• 15.07.2010 14:35

  • von Pit Lane

Der ACO macht Le Mans kaputt

'Motorsport-Total.com'-Kolumnist Pit Lane über die Auswirkungen des neuen Reglements für Le Mans: "Wie soll das funktionieren?"

Liebe Freunde schneller Prototypen,

Titel-Bild zur News: , Le Mans, Circuit de la Sarthe

Ein Klassiker, eines meiner Lieblingsrennen: Le Mans ist einzigartig

wir dürfen uns jetzt schon darauf gefasst machen, dass Le Mans ab dem kommenden Jahr nicht mehr so spektakulär sein wird wie bisher. Die großen Prototypen werden eingebremst, die LMP2-Autos zu Zwittern - irgendwo zwischen Prototyp und GT. "Low Cost" und "Green Technology" sind die beiden Schlagworte, die bei den Herren des ACO ganz hoch im Kurs stehen. Das neue Reglement soll beiden Ansätzen gerecht werden. Holy Shit, das wird fürchterlich in die Hose gehen!

Ich schätze, dass im kommenden Jahr noch vor Le Mans ganz kräftig die Fetzen fliegen. Ich bin gespannt, wie viel dann überhaupt noch von dem Klassiker übrig bleibt. Man muss sich vor allem die Situation 2011 mal genau vorstellen: Da schafft der ACO nun also im neuen Reglement die Möglichkeit, dass man übergangsweise im nächsten Jahr ein 2010er-Auto einsetzen darf. Aber um welchen Preis?#w1#

Wie soll die Einstufung funktionieren?

Seit Jahren bastelt der ACO an Einstufungen, um den Benzinern wieder mehr Siegchancen zu verschaffen. Ist das gelungen? No Way! Im Gegenteil: Peugeot holte in Le Mans aus dem vier Jahre alten 908 plötzlich weitere drei Sekunden, der Abstand der Benziner war unfassbar groß, fünf Sekunden zwischen dem Aston und dem Peugeot. Wo war denn da die Chancengleichheit? Und wie soll das erst 2011 werden?

Im kommenden Jahr gibt es theoretisch also 2010er-Autos, 2011er-Autos jeweils in den Varianten Diesel und Benziner, möglicherweise mit KERS oder ohne. Das macht dann insgesamt acht verschiedene mögliche Versionen. Und der ACO will es tatsächlich schaffen, all diesen Autos gleiche Chancen einzuräumen? Mission impossible! Ex-Renault-Motorenchef Denis Chevrier soll den ACO dabei beraten. Der Mann hat ohne Zweifel Ahnung, aber kennt er sich mit Dieseln wirklich gut aus?

Pit Lane

Für mich haben die Herren des ACO keine gute Arbeit geleistet Zoom

Wann will man die Einstufungen überhaupt überprüfen? Es gibt vor dem Rennen in Le Mans - und nur um dieses eine Rennen geht es in der Prototypenszene wirklich - voraussichtlich gerade mal vier Anlässe, um den Leistungsstand der Autos zu begutachten. Ein LMS-Test, zwei LMS-Rennen und der Le-Mans-Vortest, den es ab 2011 wieder gibt - eine der wenigen klugen Entscheidungen des ACO, wenn auch der Termin nicht gut ist.

Die Fahrten der Prototypen in der amerikanischen ALMS kam man voraussichtlich getrost vergessen. Erstens droht man in den USA schon damit, das Reglement der Franzosen nicht zu adaptieren, zweitens waren die Fahrten in Sebring bislang nie sonderlich aussagekräftig. Audi und Peugeot bauen ganz neue Autos. Wie ich höre, nehmen beide Abstand vom Diesel. Beide wollen schöne Coupés bauen. Great!

Ein Bremsklotz für den Peugeot

Aber das Problem der Einstufungen wird damit nicht geringer. Oreca wird 2011 mit mindestens einem Peugeot 908 weitermachen. Es dieselt also auch im nächsten Jahr. Speziell dieses Auto muss nun also passend eingebremst werden - und wie! Der ACO will den 908er, der in diesem Jahr Rundenzeiten von 3:18 Minuten in Le Mans fahren konnte, im kommenden Jahr zu Zeiten um 3:35 Minuten tuckern sehen. Wie soll das gehen?

Mit kleineren Air-Restrictoren und weniger Ladedruck ist das kaum machbar, man müsste dem Oreca-908 vielleicht einen holländischen Campingwagen anhängen. Dann könnten die Piloten beim nächsten Motorplatzer gleich in die eigene Bettdecke heulen. Honestly, ich glaube nicht, dass man die LMP1-Klasse irgendwie auf einen Nenner bekommen kann. Da wäre ja auch noch Aston Martin, die ohnehin eine ganz andere Sicht haben.

Meine Freunde und Landsleute Dave Richards und George Howard-Chappell bekommen beim Stichwort KERS spontanen Hautausschlag und schlechte Laune. Bei Aston spielt Hybridtechnik überhaupt keine Rolle, die Jungs setzen auf Leichtbau - und das ist auch mehr als verständlich. Erstens ist das der logischste Weg zu mehr Effizienz, zweitens erspare ich mir alle Probleme und Albernheiten, wie man sie in der Formel 1 mit KERS sehen konnte.

