Es brodelt heftig in der Gerüchteküche
Kolumnist Pit Lane macht sich über die zahlreichen Wechselgerüchte in der MotoGP seine Gedanken - Alles hängt mit allem zusammen
Liebe Freunde der "Silly Season",

© MST
genau wie ich werdet Ihr die seit Monaten kursierenden Wechselgerüchte in der MotoGP aufmerksam verfolgt haben. Wie oft haben meine italienischen Freunde ihren Helden Valentino Rossi schon zu Ducati geschrieben? Wenn Ihr mich fragt: Fast so oft, wie sie den "Doktor" bereits als dritten Ferrari-Fahrer in der Formel 1 untergebracht haben. Und Casey Stoner muss vergangene Woche schon zum dritten Mal bei Honda unterschrieben haben, wenn man all den Berichten glauben darf.
Aber versteht mich nicht falsch, ich habe nichts gegen diese Spekulationen. Ich selbst habe mich in der Vergangenheit schon häufiger in der Gerüchteküche verirrt - so etwas kommt vor. Und es ist ja auch eine einzigartige Situation, in der die Motorradszene gerade steckt: Sämtliche Topstars der Branche sind derzeit noch ohne Vertrag fürs kommende Jahr. Das stimuliert natürlich die Fantasie von uns Schreiberlingen.#w1#
Fassen wir also erstmal die Fakten zusammen. Neben Rossi und Stoner sind für 2011 auch Jorge Lorenzo, Nicky Hayden, Dani Pedrosa und Andrea Dovizioso auf dem Markt. Altmeister wie Loris Capirossi und Colin Edwards dürften in den zu erwartenden Personalrochaden nur eine untergeordnete Rolle spielen. Denn eines ist klar: Alle Welt wartet darauf, was die Königsfigur Rossi macht.
Der Champion ist zwar derzeit mit einem gebrochenen Bein ans heimische Bett gefesselt, aber das ändert nichts daran, dass er die begehrteste Trophäe von allen ist. Kein Wunder, angesichts seiner neun WM-Titel und der 104 Grand-Prix-Siege. Wie immer, wenn sein aktueller Kontrakt ausläuft, kommt Ducati ins Spiel. Das war schon 2003 so, als Rossi schließlich von Honda zu Yamaha wechselte. Der italienische Campeone auf dem italienischen Motorrad schlechthin - der Traum vieler Fans.
Stoner folgt Suppo zu Honda

© Bridgestone
Casey Stoner wird bald für Honda jubeln, da bin ich mir sicher Zoom
In dieser Saison scheint der ersehnte Wechsel endlich wahr zu werden. Stoner folgt seinem alten Kumpel Livio Suppo zu HRC und macht seinen Platz bei Ducati für Rossi frei. Angeblich wurde Stoners Pitcrew schon mal angekündigt, dass sie sich bald nach neuen Jobs umsehen könnte. Schließlich bringt "Vale" gerne seine eigenen Leute mit, angeführt von seinem genialen Crewchief Jerry Burgess.
Doch warum sollte Casey Ducati den Rücken kehren? Keiner beherrscht die Desmosedici so wie er (wenn man mal von den paar Rutschern übers Vorderrad in letzter Zeit absieht), keiner feierte so viele Erfolge für die Italiener. Und Dank Marlboro wird er bei Ducati auch nicht schlecht bezahlt. Ich habe den Eindruck, dass Stoner nicht vergessen hat, wer im Team im vergangenen Jahr, als es ihm so schlecht ging, zu ihm gehalten hat - und wer nicht.
Klar, die Situation war damals undurchsichtig und es vergingen Monate, bis Casey endlich die richtige Diagnose erhielt: Laktoseunverträglichkeit. Diese Krankheit ist kein Kindergeburtstag, sondern kann demjenigen, der darunter leidet, das Leben richtig schwer machen. Dass ihm da der eine oder andere aus der eigenen Mannschaft hinter vorgehaltener Hand vorwarf, er sei ein Weichei, hat das gegenseitige Vertrauen sicherlich nicht gefördert. Zumal der Junge nun wirklich ein zäher Bursche ist, das hat er damals in Barcelona und Assen gezeigt, wo er trotz Krämpfen und Übelkeit aufs Treppchen raste.
Rossi und Ducati - das passt

