• 01.05.2014 08:43

  • von Sam Smith & Filippo Zanier (Haymarket)

Rückblick: Bergers Feuerunfall in Imola 1989

Vor 25 Jahren hatte Gerhard Berger in der Tamburello-Kurve in Imola seinen fürchterlichen Unfall: Der Österreicher und seine Lebensretter erinnern sich

(Motorsport-Total.com) - Es lag etwas in der Luft im Frühling des Jahres 1989. Die Iden des März schienen bis in den April hineinzureichen. Um für weitere Reformen in China einzustehen, hatten frustrierte Studenten den Platz des himmlischen Friedens in Peking gestürmt. In Großbritannien stieß die Einführung der Kopfsteuer auf wenig Begeisterung. Diese fiel ironischerweise auf den 1. April 1989 und hatte in letzter Konsequenz zur Folge, dass die als "Thatcherismus" bekannte Regentschaft von Margaret Thatcher im darauffolgenden Jahr zu Ende ging.

Titel-Bild zur News: Gerhard Bergers Unfall in Imola 1989

Imola 1989: Ein Fotograf fing Bergers Unfall auf einem Monitor im Boxenbereich ein Zoom

Die Nachwirkungen jenes Frühlings schaffen es selbst heute noch auf die Titelseiten. Am 15. April wollten 96 Liverpool-Fans dem Halbfinale des FA-Cups in Sheffield beiwohnen, kehrten aber nie zurück. Die verachtungswürdigen und beschämenden Auswirkungen des Desasters von Hillsborough treten nach wie vor zutage. In Verbindung mit dem eine ganze Ära prägenden Debütalbum von The Stone Roses, das in jenem Frühjahr veröffentlicht wurde, bildeten diese Ereignisse die Bühne für ein dramatisches vergangenes Jahr in den Achtzigern.

Als der Formel-1-Zirkus in Imola seine Zelte für das zweite Rennwochenende der Saison 1989 aufschlug, gab es einen ungeahnten Vorboten auf die Ereignisse der 1990er-Jahre. Gerhard Berger hatte einen entsetzlichen Unfall, der von Millionen von Fernsehzuschauern live verfolgt wurde.

Aggressives Räubern über die Randsteine

Am Renntag wurden die Fahrer von Sonnenschein und angenehmen Temperaturen begrüßt. Eine leichte Brise durchzog die mit Löwenzahn verzierten Wiesen im landschaftlich reizvollen Stadtpark von Imola. Die Tifosi - geblendet von Nigel Mansells überraschendem Sieg vier Wochen zuvor in Rio - waren in Scharen an die Strecke gepligert. Es herrschte eine knisternde Atmosphäre in Imola.

24 Stunden zuvor hatte Berger seinen Ferrari 640 hinter dem Williams-Renault von Riccardo Patrese für den fünften Startplatz qualifiziert. Vor den beiden lagen Mansell auf Startplatz drei und in der ersten Startreihe die beiden McLaren-Honda von Alain Prost und Ayrton Senna.

Ayrton Senna und Alain Prost in Imola 1989

Startrunde in Imola 1989: Ayrton Senna führt, Gerhard Berger liegt an fünfter Stelle Zoom

Im Qualifying hatte Berger nicht den glücklichsten Eindruck gemacht. Seine Bestzeit aus dem nassen Freitagstraining war wertlos geworden, weil es am Samstag trocken war. Am Samstag quetschte Berger alles aus seinem Ferrari 640 heraus, nahm die Randsteine in der Acque-Minerali-Schikane und auch in der Variante Bassa voll mit. In dieser, unmittelbar vor Start/Ziel befindlichen, Schikane fand er auf diese Weise ein paar Zehntelsekunden, wenngleich er sich dabei den Frontflügel ramponierte.

Im Rennen tags darauf tat er im Bemühen, an Patrese vorbeizugehen und seinen Teamkollegen zu jagen, genau dasselbe. Berger warf sein Auto durch die Variante Bassa, um auf der Anfahrt zur Tosa-Kurve in den Windschatten zu gelangen. Doch soweit sollte er nicht kommen.

Keine Erinnerungen an die Geschehnisse vor dem Unfall

"Bis zum Zeitpunkt des Unfalls erinnere ich mich an gar nichts aus diesem Rennen", sagt Berger und fügt an: "Es ist schon lustig, wie das Gehirn funktioniert. Ich erinnere mich an jedes noch so kleine Details des Unfalls und auch an den Einschlag selbst. An alles, was davor passierte, habe ich aber keine Erinnerungen. Ich versuchte einzulenken... nichts. Dann versuchte ich zu bremsen.... nichts. Ich sagte mir 'Scheiße, jetzt muss ich mich auf den Einschlag vorbereiten und kann nur beten'.

