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  • 21.08.2014 20:10

  • von Rencken, Ziegler & Sharaf

Stimmen zu Verstappen: Zu jung? Zu unerfahren?

Was die Formel-1-Piloten von einem 17-jährigen Konkurrenten halten und ob es für einen Teenager möglich ist, einen Grand-Prix-Boliden zu beherrschen

(Motorsport-Total.com) - 17 Jahre jung, aber schon ein Formel-1-Fahrer. Das kann Max Verstappen in der Saison 2015 von sich sagen. Denn dann erhält der Niederländer einen Stammplatz bei Toro Rosso. Und damit schreibt er Geschichte: Niemals zuvor hat ein so junger Fahrer einen Grand Prix bestritten. Nicht nur Fans und Experten fragen sich, ob das gutgehen wird. Auch die Pilotenkollegen machen sich ihre Gedanken.

Titel-Bild zur News: Max Verstappen

Formel-1-Benjamin: Max Verstappen fährt mit 17 Jahren erstmals einen Grand Prix Zoom

Zum Beispiel darüber, ob ein Rennfahrer mit 17 Jahren schon bereit ist für die Formel 1. Und da legen Branchengrößen wie Fernando Alonso (Ferrari) die Hand aufs Herz. Der zweimalige Weltmeister, der seinerseits mit 19 Jahren ebenfalls sehr früh in den Grand-Prix-Sport aufstieg, gesteht ganz offen: "Mit 17 Jahren wäre ich wahrscheinlich noch nicht bereit gewesen. Ich habe vielleicht nur gefühlt, dass es gehen würde."

Auch Jenson Button (McLaren) zählte im Alter von 20 Jahren zu den "Frühstartern" in der Formel 1, sagt aber heute: "Mit 20 war ich nicht bereit, vielleicht mit 23. Aber jeder ist da anders. Und auf der anderen Seite: Wenn dich jemand fragt, ob du bereit bist für die Formel 1, was sagst du dann? Dann nutzt man diese Chance natürlich", so Button. Also genau so, wie es Verstappen gemacht hat.

Erfahrung ist alles - oder nicht?

Was der junge Niederländer vielen seiner künftigen Kollegen voraus hat: Er saß noch früher im Kart als sie, seine Karriere ging noch flotter voran. Also anders als beispielsweise bei Adrian Sutil (Sauber), der erst mit 19 vom Kart ins Formelauto wechselte. "Ich habe eben später angefangen", sagt der Deutsche, der bei seinem Formel-1-Debüt 23 Jahre alt war. "Da hatte ich aber schon mehr Rennen gefahren."

Mangelnde Erfahrung bei Verstappen als großes Manko? Möglich, meint Sutil. "Es kann zu früh sein. Es ist wahrscheinlich, dass es zu früh ist. Es kann aber funktionieren." Die Geschichte hat schließlich gezeigt: Erfahrung ist nicht alles. Das vielleicht prominenteste Beispiel dafür ist Kimi Räikkönen (Ferrari), der 2001 nach lediglich rund 20 Autorennen erstmals einen Grand Prix bestritten hat.

Jos Verstappen

Ex-Formel-1-Fahrer Jos Verstappen mit Sohnemann Max im Formel-1-Fahrerlager Zoom

Der "Iceman" war damals zwar schon 22 Jahre alt, aber auf der Strecke nicht erfahrener als es Verstappen sein wird. Eine Prognose, wie sich der 17-jährige Neuling 2015 schlagen wird, will Räikkönen aber nicht anstellen: "Die Zeit wird es zeigen. Es bringt nichts, jetzt darüber zu reden. Wir müssen abwarten, was im kommenden Jahr passiert", sagt der Finne, wie gewohnt wortkarg.

Was ist, wenn Verstappen Fehler macht?