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Der "Doktor" ist selbst als Rekonvaleszent der begehrteste Fahrer im Paddock Zoom
Außerdem dürften Stoner die ewigen Rossi/Ducati-Gerüchte gehörig auf die Nerven gehen. Denn eines ist klar: Rossi und Stoner im selben Team - das will sich keiner von beiden antun. Was meinem alten Buddy Nicky übrigens gerade recht kommt. Als solide Nummer zwei im Team, die keinen Ärger macht und obendrein bei den Fans beliebt ist, ist das "Kentucky-Kid" allemal gut genug. Er wird also in jedem Fall bei Ducati bleiben, da bin ich mir sicher.
Bleibt die Frage, ob Rossi tatsächlich Ducatis Lockrufen erliegt. In Italien ist von einem Jahresgehalt um die 15 Millionen Euro die Rede, das die Roten dem Champion bieten. Im Gegenzug legt sich Lin Jarvis von Yamaha mächtig ins Zeug, um seinen Star zu halten. Doch was hat Jarvis zu bieten? Das derzeit beste Gesamtpaket aus M1 und vertrautem Umfeld sprechen eindeutig für Yamaha. Aber Rossi ist nicht entgangen, dass Lorenzo auf "seiner" M1 immer besser wird. Wenn es hart auf hart kommt, könnte sich Yamaha dazu entschließen, der Jugend den Vorzug zu geben, die zudem etwas günstiger zu haben sein dürfte. Außerdem hat man mit Ben Spies einen neuen zweiten Mann fürs Werksteam bereits in der Warteschleife.
Spies ist der Fahrer der Zukunft

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"Ellbowz" kommt bei den Fans gut an - und sehnt sich nach der Werks-Yamaha Zoom
Dass "Ellbowz" ein Mann mit Zukunft ist, hat er neulich in Silverstone mal wieder eindrucksvoll bewiesen. Wie der Junge aufs Treppchen gefahren ist und dabei den netten Nicky am Ende ausgetrickst hat, war schon vom Allerfeinsten. Ganz nebenbei hat der Superbike-Champion damit auch bewiesen: Tritt die MotoGP auf einer Strecke an, die für alle neu ist, ist er ein Mann für die vordersten Plätze. Nächstes Jahr kennt er alle Strecken - und wenn er dann auch noch auf einem Werks-Bike sitzt...
Scheinbar unabhängig von Rossis Entscheidung befinden sich die beiden Honda-Jungs gerade in einem Ausscheidungsrennen. Dem Gewinner winkt am Ende die Vertragsverlängerung, der Verlierer steht auf der Straße. Aber ist es wirklich so einfach? Mich würde es zum Beispiel nicht wundern, wenn Pedrosa dank der Millionen, die Repsol Jahr für Jahr an Honda überweist, bleiben darf. Da kann sich Dovizioso noch so sehr ins Zeug legen, es wird wahrscheinlich nicht reichen.
Pedrosa und die Repsol-Millionen

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Wenn es nach Repsol geht, ist Dani Pedrosa gegenüber "Dovi" klar im Vorteil Zoom
Denn es ist nämlich so, dass auch der Deal zwischen Repsol und Honda am Jahresende ausläuft. Suppo braucht also ein paar schlagkräftige Argumente, will er die spanische Spritfirma als Hauptsponsor behalten. Denn Repsol könnte sich auch Lorenzo und Yamaha zuwenden, sollte dort FIAT gemeinsam mit Rossi die Fliege machen.
Ihr seht schon, momentan lässt sich praktisch keine Frage vollkommen losgelöst von allen anderen beantworten, alles hängt irgendwie zusammen. Die Lage ist ganz schön kompliziert - und dabei habe noch nicht einmal Suzuki erwähnt. Denn wie es da weitergeht, ist mehr als fraglich. Zwischen Paul Dennings Rennteam in England und der Konzernmutter in Japan knirscht es gewaltig - wen wundert's angesichts der bescheidenen Ergebnisse?!
Aber diesem Thema werde ich mich bei Gelegenheit mal ausführlich widmen müssen, genauso wie es mit der Königsklasse generell weitergehen soll. Das neue Motorenreglement ist zwar beschlossen, aber wirklich klar ist trotzdem noch lange nichts. Also warten wir erst einmal ab, bis wir wissen, wer wo fährt. Dann sehen wir weiter.
Bis dahin, c'est la vie!


