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  • 20.10.2008 17:20

  • von Dieter Rencken

Parr: "Wie bei einem Alkoholiker"

Exklusiv: Williams-Geschäftsführer Adam Parr über die Probleme des Rennstalls, die Maßnahmen zur Kostensenkung und die Milliardäre bei der Konkurrenz

(Motorsport-Total.com) - Ob Adam Parr seinen Schritt in die Formel 1 wohl schon bereut hat? Der britische Cambridge-Absolvent kam als Quereinsteiger in das Williams-Team und soll als Geschäftsführer das Traditionsteam in ruhige finanzielle Fahrwasser führen. Doch kurz nach seinem Einstieg tauchen immer mehr Untiefen auf. Wie sich Williams auf die neue Situation nach dem Beginn der weltweiten Bankenkrise einstellt, wo das Unternehmen die Chancen für die Zukunft sieht und wie in der Königsklasse gespart werden sollte, erklärte Parr im exklusiven Interview mit 'Motorsport-Total.com'.

Titel-Bild zur News: Adam Parr

Kein leichter Job: Adam Parr leitet die wirtschaftlichen Geschicke bei Williams

Frage: "Adam, ihr seid ein Team mit langer Tradition und eigentlich das letzte verbliebende Rennteam in völliger Unabhängigkeit. Seht ihr euch ein wenig wie der letzte Mohikaner in der Formel 1?"
Adam Parr: "Williams ist als Team einzigartig. Ich bezweifele, dass es anderen gelingen würde, ein Team auf diese Art und Weise zu führen. Allein schon wegen der Tradition und der Art und Weise, wie Frank und Patrick das Team führen und wegen der unschlagbaren Loyalität. Es hat sich in den vielen Jahren eine ganz starke Bindung zu Fans, Medien und der ganzen Szene gebildet. So etwas kann man heutzutage nicht mehr schaffen."#w1#

Williams als letzter Vertreter der "alten Formel 1"

"Allein aus wirtschaftlicher Sicht nimmt Williams mit seinem Business-Modell eine Sonderstellung ein. Und es gibt aus meiner Sicht noch eine ganz entscheidende Besonderheit bei Williams: der Abschied von der Tabakwerbung. Als man die Tabakwerbung in der Formel 1 verbannte, verabschiedete sich Williams zu allererst davon. Das hat aber die gesamte Basis des Sponsorings in der Formel 1 verändert. Und hat es uns bis vor zwei, drei Jahren richtig zu schaffen gemacht."

Frage: "Wenn man sich allein den Namen des Unternehmens mal anschaut, dann heißt es 'Williams Grand Prix Engineering'. Das letzte Wort im Namen hat ja eine Bedeutung. Inwieweit kann die reine technische Stärke ein wichtiger Faktor für das Überleben des Unternehmens sein?"
Parr: "Wir sind in mehreren Projekten engagiert. Die Formel 1 ist zwar der publikumswirksamste Teil dessen, aber doch längst nicht alles. Wir glauben, dass vor allem der Bereich Energie-Rückgewinnung ein viel größeres Geschäftsfeld für uns werden kann, weit über die Formel 1 hinaus. Die Speicherung und die Kontrolle von Energie ist ein ganz wichtiger Faktor bei der künftigen Entwicklung."

"Nur mal ein Beispiel: Alle Häuser, die ab 2016 in Großbritannien gebaut werden, müssen eine neutrale CO2-Bilanz aufweisen. Mann muss also mit der Energie besser Haushalten. Man muss zum Beispiel auch neue Möglichkeiten für kurzfristige Speicherung von Energie finden. In diesem Bereich forscht Williams. Das geht weit über die Anwendung im Automobil-Bereich und die reine Speicherung von Energie hinaus. Das ist ein sehr interessanter Bereich. Das ist für uns ein ganz wichtiges Entwicklungsfeld. Das wird sich nicht in allen Fällen sofort rechnen, aber ich bin fest davon überzeugt, dass es ein ganz wichtiger Zukunftsmarkt ist."

