• 30.09.2002 10:31

  • von Marcus Kollmann

Schumacher: Ferrari wollte nicht, dass Rubens gewinnt

Michael Schumacher über das kuriose Finish, die Konkurrenz, das besondere Verhältnis zu Barrichello und die Vorwürfe

(Motorsport-Total.com) - Nach dem Großen Preis der USA, in dem er bis zur letzten Runde geführt hatte, auf kuriose und zu Diskussionen anregende Weise jedoch um den Bruchteil einer Sekunde hinter seinem Teamkollegen als Zweiter die schwarz-weiß-karierte Flagge sah, stand Michael Schumacher auf der anschließenden Pressekonferenz der FIA Rede und Antwort.

Titel-Bild zur News: Michael Schumacher und Rubens Barrichello nach dem US-Grand Prix im Parc fermé

"Schumi" und "Rubinho" jubelten beide nach der Zieldurchfahrt

Frage: "Michael es scheint so, als wäre es deine Entscheidung gewesen so dicht zusammen die Ziellinie zu überqueren. Wolltest du so präzise wie möglich vor ihm über die Linie fahren oder hattest du beabsichtigt Rubens sie als Erster überqueren zu lassen?"
Michael Schumacher: "Vielleicht, wer weiß. Ich meine, wir haben so viele Rekorde in diesem Jahr erzielt und das müsste jetzt das engste Finish sein oder? Ganz ehrlich, meiner Meinung nach sind Rubens und ich zusammen ein so großartiges Team, dass es nichts ausmacht. Wir arbeiten sehr hart, haben ein fantastisches Team um uns herum und haben uns immer unterstützt. Ich dachte heute, dass es eine gute Gelegenheit wäre zugleich über die Linie zu fahren. Das haben wir versucht, doch wir haben es knapp verfehlt."

Frage: "Aber du hast es nicht um viel verfehlt. Das war wirklich das engste Finish. Gestern noch hattest du ein enges Rennen hier vorhergesagt, nicht nur zwischen dir und Rubens, sondern auch zwischen McLaren und Williams. Es schien so als ob McLaren heute stärker war und mit euch mithalten konnte."
Schumacher: "Stimmt, doch wir hatten ehrlich gesagt damit gerechnet. Wenn man den Unterschied am Ende sieht, beträgt er über sieben Sekunden, nein, ich meine weniger als zehn Sekunden am Ende, was zeigt, dass es ein enges Rennen war. Ich glaube, dass der Vorteil durch unsere Zweistoppstrategie auch bei zehn Sekunden vermutet worden war. Wir hätten aber auch festhängen können und dann wäre die Strategie vielleicht nicht aufgegangen. Alles in allem haben wir das Richtige zur richtigen Zeit getan. Wir hatten das richtige Auto und unsere Jungs wählten auch die richtige Strategie für uns aus."

"Ein paar Fahrer machten mir das Überholen ziemlich leicht andere schwer"

Frage: "Michael, du warst die ganze Zeit über Erster, außer am Ende, als du um eine Nanosekunde nach Rubens die Ziellinie überquertest."
Schumacher: "Was?"

Frage: "Okay, du hast anscheinend noch nicht von einer Nanosekunde gehört. Frag einfach einmal Ross, er wird es dir erklären. Es ist wirklich ein unglaublich kurzer Bruchteil einer Sekunde. Wie fandest du den Verkehr während des Rennens?"
Schumacher: "Ich hatte ähnliche Probleme wie Rubens. Es gab ein paar Fahrer die nett sein und Platz machen wollten, doch leider taten sie das an den falschen Stellen. Manchmal ist es aber für den vor einem fahrenden Piloten schwer einzuschätzen ob der herannahende Fahrer versteht was er tut und dann findet man sich plötzlich in einer Situation wieder in der man so etwas in der Mitte der Kurve gar nicht erwartet hätte. Eine Kurve ist hier Turn 3 hinunter zu Turn 4. Dass jemand in Turn 3 vom Gas geht erwartet man nicht, und dann hat man nicht viel Möglichkeiten außen herum zu fahren. Ein paar Fahrer, insbesondere denke ich hier an "Irv The Swerve", bleiben trotz blauer Flaggen zu lange vor uns, bevor sie Platz machen. Ich denke, dass er sich heute am schwersten von allen überholen lassen hat. Ansonsten war es aber ein typisches Rennen."

