Paul Stoddart: Fernando Alonso war der "quiet Achiever"
Interview mit Ex-Minardi-Boss Paul Stoddart: Wie Fernando Alonso mitgeholfen hat, das Team aufzubauen, und was er weniger gut kann als Michael Schumacher
(Motorsport-Total.com) - Fernando Alonso, Juan Pablo Montoya, Kimi Räikkönen: Am 4. März 2001 debütierte beim Grand Prix von Australien in Melbourne eine goldene Rookie-Generation in der Formel 1. Das 15-jährige Jubiläum dieses im Nachhinein denkwürdigen Rennens nahmen wir uns zum Anlass, uns genauer mit den drei heutigen Motorsport-Superstars auseinanderzusetzen. Und wer wäre dafür besser geeignet als jene Personen, die damals am nächsten an ihnen dran waren?
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Wettlauf mit der Zeit: Alonso half 2001 Minardi, sein Auto rennbereit zu machen Zoom
Paul Stoddart wollte das Minardi-Team, das er 2001 vor dem Konkurs rettete, eigentlich ins Mittelfeld der Formel 1 führen. Das ist ihm nie gelungen. Dennoch ist sein Vermächtnis für die Königsklasse des Motorsports ein erhebliches, denn er war es, der Talenten wie eben Fernando Alonso oder auch Mark Webber ihre erste Chance gegeben hat. Stoddart hat Minardi 2005 an Red Bull verkauft. Heute ist er nur noch selten im Formel-1-Paddock und kümmert sich wieder hauptberuflich um seine Airline.
Frage: "Paul, wann haben Sie das erste Mal von Fernando Alonso gehört?"
Paul Stoddart: "Das war beim Formel-3000-Rennen in Spa im Jahr 2000. Wir waren in diesem Jahr mit Mark Webber und Christijan Albers am Start, und wir kannten Fernando, aber das erste Mal, dass ich wirklich auf ihn aufmerksam wurde, war durch sein Rennen in Spa. Es war nass und er fuhr brillant. Da hat er gezeigt, dass er ein Weltmeister der Zukunft ist. Das war Mitte 2000. Ende 2000 kaufte ich Minardi. Damals suchte Fernando ein Cockpit, und ich hatte bereits erkannt, was für ein Talent er war."
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Ex-Minardi-Teamchef Paul Stoddart erlebte Alonsos Anfänge hautnah mit Zoom
"Ich erinnere mich an unser erstes Treffen in Faenza. Er sagte: 'Paul, ich werde für dich einen Punkt holen.' Das ist ihm nicht ganz gelungen, aber er wurde in seinem Debütrennen in Melbourne 2001 Zwölfter - mit einem Auto, das in letzter Minute zusammengeschraubt wurde. Wir hatten nur sechs Wochen und drei Tage Zeit, ehe es nach Australien ging."
"Er hat sein Versprechen also nicht ganz wahr gemacht, aber beim heutigen Punktesystem hätte er im Jahr 2001 viele Punkte geholt. Er hat fantastische Arbeit geleistet."
Frage: "Das Formel-3000-Rennen in Spa war sein erster Sieg. Haben Sie ihn davor nie persönlich getroffen?"
Stoddart: "Nein."
Wie Alonso sein erstes Formel-1-Auto rennbereit machte
Frage: "Erinnern Sie sich an das erste Treffen?"
Stoddart: "Unser erstes echtes Treffen fand Anfang Januar 2001 in Faenza statt. Er war sehr schüchtern, sehr still. Wir fanden für ihn sehr schnell den Spitznamen 'The quiet Achiever' (sinngemäß 'Der Ruhige, der alles schafft'; Anm. d. Red.), denn das Talent war von Anfang an sichtbar."
"Wir haben im wahrsten Sinne des Wortes Tag und Nacht in der Fabrik gearbeitet. Die Mannschaft war in einem kleinen Hotel untergebracht - und wenn die einen zu Bett gingen, übernahmen bereits die nächsten. Und Fernando war immer bei uns. Er war in der Fabrik und half im wahrsten Sinne des Wortes selbst mit, sein eigenes Auto zu bauen."
Frage: "Was meinen Sie damit genau? Hat er zum Beispiel für die Mechaniker Teile herumgetragen?"