Sobald die Erschütterungen nachgelassen hatten, fand sich Berger in Phase zwei eines Albtraumszenarios wieder. Das Monocoque war auf der rechten Seite gebrochen, weil der Kühler das Chassis durchschlagen hatte. Bergers Oberkörper und Arme lagen im Freien und wurden literweise von Agip-Sprit getränkt. Anschließend herrschte für einen kurzen Moment Stille. Der Österreicher verlor für Sekunden das Bewusstsein. Dann gab es das Inferno.


Fotostrecke: Die Formel-1-Karriere von Gerhard Berger

"Das Nächste, an das ich mich erinnere, war, dass ich überall höllische Schmerzen hatte. Sid (Formel-1-Arzt Watkins; Anm. d. Red.) saß auf meinen Schultern und versuchte, mir einen Schlauch in den Mund zu schieben. Ich wehrte mich", erinnert sich Berger und erklärt: "Das war ein ganz normaler Reflex, wenn man ein paar Minuten lang bewusstlos war. Ich erinnere mich nicht allzu gut an diese Momente, aber ich weiß noch, wie ich versuchte zu verstehen, wo ich bin und was überhaupt los ist. An den Schmerz und auch an den Geruch des Benzins, der sehr intensiv war, erinnere ich mich noch genau."

Das Erste-Hilfe-Fahrzeug, in dem Doktor Watkins und Doktor Domenico Salcito saßen, war bereits an der Unfallstelle angekommen. Salcito war derjenige, der das Konzept des "schnellen Medical-Cars" in Italien eingeführt hatte. Auf diese Art und Weise waren die ersten Ärzte schneller am Unfallort als es mit einem Krankenwagen möglich gewesen wäre.


Gerhard Berger rekapituliert seinen Imola-Unfall

Das Erste-Hilfe-Fahrzeug wurde vom ehemaligen Langstreckenpiloten Mario Casoni (Dritter bei den 24 Stunden von Le Mans 1972) gesteuert. Dieses Fahrzeug hatte die volle Befugnis, die Rennstrecke während des Rennens zu befahren. Ein derartiges Privileg hatte nicht einmal FIA-Rennleiter Roland Bruynseraede. "Wenn es notwendig war, konnten wir jederzeit auf die Rennstrecke. In einem solchen Fall mussten wir niemandem antworten", bestätigt Salcito. "Wir nutzten das Funkgerät nur, um alle anderen zu warnen. Sie waren es, die reagieren mussten."

Schnelle Reaktion der Ärzte

Der schnellen Reaktion von Salcito, Watkins und Doktor Baccarini war es zu verdanken, dass sie schon 35 Sekunden nachdem das Feuer gelöscht war, am Unfallort waren. Doch dann begann der Kampf, Berger zu behandeln, erst so richtig. "Gerhard war etwa drei Minuten lang bewusstlos. Anschließend war sein Zustand durch eine psychomotorische Aufregung gekennzeichnet", sagt Salcito und geht ins Detail: "Er bewegte sich so wild, dass wir es nicht schafften, ihm den Helm abzunehmen. Schließlich musste sich Doktor Watkins auf ihn setzen, um es uns zu ermöglichen, seinen Kopf freizulegen. Wir brachten ihn dann mit dem Krankenwagen ins Medical-Center der Strecke und gaben ihm eine Beruhigungsspritze."

Sid Watkins

Sid Watkins war 35 Sekunden nachdem das Feuer gelöscht war, bei Berger Zoom

Inzwischen war längst die Rote Flagge geschwenkt worden. Watkins und Salcito lieferten Berger mit überraschend leichten Verletzungen im Medical-Center ab. Der Österreicher hatte eine angeknackste Rippe, ein verletztes Schlüsselbein und Verbrennungen zweiten Grades an den Händen (an den Stellen, wo die inneren Fasern seiner Handschuhe geschmolzen waren).

Draußen vor dem Medical-Center herrschte Chaos, weil sowohl Medienvertreter als auch Mitglieder des Ferrari-Teams - unter denen sich auch ein besorgter Nigel Mansell befand - versuchten, Neuigkeiten über Bergers Gesundheitszustand in Erfahrung zu bringen. Inmitten dieses ganzen Chaos gab es einen Mann, der auf sich allein gestellt war: Ferrari-Teamchef Cesare Fiorio. Vier Wochen zuvor in Rio war er noch der Stolz der Tifosi gewesen. Nun sah er sich dem unvorstellbar großen Druck ausgesetzt, einen Ferrari auf heimischem Boden vom Neustart zurückziehen zu müssen.