Doch genau das ist der Tenor im Formel-1-Fahrerlager: Abwarten! "17 Jahre - das ist ein bisschen jung. Aber schauen wir mal, wie er sich in seinem ersten Jahr schlägt", sagt etwa Felipe Massa (Williams), der als 20-Jähriger debütierte. Und Alonso meint: "Das Alter ist nicht so entscheidend. Du musst bereit sein für einen Grand Prix. Manche sind das mit 17 Jahren, andere mit 28 Jahren."

Wie Verstappen ticke, werde sich zeigen. Und solange Verstappen nicht als "Crashkid" auffällt, dürfte ihm der Respekt der Kollegen sicher sein. "Ich persönlich", sagt Nico Hülkenberg (Force India), "habe mit dem Alter kein Problem. Aber die Formel 1 darf natürlich nicht irgendwann den Ruf kriegen, dass hier nur Kinder oder Teenager rumfahren. Bei zwei oder drei Piloten im Feld ist das aber keine Gefahr."

Doch was, wenn Verstappen doch zum "Problem" wird? Hülkenberg: "Das hätte ich nur, wenn er dreimal hintereinander in mich rein fahren würde." Dergleichen könnte passieren, falls Verstappen überfordert sein sollte. Schließlich sagt Weltmeister Sebastian Vettel (Red Bull) über die Anfänge in der Formel 1: "Zuerst fährt das Auto vielleicht eher mit dem Fahrer als der Fahrer mit dem Auto."

Formel 1? Ich? Lieber nicht...

Sutil hält Teenager in der Formel 1 aber nicht für gefährlicher als einige Routiniers: "Man kann in der Formel 1 auch jetzt schon nicht dem ganzen Feld vertrauen. Ich glaube nicht, dass das einen großen Unterschied macht." Wichtig sei, dass Verstappen selbst das Gefühl habe, "dass es jetzt passt", so Sutil. "Ich hoffe, das ist so." Bei Button war das damals übrigens nicht der Fall, wie er heute gesteht.

"Als ich 20 Jahre alt war, da war ich nicht bereit für die Formel1. Frank Williams hat mich damals gefragt, ob ich bereit sei. Ich sagte schlichtweg: 'Nein'. Dann kam mein Vater und meinte, dass ich das doch machen muss. Er hat Frank dann angerufen und gesagt, dass wir doch bereit sind. Dann gab es den Test und schließlich das Renncockpit", erklärt Button. Und 2009 wurde er Weltmeister mit Brawn.


Fotostrecke: Red-Bull-Junioren in der Formel 1

Es einfach tun zu müssen. Dafür haben die Formel-1-Piloten durchaus Verständnis. "Max bekommt eine wundervolle Gelegenheit", meint etwa Romain Grosjean (Lotus) und Vettel stimmt zu: "Wenn man die Chance erhält, in der Formel 1 zu fahren, dann schlägt man zu. Man weiß schließlich nie, wie viele solcher Gelegenheiten sich bieten." Wohl auch deshalb hat Verstappen gleich die erste genommen.

Talent ist vorhanden, und das ist ein gutes Zeichen

Dass er sie überhaupt bekommen hat, ist für viele Fahrerkollegen nicht dem Zufall geschuldet. "Er ist definitiv ein schneller Fahrer. Er hat sein Talent im Kart und in der Formel 3 unter Beweis gestellt, hat viele Rennen gewonnen. Und das ist seine große Chance", sagt Massa. Er fügt hinzu: "Ich finde es großartig, dass die Teams noch immer am Talent interessiert sind und nicht am Geld. Das ist das Positive daran."

Auch Nico Rosberg (Mercedes) wertet es als gute Nachrichten für den Grand-Prix-Sport. "Die Journalisten fragen ja immer: 'Kann man nur noch mit Geld in die Formel 1 gelangen?' Daher ist es schön zu sehen, dass es auch mit Talent geht. Es gab zuletzt einige Beispiele, die auf diese Weise in die Formel 1 gekommen sind. Das ist wichtig und es ist auch gut", meint der aktuelle WM-Spitzenreiter.

