Saisonanalyse Teil 32: Ferrari

Lesen Sie im 32. Teil unserer täglichen Saisonanalyse-Serie den Rückblick auf das Jahr des Ferrari-Teams

(Motorsport-Total.com) - Es war vielleicht ein böses Omen, dass Ferrari trotz der Dominanz in der Saison 2004 ausgerechnet den letzten Grand Prix in Brasilien nicht gewinnen konnte, sondern dort mit den Plätzen drei und sieben eine relativ bittere Niederlage einstecken musste. Dennoch hätte zu jenem Zeitpunkt noch niemand damit gerechnet, dass das sportlich schwierigste Jahr seit 1993 folgen würde.

Titel-Bild zur News: Michael Schumacher

Ratlosigkeit bei Ferrari: 2005 war die schlechteste Saison des Teams seit 1993

Vor nunmehr zwölf Jahren hatte Jean Todt im Sommer als Teamchef das Ruder übernommen, und mit Gerhard Bergers Sieg 1994 in Hockenheim endete unter der Regie des Franzosen eine seit 1990 andauernde Erfolglosigkeit. 1996 - zu Beginn der Ära Michael Schumacher - gewann Ferrari drei Rennen, 1997 fünf, 1998 sechs, 1999 ebenfalls sechs, 2000 zehn, 2001 neun, 2002 15, 2003 acht und 2004 wieder 15.#w1#

Indianapolis: Sieg mit einem großen Makel...

Diese Saison brachte den Totalabsturz, denn der Triumph von Indianapolis hatte sportlich keinen Wert, nachdem Michelin alle Teams wegen Reifenproblemen zurückziehen musste und Schumacher und Rubens Barrichello nur die Jordan-Toyotas und Minardi-Cosworths als Gegner hatten. Im Qualifying waren die roten Boliden mit fast einer Sekunde Rückstand nur in der dritten beziehungsweise vierten Startreihe gelandet, weshalb ein Sieg aus eigener Kraft wohl kaum möglich gewesen wäre.

Vielen Ferrari-Fans war schon im Winter nicht allzu gut zumute, denn anstatt wie die Konkurrenz angesichts des veränderten Reglements möglichst früh mit dem neuen Auto testen zu gehen, präsentierten die Italiener ihren F2005 erst am 25. Februar, also genau eine Woche vor dem Trainingsauftakt in Melbourne. Dort wurde zunächst allerdings eine modifizierte Version des F2004, der so genannte F2004M, eingesetzt.

Damit entschied sich der Technikerstab um Ross Brawn für eine ähnliche Vorgehensweise wie in den vorangegangenen Jahren, als Ferrari zu Saisonbeginn mit einem zuverlässigen und dennoch konkurrenzfähigen Auto jeweils wichtige Punkte und sogar Siege einfahren konnte. 2005 sollte diese Rechnung allerdings nicht aufgehen: Barrichello (11.) und Schumacher (19.) wurden im Qualifying vom Regen weggespült, spielten dann auch sonntags keine wesentliche Rolle.

Zweiter Platz durch Barrichello beim Saisonauftakt

Immerhin konnte Barrichello mit einer soliden Fahrt dank der fehlerhaften Konkurrenz auf dem zweiten Platz über die Ziellinie fahren, doch spätestens nach dem zweiten Auftritt des F2004M in Malaysia war klar, dass sofort ein neues Auto her musste. In der Gluthitze von Sepang fehlten Ferrari im Schnitt 1,3 bis 1,5 Sekunden auf die Spitze, sodass sich Schumacher über zwei Punkte sogar noch glücklich schätzen musste.

Bei seinem Teamkollegen wurde indes erstmals das Reifenproblem von Bridgestone akut offensichtlich, denn die japanischen Pneus waren der verlängerten Laufleistung durch das neue Reglement - sie durften 2005 ja nicht mehr gewechselt werden - nicht gewachsen, wie sich später mehrfach bestätigen sollte. Um diesen Schwierigkeiten auf die Schliche zu kommen, setzte sich Ferrari sogar über das freiwillige Testabkommen der restlichen Teams hinweg, doch auch das brachte verhältnismäßig wenig.

