• 09.08.2012 14:47

Perez-Sala: "Potenzial zu 50 Prozent ausgeschöpft"

Luis Perez-Sala zieht nach acht Monaten als Teamchef bei HRT Bilanz, spricht über Hindernisse und Ziele und sieht im F112 noch jede Menge Reserven

(Motorsport-Total.com) - Luis Perez-Sala übernahm im Dezember 2011 das Amt des Teamchefs bei HRT von Colin Kolles. In dieser Rolle zeichnete der spanische Ex-Formel-1-Pilot für umfassende Veränderungen innerhalb des Teams verantwortlich.

Titel-Bild zur News: Luis Perez-Sala (HRT-Teamchef)

Perez-Sala war sich der Schwierigkeiten bei HRT von Beginn an bewusst

Nach acht Monaten im Amt spricht Perez-Sala im Interview über die Herausforderungen im Zusammenhang mit der Umstrukturierung, über seine Bilanz der ersten und seine Erwartungen für die zweite Saisonhälfte, über seine Einschätzung der HRT-Piloten und über die Themen Concorde-Agreement und neues Motorenreglement.

Frage: "Luis, wie fällt bei Halbzeit der Saison deine Bilanz der zurückliegenden Monate aus?"
Luis Perez-Sala: "Meine Einschätzung könnte positiver nicht sein. Wir erlebten einen schwierigen Start in die Saison. Wie schon mehrfach betont, haben wir nahezu das komplette Team umgebaut. Wir bezogen eine neue Fabrik, aus der wir seit April operieren. All das passierte, während wir ein neues Auto aufbauten. Alles in allem war es ein sehr ambitioniertes Unterfangen, das wir mit stark begrenzten Ressourcen in Angriff genommen haben. Nachdem wir uns im April niedergelassen hatten, begannen wir ab Mai, einen Rennrhythmus zu etablieren. Das Team hat ohne Zweifel ereignisreiche Monate hinter sich, aber wir haben alles geschafft, was wir uns vorgenommen hatten."

Frage: "Was war für die größte Überraschung und was die größte Belohnung?"
Perez-Sala: "Um ehrlich zu sein, hat mich nichts überrascht, denn ich ging von Beginn an ohne Erwartungen an die Sache heran und war bereit, allen Hindernissen zu trotzen. Die größte Belohnung war sicherlich, die Entschlossenheit aller an diesem Projekt beteiligten Personen zu sehen. Diese Menschen wurden unter schwierigen Voraussetzungen zusammengebracht und haben das Projekt in den schwierigsten Zeiten mit Tapferkeit, Ehre und Verantwortung fortgeführt. Es ist beileibe nicht einfach, seine Höchstleistung abzurufen, wenn man kaum Schlaf findet, wochenlang von Zuhause weg ist und wenig komfortable Reisen auf sich nehmen muss. Die Mitglieder dieses Teams haben aber genau das auf sich genommen und dafür gebührt ihnen Dank. Dass diese Arbeit und Anstrengung Früchte trägt, erfüllt alle an diesem Projekt beteiligten Personen mit Stolz, ein Teil davon zu sein."

Pedro de la Rosa, Narain Karthikeyan

Pedro de las Rosa und Narain Karthikeyan kämpfen mit dem Rücken zur Wand Zoom

Frage: "Wurden die Ziele für die erste Saisonhälfte deiner Meinung nach erreicht?
Perez-Sala: "Ja, wir haben die Ziele, die wir uns selbst gesteckt hatten, erreicht. Diese sahen vor, die Umstrukturierung erfolgreich zu bewältigen und eine Basis zu schaffen, von der aus wir wachsen können. Ende des Jahres 2011 wurde die Entscheidung getroffen, das Team nach Spanien umzuziehen. Zudem wurde ein neues Auto entwickelt, dass es uns erlauben sollte, locker innerhalb der 107-Prozent-Marke zu fahren und ausgehend davon Fortschritte einzuleiten. All das haben wir erreicht, weshalb man sagen kann, dass wir unser Soll erfüllt haben. Nun ist es an der Zeit, neue Ziele zu definieren."