Stoddart: "Ja, klar! Wir hatten ja nur sechs Wochen und drei Tage - das war ein unglaublicher Kraftakt. Wir mussten 25 Leute aus Großbritannien von unserem Formel-3000-Team nach Faenza einfliegen, sie dort in einem Hotel unterbringen und mit den Italienern bekanntmachen."
"Wir haben damals ständig neue Leute engagiert. Fernando war in der gesamten Zeit bei uns und sah, wie sein erstes Auto gebaut wurde. Man muss sogar ganz ehrlich sagen, dass er beim Bau eine aktive Rolle gespielt hat."
Frage: "Wie war er damals als junger Mann? Verbrachte er viel Zeit mit den Mechanikern?"
Stoddart: "Absolut. Wir waren alle im gleichen Hotel, im berühmten Cavallino in Faenza. Wir haben im wahrsten Sinne des Wortes zusammen gegessen, geschlafen, gearbeitet und getrunken. Es war eine wirklich gute Zeit. Und es muss für ihn toll gewesen sein, so in die Formel 1 zu kommen. Er hat von null aufwärts alles miterlebt."
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Mit seinen starken Formel-3000-Rennen beeindruckte Alonso im Jahr 2000 Zoom
Frage: "Wann wurde Ihnen erstmals bewusst, dass Sie da einen ganz besonderen Fahrer in Händen haben?"
Stoddart: "Wie gesagt: Ich habe in Spa in der Formel 3000 wirklich gesehen, dass er etwas Besonderes ist. Es war nicht nur das Rennen in Spa, aber das stach heraus. In diesen sechs Wochen und drei Tagen wurde mir aber bewusst, dass wir die richtige Wahl getroffen haben. Und dann in Melbourne, als er dieses Auto gefahren ist, das ja aus dem Nichts gebaut wurde."
"Als ich in die Fabrik kam, da gab es dort nicht mehr als eine Holzattrappe eines Auto mit einem Renault-Motor im Heck. Wir mussten dann auf Cosworth-Motoren wechseln - und all das in sechs Wochen, mit einem sehr kleinen Budget. Als Fernando das Auto beim ersten Rennen auf Platz zwölf nach Hause brachte, da wusste ich, dass wir einen Superstar im Team haben."
"Wenn man ein so anfälliges Auto hat, dann muss man auch als Fahrer an alles denken. Man kann nicht einfach einsteigen und Gas geben. Man muss das Auto auf Händen tragen, denn es hatte nicht einen einzigen Testtag hinter sich. Wir absolvierten einen Shakedown in Fiorano, nur geradeaus. Und dann verfrachteten wir die Auto per Flugzeug nach Australien."
Frage: "Brachte Fernando Geld mit?"
Stoddart: "Es gab ein bisschen Sponsorengeld von LeasePlan, aber das war nicht der Rede wert. In der heutigen Formel 1 könnte man damit nicht einmal die Restaurantrechnung von Ferrari bezahlen."
Frage: "Machen wir es konkret: wie viel?"
Stoddart: "250.000 Dollar. Nur von LeasePlan."
Frage: "Wie groß war das Minardi-Budget für 2001?"
Stoddart: "Das Budget für die gesamte Saison 2001 lag bei 28 Millionen Dollar."
Stoddarts Alonso-Highlight: 53 Runden Qualifying in Suzuka im Minardi
Frage: "Fernando schlug sich in seinem ersten Jahr sehr gut, vor allem auf Fahrerstrecken wie Monaco, Ungarn oder Japan. Was war seine herausragendste Leistung?"
Stoddart: "Das war beim letzten Saisonrennen in Suzuka. In Japan wusste Fernando schon, dass er im Jahr darauf Renault-Testfahrer sein würde. Und darüber war er nicht glücklich, denn er wollte Rennen fahren. Flavio (Briatore; Anm. d. Red.) zog in seiner Karriere aber die Fäden, und Flavio wusste ganz genau, was er tat. Bei den letzten Saisonrennen 2001 war Fernando jedenfalls alles andere als ein fröhlicher Zeitgenosse."
"Damals gab es noch das Warm-up am Sonntagmorgen, und es war damals recht üblich in einem Nachzüglerteam, wenn ein Fahrer das Team verlässt, dass er noch eine sogenannte 'Glory-Lap' absolvieren darf - mit ganz wenig Sprit, angepasstem Setup und frischen Reifen, um einfach eine Rundenzeit hinzuknallen."
