• 19.03.2002 11:42

  • von Fabian Hust

Paragon – McLaren's neue Superfabrik

McLaren-Chef Ron Dennis reagiert mit seinem Paragon-Projekt auf den immer härter werdenden Wettbewerb in der Formel 1

(Motorsport-Total.com) - Am 12. August 2002 wird das Formel-1-Team von McLaren in die neue Superfabrik "Paragon" einziehen. Die Fertigstellung der neuen High-Tech-Fabrik, drei Kilometer nördlich von Woking im britischen Surrey gelegen, kommt genau zum richtigen Zeitpunkt: Renault kehrt mit einem eigenen Team in die Formel 1 zurück, Honda will erneut Erfolge feiern, BMW kämpft um die Vorherrscherstellung, Toyota steigt mit einem riesigen Budget in die Formel 1 ein und Ferrari spielt sowieso ganz vorne mit. Keine Frage - angesichts der großen Konkurrenz werden die Teams finanziell und technisch so gefordert wie noch nie in der Formel-1-Geschichte zuvor. McLaren-Teamchef Ron Dennis meint zu wissen, was nötig ist, um in Zukunft in der Formel 1 zu überleben.

Titel-Bild zur News: Paragon

Mit dem Paragon erfüllt sich McLaren-Teamchef Ron Dennis einen Traum

Das Wort Paragon bringt Ron Dennis zum Schwärmen
Ron Dennis gab im Januar 2001 den Startschuss zum Bau des neuen Super-Werks mit der geheimnisvollen Bezeichnung "Paragon" (Englisch für "Vorbild"). Unweit des alten McLaren-Werkes in Woking hatte McLaren neues Land erworben um dort das "Paragon Technology Centre" zu errichten - eine 32.500 Quadratmeter große Fabrik: "Wir tun dies, weil wir annehmen, dass die Automobilhersteller mit einer Menge Ressourcen in die Formel 1 gehen werden. Ob die Hersteller auch die nötige Kultur aufbauen können, um in der Formel 1 erfolgreich zu sein, muss natürlich erst noch abgewartet werden. Aber sie werden über die nötigen Ressourcen verfügen und wir müssen in der Lage sein, mithalten zu können, damit wir keine guten Leute aufgrund der besseren technischen Ressourcen an die Konkurrenz verlieren", so Ron Dennis.

Rund 620 Millionen Euro wird der neue Bau die Firma McLaren kosten, Geld, das Ron Dennis bereits seit Jahren beiseite gelegt hat, denn er will seine Firma nicht in Schulden stürzen. Eine hohe Summe, deren Ausgabe aber notwendig ist: "Ich möchte sicher stellen, dass McLaren in Zukunft das beste Team in der Formel 1 ist." Mit der neuen Fabrik möchte Dennis nicht nur neues kompetentes Personal anlocken, sondern auch Stars wie Aerodynamik-Spezialist Adrian Newey das Bleiben erleichtern: "In der Fabrik wird alles völlig neu sein, ich glaube deshalb nicht, dass uns Adrian verlassen wird", so Dennis, der im vergangenen Jahr beinahe seinen Stardesigner an Jaguar verloren hätte.

"Die Mitarbeiter werden ganz scharf aufs Arbeiten sein"
Bereits fertig ist ein brandneuer Windkanal, der Adrian Newey noch besseres Arbeiten ermöglichen wird, dazu später mehr. Der Rest der Fabrik nimmt langsam aber sicher sein endgültiges Aussehen an. Wenn die Anlage im August steht, dann werden die Gebäude in der Form eines Kreises platziert sein: "Ich habe schon seit Jahren vom Paragon geträumt und jetzt nimmt er endlich Formen an. Die Arbeitsumgebung wird so toll sein, dass die Angestellten ganz scharf aufs Arbeiten sein werden", schwärmt der 54-jährige Dennis.

Dafür sollen für die in Zukunft 1.000 Menschen zählende Mitarbeiterschaft ein Swimming-Pool, ein Gesundheitsclub, eine Bank, Trockenreiniger und Geschäfte sorgen. Hinzu kommt ein Besucherzentrum und Jugendzentrum, in dem Nachwuchsteenagern Geschmack auf das einmalige Projekt gemacht werden soll. "Wir werden über eine extrem gut designtes und sehr ästhetisches Gebäude verfügen, das mit der Landschaft harmonisieren wird."