Premiere des F2005 in Bahrain brachte keine Punkte ein

"Der F2005 war sehr konkurrenzfähig. Ich bin mir sicher, dass das in den kommenden Rennen noch mehr der Fall sein wird." Michael Schumacher

Rechtzeitig zum dritten Grand Prix in Bahrain wurde endlich der F2005 eingeführt, dessen Debüt angesichts des miserablen Saisonauftakts um zwei Rennen vorverlegt wurde. Tatsächlich konnte Schumacher damit die Pace der Schnellsten - im Qualifying fehlte ihm als Zweiter eine halbe Sekunde - halbwegs mitgehen, wenngleich ihn eine defekte Hydraulik erstmals seit vier Jahren technisch bedingt aus einem Rennen warf.

Ausgerechnet beim Heimspiel in Imola verlor "San Michele", wie der siebenfache Weltmeister von vielen seiner italienischen Anhänger genannt wird, im Qualifying mehr als vier Sekunden auf die Spitze, und auch Barrichello machte als Neunter keine allzu glückliche Figur. Schumacher fuhr dafür im Rennen einen extrem langen ersten Stint, schaffte so den Sprung auf Rang zwei - und fuhr ab Rennmitte Rundenzeiten, dass die Konkurrenz nur mit den Ohren schlackern konnte.

Alonso hielt Schumacher in Imola abgebrüht in Schach

Die schnellste Rennrunde des Deutschen war um 1,2 Sekunden schneller als jene des späteren Siegers Fernando Alonso, dennoch fand er am Renault des Spaniers in der atemberaubenden Schlussphase keinen Weg vorbei. Doch während in Maranello anschließend die vermeintliche Wiederauferstehung gefeiert wurde, sollte Imola in Wahrheit das einzige echte Highlight einer ansonsten völlig verkorksten Saison bleiben...

Ein weiteres Schlüsselrennen war der Grand Prix von Monaco, denn Ferrari hatte im Fürstentum an der Cote d'Azur zwar nichts mit der Vergabe der Podestplätze zu tun, doch Schumachers knallhartes Manöver in der letzten Runde am Hafen vorbei an Barrichello blieb nicht ohne Folgen: Der Brasilianer, der damit noch auf die achte Position zurückfiel, muckte erstmals öffentlich gegen die übermächtige Nummer eins auf - und dürfte wohl endgültig eingesehen haben, dass er bei Honda besser aufgehoben wäre.

Auf die Positionen drei und fünf am Nürburgring folgte in Kanada ein starker zweiter Startplatz in Montréal, den sich Schumacher allerdings mit einer Dreistoppstrategie erkaufen musste, die ihn im Rennen gnadenlos zurückwarf. Er rollte zwar als Dritter ins Ziel und legte damit eine geringfügige Aufwärtstendenz an den Tag, doch ohne die prominenten Ausfälle von schnelleren Konkurrenten wäre er wohl bestenfalls Fünfter geworden.

Aus dem Nichts heraus: Schumacher auf Pole Position in Ungarn

Michael Schumacher vor Rubens Barrichello

In Indianapolis fuhren Schumacher und Barrichello ein Rennen gegen sich selbst Zoom

Das Fiasko von Indianapolis bedarf keines weiteren Kommentars mehr, doch in der zweiten Saisonhälfte schien die Entwicklung bei Ferrari überhaupt nicht mehr voranzugehen, sodass nur noch zwei Podestplätze folgten. Zwischendurch schaffte Schumacher mit der überragenden Pole Position in Ungarn ein kleines Wunder, das die augenscheinlichen Schwächen von Bridgestone jedoch nicht kaschieren konnte, zumal er im Rennen nur im ersten Drittel wirklich konkurrenzfähig war. Zu jenem Zeitpunkt war aber auch längst klar, dass der F2005 kein Siegerauto ist.

Ausgerechnet beim Ferrari-Grand-Prix in Monza wurde Schumacher nach fünf Titeln en suite endgültig als Weltmeister abgelöst, doch innerlich hatte der 36-Jährige die WM-Krone ohnehin schon seit Istanbul abgehakt. Seinen guten vierten Platz in Interlagos, wo er Giancarlo Fisichella beherzt niederfighten konnte, machte er dann beim Saisonfinale in Shanghai mit einem völlig lustlosen Auftritt wieder wett: Erst krachte er auf dem Weg zur Startaufstellung in den Minardi-Cosworth von Christijan Albers, dann schmiss er selbst sein Auto in der Safety-Car-Phase weg. Mehr weh tat ihm aber die unnötige Kollision mit Takuma Sato auf seiner Lieblingsstrecke in Spa-Francorchamps.

