• 01.05.2003 18:56

Ross Brawn im ausführlichen Interview

Der Technische Direktor des Ferrari-Teams im Gespräch über den neuen Ferrari, die neuen Regeln und weitere Themen

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Ross, was waren die Kriterien für die Entscheidung, das neue Auto hierher zu bringen?"
Ross Brawn: "Nur die Zuverlässigkeit. Wie letztes Jahr haben wir auch diesmal nicht mit dem Design des neuen Fahrzeugs angefangen, ehe nicht feststand, dass eine Steigerung kommen würde. Der Zeitplan hat von Anfang an vorgesehen, dass wir ein paar Rennen später dran sein werden. Bei den Tests gab es dann einige unerwartete Schwierigkeiten und wir hatten stets das Gefühl, dass auch der F2002 noch ein schnelles Rennauto war. Wenn das alte Auto nicht mehr konkurrenzfähig gewesen wäre, hätte man sich alles natürlich durch den Kopf gehen lassen müssen, aber wir wollten uns hinsichtlich der Zuverlässigkeit sicher sein. Es war auch bis zum Test vor Imola zuverlässig und ein Debüt in Imola war eigentlich unser Plan. Dort gab es dann einige Probleme, aber letzte Woche hatten wir einen sehr guten Test in Mugello. Wir haben mehr als 3.000 Kilometer abgespult und drei Rennsimulationen ohne gravierende Schwierigkeiten. Mit dem alten Auto ist es natürlich so, dass man es nicht mehr weiterentwickelt und so verliert es langsam den Anschluss, aber das neue hat all die neuen Teile. Von daher war es wichtig, so früh wie möglich damit fahren zu können."

Titel-Bild zur News: Ross Brawn

Nahm heute in der Pressekonferenz zu einigen Themen Stellung: Brawn

Frage: "Was sind eure Erwartungen ans neue Auto?"
Brawn: "Naja, es ist schneller, aber wir müssen es noch kennen lernen. Man versteht ein Auto viel besser, wenn man damit Rennen bestreitet. Ganz egal, wie viel man testet, ein Rennen ist immer anders, weil unterschiedliche Bedingungen herrschen und weil auch andere Konkurrenten dabei sind und so weiter. Wir müssen das Auto also noch im Detail kennen lernen. Unsere Erwartung ist, konkurrenzfähig zu sein. Ich habe eine Wiederholung vom letztjährigen Rennen gesehen und bin sicher, dass wir diesmal keine so klare Sache vor uns haben. Selbst mit dem neuen Auto ist der Wettkampf viel spannender. Es würde mich sehr überraschen, wieder ein Rennen wie letztes Jahr zu erleben. Es war damals recht klar für Michael. Das wird wohl nicht mehr passieren, aber wir werden konkurrenzfähig sein. Wegen der unterschiedlichen Reifen-Charakteristik bei Bridgestone und Michelin könnten wir unterschiedliche Phasen im Rennen erleben, was die Sache interessant machen könnte. Ich glaube, dass wir dabei sein werden, aber bis Sonntag weiß das niemand."

Wechsel des Fahrzeugs: Doppelte Herausforderung für Mechaniker

Frage: "Wie müssen die Ingenieure und Mechaniker das Auto noch kennen lernen?"
Brawn: "Ein Aspekt davon, ein altes Auto einzusetzen und ein neues zu entwickeln, sind unterschiedliche Arbeitsgruppen, weil die Leute nicht beides gleichzeitig machen können. Die Ingenieure können schon hin- und her wechseln, aber für die Mechaniker wäre es heutzutage zu viel Arbeit, zu den Rennen und auch noch zu Tests fahren zu müssen. Also haben wir bei den Tests andere Mechaniker eingesetzt, damit sie sich an das Auto gewöhnen können, aber hier werden zum ersten Mal alle gemeinsam damit arbeiten. Das Konzept folgt aber einer 'Familien-Linie' und das Auto ist nicht radikal anders als in den vergangenen Jahren. Das gehört auch zu den angenehmen Seiten einer stabilen Organisation, weil die Denkweise gleich ist und das Konzept folglich nicht komplett anders angegangen wird. Es ist neu für die Mechaniker, aber sie genießen die neuen Sachen, mit denen sie spielen können. Die Ingenieure sind bei Rennen und Tests. Es gibt schon feine Unterschiede, zum Beispiel wie das Auto die Reifen verwendet, wie konstant es mit den Reifen umgeht, worauf es empfindlich ist. Mit all diesen Dingen werden sich die Ingenieure immer besser und besser anfreunden. Auf Umstellungen der Dämpfer und Federn reagiert es nicht großartig anders, aber die Leute, die damit arbeiten, müssen sich einfach erst an alles gewöhnen. Das alte Auto hat uns wie ein Handschuh gepasst und jeder wusste ganz genau, was es bewirkt, wenn er etwas macht. Dadurch hatten wir zwischen den Trainings immer die Zuversicht, dass alles stimmen würde. Mit dem neuen Auto muss man vieles neu einlernen."

