• 12.06.2011 16:22

  • von Christian Nimmervoll & Dieter Rencken

Motoren 2013: Nur noch drei Wochen Zeit

Schon zweimal beschlossen, aber immer noch nicht fix: Die absurde Saga um das Motorenformat für 2013 biegt im Juni auf die Zielgerade ein

(Motorsport-Total.com) - Die Diskussionen um das Motorenformat für 2013 nehmen immer absurdere Züge an. Bereits zweimal (Dezember 2010 und Juni 2011) hat der entscheidungsbefugte Motorsport-Weltrat der FIA beschlossen, in zwei Jahren Vierzylinder-Turbos mit 1,6 Liter Hubraum und stärkerem KERS einzuführen, doch am Hickhack hinter den Kulissen scheint das nicht das Geringste zu ändern.

Titel-Bild zur News: Jean-Francois Caubet und Stefano Domenicali

Gegenspieler in der Motorenfrage: Renaults Caubet und Ferraris Domenicali

Das ist nicht nur die Schuld derjenigen, die gegen das Turbo-Comeback aktiv Lobbying betreiben (Bernie Ecclestone, Ferrari, Mercedes und Cosworth), sondern vor allem auch der FIA, die es mit ihrem Missmanagement verabsäumt hat, Schlupflöcher von Anfang an zu schließen - ganz im Gegenteil: Nach der letzten Ratssitzung am 3. Juni wurde sogar ausdrücklich betont, dass die Entscheidung mittels Faxabstimmung noch umgeworfen werden kann. Viele fragen sich nun: Wozu dann überhaupt eine Entscheidung treffen?

Abstimmung versäumt: Mallya am Handy

Doch es kommt noch dicker: Wie die Fachpublikation 'auto motor und sport' berichtet, ging das Ratsvotum für den Turbo vorige Woche in Barcelona hauchdünn mit 13:12 aus. Das Gremium besteht jedoch aus 26 stimmberechtigten Mitgliedern. Gerüchten zufolge soll Vijay Mallya (nicht als Vertreter von Force India, sondern des indischen Verbandes) aber gerade am Gang telefoniert haben, als eine der richtungsweisendsten Entscheidungen für die Zukunft der Formel 1 getroffen wurde.

"Die Regeln für 2013 stehen fest", sagt Mercedes-Sportchef Norbert Haug, schränkt aber ein: "Es wird bis Monatsende weitere Diskussionen geben. Das ist der Status quo." Denn der erstmalige Turbo-Beschluss im vergangenen Dezember war ein Alleingang der FIA, was Ecclestone und den drei betroffenen Motorenherstellern (nur Renault ist nach wie vor für den Turbo und hat daher bereits im September mit dessen Entwicklung begonnen) Ansatzpunkte liefern könnte, um Protest einzulegen.

"Es wird bis Monatsende weitere Diskussionen geben." Norbert Haug

Laut Concorde-Agreement müssen Änderungen des Technischen Reglements erst in der Technischen Arbeitsgruppe (alle Technischen Direktoren unter dem Vorsitz von Charlie Whiting) besprochen und dann von der Formel-1-Kommission (in der die Teams ebenfalls vertreten sind) ausformuliert werden, bevor sie zur Abstimmung an den Weltrat gereicht werden. Der Weltrat kann lediglich ja oder nein sagen, aber nicht selbst Reglements erfinden. Arbeitsgruppe und Kommission wurden jedoch einfach übergangen.

Würde Ferrari seinen Ex-Teamchef klagen?

"Renault möchte den Motor haben, Ferrari nicht. Zwischen den beiden Firmen gibt es Meinungsverschiedenheiten", erlaubt Renault-Teamchef Eric Boullier Einblicke hinter die Kulissen des schwelenden Streits. Stefano Domenicali war im Weltrat eine der zwölf Gegenstimmen, genau wie Ecclestone. Nun heißt es, dass Ferrari sogar erwägt, gegen den Turbo zu klagen, falls die FIA darauf bestehen würde, eben weil die Statuten des Concorde-Agreements nicht eingehalten wurden.

Die FIA wiederum beruft sich laut 'auto motor und sport' darauf, dass das aktuelle Concorde-Agreement Ende 2012 ausläuft, die Regeländerung aber die Zeit ab 2013 betrifft. Zu klären, ob dieses Argument valide ist, liegt nun an den Juristen. Doch die Zeit drängt, denn für eine weitere Faxabstimmung des Weltrats bleiben nur noch drei Arbeitswochen (bis Ende Juni) Zeit. Das Thema steht daher auf der Tagesordnung der Sitzung der Technischen Arbeitsgruppe am Donnerstag in London.

"Renault möchte den Motor haben, Ferrari nicht. Zwischen den beiden Firmen gibt es Meinungsverschiedenheiten." Eric Boullier

Klar Position beziehen will zumindest öffentlich kaum jemand. Auf die Frage, ob er den Vierzylinder bevorzugen würde, weicht zum Beispiel Mercedes-Sportchef Haug geschickt aus: "Wir sind darauf vorbereitet, aber wir müssen die ganze Situation sehen. Unserer Meinung nach brauchen wir mindestens die vier derzeitigen Hersteller. Darüber haben wir gesprochen. Noch besser wäre, einen oder mehrere neue Hersteller zu haben."