Ferrari-Teamchef Fiorio unter Druck

Es herrschte komplettes Rätselraten darüber, weshalb Berger in der Tamburello - einer Kurve, in der ein Fahrfehler äußerst unwahrscheinlich war - von der Strecke abgekommen war. Doch Fiorio musste eine Entscheidung treffen. Als der Ferrari 640 mit der Startnummer 28 in Flammen aufgegangen war, starrte der Teamchef auf den winzigen Longines-Monitor am Kommandostand und befasste sich bereits mit dem Unvorstellbaren. Dann wand er sich ab, um überhaupt erst einmal herauszufinden, welches seiner beiden Autos den Unfall hatte.

"Aus menschlicher Sicht war der Unfall der schwierigste Moment des Tages, aber während der folgenden Minuten befand ich mich in der schwierigsten Situation meiner gesamten Karriere", erinnert sich der heute 74-jährige Fiorio. "Das Rennen war natürlich mit der Roten Flagge gestoppt worden. Der Neustart war für 20 Minuten später angesetzt. Während ich versuchte, etwas über Gerhards Zustand herauszubekommen, vergingen die ersten zehn Minuten wie im Flug. Schließlich gelang es mir endlich, ins Medical-Center der Strecke vorzudringen. Dort sah ich ihn. Er war okay, hatte lediglich ein paar leichte Verbrennungen an den Händen. Inzwischen waren es nur noch zehn Minuten bis zum Neustart und ich musste eine weitreichende Entscheidung treffen."

Cesare Fiorio

Cesare Fiorio stand kurz davor, Mansells Auto vom Neustart zurückzuziehen... Zoom

Im ersten Moment musste man davon ausgehen, dass am Ferrari 640 von Berger etwas gebrochen war. Arrows-Pilot Derek Warwick, der sich zum Zeitpunkt des Unfalls einige Positionen weiter hinten im Feld befand, vermutete, dass die Radaufhängung des Ferrari kollabiert war. Mit Bestimmtheit sagen konnte dies aber niemand. Die Fernsehkameras hatten den Unfall nur aus einem Winkel eingefangen. Dieser zeigte lediglich das Heck des Autos. Ein Fahrfehler galt als höchst unwahrscheinlich, aber...

Rückzug des WM-Leaders?

"Ein Fahrfehler war dennoch nicht auszuschließen. Schließlich war Piquet zwei Jahre zuvor an exakt der gleichen Stelle aufgrund eines Fahrfehlers von der Piste abgekommen", erinnert Fiorio und fügt an: "Ein technischer Defekt war dennoch die wahrscheinlichste Ursache. Ich musste entscheiden, was mit Mansells Auto passieren sollte. Das war im Gesamtkontext betrachtet alles andere als einfach."

"Nigel hatte den Saisonauftakt in Brasilien gewonnen", so Fiorio. "Das bedeutete, dass wir als WM-Spitzenreiter zu unserem Heimspiel nach Imola gekommen waren. Im Qualifying waren wir gut unterwegs und die Erwartungen waren hoch. Man kann sich also vorstellen, dass ein Rückzug vom Rennen keine einfache Entscheidung darstellte. Hinzu kam, dass ich gerade einmal zwei Monate zuvor bei Ferrari angefangen hatte. Ich befand mich also in einer denkbar komplizierten Lage."

Nigel Mansell gewinnt in Rio de Janeiro 1989

Vier Wochen vor Imola hatte Mansell den Saisonauftakt 1989 in Rio gewonnen Zoom

"Ich sprach zuerst mit John Barnard und fragte ihn, ob er irgendeinen Anlass erkennen konnte, dass der Unfall durch einen technischen Defekt hervorgerufen wurde. Zudem fragte ich ihn, ob es ein zweites Mal passieren könnte. Leider hatte er nicht wirklich eine Antwort für mich", so Fiorio. "Er sagte lediglich, dass es durchaus einen Defekt gegeben haben könnte. Endgültige Klarheit könne aber nur eine tiefgründige Untersuchung des Wracks geben. Diese hatte er für Montag in Maranello vorgesehen. Wie man sich vorstellen kann, war das für mich zu spät."

Der Neustart des Rennens rückte Minute um Minute näher und Fiorios Gleichgewicht wurde trotz der immensen Erfahrung, die er besaß, auf eine harte Probe gestellt. In der Boxengasse traf er Piero Lardi Ferrari, den außerehelichen Sohn des großen Enzo und Vize-Präsidenten des Unternehmens. Fiorio fragte Ferrari, wie er entscheiden würde, wäre er selbst in dieser Situation. Die Antwort? "'Du bist der Boss. Die Entscheidung liegt bei dir.' Das war es, was er sagte", grinst Fiorio. "Ich antwortete ihm: 'Vielen Dank dafür Piero.'"