Foster: Architekt mit dem Sinn für das Außergewöhnliche
Für den Bau der neuen Superfabrik beauftragte Ron Dennis mit Lord Foster einen bekannten Architekten. Der Brite entwarf den Flughafen von Hong Kong, das Gebäude der Hong Kong Bank und den Reichstag von Berlin. "Jeder von uns, der an diesem Projekt mitarbeitet, weiß, dass dies eine einmalige Gelegenheit ist, zu sehen, wie ein Industriegebäude des nächsten Jahrhunderts aussehen sollte", so Partner David Nelson, der zusammen mit Foster dafür sorgen möchte, dass das Paragon genauso viel Aufsehen erregt wie die zahlreichen anderen Gebäude, die das Architekturbüro entworfen hat.

"Das Paragon ist ein Gebäude, in dem mehrere hundert Leute eine tolle Zeit haben werden", fährt Nelson fort. "Es wird ein Bauwerk sein, das die Zukunft des Designs neu definieren wird, ein Projekt, an dem viele, viele Menschen arbeiten. Etwas 'Außergewöhnliches' wollten Ron Dennis und seine Partner haben und sie waren während dem gesamten Design- und Planprozess eng eingebunden. Nicht alle neuen Gebäude erfahren von ihren Chefs diese Aufmerksamkeit."

Das Paragon: Gigantisch groß aber dennoch schön
Das rund 100 mal 200 Meter große und 11 Meter hohe Gebäude, in das bis zur geplanten Fertigstellung im August 2002 ganze 4.000.000 Arbeitsstunden geflossen sein werden, wird an so vielen Stellen wie möglich von natürlichem Licht ausgeleuchtet ? ein Grund, warum die Architekten kein allzu hohes Gebäude auf die Beine stellten. Das Hauptgebäude ist aufgeteilt in 18 Meter breite "Finger", die sechs Meter breite Zwischenräume haben, in die das Tageslicht einfallen kann. Diese Zwischenräume, die das Architektenteam "Straßen" nennt, dienen auch der Versorgung des Gebäudes mit Frischluft.

In den oberen Bereichen der Fabrik, in der theoretisch neun Jumbo-Jets Platz finden würden, soll die Verwaltung ihre Büros erhalten, im Erdgeschoss werden die Produktionsbereiche untergebracht. Die neue Fabrik steht noch nicht einmal, da wird schon der Ausbau geplant. So soll in absehbarer Zeit ein rundes Nebengebäude errichtet werden, das dann mit einem unterirdischen Tunnel mit dem Hauptgebäude verbunden werden soll. Jeder, der von einem in das andere Gebäude läuft, wird in diesem Tunnel historische Rennwagen von McLaren bestaunen dürfen. Statt Tristesse vorzufinden wird den Angestellten also selbst hier ein Grund geboten, sich in dem Gebäude wohl zu fühlen.

Grünes Denken bei McLaren
Auch die Umwelt geriet bei allem Augenmerk auf das Design des Paragon nicht in Vergessenheit. Bevor die Bagger anrückten, installierte man um ein Gebiet von rund einem Quadratkilometer einen Plastikzaun und lockte mit einem Trick alle Schlangen hervor, um sie umsiedeln zu können. Auch die Bäume auf dem Bauareal bereiteten dem Team Kopfzerbrechen. Waren sie im Sommer Nistplatz für Vögel, so waren sie im Winter Lebensraum für Fledermäuse. So konnte man sie nur in einem sehr schmalen Zeitfenster fällen, in dem man nicht die Tierwelt störte. Auch der nahe gelegene Fluss soll nach den Bauarbeiten so umgeleitet werden, dass er seine natürliche Fließgeschwindigkeit zurückerhält. "Noch nie hatte ich einen Kunden, der sich so sehr um die Natur kümmerte und dafür so viel Geld ausgibt", lobt der Architekt.

Dass das Gebäude mit elf Metern Höhe relativ niedrig ist, hat ebenfalls mit dem Umweltgedanken zu tun. So möchte man sicherstellen, dass sich das Paragon harmonisch in die Umwelt integriert. Das Gebäude wird direkt an einen künstlich angelegten See gebaut. Insgesamt werden rund 150.000 Kubikmeter Erde bewegt, die später für die Landschaftsgestaltung des 50 Hektar großen Areals verwendet werden, um nicht zu viel Fremderde heranschaffen zu müssen.

