Newey: Wie "Schumi" seinen Wechsel zu Ferrari verhindert hat

Auszug aus seiner Autobiografie: Warum Adrian Newey Ferrari gleich zweimal abgesagt hat und wie ihn Niki Lauda zu Mercedes holen wollte

(Motorsport-Total.com) - Adrian Newey gilt als einer der erfolgreichsten Formel-1-Konstrukteure aller Zeiten. Der 59-Jährige hat nicht weniger als zehn Weltmeister-Autos designt. Insofern ist nicht verwunderlich, dass er im Laufe der Jahre immer wieder Angebote von Konkurrenzteams erhalten hat. Unter anderem auch von Mercedes.

Titel-Bild zur News: Michael Schumacher und Adrian Newey

Adrian Newey wechselte 1996 wegen Michael Schumacher nicht zu Ferrari Zoom

Das enthüllt Newey in seiner Autobiografie 'Wie man ein Auto baut'. Nach den ersten drei Titelgewinnen mit Red Bull und Sebastian Vettel in den Jahren 2010, 2011 und 2012 hatte er einen toten Punkt erreicht. Die Formel-1-Regeln engten seinen kreativen Spielraum als Designer immer weiter ein, sodass er auf der Suche nach frischer Motivation war und eine berufliche Veränderung zumindest nicht ausschloss.

"Ich überlegte mal wieder, welche Optionen ich hatte, als ausgerechnet Niki Lauda von Mercedes auf mich zukam", schreibt Newey. "Eine Reihe von Gesprächen über meinen möglichen Wechsel zu Mercedes folgte. Niki kam einige Male zu mir nach Hause, um die Möglichkeit durchzusprechen, die mich schon reizte."

"Aber auch nicht übermäßig. Ein Wechsel zu Mercedes, dem Rennstall, der ganz sicher 2014 Weltmeister werden und wo ich praktisch Ross Brawn ersetzen würde, wäre mir falsch vorgekommen. Es hätte ausgesehen, als wolle ich nur möglichst viele Titel einheimsen. Ich bedankte mich bei Niki und lehnte ab."

Auch Porsche wollte Newey verpflichten

Mit Porsche fragte in jener Zeit ein weiterer deutscher Automobilhersteller bei Newey an. Viel konkreter wurden aber ab Ende des Jahres 2012 Kontakte zu Ferrari: "Sie hatten mich schon früher umworben, aber jetzt meinten sie es ernst", bestätigt der Brite im Nachhinein eine Exklusivmeldung von 'Motorsport-Total.com' von Januar 2013.

Darin hieß es damals, Red-Bull-Teamchef Christian Horner habe in Maranello ein Geheimtreffen mit Ferraris Personalchef Mario Mairano gehabt. "Der Verdacht liegt nahe, dass es sich dabei um einen Versuch handelt, indirekt an die Dienste von Stardesigner Adrian Newey heranzukommen", so die Newsmeldung.

Adrian Newey, Niki Lauda

Niki Lauda wollte Adrian Newey im Jahr 2013 zu Mercedes holen Zoom

Fünf Jahre später schreibt Newey in seinem Buch erstmals öffentlich über die Geheimverhandlungen: "Ich fuhr nach Italien, um mich mit Luca Montezemolo, dem damaligen Präsidenten von Ferrari, in seinem toskanischen Landsitz zu treffen. Wir verhandelten ernsthaft, das Angebot war erstaunlich großzügig. Luca wollte mir die gesamte Marke Ferrari anvertrauen - Sportwagen und Rennwagen."

"Ich hätte den Lebensstil eines Filmstars pflegen und ein ungeheures Gehalt einstreichen können, weit mehr als das Doppelte des schon großzügigen, das ich bei Red Bull bekam", erinnert er sich. Letztendlich blieb er bei Red Bull, weil all seine Überlegungen "auf eine einfache Erkenntnis" hinausliefen: "Ich wollte Red Bull nicht verlassen."

