Red Bull: Vom Wackelkandidaten zur unfehlbaren Einheit
Im Vorjahr wirkten Sebastian Vettel und Red Bull manchmal überfordert, 2011 dominieren sie die Formel 1 - Die Gründe für die Wandlung
(Motorsport-Total.com) - Die bisherige Saisonstatistik liest sich beeindruckend. Ohne die letzten vier Runden in China und die letzte Runde in Kanada hätte Sebastian Vettel die ersten acht Rennen allesamt für sich entschieden. Im Qualifying musste er sich 2011 nur in Spanien seinem Teamkollegen Mark Webber beugen - beim Australier funktionierte an diesem Tag im Gegensatz zu Vettel das Hybridsystem KERS. Der Weltmeister führt nun ganze 77 WM-Punkte vor seinen Verfolgern Jenson Button und Webber, die punktegleich sind.

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Formel Red Bull: Vettel dominierte den Saisonauftakt nach Belieben
Da vergisst man schnell, dass Red Bull vor einem Jahr noch etwas der Nimbus anhaftete, ein Team zu sein, das trotz des besten Autos alles dafür tut, um nicht Weltmeister zu werden. Vettel wurden mangelnde Nervenstärke und Fehleranfälligkeit attestiert. 2011 ist alles anders. "Alles sieht locker aus, aber es ist immer noch Motorsport", warnt Formel-1-Experte und Ex-Pilot Christian Danner gegenüber 'ServusTV' vor verfrühten Feiern. "Da kann immer noch alles passieren. Es ist Christian Horners Job, alle wach und fehlerfrei zu halten, und das ist gar nicht so einfach."
Der Teamchef erklärt, wie ihm das gelingt: "Man darf nichts für selbstverständlich halten, muss jedes Rennen für sich nehmen." Warum sich das Team diese Saison als beinahe unfehlbare Einheit präsentiert, während man im Vorjahr teils überfordert wirkte, führt er gegenüber 'ServusTV' auf eine "Kombination von Faktoren" zurück, die Großteils im Verborgenen bleiben: "Was man auf der Strecke sieht, das macht nicht einmal zehn Prozent von der gesamten Teamleistung aus. Da müssen alle Abteilungen zusammenpassen - das zeigt sich dann auf der Strecke."
Ein schnelles Auto reicht nicht
Ein Rezept für die derzeitige Perfektion ist auch der hohe Anspruch: "Wir wollen nicht nur den Erfolg, wir wollen dominieren. Das haben wir bisher geschafft." Danner führt die Red-Bull-Dominanz auf eine Mischung aus harter, analytischer Arbeit und auf den Durchbruch mit dem ersten WM-Titel im Vorjahr zurück. "Red Bull hat schon seit Jahren das schnellste Auto. Man musste dahinter aber erst alles nachorganisieren", so der Deutsche.
Er zählt die beseitigten Problemzonen auf: "Da gab es einige Qualitätsprobleme, ein paar Mal zu viel Rivalität zwischen den Fahrern, auch die Boxenstopps und die Strategie - das war vor drei Jahren nicht immer perfekt. Ich habe aber den Eindruck, dass man da einfach analytisch im Zehntelsekunden-Bereich weitergearbeitet hat. Das addiert sich dann."
Zudem verweist er auf die Tatsache, dass Red Bull nun weiß, wie man in der Formel 1 zum Siegerteam wird: "Da kommt was ganz Entscheidendes dazu, was Sebastian mir in einem Gespräch gesagt hat - und das ist die Psychologie. Wenn man die WM einmal gewonnen hat, dann geht das bis zum Mechaniker runter, dann ist man wer. Dann traut man sich auch Sachen zu, die man vielleicht normalerweise gar nicht schaffen würde."
Vettels Durchbruch
Interessant ist auch, dass Vettel durch den WM-Titel mit 23 Jahren keineswegs erfolgsmüde geworden ist - er wirkt dieses Jahr lockerer und selbstbewusster denn je. Danner glaubt zu wissen, wie es dem Heppenheimer im Vorjahr gelang, die Misserfolgs-Serie des Sommers hinter sich zu lassen und zum neuen Dominator der Formel 1 zu mutieren.
