Petrov: "Wenn ich das vorher gewusst hätte..."

Renault-Pilot Vitaly Petrov im Interview über seinen sportlichen Werdegang, die Herausforderung Formel 1 und seine Ziel für die restlichen Rennen 2010

(Motorsport-Total.com) - Vor wenigen Jahren drehte Vitaly Petrov noch zum Spaß seine Runden im russischen Lada-Cup, nun fährt der 25-Jährige mit noch viel größerer Freude einen Renault-Boliden in der Formel 1: Im exklusiven Interview mit 'Motorsport-Total.com' spricht die "Rakete von Wyborg" über seine ersten Gehversuche im Motorsport, das Einfinden in der "Königsklasse", die Vorbereitung auf neue Strecken und die Chancen, bald einen russischen Grand Prix im Rennkalender der Formel 1 zu haben.

Titel-Bild zur News: Vitaly Petrov

Vom Lada-Cup in die Formel 1: Vitaly Petrov erlebte einen überaus rasanten Aufstieg

Frage: "Vitaly, man nennt dich die "Rakete von Wyborg". Kannst du erläutern, wie zu diesem Spitznamen gekommen bist? Wer hat ihn erfunden?"
Vitaly Petrov: "Ein Journalist. Das kommt noch aus meiner Zeit, als ich ausschließlich in Russland gefahren bin. Jede Serie, an der ich teilgenommen habe, konnte ich gewinnen. So entstand dieser Spitzname."#w1#

Frage: "2002 hast du den Lada-Cup für dich entschieden. Das ist eine sehr ungewöhnliche Art und Weise, eine Formel-1-Karriere zu beginnen. Kannst du dich noch erinnern, wie das damals abgelaufen ist?"
Petrov: "Das kam daher, dass wir in Russland lediglich drei Rennstrecken hatten. Ich fuhr Tourenwagen. Wir gingen die Geschichte stets Schritt für Schritt an."

"Wir wussten nicht, wohin wir uns wenden sollten." Vitaly Petrov

"Wir wussten nicht, wohin wir uns wenden sollten. Um uns herum waren keine Leute, die uns beim Einstieg in den Formelsport behilflich gewesen wären. Ich hatte zudem nicht wirklich Interesse daran, Formelautos zu fahren. In Russland wussten wir einfach nicht, was wir tun sollten."

Frage: "Welche Motorsport-Infrastruktur gab es zu dieser Zeit in Russland? Wie war es um Kartstrecken oder dergleichen bestellt?"
Petrov: "Wir hatten drei Strecken, die aber allesamt nicht auf Formel-1-Standard waren. Diese Kurse hatten kein WM-Niveau, doch für Tourenwagen war es okay. Mehr aber auch nicht."

Der Lada-Cup als Sprungbrett für Petrov

Frage: "Hast du vor dem Lada-Cup noch irgendwelche anderen Motorsport-Disziplinen bestritten? Warst du beispielsweise in Karts aktiv?"
Petrov: "Nein. Ich bin direkt in den Lada-Cup eingestiegen, dann folgten Tourenwagen, Renault-Fahrzeuge, die Formel 3000, die GP2 und schließlich die Formel 1."

Frage: "Wie bist du eigentlich zum Motorsport gekommen? Gab es da einen Schlüsselmoment für dich, ab dem du wusstest, dass du Rennfahrer werden würdest?"
Petrov: "Nein, es war mein Hobby. Das war keine Rennkarriere, sondern einfach nur ein Hobby."

"Ich hatte Spaß am Fahren und war kein Berufsfahrer." Vitaly Petrov

"Ich hatte Spaß am Fahren und war kein Berufsfahrer. Ich wusste ja gar nicht, was man sich darunter vorzustellen hatte. In Russland konnte mir nämlich niemand erklären, wie das sein würde. Ich probierte also einfach ein bisschen herum."

