• 01.09.2018 09:15

  • von D. Rencken, C. Nimmervoll, A. Cooper & S. Mitchell

Racing Point oder Force India: Der Teufel steckt im Detail

Warum die FOM-Preisgelder für Force India noch lange nicht geklärt sind und neun Teams drei verschiedene Dokumente unterschrieben haben

(Motorsport-Total.com) - Ob nun Racing Point oder Force India: Die Details in dieser Story sind für viele Leser, die vor allem spannenden Rennsport im Kopf haben, irrelevant. Aber gerade in der Formel 1, in der es um Macht und Millionen geht, steckt der Teufel oft im Detail. Und so ist die Rettung des Teams aus Silverstone, gegründet einst von Eddie Jordan, noch lange nicht so über die Bühne, wie das momentan von vielen dargestellt wird.

Titel-Bild zur News: Otmar Szafnauer

Mode-Milliardär Lawrence Stroll (rechts) im Gespräch mit Otmar Szafnauer Zoom

Es war am Donnerstagabend in Spa, gegen 19:00 Uhr, als die Teilnahme am Grand Prix von Belgien endlich gesichert war. Lawrence Stroll, quasi der "Frontmann" der neuen Eigentümer, FOM-Chef Chase Carey und FIA-Präsident Jean Todt hatten tagelang intensiv nach einer Lösung gesucht, und unmittelbar vor Beginn des Wochenendes war ein tragfähiger Kompromiss gefunden, mit dem auch die anderen Teams leben konnten.

Dieser sah so aus: Force India verliert alle bisher gesammelten WM-Punkte, darf aber die ab Spa gesammelten Punkte behalten. Die Motorenkontingente werden nahtlos fortgeführt und nicht zurückgesetzt. Und Force India musste versichern, nicht ein klassisches "Satellitenteam" von Mercedes zu werden, sondern ein eigenständiger Konstrukteur zu bleiben. Von den 405 Mitarbeitern in Silverstone wurde keiner entlassen.

Stroll musste also für sein eigens gegründetes Unternehmen Racing Point eine neue Formel-1-Lizenz beantragen - ein Vorgang, der mitten in der Saison zwar formaljuristisch möglich ist, der aber in der Praxis so selten vorkommt, dass es dafür bei der FIA nicht einmal ein eigenes Formular gibt.

Komplexer formaljuristischer Prozess

FOM und FIA mussten sicherstellen, dass alle Regeln streng eingehalten werden. Nicht auszudenken, was los ist, wenn sich jemand bei einem Unfall mit einem Auto verletzt, das eigentlich gar nicht am Start stehen dürfte.

Ein elementarer Teil des Puzzles war, die Zustimmung der anderen neun Teams einzuholen, die Fortführung des Force-India-Teams über die Bühne zu bringen. Sechs Teams hatten ein entsprechendes Dokument bereits in Budapest unterschrieben. Drei Teams willigten dann in Spa ein. Doch genau in den Details dieses Prozesses steckt besagter Teufel.

Wir holen kurz aus: Strolls ursprünglicher Plan war, Force India einfach zu kaufen und wie bisher weiterzuführen - nur eben unter neuen Eigentümern. Mallya, Roy, Mol raus, Stroll und Partner rein. Doch das scheiterte daran, dass Mallya mit Strolls erstem Angebot nicht glücklich war. Der indische Geschäftsmann, so hört man, wollte mehr als 200 Millionen Britische Pfund raushandeln.

Vijay Mallya

Aus und vorbei: Vijay Mallya ist raus aus dem Formel-1-Business Zoom

Als Force India dann schon in der Insolvenz war, getriggert letztendlich durch Sergio Perez, war Stroll wieder im Spiel. Doch hätte er dem Insolvenzverwalter einfach die Trägerfirma abgekauft, wie das ursprünglich geplant war, hätte er die direkte Rechtsnachfolge angetreten. Das ging nicht, weil sonst 13 Gläubigerbanken Ansprüche erhoben und den Prozess verlangsamt oder gar gestoppt hätten.