"An diesem Sonntagmorgen war ich mit Teamchef-Meetings beschäftigt, und als ich wieder zurückkam, da hatte das Warm-up gerade begonnen. Ich ging davon aus, dass er seine schnelle Runde bereits absolviert hatte. Das war aber nicht der Fall. Fernando wollte zwar die Runde fahren, aber sein Renningenieur war dagegen. Er fuhr also - alles andere als glücklich - sein ganz normales Warm-up."
"Im Rennen passierte dann aber etwas Unglaubliches. Fernando wollte sich wahrscheinlich beweisen. Wenn man die Zeiten seiner 53 Rennrunden ansieht, dann fällt auf, dass er Runde für Runde wie im Qualifying fuhr. Der einzige Unterschied waren die Spritmenge und der Abbau der Reifen. Da sah man, dass er ein Weltmeister war, wenn auch seine Motivation an dem Tag vielleicht auf den falschen Gründen beruhte. Wenn mir irgendwann klar wurde, wo die Reise hingehen würde, dann war es dieser Tag in Suzuka. Ich wusste es eigentlich schon davor, aber das war die letzte Bestätigung."
Frage: "Er lag im Ziel vor Frentzen, Panis und den zwei Arrows, was in Anbetracht des Materials, das ihm zur Verfügung stand - und ich meine das bei allem Respekt vor Ihnen - ein Wunder war..."
Stoddart: "Ja, aber die einzelnen Rundenzeiten sprechen eine noch viel klarere Sprache. Er fuhr nicht eine, sondern 53 Qualifying-Runden."
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Fernando Alonso brillierte im nicht konkurrenzfähigen Minardi Zoom
Frage: "Es gab 2001 zwei Qualifyings, in denen er langsamer war als sein Teamkollege: Malaysia und Kanada. Erinnern Sie sich an die Gründe?"
Stoddart: "Das muss am Auto gelegen haben. Sicher nicht an Fernando. Ich mag Tarso Marques und Alex Yoong, aber sie waren nicht in der gleichen Liga wie Fernando - nicht einmal annähernd."
Frage: "Es gab damals Gerüchte, er könnte 2002 Kimi Räikkönen bei Sauber ersetzen. Der hatte bei McLaren unterschrieben. Wer war damals hinter Fernando her?"
Stoddart: "Es war klar, dass es nie zu dem Sauber-Wechsel kommen würde. Es war von Anfang an klar, dass er zu Renault gehen würde. Flavio leitete das Team und war für Fernandos Verträge zuständig. Alles andere war nur Gerede, nicht mehr."
Frage: "Ab wann spielte Flavio Briatore eigentlich eine Rolle? Bereits früh im Jahr 2001?"
Stoddart: "Ja. Als Minardi im November oder Dezember 2000 fast gegen die Wand gefahren wurde, da war der Vertrag mit Fernando einer der größten Werte des Teams. Teil des Deals war, dass Fernando für ein Jahr bleibt und Flavio den Management-Vertrag bekommt. Flavio hat sich beteiligt, indem er in Fernando investiert hat. Das war nicht allen bekannt, aber wenn ich eine Anfrage erhielt, dann leitete ich sie in Flavio weiter."
Frage: "Gab es andere Teams, die Interesse zeigten?"
Stoddart: "Es war nicht allen bekannt, dass Flavio Fernando bereits unter seinen Fittichen hatte, aber wenn ich eine Anfrage erhielt, dann leitete ich sie an Flavio weiter."
Alonso erster Titel: "Paul, das ist alles dein Verdienst..."
Frage: "Erinnern Sie sich an den Abschied von Fernando? Gab es eine Party?"
Stoddart: "Fernando ist für mich auch ein Freund, und wir hatten in Monaco ein denkwürdiges Erlebnis. Ich hatte Geburtstag, und wir machten uns einen Spaß mit der Geburtstagstorte. Die landete überall - unter anderem in Fernandos Gesicht. Wir hatten im Laufe des Jahres einige großartige Momente. Er ist sehr still, sehr schüchtern, aber sehr aufrichtig. Ich bin mit ihm immer noch befreundet, und jedes Mal, wenn wir einander sehen, wechseln wir ein paar Worte."