Max Mosley (FIA-Präsident)

Max Mosley will endlich Sparmaßnahmen der Formel-1-Teams sehen Zoom

Frage: "Es hieß zuletzt, dass Williams in argen finanziellen Schwierigkeiten stecke, weil sich die dramatischen Geschehnisse auf dem Bankensektor bei euch niederschlagen. Immerhin habt ihr mit der Royal Bank of Scotland (RBS) einen ganz wichtigen Sponsor, auch Finanzierungen laufen über diese Bank. Wie wirkt sich das aus und wie ist die Situation?"
Parr: "Jedes Unternehmen stellt in solchen Zeiten seine Engagements auf den Prüfstein und das ist auch völlig normal so. Im Grunde sind wir eben auch ein Teil davon. Ich habe aber im Moment keinerlei Hinweise darauf, dass die RBS in Schwierigkeiten sein könnte. Im Grunde hat in der Zwischenzeit jede große Internationale Bank mit der jweiligen Regierung ein Sicherheitspaket geschnürt, um im weltweiten Bankengeschäft wieder Vertrauen zu schaffen."

"Ich glaube, dass es bei Banken genauso ist, wie in vielen anderen Wirtschaftsbereichen auch. Marketing für dich, dein Unternehmen und deine Produkte ist grundlegend wichtig. Jedes Unternehmen welches das nicht beherzigt, gibt sich im Grunde genommen selbst auf. Man darf auch nicht vergessen, dass der Betrag, den die RBS in die Formel 1 und Williams steckt, absolut nur ein minimal kleiner Teil ist."

Weltweite Wirtschaftskrise als neue Chance?

Frage: "Also sollte man annehmen können, dass die RBS in solchen Zeiten ihr Engagement sogar noch erweitern könnte?"
Parr: "Die ganzen Sponsoren wie RBS, Allianz, Philipps oder Thompson fragen sich immer wieder, ob sich ihr Engagement in irgendeiner Form rechnet. Da arbeiten keine Racer, die sind nicht besonders emotional. Aber dieses Leute, die auf den 'Return of Investment' schauen, haben erkannt, dass es eine fantastische Investition ist."

Frage: "In welchem Verhältnis stehen denn Investment und das, was sie dafür zurückbekommen? 10 zu 1, oder sogar 15 zu 1?"
Parr: "Mindestens sogar. Man muss sich nur einmal anschauen, was die RBS im Rahmen ihres Formel-1-Engagements bekommt. Sie sind an den Formel-1-Strecken präsent, werden durch das Williams-Team in der Öffentlichkeit wahrgenommen, werden durch Jackie Steward als Botschafter und Fürsprecher repräsentiert und es kommen noch weitere Dinge hinzu. Ein Beispiel: Als ich von Japan aus weiterflog, stand mitten in der Abflughalle ein Williams-Auto, welches Philipps dort präsentierte. Auf diesem Fahrzeug sind aber alle unsere Sponsoren zu sehen. Diese Art von Präsenz ist rund 215 Millionen Dollar pro Jahr wert, allein beim Williams-Team."

"Wenn einer unserer Partner eine solche Aktion macht, profitieren alle anderen mit. So etwas erreicht man mit keiner anderen Art von Werbung oder Sponsorship weltweit. Wenn du Werbung auf den Trikots des FC Chelsea machst, bist du dort der einzige Partner. Niemand nimmt daher die ganzen Werbebanden im Stadion mit den anderen Sponsoren immer mit aufs Foto, weil das interessiert niemanden. Der riesige Vorteil der Formel 1 ist, dass die Partner ein Teil des Produktes sind und auf dieses Produkt wird geschaut. Wir haben seit langer Zeit Jahr für Jahr bewiesen, dass die Formel 1 einen tollen 'Return of Investment' generiert. 600 Millionen Menschen nehmen die Szene wahr. Ich bin sicher, dass die Formel 1 die beste Plattform für weltweite Marken ist, die es überhaupt gibt."


