nach einem Rennmechaniker."
"Ich hatte damals null Ahnung vom Motorsport - wirklich null! Die einzige Erinnerung, die ich damals hatte, war der Unfall von Gilles Villeneuve mit Jochen Mass in Zolder. Ich habe mich also gar nicht für den Rennsport interessiert. Ich hatte zwei Jobinterviews mit Peter Sauber. Nach dem ersten hat er gesagt, dass er mich unter keinen Umständen einstellen kann, denn ich bin zu jung und habe keine Erfahrung im Motorsport. Und das Schlimmste ist, dass ich mich nicht einmal dafür interessiere."
"Drei Wochen später habe ich ihn noch einmal angerufen und um ein zweites Interview gebeten. Ich glaube er hat mich dann nur verpflichtet, weil es keine anderen Bewerber gab. Für mich war damals klar, dass ich das nur ein Jahr lang machen würde. Ich wollte einfach nur das Leben genießen und um die Welt reisen. Jetzt bin ich in meinem 27. Jahr und immer noch hier. Aber es macht Spaß. Ich bereue gar nichts."
Frage: "Wie alt warst du damals?"
Zehnder: "21."

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Als der legendäre Gruppe-C-Sauber entstand, war Zehnder noch Mechaniker Zoom
Frage: "Welches war dein erstes Rennen?"
Zehnder: "Das war in Jerez - die 1.000 Kilometer mit Sauber-Mercedes."
Frage: "Hat dir deine Mechaniker-Karriere in deinem späteren Job geholfen?"
Zehnder: "Ja, natürlich. Als ich 1988 bei Sauber begonnen habe, da hatten wir immer noch Aluminium-Chassis'. Wir haben 80 Prozent dieser Gruppe-C-Autos selbst angefertigt. Das war wirklich ein handgefertigtes Auto. Heute gibt es viele spezialisierte Abteilungen - eine Abteilung kümmert sich um die Hydraulik, die andere um die Aufhängung, eine weiter um das Getriebe."
Schwere Geburt: Zehnder wird 1994 Teammanager
"Aber als ich bei Sauber als Maschinenmechaniker begann, da haben wir alles selber gemacht. Ich wurde bald zum Nummer-eins-Mechaniker, dann zum Chefmechaniker befördert. 1994 wurde ich dann Teammanager. In der ersten Hälfte dieses Jahres war ich der Chefmechaniker, in der zweiten Teammanager und Chefmechaniker. Damals wusste ich einfach alles über das Auto - das ist heute nicht mehr der Fall. Diese Autos sind heute so kompliziert. Nicht einmal unsere Presseabteilung versteht sie."
Frage: "Hattest du viel mit Max Welti zu tun?"
Zehnder: "Ja klar. Er war mein Teammanager von 1988 bis 1989."
Frage: "Hat er dir viel beigebracht?"
Zehnder: "Nein, ich habe es nicht von ihm gelernt. Mein Ziel war nie, Teammanager zu werden. Auch das war Zufall. Mein Vorgänger war eine Frau, und sie wurde von einem Tag auf den anderen gekündigt. Es gab ein paar Gründe. Nach Silverstone 1994, als es noch die guten alten Partys gab, bei denen Eddie Jordan Schlagzeug spielte, ist Peter Sauber nach dem Rennen zu mir gekommen und hat gemeint, wir müssten morgen in Hinwil reden."

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Zehnder fungierte auch in der BMW-Ära unter Theissen als Teammanager Zoom
"Er hat mir dann den Job als Teammanager angeboten. Ich habe geantwortet, dass das nicht in Frage kommt, weil ich noch nie einen Flug oder ein Hotelzimmer für mich selbst gebucht hatte. Ich habe ihn dann um etwas Bedenkzeit gebeten, und nach 24 Stunden hatten wir ein weiteres Gespräch. Ich habe gesagt, dass ich das auf keinen Fall tun werde."
"Er hat dann gesagt, dass dieser Job in Zukunft von - und ich werde den Namen jetzt nicht sagen - ausgeübt wird. Und ich habe also gemeint, dass es höchstwahrscheinlich besser ist, wenn ich die Arbeit mache. Und so wurde ich erneut quasi über Nacht befördert, und damals hatte ich echt keine Ahnung, was dieser Job erfordert. Ich habe daher auch nichts von Max gelernt, denn er war ja schon lange weg. Ich war aber 1997 die treibende Kraft dahinter, Max als COO (leitender Geschäftsführer, Anm. d. Red.) zurückzuholen."
Kontakt zu Ex-Piloten nie abgerissen
Frage: "Welche Auswirkungen hat der Job dein Privatleben?"
Zehnder: "Ich sehe keine Schattenseiten. Natürlich vermisst man manchmal sein Zuhause, vor allem wenn man enge Freunde und Familie hat, die ihre Geburtstage oder andere Partys feiern. Ich hatte aber das Glück, dass alle meine Geschwister ihre Hochzeiten an Wochenenden feierten, an denen kein Rennen stattgefunden hat."
"Ich bin aber auch schon seit acht Jahren verheiratet und mit meiner Frau seit 13 Jahren zusammen. Als wir uns kennenlernten, da wusste sie bereits, was ich mache, was sie erwartet und wie oft ich unterwegs bin. Wir führen ein fantastisches Leben, ein fantastisches Privatleben, und es ist kein Problem, dass ich fast ein halbes Jahr lang unterwegs bin."

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Mit Kimi Räikkönen verbindet Zehnder nach wie vor eine Freundschaft Zoom
Frage: "Was war das lustigste Erlebnis in deiner bisherigen Karriere?"
Zehnder: "Es gab viele lustige Erlebnisse - vor allem mit Johnny Herbert. Mit ihm hatten wir immer was zu Lachen."
Frage: "Und mit Kimi Räikkönen?"
Zehnder: "Ja, Kimi - bis heute habe ich mit ihm viel Spaß. Ich habe bis heute zu fast allen unseren Ex-Fahrern ein gutes Verhältnis. Ich bin noch mit Heinz-Harald (Frentzen, Anm. d. Red.), mit Jacques Villeneuve, mit Jean Alesi, mit Kimi und natürlich mit Nick Heidfeld in Kontakt. Bei Kimi gab es auch lustige Momente: Sein erstes Rennen war recht lustig, denn niemand hat ihn zehn, fünf Minuten vor der Öffnung der Boxengasse gefunden. Er hat irgendwo geschlafen, hat sich versteckt. Mit ihm gab es ein paar gute Geschichten."
Frage: "Warst du damals durch dein Alter eher wie ein Bruder für die Fahrer - und bist du heute eher ein Vater für sie?"
Zehnder: "Nein, das hängt mehr oder weniger vom Fahrer ab. Noch heute habe ich zu Nico (Hülkenberg, Anm. d. Red.) ein sehr gutes Verhältnis. Das hat sich über die Jahre nicht geändert - es hängt einfach von der Persönlichkeit ab. Und davon, ob die Chemie stimmt."

