Ringen um Tests: Wie Pirelli 2014 ein PR-Fiasko verhindern will

Motorsportchef Paul Hembery erklärt, welche Maßnahmen Pirelli gegen eine Wiederholung von 2013 setzt und wie schwierig die Ausgangssituation wirklich ist

(Motorsport-Total.com) - Pirelli will ein PR-Fiasko wie 2013 unbedingt vermeiden. Zeitlupen-Aufnahmen, wo sich die Lauffläche der Reifen ablöst oder diese explodieren, will man am Sonntagnachmittag nicht für teures Geld in die Wohnzimmer potenzieller Kunden liefern. Doch die Italiener sehen sich im Vorfeld des Jahres 2014 mit einer Herkulesaufgabe konfrontiert: Das neue Reglement sorgt für veränderte Parameter an der Hinterachse, derzeit sind diese aber auch für die Teams nur bedingt bekannt.

Titel-Bild zur News: Bernie Ecclestone, Paul Hembery

Paul Hembery (mit Ecclestone) kämpft in der Formel 1 gegen Windmühlen Zoom

"Weil der Antriebsstrang ganz anders sein wird, wird es nächstes Jahr viel mehr durchdrehende Räder geben, viel mehr Drehmoment", weiß Pirellis Motorsportchef Paul Hembery, der nach Gesprächen mit Piloten gewarnt ist: "Die Fahrer berichten von ihren Simulator-Erfahrungen, dass sie im Trockenen im dritten und vierten Gang durchdrehende Räder haben."

Zudem will Pirelli kommende Saison dafür sorgen, dass nicht mehr so viele Gummibrocken neben der Ideallinie liegen - die sogenannten "Marbles" machen es den Piloten nur erschwert möglich, neben einem Rivalen durch eine Kurve zu fahren oder diese anzubremsen, da die Rutschgefahr enorm ist. Um für Abhilfe zu schaffen, müssen neue Reifenmischungen entwickelt werden.

Warum Pirelli um Tests kämpft

"Dafür ist es notwendig, sehr ausgiebige Testfahrten mit den Mischungen zu absolvieren, denn es würde sich um eine Änderung der Philosophie handeln", erklärt Hembery. Aus diesem Grund fordert Pirelli seit Wochen vehement Testfahrten, um sich auf die große Herausforderung vorbereiten zu können - mit mittelmäßigem Erfolg. Aus Paranoia, ein Team könnte gegenüber der Konkurrenz einen Vorteil erhaschen, wird rasch ein Veto eingelegt und der Plan damit durchkreuzt.

Bestes Beispiel: McLarens geplanter Pirelli-Test in Austin mit einem zwei Jahre alten Auto und den beiden Testpiloten Kevin Magnussen und Oliver Turvey, der drei Wochen vor dem Grand Prix stattgefunden hätte, aber am Widerstand der Konkurrenz scheiterte. Nun bemüht man sich um einen Ausweichtermin am 11. und 12. November im italienischen Vallelunga. Hembery hat den Test bei der FIA beantragt und ist zuversichtlich, dass dieser plangemäß über die Bühne gehen wird.

"Wir benötigen noch viel mehr Tests vor dem Winter-Testauftakt in Jerez 2014." Paul Hembery

Dabei soll es aber laut dem Briten nicht bleiben. "Wir benötigen noch viel mehr Tests vor dem Winter-Testauftakt in Jerez 2014", fordert er. Über die genaue Anzahl schweigt er, er stellt aber klar: "Wir haben unsere Vorschläge gemacht und haben gewisse Anforderungen, auf die wir nicht verzichten können, damit wir uns auf das vorbereiten, was unserer Ansicht nach nötig sein wird. Es wäre aber nicht fair, diese Vorschläge preiszugeben, denn wir haben noch nicht mit allen Teams gesprochen."

Pirelli will für alle Eventualitäten gerüstet sein

Pirelli fürchtet, dass man zu Saisonstart 2014 eine böse Überraschung erleben könnte, und will daher für alle Eventualitäten gerüstet sein. "Die durchdrehenden Räder beschäftigen uns sehr", zeigt sich Hembery besorgt. "Wir wollen unbedingt ein paar Lösungen in der Hinterhand haben, sonst finden wir vielleicht im Training in Bahrain heraus, dass wir zu aggressiv oder zu konservativ waren. Wir benötigen also ein paar Alternativen für beide Szenarien."

