Senna und Berger: Die James-Bond-Jahre

Sie führten ein Leben wie im Film und kannten keine Grenzen: Senna und Berger lieferten als McLaren-Teamkollegen einige der irrsten Anekdoten der Formel 1

(Motorsport-Total.com) - Alles begann mit einem harmlosen Glas Wasser. Es sollte der Startschuss der legendären "James-Bond-Jahre", wie sie Gerhard Berger später so treffend beschreiben sollte, werden. Das Glas Wasser, mit dem Ayrton Senna seinem McLaren-Teamkollegen vor dem Saisonfinale in Australien 1990 auflauerte, um ihn anzuschütten, es war für den verbissenen brasilianischen Renngott die Eintrittskarte in eine Welt der Unbeschwertheit, die er so noch nicht kannte und die sein so zielgerichtetes Leben auf wundersame Art und Weise bereichern sollte.

Titel-Bild zur News: Ayrton Senna, Gerhard Berger

Gegensätze ziehen sich an: Die Stallrivalen Senna und Berger wurden Freunde Zoom

"Als Tiroler wirst du nicht einmal feucht", erinnert sich Berger in seiner Biografie mit einem Augenzwinkern an die nasse Überraschung. "Aber immerhin, es war ein Zeichen, dass er mitspielen wollte." Auslöser für Sennas Aktion war eine Wasserschlacht im Swimmingpool des Hotels gewesen. Berger - für jeden Blödsinn zu haben - begann nach dem Abendessen, Leute samt Kleidung in den Pool zu schmeißen. Senna hatte sich rasch aus dem Staub gemacht. Als der Österreicher dann am Zimmer des Brasilianers vorbeiging, gab es für ihn die kalte Dusche.

Dabei galt Senna, der sich in den Jahren davor eine Blutfehde mit seinem Ex-Teamkollegen Alain Prost geliefert hatte, auch abseits der Rennstrecke als ernster Zeitgenosse, der keinen Sinn für das Sinnlose hat. Der Mann aus Sao Paulo war zu diesem Zeitpunkt 30 Jahre alt - und zweifacher Weltmeister. Und er war bekannt dafür, seine Stallkollegen nach allen Regeln der Kunst zu zerstören.

Senna und der perfekte Teamkollege

Doch als Berger 1990 als Nachfolger des völlig entnervten Prost zu McLaren wechselte, sollte alles anders kommen. Schon nach wenigen Rennen erkannte der Neuankömmling, dass er es mit einem "Überfahrer" wie Senna nur an besonderen Tagen aufnehmen konnte.

"Senna begriff bald, dass ich der ideale Teamkollege für ihn war", glaubt Berger. "Ich überraschte ihn mit dem reinen Speed und kam ihm dabei näher als irgendjemand sonst, auch viel näher, als Prost es je geschafft hatte. Trotzdem war ich keine wirkliche Bedrohung für ihn, weil er mich aufgrund seiner Perfektion im Griff hatte."

Ayrton Senna, Gerhard Berger, Nigel Mansell

Berger hatte bei McLaren gegenüber Senna im Cockpit meist das Nachsehen Zoom

Genau diese klaren Verhältnisse waren die Grundlage für eine der besten Freundschaften, die es unter Teamkollegen in der oft so unmenschlichen Formel 1 je gab. Der sonst so verschlossene Perfektionist öffnete sich dem als Lebemann bekannten Österreicher, der zwar mit viel Talent, nicht aber mit der letzten Kompromisslosigkeit gesegnet war.

Mit Wasser nass gemacht: Berger revanchiert sich mit Feuerlöscher

Aber mit einem ordentlichen Schalk im Nacken - und das ließ er seinen auf der Strecke oft übermächtigen Stallkollegen mit zahlreichen Streichen spüren, von denen viele heute noch legendär sind. Als Senna den Sohn eines Spediteurs in Australien 1990 mit einem Glas nass machte, ahnte er wohl kaum, was er damit auslöste.

Die Revanche ließ nicht lange auf sich warten: "Mit einem Schlauch bastelten wir eine Verlängerung eines Feuerlöschers, und die führten wir ihm um drei Uhr früh unter der Tür ein. Wir hatten noch ein paar Zuschauer eingeladen und drückten dann ab." Die Folgen: ein völlig verwüstetes Hotelzimmer und ein Formel-1-Superstar, der aus dem Fenster flüchtete und sich von den erbosten Hotelgästen anschnauzen lassen musste.


Fotostrecke: Die Formel-1-Karriere von Gerhard Berger

"Dem war das unglaublich peinlich", weiß Berger. "1990 war er schon noch etwas verkrampft. Mit seinen knapp 30 Jahren war er schon ein sehr, sehr ernsthafter Mensch, der sich richtig schwer getan hat, ein bisschen nachzulassen. Er hat einfach nie einen Blödsinn gemacht, sehr im Gegenteil zu mir. Später habe ich ihn ganz gut zum Auftauen gebracht."

