• 05.04.2007 18:58

Sauber: "Natürlich gab es Fehlentscheide"

Peter Sauber spricht im Interview über schöne und weniger schöne Erinnerungen an seine Fahrer sowie das neue BMW Sauber F1 Team

(Motorsport-Total.com) - Peter Sauber war als Talentspäher ebenso erfolgreich wie als Teamchef. Im Interview mit unseren Kollegen vom emagazine der Credit Suisse blickt er zurück auf seine erfolgreichsten Fahrer, aber auch die umstrittene Verpflichtung von Jacques Villeneuve. Bei der aktuellen Fahrerpaarung des BMW Sauber F1 Teams lässt er offen, wer am Ende die Nase vorn haben wird: "Robert Kubica ist ein Riesentalent, doch auch Nick Heidfeld hat es faustdick hinter den Ohren."

Titel-Bild zur News: Peter Sauber

Peter Sauber würde einige Fahrer von früher heute nicht mehr einstellen

Sauber hat in 36 Jahren viele Akzente im Rennsport gesetzt, darunter einen Doppelsieg in Le Mans. In der Formel 1 ist der Sieg zwar ausgeblieben, doch war es bereits eine außerordentliche Leistung, ein relativ kleines Privatteam während 13 Jahren über Wasser zu halten, zumal viele Konkurrenten in dieser Zeit von der Bildfläche verschwanden. Mehr als einmal konnten die Schweizer den Goliaths des Motorsports die Stirn bieten, so 2001 mit einem vierten Platz in der Konstrukteurswertung. Immer wieder kam Sauber dabei sein guter Riecher für junge Talente zugute.#w1#

Wie effizient das Team in all den Jahren arbeitete, davon konnte sich auch der neue Mehrheitsanteilseigner BMW überzeugen. Unter nur leicht veränderten Strukturen, dafür mit erhöhtem Budget gelang gleich in der Debütsaison 2006 der Sprung vom achten auf den fünften Gesamtrang. Kontinuität wird auch im neuen Jahr groß geschrieben: So wird der Standort Hinwil im Zürcher Oberland massiv ausgebaut. Und auch der Name Sauber lebt im Teamnamen weiter.

Frage: "Michael Schumacher, Heinz-Harald Frentzen, Kimi Räikkönen, Felipe Massa - viele der Stars der letzten Jahre begannen bei Sauber. Wie spürt man solche Talente auf?"
Peter Sauber: "Nun, ich habe sie nicht aufgespürt, ich habe nur unter denjenigen ausgewählt, die mir angeboten wurden. Und man hat uns sehr viele angeboten. Ein Manager konnte ja mit einem hoffnungsvollen Nachwuchsfahrer nicht zu McLaren oder Ferrari gehen, zu uns dagegen schon. Wir waren bekannt als seriöses, stabiles Team. Meine Gabe war es wohl, aus der Fülle an Talenten die hoffnungsvollsten zu erkennen."

Frage: "Vertrauten Sie da eher Ihrem Bauchgefühl oder einer knallharten Datenanalyse?"
Sauber: "Das ist ein Mix. Nehmen Sie Robert Kubica: Ich empfahl ihn Mario Theissen, ohne dass er einen einzigen Test bei uns gemacht hatte. Ich habe nur die Resultate angeschaut, seine Geschichte, also war das sicher ein Bauchgefühl. Bei Kimi und Massa war das anders. Kimis Karriere hatte es eigentlich noch gar nicht gegeben, als er zu uns kam, die von Massa war etwas länger. Da musste man abwägen. Man kann die drei Fälle nicht miteinander vergleichen. Man kann sie auch nicht mit dem wohl bekanntesten Fall vergleichen, dem Trio Schumacher, Frentzen und Wendlinger. Auch die sind hier groß geworden. In jenem Fall hatten wir einfach Glück. Wir haben die ersten drei der deutschen Formel-3-Meisterschaft genommen - und es hat geklappt."

Frage: "Aufgrund seiner Erfolge ragt Michael Schumacher bestimmt heraus. Wird er Ihre erfolgreichste Entdeckung bleiben?"
Sauber: "Schwer zu sagen. Michael hat seine Karriere erfolgreich abgeschlossen, dagegen stehen Kubica und Massa erst am Anfang oder noch in der Anfangsphase und auch Räikkönen hat noch viele Jahre vor sich. Ganz bestimmt sind sie vom Charakter her verschieden. Ob einer aus diesem Trio jemals so komplett sein wird wie das ein Schumacher am Schluss war, so dass er überall, wo es wichtig ist, möglichst nahe an die 100 Prozent kommt, das kann ich nicht sagen."