"In diesem Moment wurde mir endgültig klar, dass ich das Ruder von Ferrari komplett allein in der Hand hatte", sagt Fiorio, um sofort anzufügen: "Mir war zwar schon vorher klar, dass ich die volle Autorität und Kontrolle über sämtliche Abteilungen des Rennteams besaß, aber trotzdem: Die Einsamkeit war nie so groß wie in diesem Moment."

Ascanelli: "Alle standen unter Schock"

Auf Anweisung von Fiorio wühlte sich Bergers Renningenieur Giorgio Ascanelli hektisch durch die Datenaufzeichnungen. Der junge und noch recht unerfahrene Italiener war anlässlich des emotionalen Italien-Grand-Prix in Monza im Jahr zuvor (Ferrari-Doppelerfolg dank Berger und Michele Alboreto; Anm. d. Red.) zum Team gestoßen und befand sich nun verglichen mit Fiorio am exakt anderen Ende der Gefühlsskala.

"Ich erinnere mich, dass alle unter Schock standen. Trotzdem musste man so professionell handeln wie es nur ging", blickt Ascanelli zurück. "Als der Unfall passierte, stand ich gerade gemeinsam mit Cesare an der Boxenmauer. Wir konnten einfach nicht glauben, was wir da sahen. Anschließend ging es darum, anhand der Daten irgendetwas herauszufinden. Wir mussten wissen, ob es generelles Problem gab, das auch an Mansells Auto hätte auftreten können. Angesichts der Zeitknappheit war dies nahezu unmöglich. Die Telemetrie steckte ja 1989 noch in den Kinderschuhen", so Ascanelli.

Giorgio Ascanelli

Giorgio Ascanelli war 1989 Bergers Renningenieur bei Ferrari Zoom

Während Fiorio versuchte, mit einer nahezu beispiellosen Abfolge von Ereignissen fertig zu werden, befand sich Mansell längst in der Startaufstellung. Der Brite saß in seinem Ferrari, hatte das Lenkrad angebracht und war bereit, loszulegen. "In einer solchen Situation will man es tunlichst vermeiden, den Fahrer anzusprechen, denn seine Sicht der Dinge ist natürlich voreingenommen. Alles, was den Fahrer in diesem Moment interessiert, ist, das Rennen unter die Räder zu nehmen", weiß Fiorio.

Wie also ging der Ferrari-Teamchef in jener Situation vor? "Ich sagte zu Nigel 'Du wirst das Rennen starten, aber noch vor Ende der ersten Runde hebst du deinen Arm, nimmst Tempo weg und kommst langsam an die Box zurück. Es muss so aussehen, als gäbe es ein Problem am Auto.' Seine erste Antwort war 'Vergiss es', doch ich hatte meinen Standpunkt dargelegt. Die Entscheidung war gefallen."

Montagmorgen: Ferraris Moment der Wahrheit

Als Fiorio sich vom einzig verbliebenen Ferrari entfernte, murmelte Mansell irgendetwas und schaltete in den Kampfmodus um. Wie immer regelte der Brite die Dinge auf seine Art. Der neue Held der Tifosi gab alles. "Anstatt am Ende der ersten Runde an die Box zu kommen, ließ sich Nigel Zeit. Erst nach 23 Runden kam er herein und stellte das Auto ab. Wir erzählten der Presse, dass es ein Getriebeproblem gab und unser Rennen deshalb zu Ende war", bekräftigt Fiorio.

Der Moment der Wahrheit kam für Ferrari am Montagmorgen, als Fiorio, Barnard und die Ingenieure in Maranello den zerstörten 640 von Berger inspizierten. "Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn dabei herausgekommen wäre, dass das Auto in Ordnung war", sagt Fiorio und bekennt: "Unter dem Druck von ganz Italien hätte nicht viel bis zum Selbstmord gefehlt."

"Unter dem Druck von ganz Italien hätte nicht viel bis zum Selbstmord gefehlt." Cesare Fiorio

Bergers aggressives Räubern über die Randsteine spielte auf jeden Fall eine Rolle. Barnard aber fand heraus, dass die Hauptursache für den Unfall eine Design-Schwäche am Frontflügel war, die von der Qualitätssicherung in Maranello nicht entdeckt worden war. Ironischerweise hatte Mansell nur zwei Wochen später im Freien Training zum Grand Prix von Monaco in der Massenet-Kurve den gleichen Defekt. Barnard entschied daraufhin, weitere Veränderungen vorzunehmen, um Gebrechen dieser Art für die Zukunft auszuschließen.