Allan McNish, Rinaldo Capello, Tom Kristensen

Wahrscheinlich werden Peugeot und Audi für 2011 keine Dieselautos mehr bauen Zoom

Stellt euch doch mal vor: Man muss 2011 tatsächlich die unendlich vielen Streckenposten in Le Mans mit diesen schicken Gummihandschuhen ausrüsten, damit keiner eine Starkstrom-Pirouette hinlegt wie damals der Mechaniker von BMW bei den ersten KERS-Probefahrten. Unter den Streckenposten sind viele meiner britischen Landsleute. Die wollen ölverschmierte Finger haben, wenn sie einen Rennwagen anfassen dürfen. Auf Schutzhandschuhe und KERS-OP-Besteck ist da keiner scharf.

Lieber Leichtbau als Hybridtechnik

Überhaupt muss man die ganze Hybridwelle im Motorsport mal hinterfragen. Die ACO-Herren sehen sich auf einem grünen Weg, ich sehe da aber eher schwarz. Der ganze Hybridhype verursacht hohe Kosten, ist nicht ganz ungefährlich und grün ist es schon gar nicht. Schaut euch mal die CO2-Bilanz unter Berücksichtigung der Produktion und Entsorgung der nötigen Batterien an. Das alles ist Bullshit - mehr fällt mir dazu nicht ein.

Dazu kommt dann noch die Maßgabe des ACO, dass KERS-Autos allein mit Hybridkraft die Boxengasse mit einem Tempo von 60 km/h zurücklegen können müssen. Als Kriterium ist das mehr als strange. Nur zu gern bin ich in den vergangenen Jahren mit einem dieser potthässlichen Leihoveralls des ACO durch die Boxengasse geschlendert. Ich bin gespannt, wann es auf den braunen Teilen die ersten roten Blutflecken gibt, weil ein Journalist oder Gast das Heranrauschen eines KERS-Autos einfach nicht hören konnte.

Jetzt nochmal kurz zur LMP2. Was hat sich der ACO dabei nur gedacht? Die kleinen Prototypen fahren also ab dem nächsten Jahr mit seriennahen Motoren aus der GT2-Szene. Die Variante wird uns von der französischen Le-Mans-Hoheit als Sparformel verkauft. Natürlich ist ein solches Triebwerk vermutlich günstiger als ein reinrassiger Rennmotor von Judd, AER oder HPD. Aber der Motor ist doch nur eines von vielen Bauteilen.

Neues Reglement: Gute Nacht, mein geliebtes Le Mans Zoom

Wäre ich LMP2-Teamchef und wollte die kommende Saison möglichst günstig bestreiten, dann würde ich die Krise kriegen. Also mein altes Chassis müsste ich mit einem neuen Motor ausstatten. Der allein würde mich 75.000 Euro kosten. Aber dann geht es erst richtig los. Hersteller wie beispielsweise Xtrac verlangen für ein passendes Renngetriebe mal locker 80.000 Pfund. Wenn ich die Innereien des vorherigen Getriebes nutzen kann, muss ich trotzdem noch locker 30.000 hinblättern.

LMP2-Klasse: Wer soll das bezahlen?

Dann ist meine Kriegskasse wahrscheinlich schon leer, aber der Wagen würde immer noch nicht rennen. Für einen neuen Kabelbaum, neue Teile in der Motorperipherie und eine neue Elektronik müsste man nochmal mindestens 50.000 Euro rechnen. Summary: Nur die Anpassungen meines alten LMP2-Hobels würden mal eben ungefähr 150.000 Euro kosten. Das soll eine Billigformel sein? So viel Geld müssen mir die Bakkeruds, Nodas und Bouchuts dieser Welt erstmal in einem Koffer mitbringen...

Und mal im Ernst: Wer in der LMP2-Klasse in Zukunft vorne mitfahren will, der kann sich keine Bakkeruds und Co. im Cockpit leisten. Nichts gegen diese Bezahlfahrer, es sind oft richtig nette Kerle und echte Petrolheads. Aber sie haben oftmals nicht das Niveau, um wirklich um Klassensiege zu fahren. Es wird auch so schon peinlich genug, wenn die neuen LMP2-Autos Druck von den schnellsten GT-Wagen bekommen.

Das waren die besten Zeiten in Le Mans: Erst laufen, dann Vollgas geben Zoom

Wenn ich mir die Konsequenzen des neuen ACO-Reglements also ausmale, dann sehe ich statt grün wirklich nur schwarz. Von einer rosaroten Zukunft kann man da wirklich nicht sprechen. Ich fürchte, dass die LMP2-Klasse in die ewigen Jagdgründe eingeht, die LMP1 auch weiter ein Kampf der Werke wie Audi, Peugeot, Toyota und Honda bleibt und die echten Racer wie Henri Pescarolo und Co. keine Chance mehr bekommen. My beloved Le Mans...

C'est la vie,


Pit Lane

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