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Als Fernando Alonso am Olymp der Formel 1 war, dachte er an Förderer Paul Stoddart Zoom
"Der Moment, an den ich mich nach seinem Abschied vielleicht am besten erinnere, ist sein Titelgewinn in Brasilien 2005. Ich war damals im Fahrerlager auf dem Weg zu ihm, um ihm zu gratulieren - und die Weltpresse fiel über ihn her. Er hat mich dann gesehen - davon gibt es ein großartiges Foto -, lief auf mich zu und sprang mich an. Wir hatten beide Tränen in den Augen. Ich erinnere mich noch an seine Worte. Er sagte: 'Danke, Paul, das ist alles dein Verdienst.' Das werde ich nie vergessen."
Frage: "Das muss einer Ihrer besseren Momente in der Formel 1 gewesen sein..."
Stoddart: "Ja, das und die Siegerehrung in Melbourne 2002, mit Mark Webber."
Frage: "Gibt es andere Erlebnisse mit Fernando, die Ihnen einfallen?"
Stoddart: "Da gab es viele. Manchmal saßen wir nur im Motorhome und redeten miteinander. Nicht immer nur über die Formel 1. Fernando ist sehr umgänglich. Wir fuhren einmal mit den Formel-1-Doppelsitzern in Valencia - das war die Strecke, die seiner Heimat am nächsten ist. Sein Vater, seine Mutter, alle waren dort. Wir hatten auch abseits der Formel-1-Rennen tolle Zeiten."
Doppelsitzer-Grand-Prix: Alonsos kurioser Crash mit Mansell
"Da fällt mir eine andere gute Geschichte ein. Im Jahr 2001 setzten wir zum ersten Mal alle acht Minardi-Doppelsitzer gemeinsam ein. Wir fuhren in Donignton in Großbritannien ein Rennen und engagierten dafür Nigel Mansell, um eines der Autos zu steuern. Es gab ein Fahrerbriefing mit Fernando, Tarso Marques, mir, Nigel Mansell. Ich erinnere mich nicht mehr genau, wer die anderen vier Fahrer waren."
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Folgenschwerer Rechenfehler: Alonso verzählte sich beim Doppelsitzer-Rennen Zoom
"Nigel übernahm die Leitung des Briefings, und zwar auf seine typische Weise: 'Euch Youngsters muss bewusst sein, dass all meine Fans hierhergekommen sind, um mich zu sehen. Wir sollten schauen, dass das hier gut ankommt, aber ich werde das Rennen gewinnen.' Ich habe mich nicht eingemischt und ihn reden lassen, denn Nigel brachte 25.000 Menschen nach Donington."
"Im Rennen gab es dann ein paar Überholmanöver, aber wir fuhren vor allem für die Zuschauer und kämpften nicht wirklich gegeneinander, denn wir hatten ja Passagiere an Bord. Bei Fernando war Louise Goodman, die ITV-Boxenreporterin, an Bord. Mit Nigel fuhr ein Kerl, der bei einer Charity-Veranstaltung im Rahmen des Grand-Prix-Balls in Monaco 100.000 Dollar hingelegt hatte, was schon außergewöhnlich war. In meinem Auto saß die Sängerin Kelis."
"Es war ein Zwölf-Runden-Rennen, und aus irgendeinem Grund muss sich Fernando verzählt haben, denn es war ausgemacht, dass Nigel gewinnt. Wir kamen also durch die letzte Kurve, und die Fahrer wurden direkt nach der Kurve abgewunken. Die letzte Kurve ist in Donington schwer einsehbar. Zu diesem Zeitpunkt war Nigel hinter Fernando Zweiter, ich war Dritter. Ich konnte die schwarz-weiß-karierte Flagge schon sehen."
"Da stieg Fernando plötzlich auf die Bremse, weil ihm bewusst wurde, dass Nigel das Rennen gewinnen muss! Nigel hätte zwar wahrscheinlich ausweichen können, aber er wollte dem Publikum wohl etwas Unterhaltung bieten und berührte das Heck Fernandos. Nigels Auto flog also plötzlich durch die Luft, rasierte die Kamera von Fernandos Auto ab und krachte davor auf den Asphalt!"