Selbst wenn es Pirelli gelingt, weitere Tests zu absolvieren, dann ist die Situation für den Reifenhersteller suboptimal. Man kann derzeit nicht einmal mit einem aktuellen Auto für die kommende Saison experimentieren, dies lässt das Reglement nicht zu. Mit einem zwei Jahren alten Boliden zu testen, ist aber laut Hembery besser als nichts: "Die Alternative wäre, gar nichts zu machen."

"Bei den neuen Autos gehen derzeit die Meinungen weit auseinander, was die Performance angeht." Paul Hembery

Die Form und die Struktur des 2014er-Reifen wurden von den Pirelli-Designern bereits festgelegt, jetzt geht es darum, die Gummimischungen zu entwickeln. "Was uns jetzt helfen kann, sind die aggressivsten Autos, die es gibt", erklärt Hembery. "Das gibt uns die besten Ergebnisse. Bei den neuen Autos gehen derzeit die Meinungen weit auseinander, was die Performance angeht - es gibt viele Unbekannte. Das wird also für alle sehr herausfordernd."

Hembery: Nur keine Kontroversen

Pirelli läuft Gefahr, dass man wenig repräsentative Daten sammelt und in die falsche Richtung geht. Wie man das verhindern will? "Wahrscheinlich ist es der beste Weg, alle Extremwerte der Daten, die uns zur Verfügung stehen, heranzuziehen - in punkto Höchstgeschwindigkeit, G-Kräfte und so weiter", gibt er Einblicke in die Herangehensweise von Pirelli. "Die Teams haben uns gewisse Daten gegeben, aber auch sie werden Neuland betreten, wenn sie auf die Strecke gehen, schließlich handelt es sich um eine enorme technologische Herausforderung."

Unter diesen Umständen ist die Gefahr groß, dass sich Pirelli auch 2014 mit der Kritik einiger Teams herumschlagen muss und einer politischen Zerreißprobe unterzogen wird. Das will Hembery aber unbedingt verhindern: "Wir wollen nicht in die Polemik zwischen den Teams hineingezogen werden."

"Wir wollen nicht in die Polemik zwischen den Teams hineingezogen werden." Paul Hembery

Auch ein mögliches Szenario, während der Saison neue Reifenkonstruktionen zu bringen und sich damit den Unmut einiger Teams zuzuziehen, würde Hembery "gerne vermeiden." Sollte dies aber doch nötig sein, "dann müssen uns die Teams und die Vertreter des Sports darum bitten, da darf es nicht passieren, dass wir dabei im Stich gelassen werden, wenn wir alle zufriedenstellen wollen und am Ende vielleicht niemanden zufriedenstellen."

Wie sich Pirelli aus dem Würgegriff der Teams befreien will

Er hofft, dass die geplante Strategie-Gruppe der FIA diesbezüglich eine Erleichterung sein wird, da sie Entscheidungsprozesse erleichtern und beschleunigen soll - die Teams haben darin nur noch sechs Stimmen (Ferrari, Red Bull, Mercedes, McLaren, Williams und das in der Konstrukteurs-WM bestplatzierte Team unter den verbliebenen Rennställen), die FIA und der Inhaber der kommerziellen Rechte CVC Capital Partners ebenfalls je sechs.

"Es wird Änderungen an der Struktur des Sports geben, und wir hoffen, dass uns das dabei helfen wird, diese Dinge zu erreichen", erklärt Hembery seine Hoffnungen, dass der Einfluss der oft zerstrittenen Teams in Zukunft etwas verringert wird.

Was er für die kommenden Jahre fordert: "Wir hätten gerne Testfahrten während der Saison mit aktuellen Autos, um uns auf die darauffolgenden Jahre vorzubereiten, wenn wir Informationen benötigen und neue Technologien ausprobieren wollen. Das heißt nicht, dass wir das dann verwenden - vielleicht müssen wir auch gar nichts verändern. Der Sport entwickelt sich aber sehr rasch, und manchmal muss man neue Technologien ausprobieren, wenn diese verfügbar sind, damit man gerüstet ist, wenn diese Änderungen kommen."