• 25.07.2010 22:50

  • von Pit Lane

Österreich 2002 revisited

Kolumnist Pit Lane macht sich Gedanken über "Hockenheimgate", die Befangenheit der Familie Todt und die Verhöhnung der vielen Fans

Liebe Freunde manipulierter Sportevents,

Titel-Bild zur News: Felipe Massa vor Fernando Alonso

Felipe vor Fernando: So hätte das Ding heute eigentlich ausgehen müssen...

was heute in der 49. Runde in Hockenheim passiert ist, muss ich glaube ich nicht mehr beschreiben - das habt ihr entweder live im TV gesehen oder bei meinen Kollegen auf 'Motorsport-Total.com' in aller Ausführlichkeit nachgelesen. Viele schimpfen jetzt: Fuck Ferrari! Fuck Alonso! Kann ich verstehen, denn der Sport ist auf der Strecke geblieben. Wir alle wissen, dass der wahre Sieger Felipe Massa heißt. Aber wenn ich meine Gedanken um das Thema kreisen lasse, fallen mir zunächst andere Dinge auf.

Erstens, dass die Sache nun zum World-Motor-Sport-Council (WMSC) der FIA geht. Die Herren in Paris sollen a) entscheiden, ob Ferrari noch härter bestraft werden muss, und b), ob das Reglement angepasst werden sollte. Dazu später mehr. Was ich daran bemerkenswert finde: Vorsitzender des WMSC ist ein gewisser Jean Todt, gleichzeitig Präsident der FIA. Sicher wisst ihr, dass der Herr zwischen 1993 und 2006 Ferrari-Teamchef war. Übrigens der erfolgreichste in der Geschichte der Scuderia, nebenbei bemerkt.#w1#

Monsieur Todt war auch der Grund dafür, dass Stallregie überhaupt verboten wurde. Beim Grand Prix von Österreich 2002 plärrte er Rubens Barrichello so laut "Let Michael pass for the Championship!" in den Boxenfunk, dass selbst die TV-Crews mithören konnten. "Rubinho" machte wenige Meter vor der Ziellinie artig für seinen Chef Michael Schumacher Platz, schenkte dem damit die zehn Punkte für den Sieg und musste sich vom mittleren Treppchen aus anhören, wie für ihn die deutsche Bundeshymne gespielt wurde.

Alles bleibt in der Familie

Eben jener Jean Todt, der diesen Skandal damals verbrochen hat, entscheidet nun als WMSC-Vorsitzender und FIA-Präsident mit, wie das Thema in Zukunft gehandhabt werden sollte. Ich hoffe, dass sich die Prozesse im WMSC unter seiner Amtszeit geändert haben, denn unter Max Mosley lief das so ab: "Mister Mosley kommt in den Saal und schlägt etwas vor. Die anderen Mitglieder stimmen dann dafür." Keine erfundene Story, sondern ein Originalzitat, das mir letzten Sommer ein WMSC-Mitglied auf Tonband gegeben hat. On record! Ich fand damals schon: ein Skandal.

Und wenn wir schon beim Thema Befangenheit sind: Der Sohn des Herrn Todt, Nicolas, ist zufällig Massas Manager. Ob der Kleine, der dem Papa übrigens wie aus dem Gesicht geschnitten ist, beim Dinner im Familienkreis auch mal seine Meinung äußern wird? Ich gebe zu, Todt sen. hat mich bisher positiv überrascht, daher will ich auch glauben, dass all das in Paris keine Rolle spielen wird. Aber er wird es sehr schwer haben, ein astreines Urteil mitzutragen, bei dem nicht der leiseste Verdacht der Befangenheit aufkommen kann. Poor Jean!

So, Punkt zwei: Am meisten gestört hat mich heute nicht einmal die Tatsache, dass Ferrari entschieden hat, die offensichtliche Nummer eins gewinnen zu lassen, um ihn endgültig als Solospitze auf den WM-Kampf anzusetzen. Daran zweifelt nun ja wohl wirklich keiner mehr - sicher auch nicht sein Sponsor Santander, der Millionen an Ferrari überweist und mit Massa als Sieger in einem von Santander gesponserten Rennen sicher nicht ganz so viel Freude gehabt hätte...

Pit Lane

Stinksauer: Heute stand definitiv der falsche Sieger in der Mitte des Podests! Zoom

Nein, viel mehr ärgere ich mich über die Show, die Ferrari nach der Zieldurchfahrt abgezogen hat. Da stellt sich Rob Smedley eiskalt hin und sagt, das war keine Stallorder. Wofür hat er sich dann bei seinem "Felipe-Baby" entschuldigt? Und Stefano Domenicali tut mir richtig leid, wenn er mit aufgesetztem Hundeblick versichert, dass der Kommandostand den Fahrern nur Informationen gegeben hat und diese dann selbst entschieden haben. Bestimmt, Stefano!

Da lobe ich mir Ferrari-Pressesprecher Luca Colajanni, eigentlich ein ziemlich trockener und glattgestriegelter Kerl, der zu Beginn der Domenicali-Pressekonferenz sagt: "Byron Young (britischer Journalist; Anm. d. Red.) darf die erste Frage stellen. Das habe ich entschieden." Cooler Hund, in so einer Situation über das Offensichtliche auch noch Scherze zu machen. Und eigentlich kann man Ferrari für diese Soap-Opera ja auch schlecht einen Vorwurf machen.