Frage: "Dein Auto war grundsätzlich wieder perfekt?"
Schumacher: "Ja, ja. Wir mussten etwas vorsichtig sein, besonders im ersten Rennabschnitt, um nicht gleich zu viel Druck zu machen. Aber nachdem wir erst einmal ein paar Runden hinter uns gebracht und die Plätze bezogen waren, wussten wir wo wir standen und von da an war es sehr einfach."

"Es gab keinen Plan"

Frage: "Wie sehr hast du dir wegen der McLaren Sorgen gemacht?"
Schumacher: "Es war ja ganz offensichtlich ziemlich eng, doch in dem Augenblick als ich nach meinem Boxenstopp vor David zurück auf die Strecke kam, da dachte ich, dass wir eine gute Chance besitzen diese Position zu halten. Es war aber eindeutig enger als in einigen der letzten Rennen."

Frage: "Noch einmal zurück zum Zieleinlauf. Michael, hattest du dir vorgenommen zu gewinnen und gewünscht Rubens würde sehr dicht hinter dir als Zweiter die Linie überqueren und am Ende ging das nicht auf?"
Schumacher: "Ehrlich gesagt gab es keinen Plan. Ich dachte nur, dass er es verdient dieses Rennen zu gewinnen. Das Team bat mich nicht darum. Wir fuhren Seite und Seite und er siegte. Wir selbst wussten nach der Zieldurchfahrt gar nicht wer gewonnen hatte. Rubens fragte mich auf der Geraden, ob ich oder er gewonnen hat. Ich wusste das zu dem Zeitpunkt auch nicht. Wir bekamen erst Klarheit als wir auf einer TV-Leinwand das Ergebnis sahen."

"Man kann uns keine Absicht unterstellen"

Frage: "Michael fühlst du dich jetzt besonders großzügig heute?"
Schumacher: "Nun, wie ich schon sagte, wir sind solch ein gutes Team und verstehen einander sehr gut. Manchmal muss man Opfer bringen können und für mich bedeutet das Opfer in ein paar Rennen in diesem Jahr. Aber es heißt ja auch, dass man das bekommt was man bereit ist zu geben und vielleicht war das heute einer dieser Tage."

Frage: "Michael, ich bin ein amerikanischer Journalist und das hier ist mein erstes Formel-1-Rennen. Es könnte also sein, dass ich die Politik in diesem Sport nicht richtig verstehe, doch könntest du mir bitte erklären warum die amerikanischen Fans, die viel Geld dafür bezahlt haben um hier herzukommen, jetzt, nachdem sie ein Rennen gesehen haben dessen Ausgang manipuliert wurde, nicht verärgert sein sollten?
Schumacher: "Ich glaube nicht, dass man uns, wenn man sieht wie eng es zwischen uns zuging, Absicht unterstellen kann. Ich hatte das Gefühl und das habe ich ehrlich gesagt sehr oft, dass wir Seite an Seite fuhren. Wie ich schon vorhin sagte, so wusste auch ich nicht wer gewonnen hatte. Am Ende war es Rubens, der meiner Meinung nach auch den Sieg verdient hatte, denn man muss das alles im Gesamten sehen. Vielleicht mag der eine oder andere nicht unsere Meinung über das was heute passiert ist teilen, doch am Ende des Tages werden nie alle einer Meinung sein. Ich denke, dass Rubens den Sieg verdient."

