• 08.02.2003 11:31

  • von Fabian Hust

Qualifying 2003: Taktische Possen statt Sport?

Das Qualifying könnte sich in der kommenden Saison zu einer taktischen statt einer sportlichen Schlacht entwickeln

(Motorsport-Total.com) - Das neue Qualifying soll in der Formel 1 für spannenderen Sport sorgen, doch der Schuss könnte auch nach hinten losgehen ? zumindest am Freitag. Bisher gab es in der Formel 1 nur ein Qualifying am Samstag, bei dem die Teams 60 Minuten Zeit hatten, sich zu qualifizieren. Dabei konnte jeder Pilot 12 Runden abspulen. Ab dieser Saison geht jeder Fahrer zu vorgegebenen Zeiten alleine auf die Strecke und hat nur einen einzigen Versuch.

Titel-Bild zur News: Ralf Schumacher

An für sich peinliche Dreher könnten 2003 ein probates Mittel sein...

Natürlich ist der Zeitpunkt, zu dem man auf die Strecke geht, von großer Bedeutung. Prinzipiell werden die Strecken am Ende eines Qualifyings schneller, da möglicher Staub von den Autos "weggefahren" wurde und Gummiabrieb für mehr Haftung sorgt. Jeder Fahrer wird also im Normalfall versuchen, als Letzter auf die Strecke gehen zu können.

Wann wer auf die Piste geht, wird am Freitag festgelegt. In dieser "Vor-Qualifikation", in der es ebenfalls Einzelzeitfahren gibt, geht der Fahrer zuerst auf die Strecke, der in der WM-Wertung führt. Damit hat der beste Fahrer zunächst in der Regel einen Nachteil. Wer am Freitag die schnellste Zeit fährt, darf am Samstag als Letzter auf die Strecke, wer am Freitag am langsamsten war muss umgekehrt am Samstag als Erster auf die Piste.

Die festgelegten Zeiten, zu denen man auf die Strecke gehen muss, könnten jedoch zu taktischen Spielchen führen. Angenommen, der Wetterbericht sagt für den Samstag im Qualifying einsetzenden Regen voraus, so wäre es wenig sinnvoll, am Freitag in der Vor-Qualifikation eine exzellente Zeit zu fahren. Stattdessen würde es Sinn machen, wenn man am Samstag früh auf die Strecke geht ? dann müsste man jedoch am Freitag bewusst langsam fahren.

Somit ist es wahrscheinlich, dass die Fahrer eine Zeit fahren, die sie in der Freitags-Wertung in das hintere Feld bringt, so dass sie frühzeitig auf die Strecke gehen können. Die Frage ist allerdings, wie langsam man wirklich fahren kann. Denn gerade die kleinen Teams dürften pokern und nicht mit Absicht langsam fahren sondern kräftig Gas geben, um vielleicht die Gunst der Stunde nutzen, sollte es am Samstag im Qualifying doch komplett trocken bleiben.

Mit anderen Worten: Fährt ein Michael Schumacher, der in der WM-Wertung vorne liegt und deshalb als Erster auf die Strecke geht, am Freitag absichtlich extrem langsam, könnte zum Beispiel Jos Verstappen im Minardi ? der mit Sicherheit nach einem Schumacher auf die Strecke gehen wird ? eine Runde mit vollem Einsatz fahren. Damit könnte Schumacher eine Zeit gefahren sein, die laut der 107-Prozent-Regel nicht ausreicht, um sich zu qualifizieren.

Man darf gespannt sein, wie nicht nur die Teams in solchen Fällen reagieren, ob sie also zum Beispiel tatsächlich absichtlich langsamer fahren, um sich im entscheidenden Qualifying am Samstag einen Vorteil zu sichern. Vor allem die Reaktion der Rennleitung dürfte in so einem Fall spannend sein. Wendet sie die 107-Prozent-Regel an, könnte ein Großteil des Feldes vielleicht nicht am Rennen teilnehmen.

Verzichtet sie hingegen auf Anwendung der 107-Prozent-Regel, wird das absichtliche "langsam fahren" zumindest bei solchen Wettersituation zur unschönen Normalität werden. Keinesfalls müssten die Fahrer allerdings ganz offensichtlich langsam fahren, sie könnten technische Probleme vortäuschen oder ganz einfach einen kurzen Abstecher durch das Kiesbett machen. In diesen Fällen dürfte die Rennleitung die 107-Prozent-Regel eigentlich nicht anwenden.

Zugegeben, es wird selten zu solchen offensichtlichen Wettverhältnissen kommen, definitiv taktiert wird jedoch am Samstag. Die Teams müssen mit dem Setup ins Qualifying gehen, mit dem sie auch in das Rennen starten werden. Das wird zwangsläufig zu starken Verzerrungen führen. Mit Sicherheit werden nicht alle Fahrer die gleiche Benzinmenge an Bord haben.

Der offensichtlichste Fall: Ein Team hat einen Reifensatz, der sich schneller abnutzt als erwartet, dann muss der betreffende Fahrer im Rennen ein Mal mehr stoppen als die Konkurrenz. Somit würde er in einem normalen Rennen am Start mit einem leichteren und damit schnelleren Auto an den Start gehen, da er weniger Benzin an Bord hat. Im Qualifying wird er damit ebenfalls leichter unterwegs sein als die Konkurrenz. Die Unterschiede in der Benzinmenge und damit in den Rundenzeiten können so groß sein, dass plötzlich nicht mehr der eigentlich schnellste Fahrer im schnellsten Auto vorne steht sondern vielleicht ein krasser Außenseiter.

Umgekehrt könnte ein Team, das einen Reifensatz hat, der nur über die lange Distanz konkurrenzfähig ist, bei dem es einfach keinen Sinn macht, im Rennen zwei Mal zu stoppen, bewusst im Qualifying einen Nachteil hinnehmen und mit viel Sprit an Bord fahren. Damit würde der Fahrer von weiter hinten starten müssen, hätte aber die Chance, sich im Rennen wieder nach vorne zu arbeiten.

Mit Sicherheit wird man in der kommenden Saison mehr Boxenstopps sehen als in der Vergangenheit, gerade wenn der Unterschied zwischen einer Ein-Stopp- und einer Zwei-Stopp-Strategie gering ist. Denkbar wäre auch, dass die Fahrer im Rennen einen extrem frühen ersten Boxenstopp einlegen, damit sie im Qualifying ein möglichst leichtes Auto haben.

Das Qualifying entpuppt sich somit weniger als eine Belastungsprobe für die Nerven wegen der nur einen erlaubten Runde als vielmehr als Denksport für die Taktiker der Teams. Vor allem am Freitag kann es zu der einen oder anderen Szene kommen, die mit dem alten Qualifying, in dem jeder auf jeder Runde 100 Prozent gegeben hat, nichts mehr zu tun hat. Was tröstet: Schon immer hat die Taktik in der Formel 1 eine entscheidende Rolle gespielt und auch in der kommenden Saison wird mit Sicherheit das beste Paket aus Fahrer und Team am Ende den WM-Titel einfahren.