Die "Löwen von Imola" sprechen

Gabriele Vivoli war in Imola als Erster an der Unfallstelle. Er war derjenige, der maßgeblich dafür verantwortlich war, dass das Feuer so schnell gelöscht wurde. "Wir sind keine Helden", nicken Paolo Verdi und Bruno Miniati, während Vivoli anführt: "Wir haben einfach unseren Job erledigt. Jeder andere ehrenamtliche Helfer der CEA (italienischer Feuerwehrverband; Anm. d. Red.) war genauso ausgerüstet und vorbereitet wie wir und hätte genauso effizient gehandelt."

An jenem 23. April 1989 waren es Vivoli, Verdi und Miniati, die so schnell von ihrem Posten zur Tamburello-Kurve eilten und damit das Leben von Gerhard Berger retteten. Heute leben die drei Männer noch immer in Borgo San Lorenzo, einem kleinen Örtchen rund 40 Kilometer nördlich von Florenz und unweit einer der schönsten Rennstrecken der Welt: Mugello.

Gerhard Berger

Tamburello: Streckenposten bergen das Wrack von Bergers Ferrari 640 Zoom

Der 65-jährige Verdi arbeitet noch immer für die Squadra Corse, die CEA-Abteilung für Sofortrettung. Miniati ist mittlerweile 70 Jahre alt und hat gerade das Alterslimit für aktive Tätigkeit erreicht. Vivoli, der Jüngste des Trios, ist 60 Jahre alt. Er entschied sich im Jahr 1994 dazu, seinen Job niederzulegen.

Das Trio erinnert sich an den Berger-Unfall. "Die Wucht des Aufpralls ist die markanteste Erinnerung, die ich habe", sagt Miniati. Verdi wirft ein: "Als das Auto von der Piste abkam, war ich im ersten Moment einfach nur enttäuscht, denn es war offensichtlich, dass es sich um einen Ferrari handelte. Doch in dem Moment, als das Auto an der Mauer zerschellte, spielte das keine Rolle mehr. Ab diesem Moment ging es einfach nur darum, dass in dem Auto ein Mensch saß, der auf Hilfe angewiesen war - auf schnelle Hilfe."

Beherztes Eingreifen der Streckenposten

Vivoli erinnert sich: "Zum damaligen Zeitpunkt lag es bereits einige Jahre zurück, dass wir Drei zusammengearbeitet hatten. Unser Standardposten in Imola war 3C, direkt hinter der Tamburello. Wir hatten uns vorab auf eine Strategie für die Sofortrettung verständigt, im Zuge derer wir uns nicht gegenseitig im Weg standen. Miniati war der Stärkste von uns und war für den 'Carrellone' - den Transportkarren mit einem 100-Liter-Feuerlöscher und einem 25 Meter langen Schlauch - verantwortlich. Paolo und ich, wir waren jünger und flinker. Unsere Aufgabe war es, mit den Handfeuerlöschern so schnell wie möglich zum Unfallauto zu eilen. So sah es unser gewohnter Plan vor und exakt nach diesem handelten wir am Tag, als Berger seinen Unfall hatte."

Die Entfernung vom Posten 3C zur Unfallstelle wurde im Nachhinein ermittelt. Es waren 87 Meter. Trotz dieser beträchtlichen Entfernung richtete Vivoli schon 14 Sekunden nachdem der Ferrari zum Stillstand gekommen war, seinen Feuerlöscher auf die Flammen. Verdi war nur wenige Sekunden später zur Stelle. "Das war keine schlechte Zeit, wenn man bedenkt, dass wir einen acht Kilogramm schweren Feuerlöscher dabei hatten und uns unsere Schutzkleidung in der Bewegung einschränkte. Ich bezweifle, dass Carl Lewis das geschafft hätte", lacht Verdi heute.

"Ich bezweifle, dass Carl Lewis das geschafft hätte." Paolo Verdi über seine Laufzeit von Posten 3C bis zur Unfallstelle

"Der wahre Grund, weshalb wir so schnell zur Stelle waren, war aber", fährt Verdi fort, "weil wir schon unmittelbar nach dem Einschlag des Autos in die Mauer losrannten - noch bevor das Feuer ausbrach. Da es gerade mal die vierte Rennrunde und zudem ein unglaublich heftiger Aufprall war, lag aufgrund der vollen Benzintanks nahe, dass es ein Feuer geben würde."

