• 01.02.2011 21:55

  • von Christian Nimmervoll & Dieter Rencken

Renault-Auspuff: Geheimnis gelüftet

Wie das innovative Renault-Auspuffsystem funktioniert, welche Nachteile es hat und warum die Verantwortlichen trotzdem daran glauben

(Motorsport-Total.com) - Zum Testauftakt 2009 überraschte das damalige Brawn-Team mit dem Doppeldiffusor, 2010 rätselten alle über die mysteriöse Cockpit-Öffnung am McLaren, die sich später als F-Schacht herausstellte - und auch dieses Jahr wundern sich die Formel-1-Experten schon nach dem ersten Testtag über eine große technische Innovation. Das Rätsel scheint jedoch früh geknackt worden zu sein.

Titel-Bild zur News: Renault R31

Hinter den Barge-Boards ist die Öffnung der Auspuffrohre versteckt

Denn die Verwunderung über den neuen Renault R31, dessen Auspuffrohre zunächst unsichtbar zu sein schienen, ist inzwischen einem aufklärerischen Ansatz gewichen. Dazu beigetragen hat die wichtige Beobachtung, dass das Auspuffsystem nicht wie seit Jahren üblich ins Heck mündet, sondern unmittelbar vor den beiden Seitenkästen, jeweils hinter dem dort platzierten Barge-Board "versteckt", aus dem Chassis geleitet wird.

Was das bezwecken soll, ist klar: "Wir wollen den Effekt des auspuffangeströmten Diffusors nutzen und so Anpressdruck gewinnen", erklärt Teamchef Eric Boullier gegenüber 'Motorsport-Total.com'. Denn die FIA hat zwar den Doppeldiffusor verboten, nicht aber die Idee, die Auspuffgase zu nutzen, um den einfachen Diffusor anzuströmen und dessen Wirkung zu maximieren - und je mehr Fläche des Unterbodens von weiter vorne angeströmt wird, desto höher der Nutzen.

Wo Vorteile sind, sind auch Nachteile

Doch das System birgt neben theoretischen Vorteilen auch ganz konkrete Nachteile. So müssen die brandheißen Auspuffrohre nun an Benzintank und Fahrerzelle vorbei durch die Seitenkästen geleitet werden, was wichtigen Platz für den Einbau des Hybridsystems KERS kostet. "So etwas ist immer riskant", räumt Boullier ein, stellt sich aber hinter die Idee der Chassisingenieure in Enstone: "Ich bin froh, dass wir so kreative Designs an unserem Auto haben."

Die Idee ist übrigens beim von Genii kontrollierten Team in Enstone entstanden und nicht bei Motorenhersteller Renault in Viry-Chatillon: "Wir entwickeln unseren Auspuff selbst", behauptet Boullier. Motorenchef Rob White nickt im Interview mit 'Motorsport-Total.com': "Stimmt. Laut Reglement ist der Auspuff Teil der Verkleidung und nicht des Motors. Damit hat das zwar eigentlich nichts zu tun, aber das System wurde wirklich von den Chassisingenieuren designt."

Boullier fährt fort: "Wir stehen hinter unserem Team, besonders hinter dem technischen Team, denn wir wollen schnell sein, wollen vorne sein. Wir wissen, dass das Zeit braucht. Man muss kreativ sein, man muss verschiedene Wege finden, um Anpressdruck und Performance zu finden. Wir haben diesen Weg eingeschlagen, weil wir schon sehr früh im vergangenen Jahr zur Erkenntnis gekommen sind, dass wir auf diese Weise Verbesserungen erzielen können."


Fotos: Renault, Testfahrten in Valencia, Dienstag


Im Windkanal haben sich diese Verbesserungen bereits zu Papier geschlagen, beim Praxistest auf der Rennstrecke gab es zumindest heute in Valencia noch keine aussagekräftigen Daten. Wenigstens die Konkurrenz staunt aber schon mal: "Renault hat ein sehr interessantes Konzept an ihrem Auto", findet Weltmeister Sebastian Vettel - und vielen fiel der ungewöhnliche Sound des R31 auf: "Dank unseres innovativen Auspuffsystems klingt unser Auto von allen am besten", twittert Renault.

"Eines der heißen Themen des Vorjahres", erklärt Motorenchef White, "waren auspuffangeströmte Unterböden. Unsere Chassispartner zeigten großes Interesse daran, die Auspuffenergie aerodynamisch zu nutzen. Die neue Interpretation des aerodynamischen Reglements macht diesen Bereich tatsächlich sehr interessant, weil sich da Möglichkeiten bieten, die Auspuffenergie zu nutzen, um Anpressdruck zu generieren."

Bekannter Ansatz, "neue Liga"

Renault habe diesen bereits im Vorjahr intensiv erkundeten Ansatz "in eine neue Liga" gehoben, indem die Auspuffgase vor den Seitenkästen nach außen geleitet werden. Bisher ließen sich die Teams während der Saison nicht auf derart radikale Ansätze ein, weil eine Umgestaltung des Auspuffsystems eine Menge Geld kostet und auch rein ingenieurstechnisch betrachtet eine sehr komplizierte Angelegenheit ist.

"Worum es geht, ist die Energie im Auspuff, die mit dem Massenstrom durch die Auspuffrohre, der Geschwindigkeit und der Temperatur dieses Stroms zusammenhängt. All diese Faktoren zusammen erhöhen die zur Verfügung stehende Energie und erhöhen damit wiederum die Performance des Autos", erklärt White und verweist auch auf die komplexen akustischen Auswirkungen, die Änderungen der Länge der Auspuffrohre zur Folge haben können.

Eric Boullier

Teamchef Eric Boullier glaubt an das innovative Auspuffsystem des R31 Zoom

"Alles, was den Druck erhöht, belastet den Kolben und verringert die Performance", erläutert der Brite. "Lange und dünne Auspuffrohre sind daher ungeeignet, aber es gibt auch einen signifikanten akustischen Effekt, den es zu bedenken gilt und zu dem die Druckwellen in den Rohren beitragen. Wenn die Chassisjungs mit so einem Auspuff arbeiten wollen, dann müssen wir schauen, wie wir diesen Anforderungen innerhalb unserer Motorenanforderungen gerecht werden können."

Renault hat Stand heute das innovativste Auspuffsystem entwickelt, doch auch Ferrari soll in diesem Bereich bereits aktiv geworden sein, hört man. Zudem heißt es, dass der neue McLaren, der erst am Freitag in Berlin präsentiert wird, ebenfalls über ein radikales Auspuffsystem verfügen könnte - möglicherweise noch konsequenter zu Ende gedacht als von Renault. Für Diskussionen in den Reihen der technischen Experten ist also gesorgt.

Trotzdem glaubt Mercedes-Teamchef Ross Brawn nicht, dass der Renault-Weg nun von allen eingeschlagen werden muss: "Bevor wir nach Bahrain gehen, werden wir noch einige Teams mit verschiedenen Lösungen sehen", kündigt der Boss von Nico Rosberg und Michael Schumacher geheimnisvoll an. "Ferrari hat verschiedene Optionen ausprobiert und ich glaube, dass es verschiedene Wege gibt, um die Auspuffenergie zu nutzen."