Dass man das Gebäude direkt an einen See baut, hat seinen Grund. In der Landschaft gibt es bereits einige Seen, so harmoniert die Anlage mit der Gegend. Der See wird auch zur Kühlung des Gebäudes verwendet. Die Tatsache, dass der Grundwasserspiegel nicht nur wenig unter der Erdoberfläche liegt sondern der Wasserdruck auch ungewöhnlich hoch ist, machte es erforderlich, ein spezielles Fundament zu bauen, so dass das Wasser das Gebäude nicht wegspülen kann. Bereits 1998 wurde mit dem Bau einer ein Meter dicken und 30 Meter hohen unterirdischen Mauer begonnen, die das Wasser davon abhalten soll, in das Fundament einzudringen. Mitte 1999 war diese fertig gestellt.

Technischer Leckerbissen: Der Windkanal
Architektur hin oder her ? absolutes technisches Highlight des Paragon ist der bereits fertig gestellte Windkanal, in dem Chefaerodynamiker Adrian Newey dem MP4-17 den letzten Feinschliff gegeben hat. Der Windkanal, der im Betrieb nicht gerade leise ist, musste speziell akustisch abgeschirmt werden, um den Betrieb des Paragon nicht zu stören. Der Luftstrom wird durch ein kompliziertes Tunnelsystem geleitet, das sicherstellt, dass die Luft ohne Verwirbelungen in den Windkanal eintritt. Die angesaugte Luft wird in einer größer werdenden Kanal verlangsamt und durch ein Netzsystem "beruhigt", dann wieder beschleunigt und in einem weiteren "Bremskanal" durch eine Wabenstruktur geleitet, um letzte Turbulenzen zu beseitigen. Dann wird der Kanal erneut verengt, um die Geschwindigkeit der Luft zu erhöhen, bevor sie in den eigentlichen Testraum geleitet wird.

Im 145 Meter langen Windkanal, der aus 400 Tonnen Stahl angefertigt wurde, finden Modelle bis zu einer Größe von 1:2 Platz. Höhe und Neigung des Autos können bis zu einer Genauigkeit von 0,01 Millimeter gesteuert werden. Das Computersystem zeichnet jedes Detail über den Luftfluss, den Luftwiderstand und den Abtrieb auf. Ein vier Meter großer Ventilator, der sich bis zu 600 Mal in der Minute dreht, sorgt für kräftigen Wind und kann 15 Kubikmeter Luft in der Sekunde bewegen. So viel, dass das Gebäude implodieren würde, wenn es luftdicht wäre. Der Windkanal verfügt über eine Leistung von 1.500 Kilowatt, der Antriebsmotor muss mit 6.000 Liter Wasser pro Minute gekühlt werden.

McLaren geht unter die Möbelproduzenten
Die "TAG McLaren Group" wird im Paragon in Zukunft nicht nur Formel-1-Autos bauen, sondern zum Beispiel auch HiFi-Anlagen bald auch den Supersportwagen Mercedes-Benz SLR: "Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir mit McLaren in der Formel 1 gescheitert wären, wenn wir ausschließlich ein Formel-1-Team geblieben wären - unabhängig vom Erfolg, den wir gehabt haben oder haben werden", Firmenchef Ron Dennis. "Man muss sich überlegen, wie sich die Formel 1 in den nächsten 20 Jahren entwickeln wird. Können wir ein reines Formel-1-Team bleiben? Meine Antwort ist 'Nein'. Wir können in der Formel 1 nur deshalb überleben, weil wir in eine breite Palette von Technologien und Herstellungsprozessen investieren, die direkt nichts mit der Formel 1 zu tun haben."

Mit anderen Worten: McLaren kann nicht von Sponsoren-, Preisgeldern und der Beteiligung an den Einnahmen aus dem Verkauf der Fernsehrechte der Formel 1 überleben. Teams wie Ferrari oder Renault können bei Bedarf Ressourcen aus anderen Einnahmequellen freigeben. Dieses Ziel verfolgt Teamchef Ron Dennis mit der Milliardeninvestition in das Paragon, um sich für die Zukunft zu rüsten. Dabei scheint Ron Dennis vor nichts zurückzuschrecken. In Zukunft sollen auch teure High-Tech McLaren-Möbelstücke und McLaren-Leuchten an den Mann gebracht werden.