"Bei Sebastian gab es einen fundamentalen Punkt", blickt Danner auf Vettels Titelsaison zurück. "Wir erinnern uns an das missglückte Überholmanöver an Button in Spa und an andere Momente, als es nicht rund lief. Meine Beobachtung war, dass er in diesen Momenten meinte, jetzt muss es passieren, und dann passierte immer das Gegenteil."
Die Enttäuschungen sorgten schließlich für eine Änderung der Herangehensweise, vermutet der ehemalige Formel-1-Fahrer: "Irgendwann sagte er dann: Es ist eh egal, ich fahre so schnell es geht und dann passt das schon. So locker bin ich am besten, dann kommt das beste Ergebnis heraus. Das war glaube ich sein mentaler Durchbruch."
Wie Vettel Red Bull aufrichtete
Teamchef Horner kann dieser Theorie durchaus etwas abgewinnen und erinnert sich ebenfalls an die schwierige Situation nach Vettels Pannenrennen in den belgischen Ardennen: "Bei den Rennen nach Spa war Sebastian eigentlich aus der WM draußen, Mark führte und war in einer bequemen Position. Das Beeindruckende an Sebastian war, dass er nie aufhörte, an die WM zu glauben. Seine Leistungen waren dann phänomenal."
Nicht einmal der Motorplatzer beim schwierigen Rennen in Südkorea, der dem späteren Weltmeister den Sieg raubte, konnte ihn stoppen. "Das gesamte Team war am Boden", schildert Horner, "aber Sebastian war der Einzige, der noch eine positive Einstellung hatte. Er fuhr dann zwei der besten Rennen seiner Karriere und so entspannt, wie er war, ging alles gut aus. Dieses Jahr hat er einen weiteren Schritt gemacht."
Worin der liegt? "Der Unterschied ist jetzt, dass er den Titel in der Tasche hat und Erfahrung gewonnen hat, von der er jetzt zehren kann", glaubt der Red-Bull-Teamchef. "Dadurch hat er an Selbstvertrauen gewonnen und weiß, dass er es kann." Und wie - wenn Vettel bei den verbleibenden elf Saisonrennen stets Zweiter wird, müssten Button oder Webber alle Grands Prix gewinnen, um am Ende punktegleich zu sein und aufgrund der besseren Siegbilanz den Titel zu holen - ein äußerst unwahrscheinliches Szenario.
Vettels lustige Wasserspiele in Montreal
Wie stark Vettels Psyche ist, davon durfte sich zuletzt in Kanada auch Ex-Formel-1-Pilot Karl Wendlinger überzeugen. Der Tiroler war als Co-Kommentator auf der Ile de Notre Dame und erinnert sich an eine Begegnung mit dem Weltmeister am Sonntagvormittag: "Da fand ein Rahmenrennen statt und ich war in der Red-Bull-Hospitality. Sebastian kommt auf einmal grinsend daher und sagt zu Dr. Marko: 'Hast du gesehen, wie die da abfliegen, links und rechts in die Mauern. Da ist so viel Wasser und Aquaplaning - das wird heute ein Spaß'."
Diese positive Einstellung zeigte sich dann auch in den ersten Runden des Rennens, die bei heftigem Regen über die Bühne gingen: "Er fuhr in den ersten fünf Runden zehn Sekunden vorne weg. Das zeigt, welches Selbstvertrauen er hat." Dass er später in diesem Rennen seinen einzigen entscheidenden Fehler der Saison machte, ist laut Horner auf Vettels Erfolgswillen zurückzuführen: "Montreal kam nur zustande, weil er unbedingt gewinnen wollte. Er hat in der letzten Runde riskiert, weil er wusste, dass er vor der DRS-Zone mehr als diese eine Sekunde braucht. Es ist nicht aufgegangen, aber er will immer die 25 Punkte."
Meist geht Vettels Rechnung allerdings auf - dann kommt Horner stets in den Genuss, seinem Starpiloten via Boxenfunk zum Sieg zu gratulieren. Der Brite beschreibt die aufregenden Momente des Triumphes: "In diesem Moment kommt dir alles auf einmal in den Sinn. Man schaut, ob der Fahrer sauber aus der letzten Kurve herauskommt und ob er die Zielflagge kassiert. Dann sprudelt es aus dir raus und du sagst, was dir gerade so einfällt. Ich war aber jedes Mal überrascht, wie groß die Freude bei Sebastian ist."