Es war bereits Ferraris zweiter Versuch, sich Neweys Dienste für die Formel 1 zu sichern. Anfang 1995 war Jean Todt gerade dabei, die Scuderia umzubauen. Bevor Michael Schumacher samt Anhang von Benetton (Ross Brawn, Rory Byrne) engagiert wurde, versuchte Todt, Newey nach Maranello zu holen. Der hatte sich gerade mit Frank Williams und Patrick Head überworfen.

Todt wollte Newey 1995 zu Ferrari holen

Biografie von Adrian Newey, Pantauro-Verlag

Adrian Neweys Autobiografie gibt es nun auch in deutscher Sprache Zoom

"Ferrari stand mit mir in Kontakt", schreibt Newey. "Jean Todt war vom Peugeot-World-Rallye-Team als Sportlicher Leiter nach Maranello gewechselt. Zum zweiten Mal stattete ich Ferrari einen heimlichen Besuch ab; der erste war 1985 gewesen, als sie mir ein Angebot als Designleiter für ein neues Ferrari-IndyCar-Projekt gemacht hatten, das sie damals erwogen."

"Wir wurden am Flughafen Bologna abgeholt und unauffällig zu Jeans Landhaus gebracht, wo unter anderem auch Gerhard Berger auf uns wartete. Jean suchte einen neuen Technischen Leiter und bot attraktive Bedingungen", so Newey. Das Gespräch verlief positiv - bis zu einem kritischen Punkt: "Dann wollte er aber wissen, was ich von Michael Schumacher halte; sie wollten ihn für die Saison 1996 anwerben."

"Das war mir eigentlich nicht recht; Schumacher war zwar auf jeden Fall ein Fahrer, den die Konkurrenz fürchten musste, und wahrscheinlich damals überhaupt der beste, aber ich hatte Imola und das Gespräch mit Ayrton nicht vergessen, der sicher gewesen war, bei Schumacher eine verbotene Traktionskontrolle bemerkt zu haben. Es wäre fast pietätlos gewesen, so rasch nach Ayrtons Tod für Michael zu arbeiten."

Zur Vorgeschichte: Ayrton Senna, damals bei Neweys Williams-Team unter Vertrag, hatte am Imola-Wochenende 1994, wenige Stunden vor seinem Tod, Bedenken geäußert, dass Schumacher und Benetton mit einer damals verbotenen Traktionskontrolle tricksen. Schumacher war für Williams der erklärte Erzrivale, Newey noch dazu mit dessen Nemesis Damon Hill befreundet.

Letztendlich sagte der Stardesigner Ferrari 1995 ab. Auch wegen seiner Frau Marigold und seinen Kindern. Ferrari hätte einen Umzug nach Maranello bedeutet, und Newey wollte seine Ehe nicht dafür aufs Spiel setzen. Schon etwa zehn Jahre zuvor war die Ehe mit seiner ersten Ehefrau Amanda gescheitert, weil er aufgrund eines IndyCar-Engagements in die USA gezogen war.

Newey unterschrieb also im Juni 1995 einen Dreijahresvertrag bei Williams. Unter zwei Bedingungen: "Frank und Patrick sicherten mir zu, mich zukünftig an allen geschäftlichen Grundsatzentscheidungen angemessen zu beteiligen, und meine Gehaltserhöhung bekam ich auch."

Villeneuve-Verpflichtung sorgte für Verstimmung

Doch der Friede hielt nur kurz. Im Sommer 1995 versuchte Craig Pollock, seinen Schützling Jacques Villeneuve bei Williams unterzubringen. Mutmaßlich - Newey bestätigt das in seinem Buch nicht - mit Unterstützung von Bernie Ecclestone. Newey sollte von nun an in die Fahrerentscheidungen eingebunden werden, war aber bei Villeneuves erstem Williams-Test in Silverstone gerade im Urlaub.