Crash-Video: Alonso und Mansell kollidieren im Doppelsitzer
"Ich wich auf die Wiese aus, und mir wurde erst später bewusst, dass ich das Rennen gewonnen hatte. Ich wollte über Funk unbedingt erfahren, ob die Passagiere okay sind. Ich musste noch die Runde zurück an die Box hinter mich bringen, die dann übrigens meine schnellste war. Ich sprang aus dem Auto, half meiner Mitfahrerin heraus, rannte zur Unglücksstelle und zu dem Kerl, der die 100.000 bezahlt hatte."
"Ich fragte ihn: 'Bist du okay, bist du okay?' Und seine Worte waren: 'Fuck, ja! Was muss ich tun, damit ich das nächstes Jahr noch einmal erleben kann? Mein ganzes Leben lang träume ich schon davon, einmal in einem Formel-1-Auto zu sitzen. Und jetzt hatte ich sogar einen Crash. Das ist fantastisch!' Ich hatte einen Puls von 500, und Fernando war wirklich cool. Er saß auf seinem Auto, sprach mit Louise Goodman, als wäre nichts passiert. Ich machte mir Sorgen, dachte schon an die Rettungsaktion, aber Fernando nahm alles völlig gelassen."
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Kurze vor der Zielflagge flogen die Fetzen: Mansell wird über Alonso katapultiert Zoom
"Nachher hab ich ihn gefragt, wie das passieren konnte. Er meinte, dass ihm nicht bewusst gewesen sei, dass es schon vorbei war. Er kam um die Kurve, sah die schwarz-weiß-karierte Flagge und wollte anhalten, doch dann kam Nigel und krachte ihm ins Heck. Auch davon gibt es ein fantastisches Bild, als Nigel über Fernando durch die Luft fliegt."
Frage: "Was hat Nigel Mansell danach gesagt? War er wütend?"
Stoddart: "Er hat gemeint, dass er das so nicht erwartet hatte (lacht; Anm. d. Red.)! Er wollte Fernando eigentlich nur umdrehen und das Rennen gewinnen. Was für ein Spaß!"
Frage: "Gemeinsam mit Fernando debütierten auch Juan Pablo Montoya und Kimi Räikkönen in Melbourne 2001. Juan Pablo war bekannt dafür, manchmal einen Burger zu viel zu essen..."
Stoddart: "Ja. Tut er immer noch."
Frage: "... Kimi hatte hin und wieder Lust auf Wodka oder Zigaretten. Hatte Fernando irgendwelche Laster?"
Stoddart: "Absolut nichts. Das einzige waren vielleicht unsere kleinen Rennen zurück zum Hotel, als er die Geschwindigkeitsbeschränkungen nicht immer eingehalten hat. Aber nein, er lebte sehr gesund, war ein Familienmensch - sehr nette Leute. Er hatte überhaupt keine Laster, keine Frauen, nichts. Ein wirklich guter, aufrichtiger Kerl."
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Alonso und die Frauen: Laut Stoddart hatte der Rennsport immer absolute Priorität Zoom
Frage: "Ich erinnere mich an das Spielberg-Wochenende 2001, mein erstes Interview mit Fernando. Er kam damals ziemlich schüchtern rüber. Ich habe ihn gefragt, ob er eine Freundin hat. Er meinte nur, dafür hat er keine Zeit."
Stoddart: "Das hätte er wohl nicht öffentlich zugegeben (lacht; Anm. d. Red.)..."
Frage: "Wahrscheinlich. Also, waren damals Mädchen in seinem Umfeld?"
Stoddart: "Ja, klar! Er hatte eine Freundin, aber Priorität hatte ganz klar das Rennfahren. Alles andere war zweitrangig. Wenn ich eine Rangliste machen müsste: Zuallererst kam der Rennsport, dann die Familie, dann Freunde. Alles andere hatte erst dann eine Bedeutung, wenn die Rennen vorbei waren."
Stoddart: Alonsos Honda-Verhöhnung aus purem Frust
Frage: "Hätten Sie je gedacht, dass aus diesem schüchtern jungen Mann der Politiker wird, der er bei Ferrari war?"
Stoddart: "Ja und nein. Man muss da etwas weiter ausholen, zu McLaren im Jahr 2007. Ich war überrascht, als er das erste Mal zu McLaren wechselte. Heute will sich an dieses Jahr keiner mehr erinnern."
