So verteidigt sich die Formel 1 gegen Vorwurf des "Sportswashing"

Fährt die Formel 1 nur des Geldes wegen im Nahen Osten und schaut dafür über Menschenrechtsfragen hinweg? Stefano Domenicali sieht das anders ...

(Motorsport-Total.com) - Es ist immer ein heikles Unterfangen, aus einer westlichen Perspektive darüber zu urteilen, welche Länder in Menschenrechtsfragen einen akzeptablen Mindeststandard erfüllen und welche nicht. Doch es ist Tatsache, dass viele Zuschauer Formel-1-Hostnationen etwa im Nahen Osten diesbezüglich mit Skepsis begegnen.

Titel-Bild zur News: Stefano Domenicali mit dem Kronprinzen von Bahrain

Formel-1-CEO Stefano Domenicali mit dem Kronprinzen von Bahrain Zoom

Mit Bahrain, Saudi-Arabien, Aserbaidschan, Russland und Abu Dhabi fährt die Formel 1 2022 in mindestens fünf Ländern, deren Politik von Menschenrechtsorganisationen regelmäßig kritisiert wird - und aus denen in die Königsklasse durchschnittlich mehr Geld fließt als aus traditionellen Kernmärkten wie etwa Europa.

In manchen Medienkommentaren wird der Formel 1 daher der Vorwurf des "Sportswashing" gemacht, sprich dass Länder viel Geld dafür bezahlen, internationale Sportevents zu hosten, um das Ansehen und die Reputation zu verbessern. Und die Formel 1, so zumindest der Vorwurf, sieht dafür über Unzulänglichkeiten dieser Länder etwa in Menschenrechtsfragen hinweg.

Doch Formel-1-CEO Stefano Domenicali hat eine andere Perspektive auf Grands Prix in solchen Ländern. Seiner Meinung nach können internationale Sportevents auch dazu beitragen, positive gesellschaftliche Veränderungen zu unterstützen und zu beschleunigen.

"Wir können nicht erwarten, quasi über Nacht Strukturen zu verändern, die es in manchen Fällen seit Jahrtausenden gibt", sagt er in einem Interview mit dem 'Guardian'. Man könne diesen Ländern aber eine "unglaubliche Chance" bieten, "mit der sie keine Spielchen spielen können. Ich würde sagen, wir helfen dabei, diesen Wandel zu beschleunigen, und nicht ihn zu verlangsamen."

Im 'Guardian' wird als Gegenargument die Sichtweise des ehemaligen südafrikanischen Präsidenten Nelson Mandela in den Raum gestellt. Mandela war zu Lebzeiten der Ansicht, dass der langjährige Ausschluss von Südafrika von vielen internationalen Sportveranstaltungen hilfreich dafür war, die Apartheid in Südafrika zu bekämpfen.


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"Was Mandela gesagt hat, ist absolut verständlich. Aber es war eine andere Zeit", findet Domenicali. "Heute ist unser Ansatz, sicherzustellen, dass wir als Formel 1 mit der Lupe auf diese Länder schauen, und unter dieser Lupe können sie beweisen, dass sie sich wirklich verändern wollen. Da wird es keine Entschuldigungen geben und keine Filter."

Die Formel 1 ist jedenfalls sehr engagiert, gesellschaftlich relevante Themen anzusprechen - wesentlich intensiver, als das in der Vergangenheit der Fall war. Und ob eine Kampagne wie "We Race As One" mehr bewirken kann, wenn man die angesprochenen Länder aktiv einbindet oder sie boykottiert, das ist letztendlich eine philosophische Frage ...