Frage: "Man kann in diesem Jahr auch von einem schlechteren Startplatz aus gewinnen. Wozu wird das neue Qualifying-Format aber in Monaco führen?"
Brawn: "Das ist ein interessanter Punkt, aber wir wissen jetzt noch nicht, wie wir das anstellen werden. Es gibt das Argument, dass man vorne stehen und früh einen Vorsprung aufbauen sollte, wofür man aber eine beeinträchtigte Strategie in Kauf nehmen müsste. Viel wird davon abhängen, wie die Reifen funktionieren. Letztes Jahr erlebten wir ein frustrierendes Rennen. Wir hatten klar den besseren Reifen für das Rennen, aber Michelin hatte im Qualifying einen Vorteil, also hingen wir bis zum Schluss hinter Konkurrenten fest. Die neuen Regeln erlauben in dieser Hinsicht noch mehr Spielraum und man muss sich intensiver damit beschäftigen. Man wird sich sicher überlegen, in Monaco mehr als üblich mit den Benzinmengen zu spielen, aber wir müssen einmal abwarten, was für einen Reifen wir bekommen und was für einen Michelin hat und dann können wir uns darüber den Kopf zerbrechen."

Bedauern über die Streichung des A1-Rings

Frage: "In Österreich wird dieses Jahr wohl zum letzten Mal gefahren. Was sagst du dazu, dass die Strecke, die Atmosphäre, die Freundlichkeit aus dem Kalender gestrichen werden?"
Brawn: "Wir sind in den alten Zeiten in Österreich gefahren, daher hat es mich sehr gefreut, als die Strecke wieder aufgenommen wurde. Ich habe es immer genossen, dort Rennen auszutragen. Früher haben dort fantastische Rennen stattgefunden, auch wenn ich das letzte Jahr aus ersichtlichen Gründen nicht besonders genossen habe. Es ist eine nette Strecke, technisch herausfordernd, und es ist gut, dass sich die einzelnen Kurse auch voneinander unterscheiden. Als Enthusiast finde ich es nicht gut, wenn wir bald nur mehr auf Strecken fahren, die sich wie ein Ei dem anderen gleichen, daher würde ich traurig sein, wenn Österreich gestrichen werden sollte ? genau wie ich traurig war, als ich das von Spa erfahren musste. Das war auch eine großartige Strecke und es wäre sehr schade."

Frage: "Wie konnte es in Imola zum verpatzten Boxenstopp bei Rubens kommen?"
Brawn: "Wenn wir uns für die Boxenstopps zehn Sekunden Zeit lassen würde, gebe es kein Problem, aber wir loten eben das Limit aus. Wir hatten in Imola ein Problem links vorne mit einem Rad, das ihn vielleicht einen Platz gekostet hat, vor ein paar Jahren war in Magny-Cours ein Reifen zu wenig da und sogar ein zweites Mal am Nürburgring. Damals haben mich Fans angerufen und gescherzt, sie hätten den Reifen gefunden, ob wir ihn zurück wollen. Eine Woche bist du der Held, dann in der Woche darauf gleich der Versager. Es ist sehr schwierig, 20 Leute und einen Fahrer zu koordinieren, wenn so viel Adrenalin fließt und bei so unvorhersehbaren Bedingungen, daher überrascht es nicht, dass es manchmal nicht klappt. Aber man muss immer auf das nächste Rennen schauen und versuchen, es besser zu machen, auch wenn es nie eine hundertprozentige Sicherheit geben wird."