"Ich wollte Rubens für Österreich entschädigen"

Frage: "Ich denke du hast Recht Michael. Viele Leute können das nicht verstehen und sehen das anders. Warum habt ihr das so offensichtlich getan? Dir muss doch klar sein, dass ein weiteres manipuliertes Rennende Kritik an der Formel 1 aufkommen lassen wird?"
Schumacher: "Wie ich schon sagte: Es gab keinen Plan."

Frage: "Aber es ist am Ende so passiert. Hast du das beim Finish für ein gelungenes Foto versucht?"
Schumacher: "Wir versuchten einfach nur Seite an Seite ins Ziel zu fahren und wir waren Seite an Seite."

Frage: "Okay, aber du verstehst worauf ich hinaus will, dass du vorne lagst, Rubens Zweiter war und plötzlich seit ihr am Ende gleichauf und dann versuchst du Seite an Seite über die Linie zu fahren."
Schumacher: "Ich kann nur noch einmal wiederholen, dass es keinen Plan gab es genau so zu tun. Aus meiner Sicht war ich nicht sehr glücklich damit was in Österreich passierte, doch zum damaligen Zeitpunkt war das notwendig und das verstanden Rubens und ich. Um ehrlich zu sein, denke ich, dass wir mit dem was heute geschehen ist das wieder ausgeglichen haben und ich ihm etwas zurückgeben konnte, so dass er spürte den Sieg zu verdienen. Wir haben ja nie gesagt, dass wir so etwas machen würden und hatten das auch nicht geplant. Es passierte einfach."

"Ferrari wusste von nichts"

Frage: "Michael du erwähntest vor ein paar Minuten, dass das Team dich gebeten hatte nichts zu tun. Könntest du konkretisieren ob sie meinten, dass du nicht langsamer werden und eine Situation wie diese schaffen solltest oder meinten sie damit, dass du den Überholversuch zulassen solltest?"
Schumacher: "In aller Aufrichtigkeit: Ich habe vorher gefragt, ob ich ihn vorbeilassen und ihm den Sieg schenken könnte und sie sagten Nein. Denn, und hier wiederhole ich mich, es gab keinen Plan. Das Team wollte also nicht dass genau das was passiert ist auch passiert. Doch ich finde es schön, dass es passiert ist."

Frage: "Michael, ich denke, dass jedermann versteht, was du damit gemeint hast, als du davon sprachst Rubens für das was in Österreich passiert ist etwas zurückgeben zu wollen, doch solltest du nicht alles tun um selbst zu gewinnen? Ist nicht das genau deine Aufgabe?"
Schumacher: "Nun, im Leben sollte man ehrlich und fair sein und genau das will ich tun."

"Rubens machte mir das Rennen schwer"

Frage: "Nachdem du dieses Jahr die ganze Zeit geführt hast und fast 14 Rennen gewonnen hättest, wünschst du dir da nicht, dass die Konkurrenz dich stärker fordert? Verspürst du nicht während der Rennen das Gefühl, dass es schöner wäre wenn du mehr um den Sieg kämpfen müsstest?"
Schumacher: "Ich weiß, das es schwierig zu verstehen ist wie schwer es heute war Rubens hinter mir zu halten. Letztendlich kann aber immer nur einer gewinnen. Nur selten kämpft man gegen zwei oder drei Leute. Heute war nur Rubens derjenige der mir das Leben schwer machte und ich habe nichts vermisst, nein."

Frage: "Du hast vor gar nicht langer Zeit einmal gesagt, dass du die Siege praktisch abonniert hast. Nach diesem Rennen und Monza frage ich mich ob du nicht vielleicht eher den zweiten Platz abonniert hast?"
Schumacher: "Bis Japan müssen wir jetzt abwarten..."