"Und Ferrari? Nun gut, er hatte in Maranello viel Unterstützung von Leuten, die er noch aus Minardi-Zeiten gut kannte. Und er passte gut zu Ferrari, denn er liebte die Italiener aus den Tagen bei Minardi. Es hat mich nicht überrascht, dass er so lange dort blieb. In Anbetracht der Tatsache, dass es wirklich Pech war, dass er diesen dritten Titel nicht gewann, nahmen die Dinge dann einfach ihren Lauf."
Frage: "Im Vorjahr in Suzuka, als der Honda-Vorstand anwesend war, bezeichete er die Honda-Antriebseinheit via Boxenfunk als GP2-Motor. Ich glaube immer noch, dass das unter diesen Umständen nicht nur aus der Emotion heraus passiert ist, sondern ganz gezielt."
Stoddart: "Man kann nicht 15 Jahre lang Formel 1 fahren und dabei kein Politiker werden. Das passiert, auch wenn man es nicht will. Man nehme Mark Webber: Er wurde gegen Ende seiner Karriere sehr politisch."
"Fernando erlebt jetzt sein 16. Jahr im Fahrerlager - das ist sein gesamtes Leben als Erwachsener. Man darf aber nicht vergessen, dass Fernando nicht der Typ ist, für den das Reden natürlich ist - er ist nicht der Typ, der die Medien für seine Ziele benutzt. Man könnte meinen, dass er mit der GP2-Aussage genau dieses Ziel verfolgte, aber ich denke, dass das eher aus Frust heraus passiert ist."
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Stoddart hat Verständnis für Alonsos Frust bei McLaren Zoom
"Fernando hat Ferrari verlassen und musste dann mitansehen, wie die Änderungen dort gefruchtet haben, während er ein Auto hatte, das ganz am Anfang seiner Entwicklung steht. Ja, McLaren ist ein großartiges Team. Ja, sie werden es schaffen. Und ja, Honda ist eine großartige Firma. Im Vorjahr waren sie allerdings nirgends."
"Der Motor war eine Krücke, das kann man nicht anders sagen. Das wird dort jeder bestätigen, wenn die Mikrofone abgedreht sind. Hoffen wir, dass es dieses Jahr besser laufen wird, aber ich fürchte, dass sie nach wie vor nicht ganz dabei sein werden, auch wenn McLaren und Honda alles Menschenmögliche tun werden, um es hinzukriegen."
Alonso 2016 der kompletteste Fahrer? Stoddart hat Zweifel
Frage: "Bleiben wir doch beim Boxenfunk. Ich habe mit Patrick Head gesprochen. Der hat mir erzählt, dass Juan Pablo Montoya oft in vulgärer Sprache das Team und das Auto beschimpft hat."
Stoddart: "Das bringt natürlich gar nichts. Montoya war zu direkt. Kimi war zu ruhig. Fernando war wahrscheinlich die goldene Mitte, denn er hat das Auto nie kritisiert. Und Junge, er hätte wahrlich seine Gründe dafür gehabt!"
"Er hat die Mechaniker nie kritisiert, sondern ging mit ihnen zum Abendessen, war mit ihnen bis spät in der Nacht in der Box. Das ist das Tolle an Fernando: Es ist nicht nur das Talent, das ihn so besonders macht, sondern auch sein technisches Interesse, sein Feedback, sein Wissen - es ist das ganze Paket. Deswegen ist er zweimaliger Weltmeister und könnte es vielleicht doch noch ein drittes Mal schaffen."
Frage: "Würden Sie sagen, dass Fernando heute der kompletteste Fahrer in der Formel 1 ist?"
Stoddart: "Das war er auf jeden Fall. Heute muss man auch Sebastian Vettel und Lewis Hamilton dazuzählen. Lewis ist ein unglaublich talentierter Fahrer und ein sehr netter Kerl, aber er hatte ein Auto zur Verfügung, dass in einer eigenen Klasse war. Das gleiche gilt für Sebastian. Und auch bei ihm steht es außer Frage, dass er Talent hat."
"Ich bewundere ihn viel mehr für seine Leistungen im Ferrari als mit Red Bull, denn dort war alles zu einfach. Als Fernando 2005 und 2006 im Renault gewann, da war das im Vergleich zu Red Bull später und Mercedes heute kein absolut dominantes Auto. Diese Dominanz von einem Chassis in Kombination mit einem Weltklassefahrer gab es zu dieser Zeit nur durch Ferrari mit Michael Schumacher von 2000 bis 2004."