Frage: "Nicht alle Fahrerentscheide erwiesen sich als Volltreffer. Ausgerechnet Ihre wohl spektakulärste Verpflichtung, diejenige des Ex-Weltmeisters Jacques Villeneuve, brachte nicht die erhofften Ergebnisse. Würden Sie von einem Misserfolg sprechen?"
Sauber: "Misserfolg ist der falsche Ausdruck. Aber ich würde es vielleicht nicht mehr machen. Das ist rückwirkend natürlich einfach zu beurteilen. Zu jenem Zeitpunkt gab es auf dem Markt zu diesem Preis keine plausiblen Alternativen. David Coulthard bot sich ebenfalls an, ein Fahrer, der jahrelang die Nummer zwei bei McLaren war, und das stand groß auf seinem Rücken. So jemanden stellt man nicht gerne ein, auch wenn mir Coulthard persönlich sehr sympathisch ist. Panis am Ende seiner Karriere war auch keine Alternative, auch wenn er das eine oder andere Mal unterschätzt worden war. Ein Wurz - ich weiß auch nicht, ob er der richtige gewesen wäre. Und schließlich einen zweiten Jungen neben Massa ins Cockpit zu setzen, das wäre eine sehr diskutable Sache gewesen. Man darf auch nicht vergessen: Villeneuve kam zu einem sehr moderaten Salär zu uns, im Rahmen von dem, was andere Fahrer bei uns jeweils erhalten haben. Man war bei Petronas damit einverstanden und auch bei der Credit Suisse. Und in Sachen Medieninteresse hat die Verpflichtung enorm viel gebracht. Es ist heute schwer zu sagen, ob das gut war oder schlecht."

Frage: "Ausgerechnet, als Villeneuve sich endlich auf Augenhöhe mit seinem Teamkollegen bewegte, musste er von der Bühne abtreten. Eine tragische Figur?"
Sauber: "Ich denke nicht. Wenn ich schaue, was er fünf Jahre zuvor durchgemacht hatte, so war das bei uns eigentlich noch glimpflich abgelaufen. Etwas muss ich Villeneuve aber zugute halten: Ich wurde ja immer gewarnt, er sei ein unmöglicher Kerl, der sich im Team nicht integrieren könne. Doch wir hatten in den anderthalb Jahren mit ihm absolut kein Problem. Er hat vielleicht mal in den Medien etwas herumgetobt, vor allem um den Grand Prix von Kanada herum im ersten Jahr bei uns. Aber im täglichen Umgang, in der Arbeit mit dem Team, konnte man nichts aussetzen."

Frage: "Gibt es denn Fahrerentscheide, die Sie heute eindeutig als Fehler anschauen?"
Sauber: "Natürlich gibt es einige Fahrer, die ich heute nicht mehr engagieren würde. Doch aus der damaligen Situation heraus musste man die Leute nehmen. Ich will auch nicht auf einzelne eingehen, sonst müsste ich erklären, warum ich das gemacht habe, und das gehört nicht an die Öffentlichkeit. Natürlich gab es Fehlentscheide."

Frage: "Gab es auch Freundschaften mit einzelnen Fahrern?"
Sauber: "Ich bin sehr vorsichtig mit dem Wort Freundschaften. Wenn man das Wort locker braucht, dann gab es sie sehr wohl. Da gibt es eine spezielle, ja herzliche Freundschaft, die mich heute mit Jean Alesi verbindet. Dies, obwohl er mit seiner heißblütigen Art zu den unmöglichsten Typen bei uns gehört hat (schmunzelt; Anm. d. Red.), so dass man sich auch bei ihm fragen müsste, ob er die richtige Wahl war. Es freut mich immer, wenn ich ihn sehe."

Frage: "Das beruht auf Gegenseitigkeit?"
Sauber: "Ja, auf alle Fälle. Eine ganz andere Beziehung, die aber ebenfalls auf viel Sympathie beruht, verbindet mich mit Johnny Herbert, obschon es auch bei ihm in seiner aktiven Zeit Misstöne gab - er wäre nach drei Jahren bei uns gerne noch länger geblieben, doch wir wollten das nicht. Sehr gut ist auch das Verhältnis mit Heinz-Harald Frentzen, immerhin der erfolgreichste Sauber-Fahrer, der uns zudem den ersten und letzten Podestplatz gebracht hatte."

Frage: "Und mit dem neuen Ferrari-Duo?"
Sauber: "Felipe Massa verdankt mir natürlich viel, und das weiß er auch. Gerade am Anfang war es nicht immer einfach mit ihm. Daraus ist ein sehr herzliches Verhältnis entstanden, auch mit seinen Eltern. Etwas ähnliches, wenn auch in viel kühlerer Art und Weise, gibt es mit Kimi. Ihm hatte ich auf die Saison 2001 hin eine Superlizenz beschafft, wobei es mir heute noch ein Rätsel ist, wie das überhaupt gegangen ist. Das war ein Hochseilakt erster Güte und zugleich der Anfang seiner Karriere. Da sind die Beziehungen gut, sie sind auch zu einem Michael Schumacher gut. Einen guten Draht habe ich überdies zu andern Fahrern in der Formel 1, die nicht bei uns gefahren sind. Mehr als einer ist schon zu mir gekommen und hat gesagt, es sei eigentlich schade, dass er nie bei uns fahren konnte. Das ist etwas Positives, das einem gut tut."