Konkurrenz in allen Bereichen voraus

Frage: "Worin besteht deiner Meinung nach die größte Herausforderung für das Team?"
Perez-Sala: "Vom jetzigen Standpunkt aus betrachtet ist das ganz sicher der Anspruch, weiter in die richtige Richtung zu entwickeln, unsere Ressourcen zu optimieren und das Auto schneller zu machen. Letztes fällt am schwersten, denn die anderen Teams verfügen über bewährte Strukturen. Wir hingegen befinden uns nach wie vor in einer Übergangsphase. So gesehen haben uns die anderen auch in dieser Hinsicht etwas voraus. Die größte Herausforderung ist aber, dass wir sowohl personell als auch finanziell mit begrenzten Mitteln auskommen müssen. Ein Upgrade-Plan muss daher klar definiert sein. Was immer wir auch an neuen Teilen an die Strecke bringen, muss einen deutlichen Fortschritt bedeuten. Das Wichtigste für uns ist jetzt, nicht hinter die anderen Teams zurückzufallen, während wir unser eigenes Team abschließend aufbauen und auf die Zukunft vorbereiten."

Frage: "Der F112 ist eine komplette Neuentwicklung. Glaubst du, dass das Potenzial des Autos bereits vollständig ausgeschöpft wurde?"
Perez-Sala: "Insgesamt betrachtet lässt der F112 gute Ergebnisse zu, vor allem wenn man bedenkt, wo wir mit dem Auto am Anfang standen. Im Winter hatte ich große Zweifel, denn das Auto wurde uns übergeben, ohne das wir ausreichend Zeit hatten, uns ausführlich damit zu beschäftigen. Die Abläufe und vor allem die Fristen waren zeitlich enger gesteckt als üblich. Wir mussten also schneller als sonst agieren, um das Projekt an allen Fronten zum Erfolg zu führen. Ungeachtet dieser Hindernisse verfügt das Auto über eine gute Basis. Darin sehe ich die größte Stärke. Es ist ein zuverlässiges Auto, das zudem großes Entwicklungspotenzial in sich trägt. Ich würde sagen, dass wir 50 Prozent des Potenzials ausgeschöpft haben und weitere 50 Prozent herausholen können, vor allem im aerodynamischen Bereich."

Frage: "Wird es nach der Sommerpause irgendwelche Upgrades geben?"
Perez-Sala: "Ja, wir haben für den Grand Prix von Singapur ein paar Upgrades vorgesehen. Als kleines Team können wir es uns nicht leisten, bei jedem zweiten oder dritten Rennen mit kleinen Upgrades anzutreten, denn die Herstellungskosten für ein neues Teil sind sehr hoch. Neben den aerodynamischen Simulationen müssen die Teile schließlich auch produziert werden. Das alles verschlingt eine Menge Zeit."

Hoffnung auf baldigen Fortschritt

Frage: "Wir haben in dieser Saison schon mehrfach gesehen, welch großen Einfluss das Wetter auf ein Rennen haben kann. Inwiefern wird die Strategie des Teams durch das Wetter beeinflusst und welche Herausforderungen warten bei der Vorbereitung auf ein Rennen?"
Perez-Sala: "Auch auf diesem Gebiet lernen wir dazu. Wir kämpfen nicht um WM-Punkte. Die Tatsache, dass wir überrundet werden, zeigt, dass unsere Strategie ausbaufähig ist. Wir sammeln stetig Erfahrung und können hoffentlich schon bald um WM-Punkte oder zumindest bessere Positionen mitkämpfen. Wir werden dann deutlich besser vorbereitet sein, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Man hat aber nie alles vollständig in seiner Hand. Auch legendäre Teams machen dann und wann Fehler. Es gibt immer etwas zu lernen."