Vivoli, der als Erster an der Unfallstelle war, sah sich einem Höllenszenario gegenübergestellt: "Die Flammen waren so hoch, dass einige der Tifosi, die auf die Werbetafel geklettert waren, um von dort das Rennen zu beobachten, in den mehrere Meter tiefer liegenden Santerno sprangen." Der Fluss verläuft noch heute direkt hinter der Tamburello-Kurve.

Gerhard Berger als Zuschauer in Monte Carlo 1989

Mit Brandverletzungen an den Händen kam Berger glimpflich davon Zoom

"Das Auto war komplett in Flammen gehüllt. Es war so schlimm, dass ich nicht erkennen konnte, wo vorn und wo hinten ist", erinnert sich Vivoli weiter. "Ich sprang also mit aktiviertem Feuerlöscher in die Flammen. Als diese abklangen, konnte ich Bergers Lage erkennen. Ich erinnere mich noch genau daran, wie Hitzeblasen die Konturen seines Helms nachzeichneten."

Miniati, dessen Aufgabe es war, den großen Feuerlöscher zu bedienen, erlebte das Szenario aus einer anderen Perspektive: "Ich sah, wie Gabriele und Paolo auf das Auto zurannten, während sich dieses noch drehte. Dann kam es zum Stillstand und sofort begannen die Flammen zu lodern. Weil ich mit meinem 25 Meter langen Schlauch noch nicht nahe genug dran war, schnappte auch ich mir einen Handfeuerlöscher und ich begann ebenfalls zu rennen."

"Es kann viel schiefgehen, aber in diesem Fall ging alles gut"

"Als das Feuer gelöscht war, war das Bergungsteam bereits mit dem Medical-Car angekommen und begann damit, Berger sehr zügig aus dem Wrack zu befreien. Das war wichtig, denn selbst nachdem das Feuer gelöscht war, war die Temperatur im Wrack noch immer extrem hoch. Sie war hoch genug, um den Fahrer langsam zu 'kochen'", berichtet Miniati.

Gerhard Berger

Berger zog sich Ende der Saison 1997 vom aktiven Rennsport zurück Zoom

"Das Erstaunliche dabei ist", wirft Vivoli ein, "dass drei Feuerlöscher genügten, um ein 190-Liter-Feuer zu löschen. Das war aber nicht nur reines Glück. Die CEA hatte im Vorfeld um die Lieferung von echtem Formel-1-Benzin gebeten, um in Verbindung damit verschiedene Chemikalien testen zu können. Das war es, was letztlich den Unterschied ausmachte. Wir hatten die bestmögliche Ausrüstung, um gegen dieses Feuer anzukommen."

Trotzdem glaubt Vivoli, dass auch das Glück einen Anteil hatte: "Weil der Benzintank beim Aufprall so stark beschädigt worden war, war der Großteil des Benzins bereits herausgeschwappt. Deshalb war das Risiko einer Explosion nicht mehr gegeben. Hinzu kommt, dass auch im Falle einer gewissenhaften Vorbereitung, wie wir sie hatten, immer etwas dazwischenkommen kann: Ein Ventil kann versagen, ein Griff kann abbrechen oder man kann stolpern. Das alles ist schon vorgekommen. Es kann viel schiefgehen, aber in diesem Fall ging alles gut."

Andere Verhältnisse als in Monza 1978...

Dass an jenem Tag keiner der drei Helfer Verletzungen davontrug, führt Vivoli auf die Vorkehrungen der CEA für ihre Mitglieder zurück: "Ich sprang ins Feuer und kam ohne einen Kratzer wieder heraus. Wir hatten die neueste Generation feuerfester Anzüge zur Verfügung und diese taten ihren Dienst." Dies war allerdings nicht immer so. Als Ronnie Peterson beim Grand Prix von Italien 1978 in Monza seinen Unfall hatte, trugen die Helfer der CEA ihre von zu Hause gewohnte Kleidung. Im Normalfall bestand diese aus Jeans und Lederstiefeln...

Doch auch mit der besten Ausrüstung, die es zum damaligen Zeitpunkt gab, riskierte Vivoli in Imola 1989 sein Leben, wie dessen rechte Hand Verdi offenbart: "Im Eifer des Gefechts vergaß er, sein Helmvisier herunterzuklappen. So war er dem Rauch und den Dämpfen natürlich viel stärker ausgesetzt. Als das Feuer gelöscht war, sah sein Gesicht kohlrabenschwarz aus."