Stinkbombe für Senna

Mit weiteren Boshaftigkeiten: Als sich die McLaren-Piloten an die Höhenlage von Mexiko-City gewöhnten, präparierte der zehnfache Grand-Prix-Sieger Sennas Hotelzimmer mit übel riechendem Käse und Fisch, den er davor ausgiebig in der Sonne schmoren hatte lassen. Nicht nur unterm Bett waren die verdorbenen Lebensmittel versteckt, sondern auch in den Lüftungsschächten - Senna kam nicht dahinter. "Es hat so brutal gestunken, das kann sich keiner vorstellen", lacht Berger.

Ayrton Senna

Disziplinierter Arbeiter: Senna ordnete sein Leben der Perfektion auf der Strecke unter Zoom

Senna war zunächst beleidigt, schlug nach etwas Bedenkzeit aber zurück. In Ungarn nahm er Bergers Rennoverall aus dem Motorhome, während dieser sich umkleidete - der verdutzte McLaren-Pilot begab sich in Unterwäsche auf die Suche und fand das vermisste Kleidungsstück vor dem Teamtransporter, während sich Senna königlich amüsierte.

Streich-Komplizen Gugelmin und Leberer

Vor dem Japan-Grand-Prix suchte sich Senna sogar brasilianische Schützenhilfe: Gemeinsam mit seinem Rennfahrerkumpel Mauricio Gugelmin sprühte er bei der Anreise im japanischen Schnellzug vor einem Sponsorendinner Rasierschaum in Bergers teure Schuhe - der Österreicher blamierte sich, als er Sneakers zum Smoking tragen musste.

Daraufhin erweiterte auch Berger sein Team und heckte mit Landsmann Joe Leberer einen neuen Plan aus: Der McLaren-Physiotherapeut bot dem damaligen Leyton-House-Piloten Gugelmin am Rennsonntag in Japan einen frisch gepressten Orangensaft an, den dieser aber dankend ablehnte. Glück gehabt, wie der spätere IndyCar-Pilot im Nachhinein erfuhr. "Eine Stunde vor dem Start hat er vier Schlaftabletten in den Saft gegeben und ihn zu mir geschickt", erzählt Sennas Freund ungläubig. "Man stelle sich vor: Alle geben Gas und ich schlafe im Cockpit!"

Senna demütigt Berger mit geschenktem Sieg

An diesem Wochenende wurde die Freundschaft zwischen Senna und Berger auf eine Probe gestellt - allerdings nicht durch einen der berüchtigten Streiche, sondern durch ein von außen harmlos anmutendes Manöver des Weltmeisters: Er schenkte Berger seinen ersten McLaren-Sieg, indem er ihn wenige Meter vor der Zielflagge demonstrativ überholen ließ. Eine Machtdemonstration des Superstars.

Ayrton Senna, Gerhard Berger, Ricciardo Patrese

Gute Miene zum bösen Spiel: Berger ärgerte sich über den geschenkten Sieg in Japan Zoom

"Innerlich war ich angefressen", gibt Berger zu. "So hat er der ganzen Welt gezeigt, wer der Herr im Haus ist, und dass er sich's vom Stand der WM auch leisten kann, dem kleinen Berger etwas zukommen zu lassen." Die Aktion bestärkte McLarens Nummer zwei, ein gewisses Misstrauen gegenüber Senna zu bewahren - zumindest solange sie Teamkollegen waren. "Unsere Freundschaft hat darunter aber nicht gelitten", sagt er.

Playboy-Motiv im Reisepass

Ein Rennen später forderte Senna seinen Freund im Schabernack-Duell heraus und stellte dessen Hotelzimmer auf den Kopf. Berger konnte daraufhin nicht widerstehen: Das Kriegsbeil war rasch begraben, und wie so oft zahlte er es Senna doppelt und dreifach heim. Er riss dessen Foto aus dem Reisepass und ersetzte es mit einem Playboy-Motiv, das Teamchef Ron Dennis als Bild eines "gleichwertig großen männlichen Geschlechtsteils" bezeichnete.

"Ich habe es nicht gemerkt, erst als ich über Argentinien nach Brasilien zurückflog, gab es dort ein paar sehr erstaunte Gesichter", wird der für viele größte Formel-1-Pilot aller Zeiten in Karin Sturms Senna-Biografie zitiert. In seiner Heimat wurde der Volksheld beim Zoll selten kontrolliert, in Buenos Aires war das anders.

Senna und der unzerstörbare 8.000-Dollar-Koffer

Die beiden verbrachten auch ihre Urlaube gerne miteinander - verrückte Aktionen inklusive. "Als ich ihn einmal in Brasilien besuchte, da nahmen wir den Hubschrauber, um schwimmen zu gehen", erzählt Berger. "Wir landeten an einem Strand, haben ein komplettes Chaos verursacht, da niemand was sehen konnte und alle Sand in den Augen hatten. Dann stiegen wir aus, als wäre nichts gewesen, gingen schwimmen und kletterten wieder in den Hubschrauber. Man könnte sagen, dass das etwas kindisch war."