Also wurde in der Sommerpause eine Notlösung entwickelt: Stroll gründete Racing Point als neue "Hülle" für das Team und kaufte aus der Insolvenzmasse alle Vermögenswerte von Force India heraus. Also zum Beispiel die Fabrik in Silverstone, diverse Maschinen, die Autos und Ersatzteile. Die Verträge der 405 Mitarbeiter wurden bei diesem sogenannten "Asset-Sale" übernommen. Jene mit externen Dienstleistern (dazu zählen auch die Fahrer) mussten neu geordnet werden.

Das Beste aus beiden Welten ...

Die Krux daran, nicht die direkte Rechtsnachfolge anzutreten, ist: Auf diese Weise war Stroll zwar lästige Mallya-Gläubiger los, gleichzeitig verlor er aber Force Indias Formel-1-Lizenz. Also musste Racing Point eine neue Lizenz beantragen. Und die sechs Teams, die bereits in Budapest unterschrieben hatten, hatten dies im Glauben getan, es handle sich nicht um einen "Asset-Sale", sondern um einen sogenannten "Going Concern". Also eine direkte Rechtsnachfolge.

Laut Informationen von 'Motorsport-Total.com' wurden in Budapest und Spa von neun Teams drei unterschiedliche Dokumente unterzeichnet. Sechs als "Going Concern", drei als "Asset-Sale". Und mit unterschiedlichen Bedingungen, die Renault und Co. gestellt haben. Das erklärt, warum Haas-Technikchef Günther Steiner die Euphorie über die Rettung von Force India bremst, weil seiner Meinung nach "viele offene Fragen" zu klären sind.

Das Haas-Team stieg 2016 mit neuer Lizenz in die Formel 1 ein. Neue Lizenz bedeutet: Um bei der Einnahmenverteilung der FOM am Sockel, der "Column 1" genannt wird, partizipieren zu dürfen, muss ein Team in den vergangenen drei Jahren zumindest zweimal in den Top 10 der Konstrukteurs-WM gewesen sein. Haas kassiert die Zahlungen aus "Column 1" 2018 zum ersten Mal. Es sind umgerechnet 28 Millionen Euro.

Insofern verständlich, dass Haas Bedenken hat, wenn ein ebenfalls neues Team, wie Racing Point aufgrund der neuen Lizenz eins ist, sofort voll ausbezahlt werden soll, ohne zwei mühsame Jahre der Eigenfinanzierung: "Mir muss erst einer erklären, warum sie eine neue Lizenz haben, aber nicht behandelt werden, als hätten sie eine neue Lizenz. Und das konnte mir bisher noch niemand erklären", sagt Steiner.


Force India: Die Rettung des Teams erklärt

Der Südtiroler streitet zwar nicht ab, in Budapest unterschrieben zu haben. Aber er habe für einen "Going Concern" unterschrieben, und nicht für einen "Asset-Sale". Ein kleiner, aber wichtiger Unterschied. "Für die neue Lizenz", stellt er klar, "haben wir nicht unterschrieben."

Racing-Point-Teamchef Otmar Szafnauer kann Steiners Einwände nicht nachvollziehen: "Ich meine, dass wir per Definition ein 'Going Concern' sind. Vielleicht ist er verwirrt, weil er glaubt, dass wir keiner sind. Sind wir aber. Oder sind wir etwa nicht das gleiche Team wie vorher? Das sind doch nur rein semantische Diskussionen."

Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt!

Szafnauer allerdings dreht sich seine Argumentation so, wie sie gerade passt. Wenn es darum geht, einen Bypass um die Gläubigerbanken zu legen, war es ein "Asset-Sale". Wenn es um die Formel-1-Lizenz geht, soll es dann aber doch ein "Going Concern" gewesen sein. Und genau daran stören sich Steiner & Co. Man kann nicht beides haben, finden sie.

"Ich respektiere Lawrence", sagt Steiner. "Er hat nicht nur groß geredet, sondern das Geld auf den Tisch gelegt, das Team gekauft, das gut gemacht. Aber es ist alles so schnell gegangen - bumm, bumm, bumm. Lassen wir sie fahren, damit haben wir kein Problem. Aber lassen wir uns Zeit für die rechtlichen Fragen. Wir haben doch keine Eile."