Ronnie Petersons Feuerunfall in Monza 1978

Bei Ronnie Petersons Feuerunfall in Monza 1978 war die Ausrüstung noch eine andere Zoom

"Das stimmt. Ich atmete mehr von diesem Zeug ein als Berger", erinnert sich Vivoli und fügt angeregt hinzu: "Es gibt noch eine Sache, an die ich mich so klar erinnere, als wäre sie gerade eben erst passiert: Als alles vorbei war, bot mir eine Frau aus dem Publikum, die ein Kind auf dem Arm trug, eine Packung Milch an. Sie sagte, Trinken sei das Beste, nachdem man was auch immer gerade eingeatmet hatte. Genau so war es. Es war ein großartiges Gefühl."

Miniati, Verdi und Vivoli wurden für ihre Verdienste "sowohl von der Stadtverwaltung von Imola als auch vom Italienischen Automobilklub mit jeweils einer Medaille bedacht", offenbart Verdi und führt an, dass die Übergabe der Medaille vom Italienischen Automobilklub in Bologna stattfand: "Es geschah im Stadion der Stadt, unmittelbar vor dem Anpfiff einer Partie zwischen Bologna und Inter Mailand. Wir betraten das Spielfeld gemeinsam mit den Spielern. Das war ein sehr ergreifender Moment, vor allem für Gabriele, der ein großer Fan von Inter ist."

Das Trio hat auch Berger mehrmals getroffen. Einmal traf man sich zum Mittagessen im Restaurant "Cavallino" in Maranello. Das Erlebnis, das allen dreien aber am besten in Erinnerung geblieben ist, war ein Fernsehauftritt in Österreich. "Als wir unsere Pflicht in der Sendung getan hatten, wurden wir von der Familie Berger zum Abendessen eingeladen. Das war ein lustiger Abend", erinnert sich Vivoli. "Gerhard überreichte uns ein paar Geschenke und machte uns stockbesoffen."

Der Schmetterlingseffekt

"Hätte, wäre, wenn" ist im Formel-1-Sprachgebrauch reichlich vorhanden. Was Imola 1989 betrifft, gibt es aber triftige Gründe dafür, dass Bergers Unfall der Auslöser für eine Kettenreaktion war, die das Bild der Formel 1 zu Beginn des anschließenden Jahrzehnts und vielleicht sogar noch darüber hinaus nachhaltig prägte.

Der Unfall passierte in der vierten Runde des Rennens. Zum Zeitpunkt, als die Rote Flagge herauskam, lag der von der Pole-Position gestartete Senna vor Prost in Führung. Bei der Anfahrt zur Tosa-Kurve ließ Senna die Räder blockieren und eröffnete Prost damit unfreiwillig eine Chance zum Überholen. Der "Professor" verkniff sich einen Angriff.

Ganz anders verlief der Neustart: Im Moment, als die Ampel von Rot auf Grün umsprang, verzettelte sich Senna ein wenig. Prost ergriff die Chance sofort und setzte sich in Führung. Als der Franzose auf der Ideallinie die Tosa-Kurve anbremste, stach Senna innen hinein und zog sogar etwas zu Prost herüber, um eine vernünftige Linie durch die enge Linkskurve nehmen zu können.

Neustart in Imola 1989 nach Bergers Unfall

Neustart in Imola 1989: Alain Prosts Führung hält nur bis zur Tosa-Kurve... Zoom

Ein überraschter Prost sah sich gezwungen, einen weiten Bogen zu fahren, um eine Kollision zu vermeiden. Es war der Moment, in dem eine im Vorfeld getroffene Abmachung gebrochen wurde. Diese sah vor, dass derjenige, der in der Kurve die Führung innehatte, Platz eins für den Verlauf der ersten Runde behalten dürfe.

So schnell wie Prost seine Chancen in diesem Rennen schwinden sah, so schnell schwand der Respekt des Franzosen für die Worte Sennas. Ein untypischer Dreher in der Variante Bassa hatte zur Folge, dass Prost das Rennen mit 40 Sekunden Rückstand auf Senna als Zweiter beendete. Der Franzose kletterte aus seinem MP4/5, sprach kurz mit Teamchef Ron Dennis und verließ daraufhin zügig die Rennstrecke. Die obligatorische Pressekonferenz ließ er sausen.

Winter 1989/1990: Berger und Senna werden Teamkollegen

Ab diesem Zeitpunkt sprachen Prost und Senna nur noch selten miteinander. Dem Franzosen war klar geworden, dass er das Team, bei dem er 60 Prozent seiner Karriere verbracht und bis zum damaligen Zeitpunkt zwei WM-Titel gewonnen hatte, verlassen musste. Er wies seine Berater an, die Fühler nach Maranello auszustrecken.