Hubschrauber schienen überhaupt wie gemacht für dämliche Aktionen und zogen die zwei Spaßvögel magisch an. Zum Beispiel, als Berger Sennas Aktenkoffer beim Landeanflug auf Monza im Jahr 1992 abwarf. "Er war sehr stolz auf seinen Koffer, und wir alle (Berger, Dennis und dessen damalige Ehefrau Liza, Anm. d. Red.) wussten, dass er 8.000 Dollar gekostet hatte und dass es in Amerika eine Fernsehwerbung gab, bei der man einen Elefanten draufsteigen ließ", schmunzelt Berger.

Ayrton Senna, Hubschrauber

Ayrton Sennas legendärer Hubschrauber in seinen Helmfarben Zoom

"Ich schaute also dem Aktenkoffer nach, wie er 150 Meter unter uns aufschlug und eine kleine Staubwolke produzierte." Der Koffer überstand die Aktion tatsächlich, sein Inhalt war aber durch zerplatzte Füllfedern und Kugelschreiber nicht mehr zu gebrauchen. Sennas Ärger hielt sich zu Bergers Verwunderung in Grenzen: "Irgendwie beschäftigte es ihn, dass jemand so durchgeknallt sein konnte, Ayrton Sennas Aktenkoffer aus dem Heli zu schmeißen."

Wer zuletzt lacht, lacht am besten

Auf eine gewisse Art und Weise bewunderte der Perfektionist die Unverfrorenheit seines Freundes. "Gerhard ist der gefährlichste Mann in der Formel 1", sagte Senna einmal dem 'Blick'. "Nicht auf der Piste, sondern im Privatleben. Du bist keine Sekunde vor ihm sicher."

Auch Dennis fiel auf, dass Senna Gefallen an den gegenseitigen Streichen gefunden hatte. "Eines Tages merkte er, dass dies eine Art Wettkampf geworden ist, wer den geschmacklosesten Unsinn mit dem anderen anstellen kann - dann mischte er fleißig mit", meint der Brite gegenüber 'Reuters'. Als bald darauf feststand, dass der Tiroler in der kommenden Saison zu Ferrari gehen würde, folgte eine Attacke stakkatoartig der anderen.

Und es kam wie es kommen musste: Bei seinem McLaren-Abschied, den Berger 1992 in Adelaide sogar gewann, musste der Österreicher für seine Taten büßen. Als er am Tag danach beim Frühstück seinen Ledergeldbeutel mit den zwölf Kreditkarten zücken wollte, wurde ihm die Misere bewusst: "Diese Idioten, es kommen ja nur Ayrton Senna oder Teamchef Ron Dennis in Frage, haben alles in meiner Brieftasche mit einem Sekundenkleber zementiert!" Laut dem 'Blick' soll er sogar versucht haben, eine Kreditkarte mit dem Messer abzutrennen. Rache ist süß, wird sich Senna gedacht haben.


Fotostrecke: Stimmen: 20. Todestag von Ayrton Senna

Warum Senna und Berger einander brauchten

Im Nachhinein blickt Berger gerne auf seine gemeinsame McLaren-Zeit mit dem Weltstar zurück. "Wir hatten alles, das man aus materieller Sicht haben könnte - Flugzeuge, Hubschrauber, tolle Anwesen und tolle Karrieren. Erst jetzt, wenn ich heute hier sitze, realisiere ich, wie toll es wirklich war. Wir hatten eine Art von Leben, wie man es eigentlich nur in einem James-Bond-Film sieht. Aber selbst in einem James-Bond-Film gibt es immer Tragik. Und leider hatte Ayrton die Rolle des tragischen Helden."

Trotz des traurigen Endes der Freundschaft durch Sennas Tod 1994 haben beide von der intensiven Zeit auf ihre Weise enorm profitiert: Während der dreifache Champion Berger mit seinem Perfektionismus zu einem professionelleren Rennfahrer machte und dieser sich vermutlich auch für sein späteres Manager-Leben einiges abschauen konnte, bescherte der Österreicher dem getriebenen Senna, der bereits als Vierjähriger im Kart saß, wichtige Momente der Unbeschwertheit.

Ayrton Senna

Durch Gerhard Bergers Einfluss wurde Ayrton Senna lockerer Zoom

"Er hat nie was anderes gemacht, während ich das wirkliche Leben kannte", philosophiert Berger, der erst mit 21 Jahren mit dem Motorsport anfing. "Ich hatte meine Disco- und Fortgeh-Zeit. Ich musste also etwas zu unserer Freundschaft beitragen, das er nicht kannte." Das Klischee, er hätte Senna gelehrt, wie man Spaß habe, will Berger aber nicht gelten lassen: "Niemand weiß besser, was man in einer Disco tut, als ein Brasilianer - sie sind dafür geboren. Man musste ihn nur dort hinführen, dann würde er schon klarkommen."