"Mein Einfluss auf die Entscheidungen des Teams wird überschätzt"

Frage: "Okay, Themawechsel. Was passierte beim Start? Hattest du befürchtet, dass du für das Zurückrollen in die Markierung deines Startplatzes eine Strafe erhalten würdest? Freust du dich schon darauf Jean Todt und Luca Badoer nach Beendigung dieser Pressekonferenz zu sehen? Glaubst du, dass sie hart mit dir ins Gericht gehen werden?"
Schumacher: "Angesichts dessen was beim Start passiert ist, glaube ich nicht. Was beim Start vorfiel hatte ich vor einigen Jahren auch schon einmal in Österreich erlebt. Ich sah die Ziegelsteine und war eine Sekunde lang verwirrt ob das nun die Linie ist und dort der Platz für den Pole Position-Fahrer ist. Ich fuhr ein wenig darüber und sah dann keine Linie mehr und dachte nur 'Oops'. Dann legte ich den Rückwärtsgang ein und setzte ein Stück zurück. Ich glaube aber nicht, dass das ein Problem war, anderenfalls hätte man mich auch dafür bestraft."

Frage: "Wie glaubst du wird Jean auf das reagieren was bei der Zieldurchfahrt passiert ist?"
Schumacher: "Vielleicht sollte ich mir den Helm wieder aufsetzen, bevor ich zurückgehe."

"Teamorder wird es immer geben"

Frage: "Michael, ich denke, dass wir alle verstehen, dass die Dominanz von Ferrari in diesem Jahr nicht deine Schuld ist und wir alle wissen, dass dies Auswirkungen auf die Zuschauerzahlen gehabt hat. Dem Sport zuliebe, könntest du dir vorstellen zum Team zu gehen und darum zu bitten im nächsten Jahr keine Teamorder zu haben, so dass Rubens und du auf der Rennstrecke austragen könnt wer der Beste ist, so wie es 1988 mit den beiden McLaren-Fahrern war die sich in einer ähnlichen Situation befanden?"
Schumacher: "Wir sind diejenigen die die Rennanzüge tragen und es gibt gewisse Leute die entscheiden was wir Fahrer zu tun haben. Es ist nicht unsere Aufgabe ihnen zu sagen was getan werden muss. Aus meiner Sicht stellt sich diese Frage deshalb nicht, nicht für mich und nicht für uns."

Frage: "Aber du hast großen Einfluss denn deine Meinung zählt im Team doch sehr?"
Schumacher: "Ich glaube, dass mein Einfluss gewaltige überschätzt wird."

"Andere Fahrer und Teamkollegen kommen nicht so gut miteinander aus wie Rubens und ich"

Frage: "Michael, die Teamorder hat die Formel 1 wahrscheinlich seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges begleitet. Wie würdest du darüber denken, wenn man sie in der nächsten Saison prinzipiell verbieten würde?"
Schumacher: "Zunächst einmal glaube ich nicht daran, dass sich etwas ändern wird. Ich habe ja schon oft versucht einen stimmigen Vergleich zu anderen Sportarten oder Dingen im Leben zu finden die einen besser verstehen lassen warum es die Teamorder gibt. Ich meine, schauen wir uns einmal den Basketballsport an. Dort werden die Spieler ausgewechselt und hier bei uns in der Formel 1 wird eine Teamorder angewendet wenn sie im besten Interesse des Teams ist. Man wird aber nie alle Leute zu einhundert Prozent zufrieden stellen können. Ich denke, dass man genau die Entscheidung treffen muss die man als richtig für das Team für das man arbeitet erachtet. Teamorder hat es schon immer gegeben und manchmal findet man sie gut, manchmal nicht, so geht es uns auch."

Frage: "Michael, es ist offensichtlich, dass du und Rubens miteinander gut auskommen. Gibt es Fahrer - und ich frage hier nicht nach deren Namen -, wo du dir in der gleichen Situation wie heute vorstellen könntest, dass du gesagt hättest, dass dein Teamkollege hinter dir bleiben müsse und es kein Fotofinish gibt?"
Schumacher: "Ich denke, dass ich da für uns beide sprechen kann. Ich weiß ja nicht wie andere Fahrer und Teamkollegen miteinander klarkommen, doch ich glaube, dass ich schon den einen oder anderen gesehen habe der ganz anders reagiert hat."