• 10.07.2002 17:41

  • von Fabian Hust

Prof. Watkins: "Das Schlimmste sind die Regenrennen"

Der medizinische Delegierte der Formel 1 über seine 24 Jahre als Formel-1-Doktor, schöne wie schlimme Momente

(Motorsport-Total.com) - Seit rund 24 Jahren ist Sid Watkins in der Formel 1 als Arzt tätig. Der Brite wuchs als Sohn eines Garagenbesitzers in Liverpool auf und kam dadurch bereits früh in Kontakt mit der PS-Welt. Nach vier Jahren bei den Royal Army Medical Corps infizierte sich Prof. Sidney Watkins 1956 als Zuschauer mit dem Motorsportvirus. Seinen ersten Einsatz als "Motorsport-Doc" hatte Watkins in Brands Hatch, wo er bei Go-Kart-Rennen die medizinische Aufsicht hatte. Es folgten Jahre als Streckenarzt in Silverstone und den USA. 1978 kam Bernie Ecclestone auf den Briten hinzu und machte ihn zum fliegenden Formel-1-Arzt. Seitdem reist der heute über 70-jährige mit dem Formel-1-Tross um die ganze Welt.

Titel-Bild zur News: Sid Watkins

Prof. Sid Waktins ist zur Stelle, wenn es in der Formel 1 kracht

Üben, üben, üben?

Dort hat Watkins an jedem Wochenende viel Arbeit vor sich. Am Donnerstag stehen Übungsstunden mit den örtlichen Arztteams auf dem Programm, wo man mit einem Jaguar-Chassis das Bergen von verletzten Piloten üben kann. Teilweise leiht man sich auch direkt von den Teams Autos aus, so passiert das auch mit den Formel-3000-Rennen, die das Rahmenprogramm der Formel 1 bilden. Nach der Rückkehr eines Fahrers in die Formel 1, zum Beispiel nach schweren Testunfällen, ist es auch die Aufgabe von Watkins, den Piloten zu checken und zu bestimmen, ob er am Wochenende starten darf oder nicht.

Am Freitagmorgen wird das Medical-Centre inspiziert, Sid Watkins muss alle Mitarbeiter der Strecke und der umliegenden Krankenhäuser kennen, was bereits sechs Wochen vor dem Rennen geschieht. Im Falle eines Falles dürfen keine wertvollen Minuten verstreichen, weswegen auch immer Hubschrauber startbereit sein müssen ? ist es zu neblig für einen Start des Helis, muss die Formel 1 warten. Sogar die Krankenhäuser werden vor jedem Rennen inspiziert und Watkins ist im Besitz einer Liste der Ansprechpartner.

12 Stunden harte Arbeit ? jeden Grand-Prix-Tag

Am Ende eines Wochenendes folgt dann noch die Beurteilung der medizinischen Versorgung an der Strecke. Hat es Zwischenfälle gegeben? Wenn ja, wie schnell wurden diese vom Team bearbeitet? "Es ist ein sehr beschäftigtes Wochenende", verrät der knorrige Brite in einem Chat bei 'ITV'. "In Silverstone stehe ich um jeden Morgen um 5 Uhr auf und war bis um 18:30 Uhr an der Strecke ? ich habe also mindestens einen 12-Stunden-Tag." Doch trotz des großen Stresses will Watkins weitermachen: "So lange ich am Leben bin. Mir macht es Spaß, was mich motiviert. So lange ich fit und agil genug bin und mich die FIA behalten möchte, mache ich gerne weiter."

Sennas Tod schlimmster Moment

Als Formel-1-Arzt hat Watkins über die Jahre hinweg einige negative und positive Momente erlebt. Nah geht dem Briten immer noch Imola 1994, als Roland Ratzenberger und Ayrton Senna verunglückten: "Das war der Tiefpunkt, denn ich kannte Senna so gut, aus diesem Grund war es wohl der schlimmste Moment. Der Höhepunkt war der Unfall von Mika Häkkinen, als wir seinen Luftweg frei bekamen, seine Haut wieder Farbe annahm und wir realisierten, dass er überleben wird, das war brillant." In Adelaide war der McLaren-Pilot 1995 nach einem Reifenschaden übel verunglückt, mit einem Luftröhrenschnitt rettete Watkins dem Finnen das Leben.