Frage: "Das widerspricht etwas dem Klischee vom Haifischbecken namens Formel 1."
Sauber: "Absolut. Es war für mich nie ein Haifischbecken. Ich habe mich nie unwohl gefühlt in der Formel 1. Ich habe die Formel 1 gut angeschaut, bevor ich reinging. Und sie war genauso, wie ich es erwartet hatte. Die Formel 1 hat mich nie überrascht, auch nicht grundsätzlich enttäuscht, auch wenn es einzelne Probleme gab. Übers Ganze gesehen war ich absolut happy mit den 13 Jahren, die ich dort verbrachte. Wobei das Wichtigste für mich die Leute waren. Da war nicht nur das Team in Hinwil, da war auch die sehr enge Zusammenarbeit mit Ferrari, die neun Jahre hielt, eine sehr lange Zeit. Es war eine hervorragende Zusammenarbeit, die natürlich getragen wurde vom sehr guten Verhältnis, das ich mit Jean Todt hatte und immer noch habe. Das ist auch das, was mir heute fehlt in einem gewissen Umfang: die Leute. Schlussendlich war das meine Familie, ich verbrachte ja hier mehr Zeit als Zuhause. Und zu dieser Familie hat im weitesten Sinn der Formel-1-Zirkus gehört. Man hat dort viele Leute kennen gelernt, man hat sie alle zwei Wochen gesehen, war mit ihnen zusammen auf engstem Raum. Das vermisse ich schon noch ein bisschen. Naja, oder auch nicht, denn ich bin ja immer noch oft hier."

Frage: "Sie haben sportlich sehr viel erreicht, darunter sechs Podestplätze, den vierten Gesamtrang im Jahr 2001, doch nie einen Sieg. Bereitet Ihnen das schlaflose Nächte?"
Sauber: "Nein, und da bin ich ganz ehrlich. Natürlich hätten wir gerne gewonnen. Wenn wir ein Rennen gewonnen hätten, wie das anderen Teams gelungen ist, die ähnlich strukturiert waren, so wäre das nicht ein Sieg aus eigener Kraft gewesen. Wir hätten uns riesig gefreut, doch wir wären uns bewusst gewesen, dass das ein glücklicher Sieg gewesen wäre. Und ich bin überzeugt: Dieses Team wird seinen Weg machen können und auch aus eigener Kraft gewinnen. Für uns war das gar nicht möglich mit unsern Mitteln. Und dann gibt es auch nichts, dem man nachtrauern muss."

Frage: "Vor Ihrer Zeit in der Formel 1 konnten Sie sehr wohl Siege feiern. Würden Sie die Erfolge in Le Mans aus diesem Grund höher einschätzen als ein Podestplatz in der Formel 1?"
Sauber: "Man kann das nicht miteinander vergleichen. Wenn man mich nach dem größten sportlichen Einzelerfolg fragt, dann war das sicher der Doppelsieg in Le Mans. Das war schon eine außergewöhnliche Leistung. Es gab auch dort mindestens sechs Hersteller, die gegen uns fuhren. Es ist also nicht so wie heute, wo es Solosieger gibt. Aber man kann Le Mans nicht mit einem Grand Prix vergleichen. Das Sportgerät ist bestimmt genauso anspruchsvoll wie ein Formel-1-Wagen, aber die Liga ist eine ganz andere. Drum würde ich die sechs Podestplätze in der Formel 1 genauso unter meinen größten Erfolgen verbuchen wie die beiden WM-Titel für Fahrer und Teams bei den Sportwagen sowie den Doppelsieg in Le Mans."

Frage: "Wann kommt der erste Sieg vom BMW Sauber F1 Team?"
Sauber: "Ein Sieg aus eigener Kraft liegt dieses Jahr noch nicht drin. Es kann natürlich immer Überraschungen geben, doch die können auf beide Seiten ausschlagen. Das Team hat sich das Ziel gesetzt hat, ab 2008 die ersten Grands Prix zu gewinnen. Als Zielsetzung kann ich das nur unterstützen. Ob das dann eintrifft, ist eine andere Frage, da müssten wir in zwei Jahren wieder drüber reden."

Frage: "Mal angenommen, das Team wäre siegfähig. Welchem der beiden aktuellen Piloten würden Sie ihn eher zutrauen?"
Sauber: "Ganz schwer zu sagen. Robert Kubica ist zweifellos ein Riesentalent. Das zweite Jahr wird für ihn entscheidend sein für seine weitere Zukunft. Doch auch Nick Heidfeld hat es faustdick hinter den Ohren und wird oft etwas unterschätzt. Ich glaube, dass er noch nicht am Zenit seiner Möglichkeiten angelangt ist, dass er noch zulegen kann. Ich lege mich also nur ungern fest."