Sollte sich herausstellen, dass Racing Point doch keinen Anspruch auf "Column 1" hat, würden die 28 Millionen Euro auf die übrigen neun Teams verteilt. Das wären drei Millionen, die zum Beispiel Claire Williams gerade gut gebrauchen könnte. Doch allen Beteiligten ist klar, dass in solchen Situationen die Optik schief wäre, wenn jemand nur aus Eigeninteresse und nicht im Sinne des Sports insgesamt handelt.

Stroll hat, so die Informationen von 'Motorsport-Total.com', 150 Millionen Pfund Kaufsumme bezahlt. Weitere 15 Millionen musste er als Sicherheit hinterlegen. Peanuts für den Mode-Milliardär. Trotzdem will er in der Formel 1 nicht nur sinnlos Geld verbrennen, um seinem Sohn das Hobby zu finanzieren. Sondern das Team soll sich idealerweise selbst tragen. Dafür wäre "Column 1" extrem hilfreich.

Die Angst, dass Force India im Zuge einer strategischen Allianz ein verlängerter Arm des Mercedes-Teams werden könnte, ist laut Aussagen des Managements nicht gerechtfertigt. Im Paddock haben viele diese Befürchtung, nicht zuletzt wegen der Einbindung von Toto Wolff in den Übernahmeprozess. In Hockenheim zum Beispiel gab es ein Meeting, bei dem neben Stroll, Szafnauer und dem entmachteten Robert Fernley auch Wolff anwesend war.

Szafnauer: Keine Allianz mit Mercedes

Alle Ängste unbegründet, gibt Szafnauer Entwarnung: "Alles bleibt gleich. Die Leute, die befürchten, dass wir wie Ferrari-Haas werden, kann ich beruhigen: Das wird nicht passieren. Wir haben 405 Mitarbeiter. Die meisten arbeiten in der Entwicklung. Den Rest des Betriebs versuchen wir so klein wie möglich zu halten. Sollten wir da einen anderen Weg einschlagen, müssten wir 250 Mitarbeiter entlassen. Und das wird nicht passieren."

Was sich mittelfristig (ab 2019) ändern könnte, ist der Name des Teams. Die Trägerfirma heißt schon jetzt Racing Point Force India, in den TV-Inserts wird aber nur Force India eingeblendet. Das finden viele Zuschauer verwirrend. Dahinter steckt eine FIA-Regel: Der Name des Chassis kann während der Saison nicht geändert werden, und der Name des Chassis muss auch im Teamnamen abgebildet sein. Also war es unmöglich, den Namen Force India sofort loszuwerden.

"Die Formel 1 und die FIA", erklärt Szafnauer, "mögen eine Änderung des Chassisnamens nicht, und ich verstehe auch warum. Weil es für die Fans verwirrend wäre. Und wir fanden es angemessen, den Namen Force India für die Fans erstmal zu behalten. Die Autos sind immer noch pink, wir haben die gleichen Sponsoren, die gleichen Fahrer, das gleiche Motorhome, die gleichen Mitarbeiter. Wir sind noch genau das gleiche Team."

"Wir sind noch genau das gleiche Team." Otmar Szafnauer

"Nur haben wir Racing Point statt Sahara vor das Force India gesetzt. Vorher waren wir Sahara Force India, jetzt sind wir Racing Point Force India", sagt Szafnauer. In der Kurzform also weiterhin einfach Force India. "Und das ist für die Fans genau das Richtige!"

2019 haben die neuen Eigentümer dann die Möglichkeit, auch das Chassis neu zu benennen. Dass das Team dann immer noch Force India heißen wird, gilt als ausgeschlossen. Stroll möchte jede Verbindung zu Mallya möglichst rasch eliminieren. Mit dem Namen eines Mannes, der möglicherweise bald im Gefängnis sitzt, lässt sich schlecht mit Investoren und Sponsoren verhandeln ...