Schumacher kann der Saison auch etwas Gutes abgewinnen

Und dennoch: "Unser Jahr war alles andere als gut", meinte der entthronte Champion, "wir waren kaum einmal konkurrenzfähig und nie in der Lage, wirklich um die Titel zu kämpfen, die wir in den Jahren zuvor geholt hatten. Dennoch beenden wir diese Saison mit einem dritten Platz, und selbst ich wurde noch Dritter in der Fahrerwertung. So schlecht ist das dann auch nicht!"

Auch wenn er es nicht mit Grand-Prix-Siegen untermauern konnte, lieferte Schumacher übrigens im Rahmen der Möglichkeiten seines Boliden wieder eine tadellose Saison ab, schließlich bügelte er Barrichello im Qualifikationsduell mit 16:9, während er bei den Punkten die Nase mit 62:38 vorn hatte. Insgesamt schien der Unterschied zwischen den beiden größer zu sein als in den vergangenen Jahren - wohl auch, weil der ewige Wasserträger aus Brasilien nicht mehr allzu motiviert war.

Durchschnittlicher Startplatz von Schumacher/Barrichello nur 9,7

Die erschreckende Ferrari-Bilanz 2005 lässt sich übrigens auch mit einigen Zahlen mühelos belegen: Beispielsweise war der Traditionsrennstall im Qualifying durchschnittlich nur das siebenbeste Team - sogar noch hinter Red-Bull-Cosworth! Auch die Zuverlässigkeit war bei weitem nicht mehr auf dem überragenden Level von früher, denn öfter als die beiden roten Renner schieden nur die Autos des BMW WilliamsF1 Teams und von Minardi-Cosworth aus.

Dennoch wird Ferrari für die kommenden Jahre von niemandem abgeschrieben, zumal Neuzugang Felipe Massa unter Umständen für frischen Wind sorgen könnte, der bei der schon lange stabilen Personalkonstellation längst überfällig war. Der eigentlich geplante Wechsel an der Spitze der Designabteilung wurde hingegen noch um ein paar Monate hinausgezögert: Als Aldo Costa mit dem von ihm ausgeheckten Konzept nicht mehr weiter wusste, zog er seinen Vorgänger Rory Byrne zu Rate...

Analyse der 'F1Total.com'-Experten:

Marc Surer: "Der geringe Abstand zu den anderen Bridgestone-Teams zeigt deutlich, dass der Ferrari kein gutes Auto war. Okay, die Reifen waren mitschuldig, aber das haben sie sich in Maranello auch selber eingebrockt, weil sie die ganze Entwicklung allein machen wollten, um Reifen nur für ihr Team zu haben. Deswegen ist ja auch Sauber abgesprungen: weil sie die Entwicklung nicht mehr beeinflussen konnten und das nehmen mussten, was Ferrari wollte. Bridgestone ist nicht allein schuld."

Hans-Joachim Stuck: "Nach so einer langen Erfolgsphase darf so ein Jahr nicht wehtun. Jetzt wird sich zeigen, wie gut Ferrari wirklich ist, denn zu einem Topteam gehört auch, mit Tiefen umgehen zu können. Von einem Zerfall würde ich nicht sprechen, aber es wird sich zeigen, ob sie für die nächsten fünf oder sechs Jahre gerüstet sind."

Statistiken zur Saison des Ferrari-Teams:

Teamwertung: 3. mit 100 WM-Punkten (Gesamtübersicht)
Anzahl der gefahrenen Rennen: 19 (Gesamtübersicht)
Anzahl der Siege: 1 (Gesamtübersicht)
Anzahl der Pole Positions: 1 (Gesamtübersicht)
Durchschnittlicher Startplatz: 9,7 (Gesamtübersicht)
Anzahl der schnellsten Rennrunden: 3 (Gesamtübersicht)
Bestes Ergebnis Qualifying: 1.
Bestes Ergebnis Rennen: 1.
Gefahrene Führungsrunden: 108 (Gesamtübersicht)
Ausfallsrate: 21,0 Prozent (Gesamtübersicht)
Testtage: 108 (Gesamtübersicht)
Testkilometer: 59.017 (Gesamtübersicht)
Test-Tagesbestzeiten: 76 (Gesamtübersicht)