Bangen um Renault und Cosworth

"Aber es gibt einige Diskussionen und Probleme, ob alle Hersteller wirklich sicher bleiben. Regeln festzulegen und dann nur zwei Hersteller zu haben, die sicher bleiben, das ist ein Problem", spricht er einen wichtigen Aspekt an. Denn Cosworth kann sich den Turbo ohne Investor nicht leisten, während Renault angeblich damit droht, aus der Formel 1 auszusteigen, falls der Turbo nicht kommen sollte. Wirklich fix sind also nach aktuellem Stand nur Ferrari und Mercedes.

"Ich habe nächste Woche gute Meetings in Frankreich, auch mit hochrangigen Politikern, um den Plan zu diskutieren und zu sehen, ob Renault aussteigen möchte", gibt Renault-Teamchef Eric Boullier zu. Sollte tatsächlich einer der vier Hersteller einen Rückzieher machen, hätte die Formel 1 ein Problem, denn zumindest Mercedes kann neben McLaren und Force India keine weiteren Kundenteams mehr aufnehmen: "Kapazitätsmäßig sind wir mit drei Teams am Limit", stellt Haug klar.


Fotos: Großer Preis von Kanada


Angst wegen zu hoher Geschwindigkeiten

Ein weiterer Aspekt der Diskussion ist, dass man das Motorenformat in den Augen der Ingenieure nicht losgelöst vom Chassisreglement betrachten kann. Dieses hätte für 2013 ursprünglich Ground-Effect-Autos mit weniger Luftwiderstand vorgesehen, um zum Ziel von 30 Prozent weniger Benzinverbrauch beizutragen. Doch das Ground-Effect-Konzept wurde vom Weltrat (auf Wunsch der Teams) gekippt. Stattdessen soll nur das aktuelle Reglement angepasst werden.

Welcher Motor in welches Chassis kommt, könnte die nächste Diskussion sein, denn: "Was die Installationen angeht, sind alle vorgesehenen Änderungen auch mit dem V8 möglich. Das Problem ist aber: Wenn der V8 bleibt und das neue KERS mit 120 Kilowatt kommt, dann haben wir am Ende verdammt viel Leistung", befürchtet Williams-Technikchef Sam Michael, dass die Formel 1 in diesem Fall zu schnell werden könnte.

KERS-Warnung

Erfordert das neue KERS-Hybridsystem auch neue Chassisregeln? Zoom

"Eine der Änderungen des Chassisreglements betrifft einen viel kleineren Heckflügel, um den Benzinverbrauch um 30 Prozent zu reduzieren. Das würde zu ziemlich exzessiven Höchstgeschwindigkeiten führen. Motor und Chassis hängen also zusammen. Rein physisch ist es aber möglich", argumentiert er und rechnet vor: "Bei der Änderung des Heckflügels reden wir von ungefähr 45 km/h, wenn die Motorenleistung gleich bleibt und das neue KERS kommt."

Neue Regeln nur als Komplettpaket?

Daher drängt Michael darauf, das Thema schon am Donnerstag zu besprechen: "Die 2013er-Motorenfrage muss geklärt sein, bevor wir die Chassisregeln ändern. Beides gehört zusammen. Ich glaube nicht, dass sie nur einen Teil durchziehen werden, sondern dass das Komplettpaket 2013 - oder sonst eben 2014 - kommen wird." Nur: Am Donnerstag könnte die hitzige Diskussion über das Zwischengas-Verbot am meisten Zeit in Anspruch nehmen...

Das Argument, dass Höchstgeschwindigkeiten weniger tragisch sind als Kurvengeschwindigkeiten, lässt Michael nur bedingt gelten: "Natürlich sind die Kurvengeschwindigkeiten wichtig, aber wenn die Höchstgeschwindigkeiten zu sehr ansteigen, wirft das auch Probleme auf. Das Gleichgewicht muss stimmen. Aber die FIA macht sich über die Kurvengeschwindigkeiten mehr Sorgen. Teil der neuen Regeln ist dementsprechend, den Anpressdruck zu reduzieren", erklärt der Australier.

"Wenn die Höchstgeschwindigkeiten zu sehr ansteigen, wirft das auch Probleme auf." Eric Boullier

Was den Turbo angeht, steht es derzeit bei den Motorenherstellern 3:1 gegen eine Einführung, bei den Funktionären 1:1 (Bernie Ecclestone gegen Jean Todt). Darüber, dass die Formel 1 mit kleineren Motoren "grüner" werden muss, sind sich alle einig, doch Mercedes und Co. sorgen sich wegen der hohen Entwicklungskosten für einen neuen Motor. Möglicher Kompromiss: Eine Verschiebung des Turbo-Comebacks auf 2014 oder 2015. Fortsetzung folgt.

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