Strategisches Pokerspiel mit den neuen Regeln

Frage: "Sind die Regeln inzwischen klar geworden? Wenn zum Beispiel ein Auto weit vorne steht, welches normalerweise nicht konkurrenzfähig ist, kann man dann automatisch daraus schließen, dass wenig Sprit an Bord ist?"
Brawn: "Das kann man nicht sicher annehmen. Von Webber und Jaguar haben wir in den ersten Rennen angenommen, dass sie extrem wenig Benzin an Bord hatten. Er hatte keine besonders glücklichen Rennen, daher ist das nicht so klar geworden, aber es ist schon ersichtlich, dass er schnell und konkurrenzfähig ist. Unter den Top-Teams gibt es glaube ich keine recht großen Unterschiede und wenn nicht jemand einen schlechten Tag hat oder ganz weit hinten steht, haben sie nicht mehr oder weniger Sprit an Bord. Das ist in Imola so gewesen. McLaren stand im Qualifying weiter hinten, also war der logische Schluss, dass die mehr Benzin an Bord haben würden. Dass manchmal jemand unerwartet weit vorne steht, ist der Sinn dieser Regelung ? und in dieser Hinsicht war es ein Erfolg. Ob es allerdings so weitergehen wird, ist wieder eine andere Frage, denn diese Teams müssen für sich auch untersuchen, ob es das wert ist, die Rennresultate aufs Spiel zu setzen. Auf konventionellen Strecken wird es also vielleicht nicht so weitergehen. Monaco ist eine andere Geschichte."

Frage: "Wäre es theoretisch möglich, in Monaco bei Regen ohne Boxenstopp durchzufahren?"
Brawn: "Wenn 75 Runden hinter dem Safety-Car gefahren werden, aber nicht unter normalen Umständen ? zumindest nicht mit den Autos, die ich kenne. Vielleicht ist der neue McLaren so gebaut, dass er durchfahren könnte, aber letztes Jahr hat man gesehen, dass es für niemanden möglich war, weil manchmal die maximale Kapazität dank der Strategie zum Vorschein gekommen ist. Im Augenblick gibt es wohl kein Auto, welches in Monaco ohne Stopp durchfahren kann, aber mir ist sowieso schleierhaft, wie man bei den neuen Regeln so eine Entscheidung treffen könnte. Man will ja nicht am Samstag mit einem randvollen Auto fahren und dann auf das Safety-Car im Regen hoffen, wo man nicht überholen darf. So kann man heute nicht mehr planen. Früher war es drin, weil man eine halbe Stunde vor dem Rennen so eine Entscheidung treffen konnte, aber heute muss man sich am Samstag festlegen und da würde man nie zu so einem Beschluss kommen."

Keine kurzfristigen Änderungen am Design

Frage: "Habt ihr das Design des F2003-GA nach den ersten Rennen noch einmal angepasst?"
Brawn: "Nein, daran hat sich nichts verändert. Die Sache, die für nächstes Jahr sicher viele ins Auge fassen werden, ist die Tankkapazität. Die aktuellen Autos wurden letzten Sommer entworfen, daher ist es kaum möglich, damit die neuen Regeln zu berücksichtigen."

Frage: "Gibt es Neuigkeiten bezüglich der Traktionskontrolle für nächstes Jahr? Da hat ja kürzlich ein Meeting stattgefunden."
Brawn "Es hat vor zwei Tagen ein positives Meeting gegeben, aber die FIA wird dazu morgen eine Stellungnahme veröffentlichen. Daher wäre es unangebracht, jetzt etwas dazu zu sagen."

Frage: "Glaubst du, dass die Drei-Stopp-Strategien in Imola einen Trend losgelöst haben könnten?"
Brawn: "Vielleicht werden einige Teams das als ihre Philosophie übernehmen, aber man hat bei Safety-Car-Phasen ein höheres Risiko. Auf das ganze Jahr gesehen ist es vielleicht die beste Strategie, aber McLaren war in Imola mit zwei Stopps knapp hinter uns und wenn irgendetwas passiert wäre, hätte das das Rennen für sie gewinnen können. Man muss sich am besten für eine Philosophie entscheiden, diese verfolgen, probieren, ob sie funktioniert, und wenn nicht, dann wieder umschmeißen und etwas Neues ausprobieren. Das gehört zu den interessanten Aspekten des neuen Regelwerks."

Frage: "Was sind die Vor- und Nachteile der Zusammenarbeit mit einem Automobilhersteller?"
Brawn: "Wir arbeiten mit Fiat zusammen, das ist unsere Mutterfirma. Wir haben gute technische Unterstützung und Ressourcen zur Verfügung, die uns sehr helfen."