Kevin Magnussen (McLaren), mit 21 Jahren selbst noch ein Formel-1-Jungspund, denkt ähnlich: "Ich finde es gut, dass ein solch junger Fahrer dazukommt. Und wenn er es gut macht, ist es doch toll für den gesamten Motorsport. Es ist kein Altherren-Sport. Wenn junge Leute sich durchsetzen, finde ich das gut." Und Massa ergänzt: "Hoffen wir mal, dass er schnell lernt und nicht nur für ein, zwei Jahre da ist."

Wie meistert Verstappen die Technik?

Das Erlernen der Formel 1 in all ihren Facetten - das ist laut den derzeitigen Grand-Prix-Piloten die vielleicht größte Hürde für einen Teenager. Doch die Rennserie, so die einhellige Meinung, mache es dem Nachwuchs heute "etwas einfacher", so Rosberg, als früher. Er erinnert sich an seinen ersten Formel-1-Test, den er mit 17 Jahren absolvierte: "Damals zeigte dir das Körperliche die Grenzen auf."

Soll heißen: Als Teenager war man mitunter noch nicht kräftig genug, ein Formel-1-Auto zu beherrschen. Das ist aber Schnee von gestern, meint Button. Es sei nun "total anders" und "über die Fitness musst du dir keine Gedanken machen", sagt der Ex-Champion. Massa pflichtet ihm bei: "Früher war es körperlich wesentlich anstrengender, jetzt ist es anders, sogar ganz einfach."


Fotostrecke: Die Geschichte des Red-Bull-Teams

Das gelte auch für die technische Seite des Sports, erklärt Massa. "Für einen jungen Fahrer ist es einfacher zu verstehen. Früher war es schwieriger. Schnell zu sein, das war nie das Problem. Das Verständnis des Ganzen aber schon." Rosberg stimmt zu: "Heute ist alles etwas einfacher. Das hilft." Auch Alonso teilt diese Meinung: "Die Autos sind einfacher zu fahren, körperlich nicht mehr so fordernd."

Auch ein Teenager braucht seine Zeit

Neu sind die Fahrzeuge für Verstappen aber sehr wohl. Er steigt direkt auf von der Formel 3, ohne sich - zum Beispiel - in einem Jahr als Test- und Ersatzpilot bei einem Formel-1-Team langsam an die Materie heranzutasten. Valtteri Bottas (Williams) hat es so gemacht, schrittweise. Und er bereut es nicht. Im Gegenteil: "Es war ein gutes Jahr, bevor es richtig losging. So war ich viel besser vorbereitet."

Er will seinen Werdegang aber nicht als den idealen bezeichnen, sondern sagt vielmehr: "Ich glaube nicht, dass es einen perfekten Weg gibt. Es gibt nämlich so viele Möglichkeiten, wie man in die Formel 1 gelangen kann." Und "irgendjemand", so Button, "ist wohl davon überzeugt, dass Max bereit ist". Also Helmut Marko, Berater von Red Bull und zuständig für das dortige Nachwuchsprogramm.

Eine Schule, die Daniel Ricciardo (Red Bull) gut kennt. "Für mich hat das Red-Bull-Förderprogramm prima funktioniert. Es hat mir geholfen, dorthin zu gelangen, wo ich heute bin", sagt der inzwischen zweimalige Formel-1-Rennsieger. Auch Vettel kann ein Lied davon singen, wie es ist, mit Red Bull in die Formel 1 aufzusteigen. Und er weiß auch aus eigener Erfahrung: Aller Anfang ist schwer.

Deshalb meint der Formel-1-Titelverteidiger: "Lasst Max erst mal die Saison in der Formel 3 zu Ende bringen. Dort hat er gezeigt, dass er viel Talent hat. Dass er so einschlägt, hätte wohl keiner gedacht." Und jetzt müsse man ihm einfach Zeit geben, so Vettel. Er fügt hinzu: "Es gibt viele Dinge, auf die er sich dann für das kommende Jahr in der Formel 1 einstellen muss. Es wird aber ein guter Schritt für ihn."