Frage: "Wie muss man sich deine damalige Situation vorstellen? Hattest du die Chance, die Rennen der Formel 1 zu sehen? Hat dich das interessiert?"
Petrov: "Nein, das hat mich nicht interessiert. Ich kannte das gar nicht. Manche Leute sagten mir, dass das ganz spannend wäre. Mich ließ das kalt. Für mich war das wie eine andere Welt, die ich nicht kannte."¿pbvin|512|3112|inside|0|1pb¿

Die Formel 1 war immer sehr weit weg...

Frage: "Du hast demnach also sicherlich nicht daran gedacht, eines Tages in der Formel 1 zu fahren, selbst als sich die ersten Erfolge auf der Rennstrecke einstellten?"
Petrov: "Natürlich nicht. Wenn ich das vorher gewusst hätte, hätte ich meine Karriere vermutlich ganz anders begonnen."

Frage: "Schließlich nahmst du an den europäischen Rennserien teil und warst zuletzt in der GP2 am Start. Dort hattest du sehr ordentliche Ergebnisse, wirst aber oft als Bezahlfahrer bezeichnet. Nervt dich das?"
Petrov: "Bezahlfahrer? Ich denke, die Leute verstehen nun, dass ich kein Bezahlfahrer bin. Ich kann gute Ergebnisse vorweisen. Es gab nun schon ein paar Rennen, bei denen ich Punkte holen konnte."

"Die Journalisten fragen mich jetzt nicht mehr nach solchen Dingen." Vitaly Petrov

"Die Journalisten fragen mich jetzt nicht mehr nach solchen Dingen. Das hat aufgehört, weil es Quatsch ist. Am Anfang des Jahres war die Situation noch eine andere, jetzt ist das Verständnis da. Und ich kann die passenden Ergebnisse dazu vorweisen. Die GP2 war wie ein Karrierestart für mich."

"Dort lernte ich viele Dinge über den Rennsport, über das Setup und über die Kommunikation mit dem Ingenieur sowie die Arbeit mit den Journalisten. Das war sehr wichtig in dieser Phase. Wir fuhren auf den richtigen Rennstrecken und bewegten uns im Umfeld der Formel 1. Die Jungs waren sehr konkurrenzfähig."

Wie sind die Chancen auf einen Vertrag 2011?

Frage: "Langsam aber sicher stellen sich die Ergebnisse für dich ein. Denkst du, ein Neuling braucht ungefähr zehn, zwölf Rennen, um sich in der Formel 1 zurecht zu finden?"
Petrov: "Das Problem ist, dass ich manche Strecken zum ersten Mal überhaupt besuche."

"Ich muss erst einmal lernen, wie man das Auto am jeweiligen Rennplatz bewegt." Vitaly Petrov

"Das ist sehr schwierig für mich, weil ich dort bei Null beginnen muss. Ich muss erst einmal lernen, wie man das Auto am jeweiligen Rennplatz bewegt. Hier in Monza haben wir wenig Abtrieb am Auto. Diese Situation gilt es zu verstehen."

Frage: "In der GP2 warst du im vergangenen Jahr sehr gut in Monza unterwegs. Magst du diesen Kurs besonders?"
Petrov: "Nein. Das spielt aber auch keine Rolle für mich. Ich weiß, was ich zu tun habe. In der GP2 war ich eben gut in Form und konnte ein gutes Ergebnis erzielen. Auch in der Formel 1 könnte es hier gut für mich laufen. Ich muss aber erst einmal ein bisschen fahren."

Frage: "In Monza kommt das Fahrerkarussell für die neue Saison meist etwas in Schwung. Wie würdest du deine Chancen einschätzen, in der Formel 1 zu bleiben? Wie stehen deine Chancen auf einen Verbleib bei Renault?"
Petrov: "Ich habe sehr gute Chancen, denn ich tue, was man von mir verlangt."

"Ich erledige einfach nur meinen Job." Vitaly Petrov

"Ich erziele Top-10-Ergebnisse und hole Punkte. Im Augenblick mache ich mir um solche Dinge aber keine Gedanken. Ich erledige einfach nur meinen Job. Ich denke, aktuell würde ich bleiben können."