"Daher muss man sagen, dass Fernando von 2005 bis 2012 auf jeden Fall der kompletteste Fahrer war, denn er hat seine Weltmeisterschaften gegen Autos gewonnen, die so gut waren wie seines. Heute spielt auch sein Alter eine kleine Rolle, außerdem gibt es ein paar andere tolle Fahrer da draußen. Ich würde sagen, dass er immer noch zu den Top 3 zählt."
Frage: "Zu Michael Schumachers Stärken zählte auch, dass er seine eigenen Leute von Benetton zu Ferrari mitbrachte. Das hat Fernando nie gemacht."
Stoddart: "Fernando hatte es schwerer als Michael, denn er musste es ohne seine Leute schaffen. Er hat schon ein paar Leute gebracht, aber kein Vergleich zu Michael. Bei Renault kam er in ein Team, wo Leute wie Pat Symonds waren. Sie waren schon eine Weile zusammen. Fernando hatte keinen Einfluss. Und als er zu Ferrari ging, da gab es bei Renault keine Massenabwanderung nach Maranello."
Stoddart: Doppelsitzer-Crash nach Schumacher-Lehrstunde
Frage: "War Michael Schumacher vielleicht besser, wenn es darum ging, mit den wichtigsten Schlüsselpersonen Verbindungen herzustellen?"
Stoddart: "Ich bin einer der wenigen Leute, die das Privileg hatten, mit Michael Schumacher mitzufahren, als er 2002 in Fiorano einen Doppelsitzer fuhr. Ich habe mich den ganzen Tag lang dagegen gewehrt, denn wenn man auch selbst fährt, ist man ein furchtbarer Passagier."
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Für Stoddart ist Schumacher der beste Fahrer, obwohl ihn Alonso entthronte Zoom
"Ich habe zu Michael gesagt, er soll doch seine Freunde mitfahren lassen - Jean Todt und Rory Byrne waren an Bord, Ross Brawn meinte beharrlich, dass er Rückenschmerzen habe (grinst; Anm. d. Red.), Willi Weber fuhr auch mit. Er bolzte den ganzen Vormittag mit dem Auto herum, sprach in der Mittagspause mit allen Mechanikern und sagte dann zu mir: 'Paul, nach dem Mittagessen bist du dran.'"
"Ich wehrte mich, aber er brachte mir meinen Helm und meinen Rennanzug und gab den Mechanikern ein Zeichen. Ich musste mitfahren. Ich saß also sieben Runden lang hinter Michael, und ganz ehrlich: Danach war mir klar, warum er damals ein viermaliger Weltmeister war. Die Perfektion war einfach unglaublich! Er fuhr jede Runde genau die gleiche Linie, und er gab mir wirklich eine Lehrstunde, wie man mein eigenes Auto fahren sollte."
"Leider musste ich am nächsten Tag in Imola Passagiere herumkutschieren. Es war das einzige Mal, dass ich mit einem Doppelsitzer crashte. Ich versuchte, so wie Michael zu fahren, aber mir ging dabei das Talent aus und ich crashte in die Mauer. So etwas kann passieren. Im Nachhinein muss ich sagen, dass Michael für mich aus allen Generation der beste Fahrer ist. Ich habe bei keinem anderen so eine Fahrzeugbeherrschung gesehen. Fernando liegt für mich knapp dahinter auf Platz zwei."
Frage: "Sind Sie mit Fernando immer noch in Kontakt? Wann haben Sie ihn das letzte Mal gesprochen?"
Stoddart: "Das letzte Gespräch war im Vorjahr in Kanada - ich komme nicht mehr oft zu den Rennen. Ich sehe ihn normalerweise in Melbourne, also wird es bald wieder so weit sein. Darauf freue ich mich schon."
Frage: "Gibt es irgendetwas, das Sie noch anfügen wollen?"
Stoddart: "Es gibt sehr wenige Fahrer, bei denen das ganze Paket stimmt. Ich habe Fernando erstmals getroffen, als er 19 Jahre jung war. Er war schüchtern, aber er hat ganz offensichtlich für den Rennsport gelebt. Bei ihm ist ganz klar: Man kauft nicht die Katze im Sack. Er ist ein aufrichtiger Kerl, ein aufrichtiger Weltmeister, er hat keine schlechten Angewohnheiten. Einen netteren Kerl als ihn trifft man kaum."