Gerhard Berger und Ayrton Senna 1989

Berger und Senna verstanden sich schon vor ihrer gemeinsamen McLaren-Zeit gut Zoom

Am Freitag des Monaco-Wochenendes wurden erste vorsichtige Annäherungsversuche in diese Richtung unternommen. Als sechs Wochen später der Grand Prix von Frankreich anstand, wurde bekanntgegeben, dass Prosts Zeit in Woking ablaufen würde. Am Freitag, den 25. August wurde in Spa der vorprogrammierte Dreijahresvertrag mit Ferrari unterzeichnet.

Hätten Prost und Senna eine weitere Saison gemeinsam bei McLaren ausgehalten, auch wenn Berger nicht seinen Unfall gehabt hätte? Wahrscheinlich nicht. Das Erdbeben zwischen den beiden Formel-1-Größen stand schon länger im Raum. Schon beim Grand Prix von Portugal im Jahr zuvor wäre es um ein Haar soweit gewesen. Damals hatte Senna seinen Erzfeind bei Tempo 200 in Richtung der Boxenmauer abgedrängt.

Die Auswirkungen des Unfalls für Berger

Auch für Berger selbst hatte der Unfall weitreichende Folgen. Zur Saison 1990 übernahm er bei McLaren-Honda den Platz von Prost. Mehr noch: "Ich glaube, Gerhard war nach dem Unfall ein anderer Fahrer", sagt Ascanelli. "Er war nicht wesentlich langsamer oder weniger risikofreudig. Vielmehr spielte sich das Ganze auf eine ausgewogenere Art und Weise ab. Er dachte mehr darüber nach, was er tat und wie er unnötige Risiken vermeiden konnte. Ich glaube, dass ihm das einerseits eine Hilfe war, andererseits aber auch eine Einschränkung."

Gerhard Berger in Imola 1994

Imola 1994: Berger fährt auf die im Vergleich zu 1989 unveränderte Tamburello zu... Zoom

Berger bestätigt: "Der Unfall war für mich ein Weckruf. Ich realisierte, dass ich mir selbst großen Schaden zufügen konnte. Nach Imola war ich ein anderer Fahrer, kein Zweifel. Ich war nicht langsamer und weniger konkurrenzfähig, einfach anders. Ich wusste, wo die Grenzen und Limits liegen und ich wusste, dass ich diese stärker respektieren muss. Eines steht fest: Der Risikofaktor ist mir nach Imola klarer geworden. Von da an hörte ich auf die Warnungen."

"Es besteht ein großer Unterschied darin, einen Unfall zu haben, der auf einen Fahrfehler zurückzuführen war und bei dem man denkt 'Okay, ich habe Mist gebaut' oder aber am Limit zu fahren und zu denken 'Hoffentlich bricht jetzt nichts'", bemerkt Berger und gibt ein Beispiel: "So war es bei mir in der Saison 1993, als ich den Ferrari mit aktiver Radaufhängung fuhr. Es war wie in Amerika, wo man die Cowboys auf diesen verrückten Bullen reiten und durch die Luft fliegen sieht. Es war einfach komplett verrückt."

Berger & Senna in der Tamburello: "Hier kann man nichts tun"

Die meisten Erdbeben haben bekanntlich Nachbeben zur Folge. Fünf Jahre nach Imola 1989, als Berger in der zweiten Runde des neugestarteten Grand Prix von San Marino 1994 durch die Tamburello-Kurve fuhr, musste er mit ansehen, wie das Schicksal zuschlug. Als er am Wrack des Williams-Renault von Spitzenreiter Senna vorbei war, schaute Berger instinktiv in die Rückspiegel.

Imola 2004: Gerhard Bergers Ehrenrunden für Ayrton Senna in dessen Lotus-Renault

Imola 2004: Gerhard Bergers Ehrenrunden für Ayrton Senna in dessen Lotus-Renault Zoom

Wenn sich Berger heute daran erinnert, dann fällt ihm sofort eine Begebenheit ein, die zeitlich zwischen seinem eigenen Unfall und dem von Senna lag: "Ayrton und ich, wir waren irgendwann später im Jahr 1989 noch einmal in Imola. Wir gingen zur Tamburello, denn wir beide sahen es mit Sorge, wie nahe die Mauer an der Strecke steht. Wir schauten dahinter, um zu sehen, ob man sie zurückversetzen könnte. Doch direkt dahinter verläuft ein Fluss und wir beide kamen zum Schluss: 'Schon gut, hier kann man nichts tun'. Wie dumm sind wir gewesen, nicht auf die Idee einer Schikane vor der Kurve zu kommen... wie dumm!"

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