Während laut Watkins 1970 noch bei jedem zehnten Unfall ein Fahrer schwer verletzt wird, ist das heute nur noch bei jedem 300. der Fall. Auch Michael Schumacher hat sein Leben vor allem der zahlreichen Crash-Tests zu verdanken, ohne die er seinen Unfall 1999 in Silverstone nicht überlebt hätte: "Und eine Verletzung wie sie Michael hatte, kannst du auch beim Skifahren bekommen, das hat neulich Jacques Villeneuve zu mir gemeint, womit er Recht hat", so Watkins.

Bewusstlosigkeit hilft

Heutzutage müssen sich die Fahrer nicht mehr so viele Gedanken um ihre Gesundheit machen wie noch vor einigen Jahren. Das ist ein Grund, warum die meisten Fahrer heutzutage auch nach schweren Unfällen kräftig Gas geben: "Meistens sind es körperliche Dinge, die die Fahrer daran hindern, in die Formel 1 zurückzukehren, besonders bei Verletzungen am Bein und den Knöcheln. Das Bein muss in der Formel 1 sehr geschickt sein wie in jedem anderen Rennwagen auch. Der psychologische Faktor ist aber stärker. Wenn ein Fahrer unbewusst wird, hilft das normalerweise. Wenn sie bei Bewusstsein sind, dann kommt es auf die Person an, es hat ja Michael nichts ausgemacht. Normalerweise braucht man aber zwei Jahre, um sich von so einer Verletzung zu erholen!"

Doch es gibt auch Verletzungen, die erst nach langer Zeit auftauchen. Durch die kaum gefederten Autos fügen sich die Fahrer Langzeitschäden zu: "Man kann das mit vielen anderen Sportarten vergleichen, sogar Fußballer bekommen Arthritis im Genick wie viele Fahrer. Sie haben auch Probleme an der unteren Wirbelsäule. Ich muss aber sagen, dass im Moment niemand ernsthafte Probleme hat." Dass die Formel-1-Piloten durch die extrem hohen Fliehkräfte Schaden nehmen, glaubt Watkins übrigens nicht.

Selbst in Lebensgefahr

Für Sid Watkins, der mit dem Medical Car bei jedem Start am Ende des Feldes steht und sofort hinterherfährt, um im Falle eines Falles schnell vor Ort zu sein, gibt es selbst Momente, in denen er sich in Gefahr begibt: "Wir hatten ein paar haarige Momente, als wir nach jemanden geschaut haben und ein Anderer die Kontrolle über sein Auto verloren hat und beinahe das Medical Car demoliert hat. In Monza hätte ein Minardi um ein Haar das Auto zerstört. Wir parken das Medical Car so, dass es uns schützt. Dennoch ist alles möglich. Beim Bernoldi-Unfall in Brasilien wäre alles gut gegangen, wenn nicht die Türe geöffnet worden wäre." Damals raste Nick Heidfeld in die Türe, da er die Flaggen übersehen hatte ? verletzt wurde zum Glück niemand.

Nur zu ungern erinnert sich Sid Watkins an ein Rennen, bei dem er am Start wie immer dem Feld hinterherfuhr: "Wir waren hinter den Jungs in der ersten Kurve und man konnte wegen der Gischt nichts sehen. Wir bemerkten zunächst, wie ein Rad unserem Auto näher kam, dann kam auch ein Rad an die andere Seite des Autos. Dann sahen wir beschädigte Autos, eines davon war Coulthards. Das ist die Art von Unfall, die schwierig sein kann, wenn man in die Gischt fährt und nichts sieht. Das Schlimmste sind immer die Regenrennen."