Stallregie ist eben verboten, also werden hochbezahlte Profis nicht so dumm sein, den Regelverstoß, den die ganze Welt gesehen hat, öffentlich zuzugeben. Das ist traurig, aber eben auch "Part of the Game", wie Domenicali in anderem Zusammenhang sagt. Seriously, wäre es nicht smarter, das Verbot der Stallregie einfach wieder aufzuheben und uns damit solche schauspielerischen Glanzacts zu ersparen? Denn das Lügen ist doch das, was dem Grand-Prix-Sport in Wahrheit am meisten schadet.

Über ein halbes Jahrhundert lang hat die Formel 1 wunderbar funktioniert, obwohl Teamkollegen ganz legal zurückgepfiffen werden durften. Ich gebe zu, das war nicht immer schön anzuschauen - Eddie Irvine und Rubens Barrichello konnten einem manchmal schon leid tun -, aber dass Stallregie sogar ein spannendes Element sein kann, wurde zum Beispiel beim WM-Showdown in Jerez 1997 vorexerziert. Zumindest für mich wäre es das geringere Übel, diese Schnellschuss-Regel wieder abzuschaffen. Nicht, weil es so toll ist, wenn ein Fahrer nicht gewinnen darf, sondern der Glaubwürdigkeit wegen. Wozu eine Regel, die sowieso niemand überprüfen kann?

Ohne Geständnis kein stichhaltiger Beweis

Mein Buddy Alex Wurz bringt es auf den Punkt: "Die Schwierigkeit für die FIA ist, die Beweise zu finden, um ein legales und rechtskräftiges Urteil zu fällen. Das ist bei strafrechtlichen Fällen im normalen Leben ja auch oft so, dass man zwar weiß, wer schuldig ist, aber die Schwierigkeit ist, die richtigen Beweise zu finden. Für mich ist es aus dem Bauch heraus eine ganz klare Entscheidung, aber nicht, wenn einem die Beweise fehlen, um die versteckte Stallorder zu beweisen." Ich könnte es nicht besser formulieren.

Ja, es gibt die Funksprüche, ja, es gibt die Telemetrie, die beweisen wird, dass Massa ohne technischen Grund vom Gas gegangen ist, und ja, es gibt die subjektiven Eindrücke. Aber das sind nicht mehr als Indizien, solange sich die Ferrari-Leute blöd stellen und kein Geständnis ablegen. Smedley hat sich bei Massa angeblich dafür entschuldigt, dass das Auto schlecht war, und Massa ist sicher nur kurz vom Gaspedal gerutscht, weil seine Schnürsenkel offen waren. Wie soll man das Gegenteil beweisen? Also: Weg mit dieser sinnlosen Regel!

Massa tut mir auch persönlich leid - der arme Kerl! Es hätte sein großes Comeback werden können: Auf den Tag genau ein Jahr nach seinem fast tödlichen Unfall in Ungarn und nach einigen wirklich schwachen Rennen in dieser Saison (gegen Alonso hat er ja rein vom Speed her auch heute keinen Stich gemacht, wenn man mal ganz ehrlich ist) war er drauf und dran, endlich wieder einen Grand Prix zu gewinnen. So etwas kann Knoten lösen und zum Breakthrough verhelfen.

Felipe Massa und Fernando Alonso

Manchmal sagen Bilder eben wirklich mehr als 1.000 Worte, oder? Zoom

Aber nein, stattdessen zieht ihm Ferrari mit der Alonso-Keule so dermaßen eins über den Schädel, dass er nun wissen muss: "Ich bin hier nur der Wasserträger!" Und wenn ich Massa bin und Domenicali sagen höre, dass es in Maranello auch nach Hockenheim keine Nummer eins und keine Nummer zwei gibt, dann kann ich das bestenfalls als schlechten Witz empfinden, oder? Poor Felipe! Noch dazu, wo ich den sensiblen Brasilianer vom Charakter her als Typ einschätze, der genau an sowas zerbrechen kann...

Punkt drei: Dass die Fans am Ring, die heute ohnehin ein ziemlich ödes Rennen gesehen haben, wenn man einmal vom ganzen Drama bei Ferrari absieht, nach Strich und Faden verarscht wurden, ist unschön. Ich selbst gehe gern zu meinem Bookie und wette auf Sportergebnisse. Heute hatte ich 20 Pfund auf Lewis gesetzt. Ja, risky Business, aber die Quote war gut. Wenn ich auf Massa gesetzt hätte, wäre ich jetzt aber wahrscheinlich noch mieser gelaunt. Hoyzer lässt grüßen...

Punkt vier: Dass die FIA schon mal vorab 100.000 US-Dollar Strafe einkassiert, wundert mich nicht. Wegen eines auslaufenden Deals fehlt im Budget des Automobil-Weltverbandes Geld. Ich dachte zwar, dass Ron mit seinen 100 Millionen US-Dollar da auf Jahre für finanzielle Sicherheit gesorgt hat, aber es kann nie schaden, ein paar Dollar Puffer in der Kriegskasse zu haben, oder?

Aber was soll's, c'est la vie!


Pit Lane

PS: Ferrari hätte das heute viel geschickter einfädeln können. Hätte Smedley seine Funksprüche etwas weniger offensichtlich gestaltet und sich Massa dann "zufällig" in der Spitzkehre verbremst, hätte wohl kein Mensch so laut aufgeschrien, wie das jetzt der Fall war. Insofern bin ich ganz dankbar, dass Hockenheim das erste Rennen war, in dem die Funksprüche nicht mehr zensiert werden durften. Das nenne ich mal Einstand für eine Neuerung in der Formel 1!

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