Also sprach man sich im Vorhinein ab: Sollte Villeneuve bis auf eine Sekunde an Hills Referenzzeit herankommen, würde man über eine Verpflichtung nachdenken. Sonst nicht. "Er blieb dann zwei Sekunden hinter Damon zurück, sodass ich annahm, die Angelegenheit sei damit erledigt", schreibt Newey.

Adrian Newey, Patrick Head

Adrian Neweys Verhältnis zu Patrick Head wurde nachhaltig beschädigt Zoom

"War sie auch - er bekam nämlich das Cockpit, und zwar von Frank und Patrick, ohne dass sie mich gefragt hätten. Als ich aus dem Urlaub zurückkam, berief ich ein Meeting ein und fragte offen, warum zum Teufel wir Jacques als Fahrer engagiert hatten, obwohl er zwei Sekunden hinter Damons Bestzeit geblieben war."

"Vor allem aber erinnerte ich beide daran, dass in meinem Vertrag stand, ich müsse in alle geschäftlichen Grundsatzentscheidungen einbezogen werden, zu denen ausdrücklich auch die Fahrerauswahl gehörte. 'Du warst ja auf Barbados', war die lahme Ausrede. Ich wies darauf hin, dass es dort Telefone und Faxgeräte gab. Es tue ihnen leid, räumte Frank ein. Es müsse wohl die 25-jährige Gewohnheit gewesen sein. Es werde nicht wieder vorkommen."

Tat es aber. Hill hatte 1995 eine fahrerisch enttäuschende Saison abgeliefert. Bereits Anfang 1996 machten Gerüchte die Runde, Williams verhandle mit Heinz-Harald Frentzen für 1997. Hill war auf dem Weg zum WM-Titel, als Newey und Patrick Head nach dem Grand Prix von Deutschland gemeinsam nach England flogen und bereits ein paar Gläser Wein intus hatten.

1996: Verhältnis zu Williams und Head beschädigt

Head soll auf dem Flug gesagt haben: "Ach ja, Adrian. Wollte ich dir eigentlich schon die ganze Zeit sagen. Anfang des Jahres haben Frank und ich beschlossen, Frentzen für 1997 anzuheuern, weil Damon 1995 so schlecht gefahren ist." Newey hatte keine Ahnung und sah für sich keine Zukunft mehr bei Williams.

"Jetzt kam McLaren wieder ins Blickfeld", erinnert er sich. "Obwohl ich ihnen 1995 abgesagt hatte, wollte Martin Whitmarsh mich immer noch engagieren. Er hatte mich alle paar Monate angerufen, um nur mal kurz Hallo zu sagen und zu fragen, wie's mir so gehe ... Als jetzt öffentlich wurde, dass Damon seinen Platz für 1997 verloren hatte, war nicht schwer zu erraten, wer als Erster bei mir anrief."

"Bei McLaren sagte mir alles zu: Ich kam gut mit Martin Whitmarsh zurecht, mochte die Firma, freute mich, wieder mit David Coulthard als Fahrer zusammenzuarbeiten, und mir gefiel, dass ihr Mercedes-Motor von meinem alten Freund Mario Illien bei Ilmor Engines in Brixworth entworfen und gebaut wurde."

Der Rest ist Geschichte: Newey hatte am 7. November 1996 seinen letzten Arbeitstag bei Williams. "Ich bin nie wieder dort gewesen", schreibt er. Am 1. August 1997 hatte er seinen ersten Arbeitstag bei McLaren in Woking - mit einer ganzen Reihe technischer Zeichnungen im Koffer, die er während seiner Arbeitssperre angefertigt hatte.

Neweys Autobiografie 'Wie man ein Auto baut' ist im englischsprachigen Original 2017 bei HarperCollins Publishers in London erschienen, niedergeschrieben von Ghostwriter Andrew Holmes. Die deutsche Fassung (417 Seiten) wurde von Martin Bayer übersetzt und ist 2018 im Pantauro-Verlag erschienen, bei Benevento Publishing Salzburg-München.