Fotos: Großer Preis von China


Formel 1 als Spielplatz der Milliardäre

Frage: "Red Bull, Toro Rosso und Force India haben jeweils einen Milliardär im Hintergrund. Bei euch ist das nicht so. Wie bewertest du eure Position im Vergleich zu den anderen privaten Rennställen?"
Parr: "Wenn ich mir die anderen privaten Teams anschaue, die allesamt von Milliardären finanziert werden, dann muss ich erst einmal sagen, dass Dietrich Mateschitz mit seinen gleich zwei Mannschaften einen ganz schönen Spagat hinlegt. Aber das ist ja seine eigene Entscheidung. Er hat ein gut funktionierendes Geschäft und hat eben entschieden, dass dieses der richtige Weg für die Bewerbung seiner Marke ist. Die haben auf keinem der beiden Autos irgendwo einen anderen prominenten Sponsor."

"Wahrscheinlich haben sie es vielleicht mal versucht, dann erkannt, dass es kaum einen Unterschied bringen würde und haben sich dann gesagt, dass man es auch alleine machen kann: Vier Autos machen Werbung für ein einziges Getränk. Man kann nun wirklich nicht behaupten, dass Mateschitz Probleme hätte. Wenn man sich Vijay Mallya anschaut, dann erkennt man schnell, dass er ein sehr amtitionierter Mann ist. Er will seine Autos nicht am Ende des Starterfeldes sehen. Aber was Vijay schnell erkannt hat ist, dass man für den Sprung nach vorne wahnsinnig viel Geld braucht."

"Ich glaube einfach, dass er und seine Partner einfach nicht so viel investierten wollen, obwohl sie es wohl könnten. Vijay sehe ich wirklich auch nicht in Problemen. Wenn man dann aber auf uns schaut, dann ist bei uns die Situation eine ganz andere. Williams ist nicht hier, um in erster Linie Werbung für ein Produkt wie Red Bull oder Kingfischer zu machen, sondern wir sind hier, weil wir Rennsport betreiben wollen. Wir haben nicht erst jetzt schwierige Zeiten, sondern schon seit zehn Jahren."

"Das beste Mittel in solchen Zeiten, ist ein Gespräch mit einem Kerl wie Frank." Adam Parr

Frage: "Euer Teamchef Frank Williams sagt sogar, er hätte nur schwierige Zeiten erlebt..."
Parr: "Ja. Das beste Mittel in solchen Zeiten, ist ein Gespräch mit einem Kerl wie Frank. Das habe ich ihm gestern Abend selbst noch gesagt. Der ist so dermaßen abgebrüht und optimistisch. Er hat schon so viel erlebt und harte Zeiten mitgemacht. Er sieht immer eine Lösung."

Die Formel 1 im finanziellen Dornröschenschlaf

Frage: "Glaubst du, dass man sich endlich auf Maßnahmen zur Kostensenkung einigen wird?"
Parr: "Nur ein Idiot glaubt doch noch daran, dass man einfach so weitermachen kann. Als ich in diesen Sport kam, war mir nach wenigen Tagen klar, dass wir unbedingt etwas auf der Kostenseite tun müssen. Max Mosley hat sich Anfang des Jahres in Paris hingestellt und gesagt, dass die Hersteller schwierigen Zeiten entgegen gehen mit Absatzproblemen und Umweltauflagen. Er meinte, es sei einfach unumgänglich, dass wir etwas an den hohen Kosten tun müssen. Wir stimmen dem absolut zu und im Grunde glaube ich, dass dem alle zustimmen."

"Aber wir haben seit neun Monaten nichts gemacht. Das war der größte Fehler überhaupt. Wir hätten schon einige Dinge tun können, die sich jetzt schon ausgewirkt hätten. Aber nein, das haben wir nicht getan. Ich glaube aber, dass jetzt endlich alle verstanden haben, dass wir etwas unternhmen müssen. Vielleicht ist das ähnlich wie bei einem Alkoholiker, der den Weg in die Abhängigkeit auch nicht wahrnimmt. Er liest von den Gefahren in der Zeitung und sieht es im Fernsehen, aber er glaubt, er hätte kein Problem."