Fotos: Vitaly Petrov, Großer Preis von Belgien


Frage: "Demnach gilt deine Priorität dem Renault-Team oder sprichst du auch mit anderen Teams?"
Petrov: "Natürlich genießt Renault Priorität, denn sie haben mir meine erste Formel-1-Chance gegeben. Es ist ein sehr gutes Team mit vielen guten Leuten. Die Ingenieure sind prima - weshalb sollte ich wechseln?"

Für Rallyefahren kann sich Petrov begeistern

Frage: "Hast du es absolut darauf abgesehen, in der Formel 1 zu bleiben, oder könntest du dir auch andere Betätigungsfelder vorstellen?"
Petrov: "Rallye könnte eine Option für mich sein. Wenn meine Formel-1-Karriere beendet ist, weiß ich nicht, was ich tun könnte - außer Rallyefahren zum Beispiel. Aber man muss bedenken: Was kann nach der Formel 1 noch kommen?"

Frage: "Du hättest also kein Interesse daran, IndyCar, DTM oder solche Disziplinen auszuprobieren?"
Petrov: "Ich weiß es nicht. Vielleicht würde ich einmal einen DTM-Wagen testen, doch ich bin nicht sicher."

"In Russland ist das nicht so einfach..." Vitaly Petrov

Frage: "Am Mittwoch wurde der neue Rennkalender der Formel 1 vorgestellt. Russland fehlt auf dieser Liste, soll aber irgendwann einmal einen Grand Prix erhalten. Freust du dich schon darauf?"
Petrov: "Natürlich! Ob es soweit kommt, ist aber eine andere Frage. In Russland ist das nicht so einfach. Ich gehöre diesem Projekt nicht an. Ich kann also nichts dazu sagen, weil ich nichts darüber weiß."

Frage: "Wo könnte man in Russland am besten ein Formel-1-Rennen abhalten? In Moskau gab es hin und wieder Demonstrationsfahrten. Wäre es deiner Meinung nach möglich, dort einen Grand Prix zu haben?"
Petrov: "Möglich ist es, man muss es nur umsetzen. Die einen sagen 'wir machen es', die anderen sagen 'wir machen es nicht'. Ich selbst kann nicht viel dazu sagen."

Petrov: Eine große Herausforderung zum Schluss

Frage: "Kommen wir noch einmal auf die aktuelle Saison zu sprechen: Was sind deine Ziele für den weiteren Saisonverlauf? Robert hat deutlich mehr Punkte als du und noch dazu die besseren Ergebnisse in der Qualifikation. Ist es realistisch, dass ihr beiden von nun an gleichauf liegen werdet?"
Petrov: "Wir wollen uns natürlich immer weiter verbessern."

"Wir können noch mehr aus dem Auto herausholen und das Fahrzeug wird noch schneller werden. Wie ich schon sagte: Ich habe halt das Problem, dass Monza die letzte Strecke im Kalender ist, die ich bereits kenne. Vom Rest weiß ich rein gar nichts. Die Schlussphase dieser Saison wird also recht knifflig für mich."

"Ich kann im Simulator trainieren oder an der Playstation zocken." Vitaly Petrov

Frage: "Was kannst du tun, um dich vorzubereiten?"
Petrov: "Ich muss mir Streckenkarten, Daten und Fotos anschauen - einfach alles, was mir helfen könnte. Ich kann im Simulator trainieren oder an der Playstation zocken. Es gibt viele Möglichkeiten."

Frage: "Gibt es etwas, was du noch hinzufügen möchtest?"
Petrov: "Ich freue mich sehr darüber, in der Formel 1 zu sein. Ich wusste wirklich nicht, wie es sein würde, bis ich das Auto zum ersten Mal fahren konnte. Mir war nur klar: Es ist ein verdammt schnelles Fahrzeug."

"Ich will nur einfach möglichst oft damit fahren. Sobald ein Wochenende vorbei ist, möchte ich alsbald wieder im Auto sitzen. Es macht einfach richtig viel Spaß. So einen Rennwagen zu fahren ist schlichtweg gigantisch. Selbst ein Ferrari oder ein Porsche vermitteln dir nicht so ein Gefühl."