Narain Karthikeyan, Pedro de la Rosa

Perez-Sala stellt den Fahrern de la Rosa und Karthikeyan ein gutes Zeugnis aus Zoom

Frage: "Die Kombination aus Pedro de la Rosa und Narain Karthikeyan als Stammfahrer, Dani Clos als Ersatzfahrer und Ma Qing-Hua im Nachwuchsprogramm sieht sehr vielversprechend aus. Worin siehst du die individuellen Stärken jedes einzelnen dieser Piloten?"
Perez-Sala: "Was Pedro betrifft, würde ich alles positiv hervorheben. Er ist eine außergewöhnliche Person und ein exzellenter Fahrer. Neben seiner Erfahrung ist er sehr vernünftig und tritt innerhalb des Teams als Führungspersönlichkeit auf. Es besteht kein Zweifel daran, dass er der Eckpfeiler dieses Projekts ist. Bei Narain würde ich seine Erfahrung, seine Sicherheit und sein Tempo herausstellen. Zudem sorgt er im Team für Stabilität. Dani ist ein junger Fahrer, der stark und ambitioniert auftritt. Er hat sich in einer schwierigen Position unglaublich gut ins Team integriert. Ma sehe ich als einen Fahrer, der uns alle überraschen wird, denn er besitzt großes Potenzial. Das haben wir gesehen, als er den F112 in Silverstone testete (beim Young-Driver-Test; Anm. d. Red.). Dort hat er seine Qualitäten unter Beweis gestellt. Er ist jemand, der alles gibt und auch er hat sich perfekt angepasst. Insgesamt bin ich mit unseren Fahrern sehr zufrieden. Jeder einzelne spielt seine Rolle perfekt."

Frage: "Was muss passieren, damit du die Saison nach dem letzten Rennen als erfolgreich bezeichnest?
Perez-Sala: "Für mich wäre es ein Erfolg, wenn wir die aktuelle Zuverlässigkeit beibehalten und unsere Performance ein klein wenig verbessern könnten. In diesem Zusammenhang hoffe ich, dass wir dank des Aero-Paktes, das wir nach dem Sommer einführen werden, den nächsten Schritt gehen können. Unser Ziel ist es, im Bereich von 104 bis 105 Prozent der Bestzeit zu liegen und für 2013 gerüstet zu sein. Wenn wir all dies erreichen könnten, wäre ich zufrieden. Darüber hinaus hoffe ich, dass das Team als Ganzes funktioniert. Damit meine ich vor allem die Aerodynamikabteilung in Caja Magica. Um dieses Ziel zu erreichen, brauchen wir aber noch etwas Zeit."

Formel 1 im Umbruch

Frage: "Angesichts der Verhandlungen über ein neues Concorde-Agreement und den neuen Motoren für 2014 befindet sich die Formel 1 derzeit im Umbruch. Wie steht HRT zu diesen wichtigen Zukunftsthemen?"
Perez-Sala: "HRT vertritt derzeit einen offenen Standpunkt. Was das neue Motorenreglement betrifft, warten wir auf alle verfügbaren Informationen, speziell was die Kostensituation in Zusammenhang mit dieser Veränderung angeht. Wir kennen zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Details, aber es ist sehr wichtig zu wissen, wie diese aussehen. Schließlich sprechen wir hier schätzungsweise von 15 bis 20 Prozent des Teambudgets. Eine Veränderung wie diese verlangt intensive Planung. Hinsichtlich des Concorde-Agreements erwarte ich keine Probleme. Auch wenn wir ein kleines Team sind, haben wir das Gefühl, beachtet und unterstützt zu werden."

Frage: "Wie sehen deine Pläne für die Sommerpause aus?"
Perez-Sala: "Ich bleibe bei meiner Familie in Spanien. Wir werden ein paar Tage am Strand und ein paar Tage in den Bergen verbringen. Ich freue mich sehr darauf, ein paar Tage Abstand zu gewinnen, um neue Kraft zu tanken, denn uns steht ein großartiges Ende der Saison bevor."