"Vielleicht ist das ähnlich wie bei einem Alkoholiker, der den Weg in die Abhängigkeit auch nicht wahrnimmt." Adam Parr

Frage: "Wie steht ihr zu dem Vorschlag mit den Einheitsmotoren?"
Parr: "Wir wollen das eigentlich nicht kommentieren. Ich bin sicher, dass sich Max und die FOTA am Dienstag aussprechen werden und dann schauen, welche Optionen es gibt. Meine persönliche Ansicht ist aber, dass wir einen guten Sport bieten müssen. Das ist das wichtigste auch aus Sicht unseres Teams. Der größte einzelne Kostenfaktor bei den Herstellern ist der Motor. Also sollten wir in diesem Bereich definitiv etwas tun. Als die Motoren für fünf Jahre eingefroren wurden, haben wir einen sehr großen Fehler gemacht. Wir haben eine extrem teure Maschien engefroren. Der eigentliche Hintergedanke dabei war ja, dass man ein gleichmäßiges Leistungsniveau erreichen wollte. Das hat man aber nicht geschafft und man merkt ja jetzt, dass die Sache schon wieder auftaut."

"Wenn man unbedingt alle Motoren auf einem Leistungsniveau haben will, dann können sich die Hersteller auch nicht mehr über die Triebwerke profilieren. Warum sollte man dann denn solch teure Motoren haben? Man könnte auch jährlich 100 Millionen Euro in die Reifenentwicklung stecken. Letztlich bekommen wir alle den gleichen Reifen. Wofür sollte man also so viel ausgeben? Wir haben sicherlich kein Patentrezept, aber wir sind absolut sicher, dass man erstmal mit dem Motor anfangen sollte."

Volles Vertrauen in Bernie Ecclestone

Frage: "Wie steht ihr zu den Entwicklungen beim Rennkalender? Nordamerika ist nicht mehr vertreten und Frankreich offenbar auch nicht..."
Parr: "Die Anzahl der Rennen in den vergangenen Jahren ist gestiegen. Ein bis zwei weniger pro Jahr sind nicht weiter schlimm. Schlimm ist aber, dass nur noch Rennen übrig bleiben an Orten, wo die hiesige Regierung aus Gründen der Werbung Unsummen zuschiesst. Kanada ist aus dem Kalender verschwunden, weil sie es letztlich nicht mehr bezahlen konnten. Was man sich fragen muss ist, wohin das führen wird. Werden wir wieder neue Orte hinzubekommen? Werden wir in die USA zurückkehren können? Ich bin sicher, dass dies geschehen wird. Ich glaube, dieser Sport ist so attraktiv, dass wir auf Dauer eine gute Balance finden werden. Wir sollten so schnell wie möglich wieder in den USA fahren."

"Ich glaube, ein oder zwei Rennen weniger in Europa würden uns nicht umbringen, denn der Kontinent ist sehr überrepräsentiert. Wenn man sich mal Singapur anschaut, dann war das eines der besten Wochenenden in der Formel-1-Geschichte. Das Modell von Bernie Ecclestone funktioniert. Er fügt das Puzzle passend zusammen. Wenn wir im kommenden Jahr in Abu Dhabi fahren werden, kann das wieder ein ganz besonderer Event werden. Die Welt verändert sich und wir müssen da Schritt halten. Ich bin sicher, dass wir bald ein Rennen in Indien hinbekommen werden. Ich bin auch davon überzeugt, dass wir in den kommenden Jahren wieder in den USA fahren werden. Vielleicht dann aber an einem Ort, der für die amerikanische Öffentlichkeit etwas interessanter ist. Auch ein Rennen auf dem afrikanischen Kontinent ist nicht ausgeschlossen."

"Ich bin davon überzeugt, dass wir in den kommenden Jahren wieder in den USA fahren werden." Adam Parr

Frage: "Gibt es eigentlich ein aktuelles Concorde-Agreement und ist Williams daran beteiligt?"
Parr: "Ja, es gibt eines und wir sind auch ein Teil davon."

Frage: "Haben sich alle Teams daran beteiligt?"
Parr: "Nein."